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Full text of "Benedict von Spinoza's Ethik"

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HARVARD 
COLLEGE 
LIBRARY 



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Philosophische BiblioM 

oder 

Sammlung 

der 

Hauptwerke der Philosophie 

alter und neuer Zeit. 



Heransgegeben^ beziehungsweise übersetzt , erläutert 
und mit Lebensbeschreibungen versehen 

von 

J. H. Y. Eirchmann. 



Vierter Band. 
Benedict von Spinoza's Ethik. 



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Berlin, 1868. 



Verlag von L. Heimann, 

Wilhelms - Strasse No. 91. 



Benedict von Spinoza's 

Ethik. 



Uebersetzt; erläutert 

und 

mit einer Lebensbesehreibung Spinoza's versehen 

von 

J. H. T. Kirchmaim. 



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Berlin, 1868. 

Verlag von L. Heimann^ 

Wilhelms -Strasse No. 91. 



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Vorwort des . Uebersetzers. 



Opmoza's,£thik bietet dexa Uebersetzer mehr Schwierig- 
keiten, als irgend ein anderes philosophisches Werk alter 
oder neuer Zeit. Znn&cbst sind es die Grundbegriffe seiner 
Philosophie, welche dem Vorstellen und selbst der Sprache 
der heutigen Zeit so fem liiegen, dass die entsprechenden 
Worte daf£br in letzterem kaum gefunden werden können. 
Sodann besteht bei Spinoza selbst vielfi^ch ein Schwanken 
in. der Scharfe seiner Begciffe und epusL Wechsel in ihrer 
B^eichnung, welcher die Deutlichkeit der XJebersetzung 
ausserordentlich erschwert und leicht den Leser glauben 
lassen kann, dass der Fehler nur an dem Uebersetzer 
liege. Ferner gebraucht Spinoza viele lateinische Worte 
in eia^n yon dem gewöhnlichen TöUig abweichendem 
Sinne, und der Uebersetzer. kommt in Zweifel, ob er 
auch in;L Deutschen . dem folgen; oder das passendere 
Wort wählen soll. Endlich ist die geometrische Beweis- 
fOhrungy der^ sich Spinoza, im Geiste seiner, Zeit bedient 
und auf dieser- grossen We^ Jegt, weit entfernt,, die 
EQarheit des Gedankenganges zu erhöhen» vielmehr ein 
Hindemiss .fiU: die natürliche und bündige Weise des Aus- 
drucks nnd damit eine ne^e £rs<^weru^g des Verstand- 
nisses« > 

Der Uebers^zer isjt deshalb fortwähi;end der Ver- 
suchung ausgesetzt, diege Mangel,, die zum Theil nur 
in der Form liegeu, bei der Ue^>ertragung zu mildern, 
Undeutlichkeiten durdi deutlichere Fassung zu klären, 
und die schwerfallige,. Breitß der Beweise zu kürzen. 
Unzweifelhaft würde die Üebersetzung weit lesbarer und 



VI Vorwort des Ucbersetzers. 

verständlicher geworden sein, wenn der Unterzeichnete 
dieser Versuchung nachgegeben hätte ; allein eine reifliche 
Erwägung liess ihn ein solches Vorgehen für unzulässig 
erachten. 

Eine gute Uebersetzung muss nicht blos das Gute, 
sondern auch das Mangelhafte des Originals möglichst 
getreu wiedergeben, insbesondere gilt dies für ein Werk 
von so hoher Bedeutung, wie Spinoza's Ethik. Spinoza 
hat die Hälftie seines Lebens daran gearbeitet, und selbst, 
nachdem sie vollendet witr, die letztep. zehn Jahr« seines 
Lebensoaki.üur geiei^Bert.v' Unt^-'soUhlefn Ümstäiiden ist 
kein Uebersetzer berechtigt , seine eigene bessernde Hand 
an das Werk zu legen, vielmehr ist seine erste Pflicht, 
dem Werke bei der TJebertragung in das Deutsche seine 
volle Eigenthümlichkeit im guten wie im schlimmen SinniB 
zu/erhält^n, so weit es der Gteiet der deutschen Sptafene 
überhaupt gestattet. < 

Sollte dies richtig sein^ 'so idrd der Leder schon die 
Lücken uiid Breiten und Unklarheiten mit in den Kauf 
nehmen müssen, weiche er- an der Uebersetzung leicht 
bemerken wird, und der Unterzeichnete hat Merfür keine 
andere Efitschuldigung, als dass er auch hierin nur dein 
Originale hat nachfolgen müssen. Aus diesem Grunde 
hat von den früheren Üebersetzungeft d«r Etiiik mmig 
Gebrauch gemacht werden können. Weit sctew^rer war 
indess die Au%abe, die Dunkelheit des Spinoza bei der 
Uebertragtmg nicht noch zu vörgrössefm/ ja in das Un- 
verständliche und Sinttloee zu verkehren. In im weit 
dies dem Unterzeichneten besser wie seinen Vorgängern 
gelungen ist, muSs dem Urtheile der Kentier' anh'eim ge- 
stellt bleiben. 

Der Uöbersetzung ist der^ Meiöische Töxt nach der 
Beceiifsion von Brtider zu GmÜde gelegt Worden, welcher 
als der correcteste g^ltett kann. Nur bei der Interpunk- 
tion ist manches g«änd«H; Wiordeii, da eitle dem ^hin 
entsprechende Merpunktiob für dai^ Vönständniss wich- 
tiger ist, als man gewöhnlich meint. Die Vorrede'Ton 
Jellis und MJey^i"' -welche sich- in der eraten Ausgabe 
der Op^apoÄi/itwna-l^efinderti, ist iiiclrt mit übersetzt wor- 
d^," da sie -für :dii& Entetöhung' oder das Verständniss 
der Ethik ohne Werth ist = und sich lediglicli' damit be- 
schäftigt, die Uebereinstimmutig der Ethik mit der Lehre 
der Bibel nachzuweisen. 



Vorwort des Uebersetzers. VU 

Leser, welche nicht bereits genau mit den Gedanken 
und der Ausdrucksweise Spinoza^s vertraut sind, also 
gerade die Leser, für welche diese Uebersetzung zunächst 
bestimmt ist, werden trotz aller auf sie verwendeten 
Sorgfalt, unzweifelhsifb an den meisten Sätzen Anstoss 
nehmen und über das schwierige Yerstandniss sich be- 
klagen. Diesen Lesern wird geratheu/ zunächst sich da- 
durch nicht abschrecken zu lassen, auch nicht gleich 
nach den Erläuterungen zu greifen, sondern in dem 
Studium des "Werkes selbst beharrlich fortzufahren und 
zu versuchen, sich mit dem Autor unmittelbar zu ver- 
standigen. Es ist dies jedenfalls der richtigste, wenn 
auch nicht der bequemste Weg, das Yerstandniss des 
Werkes zu gewinnen. Je vertrauter sie mit den Gre-. 
danken des Autors auf diesem Wege geworden sind, 
desto nützlicher wird sich dann die spätere Benutzung 
der Erläuterungen erweisen, welche ihren Zweck nur 
erfüllen können, wenn der Leser mit dem Inhalte des 
ganzen Werkes bereits bekannt ist; erst dann werden sie 
die Klarheit der Auffasöung erhöhen, die weit reichen- 
den Beziehungen darlegen und so den Inhalt zum vollen 
Eigenthum des Lesers erheben können. 

Eine andere Frage ist, ob ein Leser im Jahre 1868 
sich von der Lehre Spinoza's befriedigt oder mindestens 
überzeugt erklären wird. Diese Frage gehört indess nicht 
hierher; hier war nur die, Aufgabe, dem Leser die 
Möglichkeifc zu gewähren, diesem grossen Geiste unmittelbar 
in seinem Hauptwerke nahe zu treten und so gleichsam 
aus eigener Wahrnehmung ein ürtheil über ihn zu fallen. 
Jeder einsichtige Leser wird dabei die Grösse der Grund- 
gedanken Spinoza's von der mangelhaften Form ihrer 1)ar- 
stellung^zu trennen wissen; in jenen war Spinoza seiner 
Zeit weit vorausgeschritten, und es mussten mehr als 
hundert Jahre verfliessen, ehe die Naturwissenschaft und 
die Philosophie aus dem Anfange des neunzehnten Jahr- 
hunderts bemerkten, dass ihre Fundamente zum grossen 
Theile bereits von Spinoza gelegt worden waren. 

Aber auch abgesehen von dem Inhalte wird das Studium 
der Ethik Spinoza's eine vortreffliche Schule für die 
Ausbildung des philosophischen Denkens nach allen 
Eichtungen sein und man kann sicher annehmen, dass 
jeder, der das volle Yerstandniss dieses Werkes zu erreichen 



Vin Vorwort des Uebersetzers. 

vennocht hat, vor keinem andern philosophischen Buche 
mehr zurückzuschrecken braucht. 

Zur ersten Orientirung des Lesers kann die Einleitung 
dienen, welche im I. Bande dieser Sammlung als Lehre 
vom Wissen vorausgeschickt worden ist. 

Berlin, im September 1868. 

V. Kirchmann. 



-j-t- 



Erklärimg der AbkürzmigeiL. 



D. bedeutet: Definition. 

E. „ Erläuterung. 
A. „ Axiom. 
L. M Lehrsatz. 
Z. „ Zusatz. 
Ln. „ Lehnsatz.. 
H. „ Heisefaesatz. 
S. „ Satz. 
ErkL „ Erklärung. 

]^*e Zififem in Klammern am Schluss einzelner Sätze be- 
ziehen sich auf die Erläuterungen des Herausgebers, welche 
in zwei besonderen Heften nachfolgen und unter denselben 
Nummern dort aufgeführt sind. 

Die in Parenthesen befindlichen Buchstaben und Ziflfern be- 
ziehen sich auf die betreffenden Lehrsätze, Definitionen u. s. w. 
des Werkes selbst. 



■^ 



Spinozas Leben und Schriften. 



JDaruch. oder Benedict von Spinoza wuiUe am 
24. November 16B2 in Amsterdam geboren, während 
der dreissigjährlge Krieg in Deutschland wüthete. Seine 
Familie war mit anderen jüdischen Familien aus Spanien 
und Portugal im Anfang des Jahrhunderts nach den 
Niederlanden ausgewandert, um dem Druck der Inqui- 
sition zu entgehen. Sein Vater war angesehen, nicht 
unbemittelt und von gesundem Verstände ; er liess seinem 
Sohne eine freie Erziehung geben ; indess beschränkte sich 
der Unterricht in der jüdischen Schule ausschliesslich auf 
Eeligion und Cultus. Spinoza^s Lehrer, Morteira, preist 
den Scharfsinn und die ausgebreiteten Kenntmsse seines 
Schülers, und schon in seinem fünfzehnten Jahre galt 
Spinoza als ein ausgezeichneter Talmudist 

Spinoza war zu dem Studium der Theologie bestimmt. 
Die Anfangsgründe des Lateinischen lernte er bei einem 
Deutschen; in den klassischen Sprachen vervollkommnete 
er sich später bei einem Arzt, Namens van dem Ende, 
der öffentlichen Unterricht gab. Während seiner Studien 
verliebte sich Spinoza in die Tochter seines Lehrers; ein 
Nebenbuhler stach ihn aber durch einen reichen Perlen- 
schmuck aus. Die Spuren dieser unglücklichen Liebe 
sind noch in der Ethik des Spinoza zu erkennen ; vielleicht 
war sie auch der Anlass, dass Spinoaa sich nie ver- 
heirathete. 

Spinoza äusserte schon als Jüngling sehr freie An- 
sichten über Eeligion mad in Folge von Denunciationen 
kam die Sache bei den Eichtern der Synagoge zur Sprache; 
Da Spinoza zu keinem Wiederruf zu bewegen war, ward 
über ihn in seinem 23. Jahre der grosse Bann ausgesprochen 

Spinoza, EthiTc. 1 



2 Spinoza^s Leben und Schriften. 

und er ans der jüdischen Synagoge ansgestossen. Spinoza 
nahm dies ziemlich ruhig hin und schloss sich in Folge 
dessen auch keiner christlichen Ck>nfession an. Er fand 
zunächst Zuflucht in dem Hause seines Lehrers yan dem 
Ende. Er erlernte das Schleifen optischer Gläser und 
erwarb sich damit seinen Unterhalt. 1660 begab sich 
Spinoza nach Bhynsburg und überliess sich dort ganz 
den philosophischen Studien. Die Philosophie des Oartesius 
stand damals in der Blüthe; Spinoza stadirte sie mit 
Eifer, gab auch einem jungen Manne darin Unterricht 
und daraus ging sein erstes Werk hervor unter dem Titel: 
»Die Grundsätze der Philosophie des Descartes, geometrisch 
bewiesen von B. y. Spinoza mit einem Anhange meta- 
physischer Untersuchungen, c Obgleich es nur eine Dar- 
stellung der Philosophie des Descartes sein soll, so 
leuchten doch die eigenen Auffietssungen des Spinoza schon 
hindurch; das Werk ist deshalb als Quelle nur mit 
Yorsicht zu gebrauchen. Diese Schrift hatte nicht den 
Erfolg, den Spinoza erwartet hatte; auch hatte er in dieser 
Zeit viel mit äusseren Mühseligkeiten und Unruhen zu 
kämpfen. 1664 zog Spinoza nach Voorbarg, eine Meile 
vom Haag und 1670 zog er auf Zureden seiner Freunde 
ganz nach dem Haag. Hier wohnte Spinoza anfangs bei 
der Wittwe van Velden in grosser Eingezogenheit; er 
sass auf seinem Zimmer, arbeitete und brachte oft zwei 
bis drei Tage zu, ohne jemand zu sehen. Später miethete 
er sich der Erspamiss wegen eine billigere Wohnung bei 
dem Maler van der Spyk, bei dem er bis zu seinem 
Lebensende blieb. 

Zwischen 1665 bis 1670 verfasste Spinoza seine 
zweite Schrift, den »Tractatus theologico-politicus«, in 
welchem zuerst die Grundgedanken des spätem Rationalis- 
mus über die Bedeutung der Bibel ausgesprochen sind. 
Die Bibel stellt nach Spinoza nur Sittengesetze auf; 
sie zielt auf Gehorsam aber nicht auf Erkenntniss der 
Wahrheit. 

Diese Schrift erregte grosses Aufsehen und erweckte 
dem Spinoza eine Menge Feinde. Es entspann sich eine 
heftige literarische Fehde und Spinoza gerieth selbst 
persönlich dadurch in Gefahren. Dies bestimmte ihn, 
von jeder weiteren Veröffentlichung seiner spätem Schriften 
abzusehen. 



Spinöza's Leihen und Schriften. 3 

Zu diesen gehört zunächst der Tractatus politicns, der 
unvollendet blieb; dann der Tractatus de Beo et homine 
(nicht lange vor 1661 yerfasst), in welchem bereits die 
Grundzüge seiner Ethik niedergelegt sind; femer um 1662 
der Tractatus de intellectus emendatioue, der unvollendet 
blieb; endlich verfasste er von 1662 bis 1665 sein Haupt- 
werk, die Ethik, welche er indess bis zu seinem Tode 
fortwährend überarbeitet zu haben scheint Das Manu* 
Script theilte Spinoza seinen Freunden hier und da mit; 
allein der Druck dieser Werke ist auf die ausdrückliche 
Anordnung Spinoza^s erst nach seinem Tode erfolgt. 
Spinoza hatte verboten, ihn als Autor zu nennen; deshalb 
ist der Verfasser nur mit den Anfangsbuchstaben bezeichnet. 

Spinoza war von mittlerer Statur und dunkler Haut- 
farbe. Seine Züge waren regelmässig; lange schwarze 
Angenbraunen und schwarze Haare Hessen seine jüdische 
Abstammung erkennen. Spinoza lebte ausserordentlich 
massig, seine Mahlzeit für den ganzen Tag bestand oft 
nur in Milch- oder Hafergrützsuppe; er trank selten 
Wein; lehnte Einladungen ab; war in seiner Kleidung 
eben so einfach aber sauber und in seinen Geldangelegen- 
heiten höchst pünktlich und ordentlich. Bisweilen rauchte 
er, und wenn er sich ein Yergnügea machen wollte, fing er 
Fliegen, warf sie in ein Spinnenetz und lachte laut über 
den Kampf der Fliege mit der Spinne. Er war dabei 
gesprächig, leutselig und unterhielt sich vorm Schlafen- 
gehen gern mit seinen Wirthsleuten. Bei seines Vaters 
Tode nahm er sich nur ein Bett aus der Erbschaft und 
Hess das übrige seinen Schwestern. Sein Freund Simon 
de Vries wollte ihm einmal 2000 Gulden schenken, allein 
Spinoza lehnte es ab mit den Worten: die Natur ist mit 
Wenigem zufrieden, und wenn sie es ist, bin ich es auch. 
Bas ihm von Vries in dessen Testament ausgesetzte Jahr- 
geld von 500 Gulden reduzirte Spinoza selbst auf 300 
Grolden, die er bis an sein Lebensende bezogen hat. 

Zu seinen Freunden gehörte der Arzt Ludwig Meyer 
aus Amsterdam und Heinrich Oldenburg aus Bremen, 
Besident des niedersächsischen Kreises bei Cromwell in 
London. Spinoza stand mit beiden, so wie mit anderen 
bedeutenden Männern in lebhaftem Briefwechsel, und eine 
Anzahl dieser Briefe hat Meyer nach Spinoza's Tode, 
freilich stark verstümmelt, herausgegeben. Obgleich darin 



4 Spinoza's Leben und Schriften. 

meist über Spinoza's Philosophie verhandelt wird, so 
bieten sie doch nicht die Aufklärung, welche man von 
ihnen erwarten sollte; Spinoza beschränkt sich meist auf 
Wiederholung der in seiner Ethik aufgestellten Sätze und 
zeigt sich für die von Anderen beklagte Dunkelheit der- 
selben wenig empMnglich. 

Im. Februar 1673 bot ihm der Kurfürst von der Pfalz 
die Professur der Philosophie in Heidelberg an. Der 
Kurfürst kannte die Schriften des Spinoza und erklärte 
ihm nur: dass er erwarte, Spinoza werde die Freiheit 
zu philosophiren nicht zum Umsturz der öffentlich fest- 
stehenden Religion missbrauchen. Spinoza lehnte indess dies 
Anerbieten ab, indem er offen aussprach: »Weil ich nie 
Willens war, öffentlich zu lehren, so kann ich diese Ge- 
legenheit nicht ergreifen. Erstlich bedenke ich, dass ich 
in der Fortbildung der Philosophie zurücktrete, wenn ich 
dem Unterricht der Jugend obliege; sodann, dass ich 
nicht weiss, innerhalb welcher Grenzen jene Freiheit ge- 
halten werden müsse, damit ich die Eeligion nicht 
umstürze.« 

Spinoza hatte eine schwache Constitution; er litt 
seit Jahren an der Auszehrung und nur eine strenge 
Diät hatte ihn geistig .frisch und kräftig erhalten können. 
Aus seinem Briefe vom 15. Juli 1676 (No. 72) ersieht 
man, dass er noch damals, 8 Monate vor seinem Tode, 
den lebendigsten Antheil an Wissenschaft und Philosophie 
nahm. Sein Tod erfolgte unerwartet und ohne Schmerzen 
am 21. Februar 1677. Spinoza hatte noch am Morgen mit 
seinen Wirthsleuten gesprochen und seinen Freund Meyer 
rufen lassen, in dessen Beisein er verschied. Noch in 
seinem Todesjahr erschien seine Ethik mit den oben ge- 
nannten Traktaten; sie sind das erhabenste Denkmal, 
was seine Freunde ihm setzen konnten. 

Seine Werke wurden nach seinem Tode viel in HoUand 
und Frankreich aufgelegt, auch ins Holländische und 
Französische übersetzt. Später mit Ende des 17.. Jahr- 
hunderts trat das Interesse an seiner Philosophie zurück ; 
in Deutschland wurde sie von der Leibnitz- Wolf sehen 
Philosophie verdrängt , und selbst Kant und Fichte zeigen 
sich von Spinoza nicht beeinflusst. In Frankreich und 
England liess die vorwiegende empirische Richtung die 
Philosophie Spinoza's nicht aufkommen. Erst durch 



Spinoza's Leben und Schriften« 5 

Leasing nnd Jacob! wurde in Deutschland das Andenken 
an Spinoza wieder wach gerufen und erst 120 Jahre 
nach Spinoza^s Tode nahmen Schelling und Hegel seine 
Grundgedanken wieder auf und erbauten darauf das 
System des absoluten Idealismus. Hegel kann deshalb 
ohne das Studium des Spinoza nicht wohl verstanden 
werden. Seitdem ist die Philosophie Spinoza's in Deutsch- 
land wieder zu hohem Ansehen gekommen ^ und die er- 
klärenden, kritisirenden, lobenden und tadelnden Schriften 
über Spinoza bilden ein langes Yerzeichniss , was in 
Ueberweg's Geschichte der Philosophie nachgesehen 
werden kann. 

Gesammtausgaben seiner Werke sind erschienen von 
Paulus, Jena 1802 und 1803; von Gfrörer, Stuttgart 
1830; von Bruder, Leipzig 1843. Eine vollständige 
deutsche Uebersetzung der Werke Spinoza'« hat geliefert 
Ewald, Gera 1791—1793 und Berthold Auerbach, 
Stuttgart 1841. Die Ethik allein ist übersetzt von Wolff, 
1744 und von Schmitt, Berlin 1811. 



Benedict von Spinoza's 

Ethik 



auf geometrische Weise begründet 



m 



fünf Theilen, welche handeln: 

I. Von Gott. 

n. Von der Natur und dem Ursprung der Seele. 

in. Von dem Ursprung und der Natur der Affekte. 

IV. Von der menschlichen Knechtschaft oder von den Kräften 
der Affekte. 

V. Von der Macht des Verstandes oder von der menschlichen 
Freiheit. 



Erster Theil. ») 

Von Gott. 



D. 1« Unter Ursache seiner verstehe ich das, 
dessen Wesen die Existenz einschliesst, oder das, dessen 
Natur nur als existirend vorgestellt werden kann. *) 

D* 2« Derjenige Gegenstand heisst in seiner Art 
endlich, welcher durch einen andern derselben Natur 
begrenzt werden kann. So heisst z. B. ein Körper end- 
lich, weil man einen anderen, immer noch grösseren, sich 
vorstellt. So wird ein Gedanke durch einen anderen Ge- 
danken begrenzt. Aber ein Körper wird nicht durch 
einen Gedanken und ein Gedanke nicht durch einen Körper 
b^renzt. *) 

B. 3. Unter Substanz verstehe ich das, was in 
sich ist und durch sich vorgestellt wird, d. h. das, dessen 
Vorstellung nicht der Vorstellung eines anderen Gegen- 
standes bedarf, von welcher sie gebildet werden muss. **) 

D. 4. Unter Attribut verstehe ich das, was der 
Verstand von der Substanz als das erfasst, was ihr Wesen 
ausmacht. ^) 

B. 6, Unter Zustand verstehe ich die Erregungen 
der Substanz, oder das, was in einem andern ist, durch 
das es auch vorgestellt wird. •) 

B. 6, Unter Gott verstehe ich das unbedingt un- 
endliche Wesen, d. h. die Substanz, welche aus unendlich 
vielen Attributen besteht, von denen jedes eine ewige und 
unendliche Wesenheit ausdruckt. ''') 

E. Ich sage: unbedingt unendlich, nicht aber 
in seiner Art unendlich. Denn was nur in seiner Art 
unendlich ist, von dem können unendlich viele Attribute 



10 I. Theil. Von Gott. 

yemeint werden; was aber unbedingt unendlich ist, za 
dessen Wesen gehört alles, was eine Wesenheit ausdrückt 
und keine Verneinung enthält. 

D« 1. Derjenige Gegenstand heisst frei, der aus der 
blossen Nothwendigkeit seiner Natur existirt und von sich 
allein zum Handeln bestimmt wird; nothwendig aber 
oder vielmehr gezwungen, der von einem andern be- 
istimmt wird zum Existiren und zum Wirken in fester und 
bestimmter Weise. •) 

B. 8* Unter Ewigkeit verstehe ich die Existenz 
selbst, so weit sie aufgefasst wird, als nothwendig folgend 
aus der blossen Definition des ewigen Gegenstandes. 

E« Denn eine solche Existenz wird, wie die ewige 
Wahrheit und wie das Wesen des Gegenstandes airf- 
gefasst; sie kann deshalb durch die Dauer oder die Zeit 
nicht erklärt werden, wenn man sich auch die Dauer als 
des Anfangs und des Endes entbehrend vorstellt.^) 

A* 1. Alles, was ist, ist in sich oder in einem an- 
deren. 1^) 

A. 2. Das, was durch ein anderes nicht aufgefasst 
werden kann, muss durch sich selbst aufgefasst werden.^) 

A. 8. Aus einer gegebenen bestimmten Ursache folgt 
nothwendig eine Wirkung, und umgekehrt wenn keine be- 
stimmte Ursache gegeben ist, so ist es unmöglich, dass 
eine Wirkung folge. ^2) 

A. 4. Die Kenntniss der Wirkung hängt von der 
Ursache ab und schliesst sie ein. i*) 

A. 5. Gegenstände, die nichts mit einander gemein 
haben, können auch durch sich gegenseitig nicht erkannt 
werden, oder die Vorstellung des einen schliesst nicht die 
Vorstellung des anderen ein. ^'*) 

A. 6. Eine wahre Vorstellung muss mit ihrem Vor- 
gestellten übereinstimmen. ^*) ^ 

A. 7. Alles, was als nicht existirend vorgestellt 
werden kann, dessen Wesen schliesst nicht die Existenz 
ein. !•) 

L. 1. Die Substanz ist der Natur nach v(»* ihren 
Zuständen, ^'^) . 

B. Dies erhellt aus D. 3 u. 5. 

L. 2, Zwei Sub^tanzerij welche verschiedene AttaH- 
bute haberii hohen nichts untei* sich gemein.^^) 



I. Theil. Von Gott H 

B« Auch dies erhellt ans D. S; denn jede mass in 
sich sein und durch sich aufgefasst werden oder die Yor- 
stellung der einen schliesst nicht die Yorstellnng der an- 
deren ein« 

Xi* 3« Gegenstände, die nichts unter sich gemein 
liabeTty könnefn de9* eine nicht die Ursaclie des ande9*en 
sein, ^•) 

B. Wenn sie nichts unter sich gemein haben ^ so 
können sie auch nicht einer durch den anderen erkannt 
werden (A. 5), folglich kann der eine nicht die Ursache 
des anderen sein (A. 4). 

!<• 4. Zwei oder mehr verschiedene Dinge unte^*- 
seheiden sich entioeder durch den Unterschied der 
Attribute der Substcanzenj oder durch den Unterschied 
ihrer Zustände.^) 

B. Alles was ist^ ist in sich oder in einem anderen 
(A. l)y d. h. ausser der Erkenntniss giebt es nichts^ als 
Substsmzen und Zustande dieser (D. 3 u. 5). Es giebt 
deshalb ausser der Erkenntniss nichts, wodurch mehrere 
Dinge sich unterscheiden können, als die Substanzen oder 
was dasselbe ist (Art. 4), als die Attribute und die Zu- 
stande der Substanzen. 

1. 5. In dei* Natur kann es nicht zwei oder mehr 
Substanzen von derselben Natur oder von demselben 
Attribute geben,^^) 

B, Gäbe es deren mehrere verschiedene, so müssten 
sie sich entweder durch den Unterschied der Attribute 
oder den der Zustände unterscheiden (L. 4). Wäre es nur 
durch den Unterschied der Attribute, so wäre damit zu- 
gestanden, dass es nur eine Substanz von demselben 
Attribut geben könne. Wäre es aber durch den Unter- 
schied, der Zustände, so ist doch die Substanz von Natur 
vor ihren Zuständen (L. 1); lässt man also diese Zustände 
bei Seite und betrachtet die Substanzen in sich, d. h. 
wahrhaft (D. 3 u. 6), so kann man nicht vorstellen, dass 
sich die eine von der andern unterscheidet, d. h. es kann 
nicht mehrere Substanzen geben, sondern nur eine (L. 4). 

Ii« 6. £ine Substanz kann nicht von einer anderen 
Substanz /lervorgebracht werden.^'^) 



12 I. TheiL Von Gott. 

B. Es kann in der Katar nicht zwei Substanzen mit 
demselben Attribut geben (L, 5), d. li. (L. 2) welche etwas 
mit einander gemein haben. Deshalb kann die eine nicht 
die Ursache der andern sein (L. 3), oder eine kann nicht 
von der anderen hervorgebracht werden. 

Z. Daraus ergiebt sich, dass eine Substanz nicht von 
etwas Anderem hervorgebracht werden kann. Denn ausser 
Substanzen und deren Zustanden giebt es in der Natur 
nichts, wie aus A. 1 u. D. 3 u. 5 erhellt Aber von einer 
Substanz kann sie nicht hervorgebracht werden (L. 5); 
also kann eine Substanz von etwas Anderem unbedingt 
nicht hervorgebracht werden. 

Ein anderer Beweis. Es lässt sich dies noch 
leichter aus dem Widersinnigen des Gegentheils erweisen. 
Denn wenn eine Substanz von etwas Anderem hervor- 
gebracht werden könnte, so müsste ihre Erkenntniss von 
der Erkenntniss ihrer Ursache abhängig sein (A. 4); 
folglich wäre sie keine Substanz (D. 3). 

L. 7. Zur Natur der Substanz gehört das Exi- 
stiren, ^^) 

B. Die Substanz kann nicht von etwas Anderem her- 
vorgebracht werden (L. 6) , sie wird deshalb die Ursache 
von sich sein; d, h. ihr Wesen enthält nothwendig die 
Existenz (D. 1), oder die Existenz gehört zu ihrer Natur. 

L. 8. Jede Substanz ist nothwendig unendliclu^^) 

B. Die Substanz mit einem Attribut existirt nur in 
der Einzahl (L. 5) , und zu ihrer Natur gehört das Exi- 
stiren (L. 7). Es gehört deshalb zu ihrer Natur, dass sie 
nothwendig als endliche oder als unendliche existirt. 
Aber das erste ist unmöglich, denn dann müsste sie durch 
eine andere Substanz derselben Natur begrenzt werden 
(D. 2), die ebenfalls nothwendig existiren müsste (L. 7), 
mithin gäbe es zwei Substanzen desselben Attributs, was 
widersinnig ist (L. 5). Die Substanz existirt daher als 
unendlich. 

E. 1. Da das Endlich-Sein in Wahrheit eine theil- 
weise Verneinung ist und das Unendliche die unbeschränkte 
Bejahung der Existenz irgend einer Natur ist, so folgt 
aus dem blossen Lehrsatz 7, dass jede Substanz unendlich 
sein muss. 



L Theil. Von Gott 13 

E. 2« Ich zweifle nicht, dass es Allen, welche Aber 
die Dinge verworren artheilen und nicht gewöhnt sind, 
die Dinge nach ihren ersten Gründen zu erforschen, schwer 
fallen wird, den Beweis des Lehrsatzes 7 zu fassen, weil 
sie nämlich nicht zwischen den Zustanden der Substanzen 
und diesen selbst unterscheiden und nicht wissen, wie die 
Dinge hervorgebracht werden. Daher kommt es, dass sie 
den Anfang, welchen sie bei den natürlichen Dingen sehen, 
den Substanzen andichten. Denn wer die wahren Ursachen 
der Dinge nicht kennt, vermischt alles und lässt ohne 
irgend ein Widerstreben seiner Seele sowohl Bäume, wie 
Menschen sprechen und die Menschen sich ebenso aus 
Steinen wie aus Saamen bilden und jede Gestalt in jede 
beliebige andere sich verwandeln. So legt auch der, 
welcher . die göttliche Natur mit der menschlichen ver- 
mengt, Gott leicht menschliche Affekte bei; insbesondere 
so lange ihm unbekannt ist, wie die Affecte in der 
Seele hervorgebracht werden. Hätten dagegen die Men- 
schen auf die Natur der Substanzen Acht, so würden sie 
nicht im geringsten an der Wahrheit des Lehrsatzes 7 
zweifeln; ja er würde Allen als selbstverständlich gelten 
und zu den allgemeinen Begriffen gezählt werden. Denn 
dann würde man unter »Substanz« nur das verstehen. 
was in sich besteht und in sich aufgefasst wird, d. h. 
dessen Erkenntniss nicht der Erkenntniss eines anderen 
Gegenstandes bedarf; unter Zuständen aber das, was 
in einem anderen ist und deren Vorstellung von der 
Yorstellung des Gegenstandes, in dem sie sind, sich bildet. 
Deshalb kann man wahre Vorstellungen von Zuständen, 
die nicht existiren, haben, weil, wenn sie auch nicht 
wirklich ausserhalb des Verstandes existiren, ihr Wesen 
doch in einem Anderen so enthalten ist, dass sie durch 
dies Andere erfasst werden können. Aber die Wahrheit 
der Substanzen ist ausserhalb des Verstandes nur in ihnen 
selbst, weil sie durch sich vorgestellt werden. 'Wenn 
daher jemand spräche, er habe die klare und deutliche, 
d. h. die wahre Vorstellung von einer Substanz, aber sei 
zweifelhaft, ob sie eiistire, so wäre dies wahrhaftig eben 
so, als wenn er sagte, er habe eine wahre Vorstellung, 
aber er zweifle doch, ob sie nicht eine falsche sei (wie 
jedem Aufmerksamen klar ist); oder wenn jemand be- 
hauptete, dass eine Substanz erzeugt werden könne, so 



14 I. Theü. Von Gott. 

behauptete er zugleich, dass eine fälsche Yorstellung zu 
einer wahren gemacht worden und ein Verkehrteres kann 
man sich nicht vorstellen. Man muss deshalb nothwendig 
zugestehen, dass die Existenz der Substanz ebenso, wie 
ihr Wesen eine ewige Wahrheit ist 

Man kann yon hier aus auch in anderer Weise dar- 
legen, dass es nur eine Substanz gleicher Natur geben 
kann, und ich halte es der Mühe werth, dies hier zu 
zeigen. Um dies ordnungsmassig zu thun, halte man 
fest 1) dass die wahre Definition jedes Gegenstandes nichts 
enthält noch ausspridit, als ^e Natur des definirten 
Gegenstandes. Daraus erhellt 2) dass keine Definition 
eine bestimmte Zahl des Einzelnen einschliesst oder aus- 
drückt, da sie nur eben die Natur des definirten Gegen- 
standes ausdrückt. So drückt z. B. die Definition des 
Dreiecks nur die einfache Natm: des Dreiecks aus, aber 
keine bestimmte Zahl von Dreiecken. 3) Es ist festzu- 
halten, das es von jedem existirenden Gegenstande noth- 
wendig eine bestimmte Ursache geben muss, weshalb 
er existirt. 4) Endlich ist festzuhalten, dass die Ursache, 
weshalb ein Ding existirt, entweder in der Natur und 
Definition des existirenden Dinges enthalten sein muss 
(nämlich weil die Existenz zur Natur desselben gehdrt), 
oder dass es diese Ursache aossorhalb des Dinges 
geben muss. 

Aus diesen Sätzen folgt, dass wenn eine bestimmte 
Zahl yon Einzelnen in der Natur existirt, nothwendig 
eine Ursache da sein muss, weshalb gerade diese Zahl 
und nicht mehr oder weniger existiren. Wenn z. B. in 
der Natur zwanzig Menschen existiren (von denen ich des 
leichtern Verständnisses wegen annehme, dass sie zu- 
gleich existiren und keine anderen Menschen vorher in 
der Natur existirt haben) , so genügt es nicht (um nämlich 
den Grund anzugeben, weshalb zwanzig Menschen existiren), 
als Ursache die menschliche Natur im Allgemeinen dar- 
zulegen, sondern es ist ausserdem nöthig, die Ursache 
aufzuweisen, weshalb gerade zwanzig oder nicht mehr 
oder weniger existiren; da es nothwendig för jeden eine 
Ursache geben muss, weshalb er existirt. Diese Ursache 
kann aber nicht in der allgemeinen menschlichen Natur 
enthalten sein (No. 2, 3), da die wahre Definition des 
Menschen die Zahl zwanzig nicht enthält. Es muss also 



L Theil. Von Gott. 15 

die Ursache, weshalb* diese zwanzig existiren (No. 4) 
und folgeweise, weshalb jeder Einzelne existirt, noth- 
wendig aasserhalb eines jeden bestehen. Daraas folgt 
unbedingt, dass Alles, von dessen Natnr mehrere Einzelne 
existiren kOnnen, nothwendig eine äussere Ursache fQr 
seine Existenz haben muss. Da es aber zur Natur der 
Substanz, wie hier gezeigt wird, gehört, zu existiren, so 
muss ihre Definition die nothwendige Existenz ein- 
schliessen und folglich kann man aus ihrer blossen De- 
finition ihre Existenz folgern. Aber aus ihrer Definition 
folgt nicht die Existenz von mehreren Substanzen (wie 
schon in Nr. 2 u. 3 oben gezeigt worden ist). Es folgt 
also aus ihr nothwendig, dass nur eine einzige Substan:^ 
derselben Natur existirt, wie behauptet worden. **) 

L. 9, Je mehr Rea lität oder Sein eine jede Saehe 
hat, um so mehr Attribute kommen ihr zti.^^) 

B. Dies erhellt aus D. 4. 

L. 10. Jedes Attribut einer Substanz muss durch 
sich aufgefdsst werden, 

K Denn das Attribut ist das, was der Verstand von 
der Substanz als das auffasst, was ihr Wesen ausmacht 
(D. 4), folglich muss es durch sich selbst aufgefasst 
werden (D. 3). 

E. Hieraus erhellt, dass wenngleich zwei Attribute 
als wirklich verschieden aufgefasst werden, d. h. eines 
ohne die Hülfe des andern, man doch deshalb nicht 
schliessen kann, dass sie zwei Dinge oder zwei ver- 
schiedene Substanzen ausmachen. Denn es gehört zur 
Natur der Substanz, dass jedes ihrer Attribute dufch sich 
aufgefasst wird; da ja alle Attribute, welche sie hat, 
immer zugleich in ihr gewesen sind und keines von dem 
andern hat hervorgebracht werden können, sondern jedes die 
i^lität oder das Sein der Substanz ausdrückt. Es ist 
also durchaus nicht widersinnig, einer Substanz mehrere 
Attribute beizulegen; im Gegentheil ist nichts in der 
Natur einleuchtender , als dass jedes Wesen unter irgend 
einem Attribut aufgefasst werden muss, und dass, je 
mehr Realität oder Sein es hat, es desto mehr Attribute 
haben muss, welche sowohl die Nothwendigkeit oder 
Ewigkeit als die Unendlichkeit ausdrücken. Folglich ist 



16 I. TheiL Von Gott 

auch nichts einleuchtender , als dass ein unbedingt un- 
endliches Wesen nothwendig als ein Wesen definirt 
werden muss (wie in D. 6 gezeigt worden), was aus un- 
endlich vielen Attributen besteht , deren jedes eine gewisse 
und unendliche Wesenheit auscbückt. Wenn man aber 
fragt, an welchem Zeichen man den Unterschied der 
Substanzen erkennen kann, so lese man die folgenden 
Lehrsätze, welche zeigen, dass in der Katur nur eine 
Substanz existirt und dass diese unbedingft unendlich ist. 
Deshalb würde man nach solchem Zeichen vergeblich 
suchen. ^ 

L. !!• Gott^ oder die Substanz^ welche aiis un- 
endlich viele7i Attributen besteht, von d^nen jedes eine 
ewige und unendliche Wesenheit ausdrückt, existirt 
nothwendig, 

B« Wer dieses bestreitet, der stelle sich vor, wenn 
es ihm möglich ist, Gott existire nicht. Also (A. 7) 
schliesst sein Wesen, seine Existenz nicht ein. Aber 
dies ist (L. 7) widersinnig. Also existirt Gott noth- 
wendig. 28) 

B. 2. Ein anderer Beweis. Jedem Gegen&tande 
muss eine Ursache oder ein Grund zugetheilt werden, 
sowohl weshalb er existirt, als weshalb er nicht existirt. 
Wenn z. B. ein Dreieck da ist, so muss es einen Grund 
oder eine Ursache geben, weshalb es da ist; wenn es 
aber nicht da ist, so muss es auch einen Grund oder 
eine Ursache geben, welche sein Dasein verhindert oder 
welche sein Dasein aufhebt. Dieser Grund oder diese 
Ursache muss entweder in der Natur des Gegenstandes 
oder ausserhalb desselben enthalten sein. So zeigt, 
z. B. die eigene Natur • des Kreises den Grund , weshalb 
ein viereckiger Kreis nicht besteht, nähmlich weil er 
einen Widerspruch enthält. So folgt die Existenz der 
Substanz aus der blossen Natur derselben, weil diese 
die Existenz einschliesst (L. 7). Aber der Grund für das 
Dasein oder Nicht -Dasein eines einzelnen Kreises oder 
Dreiecks ergiebt sich nicht aus ihrer Natur, sondern 
nur aus der Ordnung der ganzen körperlichen Natur. 
Denn aus ihr muss hervorgehen , dass dieses Dreieck jetzt 
nothwendig existirt, oder dass seine gegenwärtige Existenz 
unmöglich ist. Dies ist selbstverständlich. Hieraus folgt. 



L Theü. Von Gott. 17 

dass dasjenige entsprechend existirt, bei dem kein Grand 
oder Ursache besteht, welche sein Existiren hindert. 
Wenn es also keinen Grund oder Ursache giebt, welcher 
das Dasein Gottes hindert oder aufhebt, so folgt, dass 
er nothwendig da ist. Gäbe es einen solchen Grund oder 
Ursache, so mfisste sie entweder in der eigenen Natur Gottes 
od^ ausserhalb derselben bestehen, d. h. in einer anderen 
Substanz von anderer Natur. Denn wäre sie von derselben 
Natur, so wäre damit eingeräumt, dass es Gott gebe. 
Wäre die Substanz anderer Natur, so könnte sie mit 
(rott nichts gemein haben (L. 2), also auch sein Dasein 
weder setzen noch aufheben. 

Da also ein Grand oder eine Ursache, welche die 
göttliche Existenz aufhöbe, es ausserhalb der göttlichen 
Natar nicht geben kann, so wird nothwendig in ihrer 
Natur selbst der Grund fCb- ihre Nichtexistenz enthalten 
sein müssen, was mithin einen Widerspruch einschlösse. 
Es ist widersinnig, von dem- unbedingt unendlichen und 
höchst Yollkommenen Wesen dies zu behaupten. Also 
giebt es weder in Gott noch ausserhalb Gottes eine 
Ursache oder einen Grund, welcher seine Existenz auf- 
höbe; Gott existirt also nothwendig. ^) 

B. 3. Ein anderer Beweis. Das Nicht-Existiren- 
Können ist ein Unvermögen und dagegen das Existiren- 
Können ein Vermögen (wie sich von selbst ergiebt)). Wenn 
also das, was schon nothwendig existirt , nur endliche Wesen 
sind, 80 sind diese mächtiger, als das unbedingt unendliche 
Wesen, und dies ist widersinnig (wie sich von selbst 
ergiebt). 

Es existirt mithin überhaupt gar nichts oder es 
existirt nothwendig auch ein unbedingt unendliches Wesen. 
Aber wir selbst existiren entweder in uns selbst oder in 
einem anderen, welches nothwendig existirt (A. 1 u. 7). 
Also existirt nothwendig ein unbedingt unendliches Wesen 
d. h. Gott (D. 6). »«) 

E. In diesem letzten Beweise habe ich die Existenz 
Gottes von rückwärts auf gezeigt, damit der Beweis leichter 
gefasst werde, nicht aber deshalb, weil Gottes Existenz 
aus demselben Grande nicht auch gerade zu sich ergäbe. 
Denn da das Existirenkönnen ein Vermögen ist, so folgt, 
dass je mehr Realität der Natur eines Gegenstandes zu- 
kommt, es um so mehr von sich selbst Kräfte hat^ um 

Spinoza, Ethik. ^ 



18 L TheiL Von Gott 

zn existiren; folglicli mnss ein unbedingt nnendliches 
Wesen, oder Gott ein unbedingt nnendliches Vermögen 
zn existiren von sich selbst haben und deshalb unbedingt 
eiistiren. Indess mag vielleicht Mancher die Kraft dieses 
Beweises nicht leicht fassen^ weil er gewöhnt ist, nur 
die Gegenstände zu betrachten, welche von äusseren 
Ursachen abfliessen, und weil er darunter das, was schnell 
entsteht, d. h. was leicht existirt auch leicht vergehen 
sieht, und weil umgekehrt er die Gegenstände für schwie- 
riger in ihrer Herstellung hält, d. h. nicht so leicht zur 
ExisteiLz zu bringen, von welchen er annimmt, dass mehre- 
res zu ihnen gehört. Um dergleichen Vorurtheile zu be- 
seitigen, brauche ich hier nicht zu zeigen, in welchem 
Sinne der Satz: »Was schnell entsteht, vergeht schnell« 
wahr ist; auch nicht ob rficksichtUch der ganzen Natur 
Alles gleich leicht ist oder nicht; es genügt die Bemer- 
kung, dass ich hier nicht von Gegenständen spreche, 
welche durch äussere Ursachen entstehen, sondern nur 
von den Substanzen, welche von keiner äusseren Ursache 
hervorgebracht werden können (L. 6). 

Denn alle Gegenstände, welche aus äusseren Ursachen 
entstehen, mögen sie aus vielen oder wenig Theilen be- 
stehen, verdanken Alles, was sie an Vollkommenheit oder 
Eealität haben, der Kraft einer äusseren Ursache; ihre 
Existenz beruht daher nicht auf ihrer eigenen Vollkom- 
menheit, sondern nur auf der der äusseren Ursachen. 
Dagegen verdankt die Substanz Alles, was sie an Voll- 
kommenheit hat, keiner äusseren Ursache; deshalb muss 
auch ihre Existenz aus ihrer eigenen Natur hervorgehen, 
die folglich nichts Anderes ist, als ihre eigene Wesenheit. 
Die Vollkommenheit eines Gegenstandes hebt daher dessen 
Existenz nicht auf, sondern setzt sie vielmehr; dagegen 
hebt die UnvoUkommenheit sie auf, und wir können deshalb 
der Existenz keines Gegenstandes sicherer sein, als der 
Existenz eines unbedingt unendlichen oder vollkommenen 
Wesens, d. h. Gottes. Denn da sein Wesen alle Un- 
voUkommenheit ausschliesst, und die unbedingte Voll- 
kommenheit in sich fasst, so hebt es eben dadurch allen 
Grund an seiner Existenz zu zweifeln auf und gewährt die 
höchste Gewissheit von dessen Existenz, was hoffentlich 
auch einem nur massig aufmerksamen Leser einleuchten 
wird. 



L Theil. Von Gott. 19 

L# 12« Es kann kein Attribut einer Substanz wahr- 
haft vorgestellt werden, aus dem folgtey dass die Sub- 
stanz getheilt werden könne. •*) 

B. Denn die Theile, in welche eine so vorgestellte 
Substanz sich theilte, [behalten entweder die Natur der 
Substanz oder nicht. Ist ersteres der Fall, dann mnss 
jeder Theil unendlich sein (L. 8) und die Ursache seiner 
selbst sein (L. 6) und aus einem anderen Attribute be- 
stehen (L. 5). Mithin würden aus einer Substanz mehrere 
sich bilden, was widersinnig ist (L. 6). Ueberdem wür- 
den dann die Theile (L. 2) mit ihrem Ganzen nichts ge- 
mein haben, und das Ganze würde ohne seme Theile sein 
und vorgestellt werden können (D. 4 L. 10) , was un- 
zweifelhaft widersinnig ist. Im zweiten Falle, wenn die 
Theile nicht die Katur der Substanz behalten, würde, 
wenn die ganze Substanz in gleiche Theile getheilt würde, 
sie die Natur der Substanz verlieren und zu sein auf- 
hören, was widersinnig ist (L. 7). 

L« 13« Eine unbedingt unendlidie Substanz ist 
tmüieilbar. **) 

B. Wäre sie theilbar, so behielten die Theile, in 
welche sie getheilt würde, entweder die Natur einer un- 
bedmgt unendlichen Substanz oder nicht. Im ersten Falle 
würden sich mehrere Substanzen derselben Natur ergeben, 
was widersinnig ist (L. ö). Im zweiten Falle könnte die 
unbedingt unendliche Substanz aufhören zu sein, wie 
oben gezeigt worden, was ebenfalls widersinnig ist (L. 11). 

Z. Hieraus folgt, das keine Substanz und folglich 
auch keine körperliche Substanz, als Substanz, theilbar 
ist. »8) 

E. Die Untheilbarkeit der Substanz erhellt einfacher 
daraus, dass man sich die Natur der Substanz nicht 
anders als unendlich vorstellen kann, und dass in der 
Vorstellung eines Theiles der Substanz, nur eine endliche 
Substanz vorgestellt wird, was einen offenbaren Wider- 
spruch enthält (L. 8). W) 

L. 14. Ausser Gott kann es eine Substanz wedei* 
geben noch eine solche vorgestellt werden, 

B. Da Gott ein unbedingt unendliches Wesen ist, von 

2* 



20 I. Theil. Von Gott. 

dem kein Attribut verneint werden kann, was die Wesen- 
heit einer Sabstanz ausdrückt (D. 6) , und da Gott notb- 
wendig existirt (L. 12), so müsste, wenn es eine Substanz 
ausser Gott gäbe, dasselbe durch ein Attribut Gottes aus- 
gedrückt werden und es würden dann zwei Substanzen 
desselben Attributs existiren, was widersinnig ist (K 5). 
Also kann es keine Substanz ausser Gott geben und 
folglich kann auch keine solche vorgestellt werden. 
Denn könnte sie vorgestellt werden, so müsste sie noth- 
wendig als existirend vorgestellt werden, dies ist aber 
nach dem ersten Theil dieses Beweises widersinnig. Es 
kann also ausser Gott eine Substanz weder bestehen, noch 
vorgestellt werden.^) 

Z. 1. Hieraus folgt offenbar, 1) dass Gott nur ein 
Einziger ist, d. h. dass es in der Natur nur eine Sub- 
stanz giebt (L. 6) und dass diese unbedingt unendlich ist, 
wie ich schon in der E. zu L. 10 angedeutet habe. 

Z. 2. Es folgt 2), dass das ausgedehnte Bing und 
das denkende Ding entweder Attribute Gottes sind (A. 1) 
oder Zustände von den Attributen Gottes.^®) 

L. 16. Alles, was ist, ist in Gott, und nichts kann 
ohne Gott sein oder vorbestellt werden, 

B. Ausser Gott giebt es keine Substanz und kann 
keine vorgestellt werden (L. 14), d. h. es giebt ausser 
Gott keinen Gegenstand, der in sich ist und durch sich 
vorgestellt wird (D. 3). Die Zustände aber können ohne 
Substanz weder sein noch vorgestellt werden (D. 5), des- 
halb können diese nur in der göttlichen Natur sein und 
durch sie allein vorgestellt werden. Ausser den Sub- 
stanzen und ihren Zuständen giebt es aber nichts (A. 1). 
Daher kann nichts ohne Gott sein oder vorgestellt wer- 
den. »') 

E. Es giebt Menschen, welche Gott sich vorstellen, 
als wenn er, wie ein Mensch, aus einem Leib und einer 
Seele bestände und als wenn er den Leidenschaften unter- 
worfen wäre. Indess erhellt aus dem bisher Dargelegten 
zur Genüge, wie weit diese von der Kenntniss des wahren 
Gottes sich irrthümlich entfernen, und ich lasse diese 
Meinung bei Seite. Denn Alle, welche die göttliche Natur 
einigermassen betrachtet haben, bestreiten, dass Gott 
körperlich sei; sie beweisen das am besten dadurch, dass 



I. Theil. Von Gott. v 21 

man unter Körper irgend eine lange, breite, tiefe und in 
irgend einer Gestalt begrenzte Grösse sich vorstelle, und 
von Gott als einem unbedingt unendlichen Wesen nichts 
Widersinnigeres als dies aussagen könne. Indess erhellt 
aus anderen Gründen, womit sie dasselbe beweisen wollen, 
dass sie die körperliche oder ausgedehnte Substanz selbst 
von der göttlichen Katur überhaupt fem halten und sie 
als Yon Gott erschaffen ansehen. Dabei können sie aber 
durchaus nicht angeben, aus welcher göttlichen Macht 
dieselbe hätte geschaffen werden können; was klar zeigt, 
dass sie das, was sie behaupten, selbst nicht verstehen. 
Ich glaube wenigstens klar bewiesen zu haben (L. 6 Z. 
L. 8 E. 2), dass keine Substanz von einer anderen hervor- 
gehracht oder geschaffen werden kann; femer, dass es 
ausser Gott keine Substanz giebt und keine vorgestellt 
werden kann (L. 14). Daraus habe ich gefolgert, dass 
die ausgedehnte Substanz eines von den unendlich vielen. 
Attributen Gottes sei. 

Indess will ich zur mehreren Verdeutlichung die 
Gründe der Gegner widerlegen, welche sich sämmtlich 
auf Nachfolgendes zurückführen lassen. Erstens meinen 
sie, dass die körperliche Substanz als Substanz aus Thei- 
len bestehe und deshalb bestreiten sie, dass sie unendlich 
sein oder Gott zukoDunen könne. Man erläutert dies durch 
eine Menge Beispiele, von denen ich eins und das andere 
auswählen will. Man sagt, dass, wenn die körperliche 
Substanz unendlich sei, so könne man sich vorstellen, dass 
sie in zwei Theile getheilt werde ; jeder Theil müsse dann 
entweder endlich oder unendlich sein. Im ersten Falle 
würde das Unendliche aus zwei endlichen Theilen ge- 
hildet, was widersinnig sei; im letzten Falle gäbe es ein 
Unendliches, was doppelt so gross sei als ein anderes 
Unendliche; was auch widersinnig sei. Ferner sagt 
man, dass wenn man eine unendliche Grösse mit einem 
Maasse von der Grösse eines Fusses messe, sie aus un- 
endlich vielen solchen Theilen bestehen müsse; dasselbe 
gelte für ein Maas von der Grösse eines Zolles. Somit 
wäre eine unendliche Zahl zwölfmal grösser als eine 
andere unendliche Zahl. Endlich sagt man, dass wemi 
man sich zwei Linien, ab und ac vorstellt, die aus 



22 I. Theü. Von Gott. 




einem Punkte einer gewissen unendlichen Grösse sich in 
einem festen und bestimmten anfanglichen Abstände ohne 
Ende forterstrecken, dann sicherlich der Abstand zwischen 
b und c sich fortwährend vergrössern und aus einem be- 
stimmten zuletzt ein unbestimmbarer werden werde. 

Da nun solche widersinnige Folgen, wie man meint, 
hervorgehen, sobald man die Grösse als unendlich an- 
nehme, so schliesst man, dass die körperliche Substanz 
endlich sein müsse und deshalb nicht zum Wesen Gottes 
gehören könne. Einen zweiten Grund nimmt man eben- 
falls von der höchsten Vollkommenheit Gottes her. Man 
sagt, Gott könne nicht leiden, da er ein höchst voll- 
kommenes Wesen sei; die körperliche Substanz aber könne 
leiden, da sie theilbar sei; also folge, dass sie nicht zum 
Wesen Gottes gehören könne. Dies sind die Grunde, 
welche ich bei den Schriftstellern finde und durch welche 
sie zu zeigen suchen, dass die körperliche Substanz der 
göttlichen Natur unwürdig sei und ihr nicht zukommen 
könne.] »^ 

Wer indessen recht Acht hat, wird bemerken, dass 
ich auf diese Gründe schon geantwortet habe. Sie laufen 
alle darauf hinaus, dass die körperliche Substanz aus 
Theilen bestehe, was ich schon als widersinnig dargelegt 
habe (L. 12 Z. L. 13). Wer die Frage richtig erwägt, 
wird finden, dass alle jene Widersinnigkeiten, die ich als 
solche anerkenne, aus denen jene den Schluss auf die 
Endlichkeit der ausgedehnten Substanz machen, nicht die 
Folge der vorausgesetzten Unendlichkeit der Grösse sind, 
sondern daraus entspringen, dass man die unendliche 
Grösse als messbar annimmt und dass sie aus endlichen 
Theilen sich zusammensetze. Diese verkehrten Folgen be- 
weisen also vielmehr, dass die unendliche Grösse nicht 
messbar ist und nicht aus endlichen Theilen besteht; ein 
Satz, den ich bereits oben bewiesen habe (L. 12). Der 
Pfeil, den jene gegen uns richten, trifft also .in Wahrheit 



I. Theü. Von Gott. 23 

sie selbst. Wenn sie also selbst ans ihrer widersinnigen 
Folgerung doch darlegen wollen, dass die ausgedehnte 
Substanz endlich sei, so thun sie wahrhaftig dasselbe, 
als wenn Jemand voraussetzt, ein Kreis habe die Eigen- 
schaften eines Vierecks und nun folgert, dass der Kreis 
keinen Mittelpunkt habe, von dem alle zum Umring ge- 
zogenen Linien gleich wären. Sie nehmen an, dass die 
körperliche Substanz aus endlichen Theilen bestehe, viel- 
fach und theilbar sei, um daraus ihre Endlichkeit zu 
folgern; obgleich sie doch nur unendlich, einzig und un- 
theilbar vorgestellt werden kann (L 8. 5. u. 12). Ganz 
ebenso nehmen Andere an, dass die Linie aus Punkten 
zusammengesetzt ist, und wissen dann eine Menge Gründe 
aufzufinden, aus denen sie zeigen, dass die Linie nicht 
unendlich theilbar sei. Gerade so widersinnig ist es, 
wenn man die körperliche Substanz aus Körpern oder 
Theilen zusammensetzt, als wenn man den Körper aus 
Oberflächen, die Oberflächen aus Linien, und die Linien 
endlich aus Paukten zusammensetzt. Dies müssen alle 
einräumen, welche wissen, dass die klare Vernunft un- 
trüglich ist, besonders die, welche leugnen, dass es eine 
leere Stelle im Baume gebe. Denn könnte die körperliche 
Substanz so getheilt werden, dass ihre Theile wirklich 
unterschieden wären, weshalb sollte denn nicht ein Theil 
vernichtet werden können, während die übrigen so wie 
vorher mit einander verbunden blieben? und warum sollten 
denn alle so aneinandergepasst sein, dass keine leere 
Stelle dazwischen bleibe? Denn Dinge, welche wirklich 
von einander unterschieden sind, können' sicherlich eins 
ohne das andere sein, und in ihrem Zustande verbleiben. 
Da es aber kein Leeres in der Wirklichkeit giebt (worüber 
anderwärts), sondern alle Theile so zusammentreffen 
müssen, dass kein Leeres bleibt, so folgt auch hieraus, dass 
sie nicht real von einander unterschieden werden können, 
d. h. dass die körperliche Substanz als Substanz untheil- 
bar ist. Wenn man indess die Frage erhebt, wesshalb 
der Mensch von Natur so geneigt ist, die Grösse zu 
theilen, so antworte ich, dass die Grösse von dem 
Menschen auf zweierlei W'eise vorgestellt wird; einmal 
abstrakt oder oberflächlich, wie man sie in dem bildlichen 
Vorstellen auffasst, und dann als Substanz, was blos vom 
Verstände geschieht. Meint man die Grösse in der blos 



24 I- Theü. Von Gott. 

"bildlichen Vorstellung, was gemeinhin nnd am leichtesten 
geschieht, so erscheint sie endlich, theilbar und aus 
Theilen zusammengesetzt; stellt man sich aber die Grösse 
so vor, wie sie im Verstände ist und so wie sie Sub- 
stanz ist, was allerdings sehr schwer geschieht, dann 
wird man finden, dass sie unendlich, einzig und untheil- 
bar ist, wie bewiesen worden ist. 

Dies wird für Jeden klar sein, der zwischen bildlichem 
Vorstellen und Erkenntniss zu unterscheiden versteht. Ins- 
besondere, wenn man noch bedenkt, dass die Materie 
überall dieselbe ist, und dass man nur dann Theile in ihr 
unterscheiden kann, wenn man sie sich in verschiedenen 
Zustanden vorstellt. Deshalb lassen sich die Theile in 
ihr nur zuständlich aber nicht wirklich unterscheiden. 
So nehmen wir z. B. von dem Wasser als Wasser an, 
dass es getheilt werden könne und seine Theile sich von 
einander trennen lassen; dies gilt aber nicht, wenn das 
Wasser als körperliche Substanz aufgefasst wird; da ist 
es weder trennbar noch theilbar. Ebenso entsteht und 
verdirbt das Wasser als Wasser, aber als Substanz wird 
es weder erzeugt noch verdorben. — Hiermit glaube ich 
auch den zweiten Grund widerlegt zu haben, der ebenfalls 
darauf gestützt wird, dass die Materie als Substanz theilbar 
und aus Theilen zusammengesetzt sei. 

Wäre dies aber auch nicht, so wüsste ich doch nicht, 
weshalb die Materie der göttlichen Natur unwürdig sein 
sollte, da es ausser Gott keine Substanz giebt, von der 
sie leiden könnte (L. 14). Ich sage Alles ist in Gott 
und Alles was geschieht, geschieht nur durch die Gesetze 
der unendlichen Natur Gottes, und alles folgt aus der 
Nothwendigkeit seines Wesens , wie ich bald zeigen werde. 
Man kann daher durchaus nicht behaupten dass Gott von 
etwas Anderem leide oder dass die ausgedehnte Substanz 
der göttlichen Natur unwürdig sei, selbst wenn man sie 
als theilbar annehme, sobald sie nur als ewig und un- 
endlich anerkannt wird. 

Doch genug hiervon för jetzt. *ß) 

L. 16. Aus der Nothwendigkeit der göUh'ehen 
Natur mu8s Unendliches auf unendlicifi viele Weise 
folgen^ d. h. Alles, was von einem unendlichen Ver- 
stand erfasst werden kann. 



L Thea Von Gott, 25 

B. 1. Dieser Lehrsatz mnss jedem klar werden, sobald 
er Acht hat, dass der Verstand aus der gegebenen De- 
finition irgend eines Gegenstandes verschiedene Eigen- 
schaften ableitet, die in Wahrheit aus ihr (d. h. aus dem 
Wesen der Sache) noth wendig folgen, und zwar um so 
mehrere, je mehr Bealität die Definition der Sache aus- 
druckt und je mehr Realität das Wesen des definirten 
Gegenstandes enthält. Da nun die göttliche Natur un- 
bedingt unendlich viele Attribute hat (D. 6) von denen 
jede eine unendliche Wesenheit in ihrer Art ausdrückt,. 
so muss aus deren Kothwendigkeit Unendliches auf un- 
endlich viele Weise nothwendig folgen (d. h. alles, was 
von einem unendlichen Verstand erfasst werden kann). •*) 

Z. 1. Hieraus ergiebt sich 1) dass Gott die wirksame 
Ursache von allen Dingen ist, welche von einem unend- 
lichen Verstand erfasst werden können. 

Z. 2. Es ergiebt sich 2) dass Gott diese Ursache 
dnrch sich ist, und nicht durch ein Hinzutretendes. 

Z. 3. Es ergiebt sich 3) dass Gott unbedingt die 
erste Ursache ist. -*<>) 

L, 17. Gott handelt nur nach den Geseizens einer 
Natwi', und nicht aus einem Zwange^ den er von 
jemand erlitte. 

B. Ich habe soeben in L. 16 gezeigt, dass aus der 
blossen Nothwendigkeit der göttlichen Natur, oder was 
dasselbe ist, aus den blossen Gesetzen seiner Natur un- 
endlich Vieles unbedingt folge, und in L. 15 habe ich 
bewiesen, dass ohne Gott nichts sein oder vorgestellt 
werden könne; vielmehr Alles in Gott sei.. Daher kann 
es nichts ausser ihm geben, was ihn zum Handeln be- 
stimmen oder zwingen könnte und Gott handelt daher 
nur nach den Gesetzen seiner Natur, und ohne Zwang 
von Jemand. 

Z. 1» Hieraus folgt 1) dass es keine Ursache giebt, 
welche Gott von Aussen oder von Innen, neben der 
Vollkommenheit seiner Natur zum Handeln bestimmte. 

Z, 2. Es folgt 2) dass nur Gott eine freie Ursache 
ist. Denn nur Gott allein existirt aus der blossen Noth- 
wendigkeit seiner Natur (L. 11 und Z. 1 zu L. 14) und 
er handelt aus der blossen Nothwendigkeit seiner Natur 



26 I- TheiL Von Gott. 

(L. 17); er ist daher allein eine freie Ursache 
(D. 7). 41) 

£• Andere meinen, Gott sei deshalb eine freie Ursache, 
^eil er, nach ihrer Ansicht, bewirken kann, dass das 
nicht geschieht oder von ihm nicht ausgeführt wird, was 
wie angegeben aus seiner Katur folgt oder in seiner 
Macht steht. Aber dies wäre gerade so, als wenn man 
behauptete, Gott könne bewirken, dass aus der Natur 
eines Dreiecks nicht folge, dass dessen drei Winkel 
zwei Winkeln gleich seien, oder dass aus einer gegebe- 
nen Ursache keine Wirkung folge; was widersinnig ist. 
Pemer werde ich unten, ohne Hülfe dieses Lehrsatzes, 
zeigen, dass der Natur Gottes weder Verstand noch 
Wille zukommt. Ich weiss allerdings, dass Viele meinen, 
sie könnten beweisen, der Natur Gottes komme der 
höchste Verstand und freier Wille zu; denn sie sagen, 
dass sie nichts Vollkommneres kennen und Gott zutheilen 
können, als das, was in uns selbst die höchste Vollkom- 
menheit ist. Obgleich sie nun Gott in Wirklichkeit mit 
dem höchsten Verstände begaben, so glauben sie doch 
nicht, dass er von Allem, was er wirklich vorstellt, 
auch bewirken könne, dass es existire; denn sie glauben 
auf diese Weise die Macht Gottes zu zerstören; hätte er 
nähmlich nach ihrer Meinung Alles, was in seinem Ver- 
stände wäre, erschaffen, so könnte er dann nichts weiter 
erschaffen, was nach ihrer Meinung der Allmacht Gottes 
widerstreite. Man zieht es deshalb vor, Gott als gleich- 
gültig für Alles anzunehmen, so dass er nichts schafft, 
als das, was er mit einem gewissen unbedingten Willen 
zu schaffen beschlossen hat. Ich glaube jedoch deutlich 
genug bewiesen zu haben (L. 16), dass von der höchsten 
Macht oder unendlichen Natur Gottes Unendliches auf 
unendlich viele Weise, d. h. Alles nothwendig daraus hervor- 
gegangen ist, oder immer mit derselben Nothwendigkeit 
folgt, mit welcher aus der Natur eines Dreiecks von 
Ewigkeit zu Ewigkeit folgt, dass dessen drei Winkel 
gleich zwei rechten Winkeln sind. Gottes Allmacht ist 
daher von Ewigkeit wirklich gewesen und wird in der- 
selben Wirklichkeit in Ewigkeit bleiben. Auf diese Weise 
wird Gottes Allmacht nach meiner Ansicht weit vollkom- 
mener hingestellt; ja wenn ich offen sprechen soll, so 
scheinen jene Gegner die Allmacht Gottes vielmehr zu 



L Thea Von Gott. 27 

leupen. Denn sie müssen einranmen, dass Gott un- 
endlich Vieles als erschaflFbar vorstellt, was er doch nie- 
mals wird schaffen können, weil er sonst, wenn er Alles 
w«s er vorstellt schüfe, nach ihnen, seine Allmacht er- 
schöpfen und sich unvollkommen machen würde. Um 
also Gott als vollkommen anzunehmen , fnüssen sie zugleich 
aimehmen, dass er nicht Alles bewirken kann, was in 
semer Macht steht. Ich wüsste aber keine Annahme, 
welche wiedersinniger wäre und der Allmacht Gottes mehr 
widerstritte, als diese. 

Nun noch Einiges über den Gott gewöhnlich zu- 
getheilten Verstand und Willen. 

Sollen Verstand und Wille zu dem ewigen Wesen 
Gottes gehören, so muss unter beiden Attributen aller- 
dings etwas Anderes als gewöhnlich vorgestellt werden. 
Der Verstand und Wille, welche Gottes Wesen bil- 
deten, müssten von unserem Verstand und Willen im 
höchsten Masse verschieden sein und könnten nur im 
Namen übereinstimmen, wie etwa das Sternbild des 
Hundes mit dem Hunde als bellendes Thier überein- 
stimmt. 

Mein Beweis ist folgender: Der der göttlichen Natur 
zugehörige Verstand kann nicht, wie nach der gewöhn- 
lichen Annahme der unsrige, den vorgestellten Gegen- 
ständen zeitlich nachfolgen oder gleichzeitig mit ihnen 
sein; denn Gott ist der Ursächlichkeit nach vor allen 
Dingen (L. 16, Z. 1). Vielmehr ist die Wahrheit und 
das wirkliche Wesen der Dinge so , weil sie in Gottes 
Verstände so gegenständlich bestehn. Gottes Verstand, 
soweit er die Wesenheit Gottes bildet, ist daher in 
Wahrheit die Ursache aller Dinge, sowohl nach ihrer 
Wesenheit, wie nach ihrer Existenz. Dieses scheinen 
auch diejenigen bemerkt zu haben, welche behaupten, 
dass Gottes Verstand, Wille und Macht ein und dasselbe 
sei. Da also Gottes Verstand die alleinige Ursache, 
sowohl von dem Wesen, wie von der Existenz der Dinge 
ist (wie wir gezeigt haben), so muss er selbst noth- 
wendig sowohl nach seinem Wesen, wie nach seiner 
Existenz von ' den Dingen unterschieden sein. Denn das 
Bewirkte unterscheidet sich von seiner Ursache genau in 
dem, was es von der Ursache hat. Ein Mensch z. B. 
ist wohl die Ursache der Existenz aber nicht der Wesen- 



28 I. TheiL Von Gott 

heit eines anderen Menschen; denn diese ist eine ewige 
Wahrheit. Beide können daher rücksichtlich der Wesen- 
heit übereinstimmen, aber in der Existenz müssen sie 
von einander unterschieden sein. Deshalb wird, wenn 
die Existenz des Einen untergeht, nicht auch die des 
Andern untergehen; wenn aber das Wesen des Einen 
zerstört und falsch werden könnte, so würde auch das 
Wesen des Andern zerstört werden. Etwas also, was 
die Ursache sowohl von dem Wesen wie von der Existenz 
einer gewissen Wirkung ist , muss sich deshalb von einer 
solchen Wirkung , sowohl im Wesen , wie in der Existenz 
unterscheiden. Nun ist aber Gottes Verstand die Ursache 
sowohl von dem Wesen, wie von der Existenz unseres 
Verstandes; Gottes Verstand, soweit er das göttliche 
Wesen bildet, ist also von unserem Verstände, sowohl 
in Bezug auf Wesen als Existenz unterschieden und 
kann nur im !N^amen mit ihm zusammentreffen, wie oben 
gesagt worden. In Betreff des Willens kann der Beweis 
ebenso gefühlt werden, wie man leicht einsehen wird. '**) 

L. 18. . Gott ist von allen Ding&ii die innewoh- 
nende und nicht die übergehende Ursache, 

B. Alles was ist, ist in Gott und muss durch Gott 
vorgestellt werden (L. 15) ; Gott ist also die Ursache der 
in ihm seienden Dinge (L. 16, Z. 1); dies ist das Erste. 
Ferner kann es ausser Gott keine Substanz geben (L. 14) 
d. h. kein Ding, was ausser Gott in sich ist (D. 8). 
Gott ist also von allen die innewohnende und nicht die 
in Anderes übergehende Ursache. ^ 

L. 19. Gott oder alle A ttribute Gottes sind ewig. 

B. Denn Gott ist eine Substanz (D. 6), welche 
nothwendig existirt (L. 11) d. h. zu deren Natur das 
Dasein nothwendig gehört (L. 7), oder was dasselbe ist, 
aus deren Definition ihr Dasein folgt, also ist er ewig 
(D. 8). Dann ist unter den Attributen Gottes das zu 
verstehen, was die Wesenheit der göttlichen Substanz 
ausdrückt (1). 4) , d. h. was zur Substanz gehört. Dieses 
selbst, sage ich, müssen die Attribute enthalten. Aber 
zur Natur der Substanz gehört die Ewigkeit (wie ich 
schon aus L. 7 bewiesen habe); deshalb muss jedes 



I. TheiL Von Gott. 29 

« 

Attribut die Ewigkeit enthalten und deshalb sind alle 
Attribute ewig. 

£. Dieser Lehrsatz ergiebt sich auch ganz deutlich 
aus der Art, wie ich Gottes Dasein bewiesen habe (L. 11). 
Denn aus diesem Beweise ergiebt sich, dass das Dasein 
Grottes, wie dessen Wesenheit eine ewige Wahrheit sind. 
Endlich habe ich im 19. Lehrsatz des I. Theils von Car- 
tesius Philosophischen Principien die Ewigkeit Gottes 
noch auf andere Art bewiesen und es ist nicht nöthig, 
diesen Beweis hier zu wiederholen. ^) 

L. 20. Gottes Dc^ein und Gottes Wesen sind ein 
und dctsselbe. 

B. Gott und alle seine Attribute sind ewig (L. 19) 
d. h. jedes seiner Attribute drückt die Existenz aus (D. 8). 
Dieselben Attribute Gottes, welche Gottes ewige Wesen- 
heit darlegen (D, 4), legen zugleich sein ewiges Dasein 
dar, d. h. dasselbe, was Gottes Wesenheit ausmacht, 
macht auch sein Dasein aus; daher ist sein Dasein und 
seine Wesenheit ein und dasselbe. 

Z, 1. Hieraus folgt 1) dass Gottes Dasein, wie sein 
Wesen, eine ewige Wahrheit sind. 

Z. 2. Es folgt 2) dass Gott oder alle Attribute 
Gottes unveränderlich sind. Denn wenn sie sich der Existenz 
nach veränderten, so müssten sie sich auch dem Wesen 
nach ändern (t. 19) d. h. (wie sich von selbst vetsteht) 
aus wahren falsche werden, und dies ist widersinnig. 45) 

L. 21. Alles, was aus der absoluten Natur eines 
Attributes Gottes folgt, hat immei* und unendlich 
existiren müssen; oder es ist durch dasselbe Attinbut 
ewig und unendlich. 

B. Wenn jemand dies leugnet, so stelle er sich, 
wenn er kann-, vor, dass etwas in einem Attribute Gottes 
aus dessen absoluter Natur folgt, was endlich sei und 
eme bestimmte Existenz oder Dauer hat, z. B. die Vor- 
stellung Gottes in seinem Denken. Das Denken, als 
Attribut Gottes, ist aber nothwendig seiner Natur nach 
unendlich (L. 11). Nun wird es aber, so weit es die 
Vorstellung Gottes hat, als endlich vorausgesetzt. Aber als 
endlich kann es nur dann gefasst werden, wenn es durch 
das Denken selbst beschränkt wird, und zwar nicht durch 



30 I. TheiL Von Gott. 

das Denken, in so weit es die Vorstellung Gottes ausmacht 
(denn in so weit wird es eben als endlich angenommen); 
sondern beschränkt durch das Denken , so weit es die 
Vorstellung Gottes nicht ausmacht, was aber doch noth- 
wendig existiren muss (L. 11). Damit hat man ein Den- 
ken, was die Vorstellung Gottes nicht ausmacht. Mithin 
folgt aus Gottes Natur, so weit sie unbedingtes Denken 
ist, die Vorstellung Gottes nicht nothwendig (denn es wird 
aufgefasst, als mache es die Vorstellung Gottes aus, und 
auch nicht), was gegen die Voraussetzung ist Wenn 
also die Vorstellung Gottes in seinem Denken oder irgend 
etwas in irgend einem Attribute Gottes (es ist gleich- 
gültig, welches, da der Beweis allgemein ist) aus der 
Nothwendigkeit der absoluten Natur dieses Attributs folgt, 
so muss dies nothwendig unendlich sein. Dies war das 
Erste. 

Ferner kann das, was aus der Nothwendigkeit der 
Natur eines Attributs so folgt, keine beschränkte Dauer 
haben. Wer dies bestreitet, mag sich vorstellen, dass 
Etwas, was aus der Nothwendigkeit und Natur eines 
Attributs folgt, in einem Attribut Gottes gegeben sei, 
z. B. die Vorstellung Gottes und sein Denken, und man 
nehme an, dass sie einmal nicht gewesen sei oder einmal 
nicht* mehr sein werde. Da nun das Denken als ein 
Attribut Gottes aufzufassen ist, so muss es nothwendig 
und unveränderlich existiren (L. 11 u. L. ^0 Z. 2), daher 
muss über die Grenzen der Dauer der Vorstellung Gottes 
hinaus (denn man nimmt an, dass sie einmal nicht ge- 
wesen oder nicht mehr sein wird) das Denken ohne die 
Vorstellung Gottes bestehen. Dies ist aber gegen die 
Voraussetzung; es ist nämlich angenommen worden, dass 
wenn das Denken zugegeben ist, auch die Vorstellung 
Gottes nothwendig folgt. Daher kann die Vorstellung 
Gottes in seinem Denken, oder etwas, was nothwendig 
aus der absoluten Natur eines Attributs Gottes folget, 
keine beschränkte Dauer haben, sondern es ist durch dies 
Attribut ewig. Das war das Zweite. 

Man bemerkt, dass dasselbe von jedem gilt, was in 
einem Attribut Gottes aus der .absoluten Natur Gottes 
nothwendig folgt. ^•) 

L« 22« Alles, was avs einem Attribut Gottes folgte 



I. TheiL Von Gott. 3 1 

soioeit es in einen solchen Zicstaml vet^setzt ist, welc/te^*^ 
sowohl nothweiidig wie unendlich durch dasselbe existirt, 
mu88 ebenfalls nothwendig und unendlich es^istiren* 

B. Der Beweis dieses Lehrsatzes geschieht in der- 
selben Art wie der des vorhergehenden.-*') 

L. 23« Jeder Zustand^ der nothwendig und unend- 
lich ewistirt, ist eine nothwendige Folge entweder der 
absoluten Natur eines Attributes Gottes, oder eine» 
Attributes, was sich in einem Zustande befindet, der 
notJvwendig und unendlich ist» . 

B. Denn der Znstand ist in einem Anderen, durch 
welches er anfgefasst werden mnss (D. 5), d. h. er kann 
blos in Gott nnd blos dnrch Gott anfgefasst werden (L. 15). 
Wenn man also annimmt, dass ein Znstand nothwendig 
besteht nnd unendlich ist, so mnss Beides nothwendig 
gefolgert oder anfgefasst werden durch ein Attribut 
Glottes, soweit es als Ausdruck der Unendlichkeit und 
Nothwendigkeit der Existenz oder der Ewigkeit (D. 8) 
vorgestellt wird, d. h. (D. 6 L. 19) soweit es unbedingt 
anfgefasst wird. Also muss ein Zustand, der sowohl 
nothwendig wie unendlich existirt, aus der unbedingten 
Natur eines Attributes Gottes folgen, nnd zwar entweder 
unmittelbar (worüber L. 21) oder vermittelst eines Zn- 
standes, welcher aus dessen unbedingter Natur folgt, 
d. h.^ (L. 22) welcher sowohl nothwendig als unendlich 
eiistirt. ^) 

L. 24. Das Wesen der von Gott hervorgebrac/Uert 
Dinge schliesst das Dasein derselben nicht eitL 

* 

B. Es erhellt aus D. 1; denn dasjenige, dessen Na- 
tur (in sich nämlich betrachtet) dies Basein einschliesst, 
ist ie Ursache seiner selbst und existirt durch die blosse 
Nothwendigkeit seiner Natur. 

Z. Hieraus folgt, dass Gott nicht blos die Ursache 
ist, dass die Dingo zu existiren anfangen, sondern auch, 
dass sie zu existiren fortfahren, d. h. (um mich eines 
scholastischen Ausdrucks zu bedienen) dass Gott die 
Causa essehdi der Dinge ist. Denn mögen die Dinge 
nun existiren oder nicht, so finden wir, so oft wir deren 
Wesen beachten, dass dies weder die Existenz noch die 
Dauer einschliesst. Deshalb kann deren Wesen weder 



32 I. Theil. Von Gott. 

« 

die Ursache ihrer Existenz noch ihrer Fortdauer sein, 
sondern nur Gott kann diese Ursache sein, zu dessen 
Natur allein das Existiren gehört (L. 14 Z. 1).^^) 

L. 25, Gott ist die wirksame Ursache, niehi blos 
von dem Dasein y sondern auch von dem Wesen der 
JDinge, 

B. Wenn dies geleugnet wird, so kann Gott nicht 
die Ursache des Wesens der Dinge sein, also kann das 
Wesen der Dinge ohne Gott vorgestellt werden (A. 1), 
aber dies ist widersinnig (L. 15), daher ist Gott die Ur- 
sache auch von dem Wesen der Dinge. 

E. Dieser Lehrsatz ergiebt sich deutlicher aus L. 16; 
denn aus diesem folgt, dass wenn die göttliche Natur 
gegeben ist, daraus sowohl das Wesen als das Dasein der 
Dinge nothwendig gefolgert werden muss, und, um es 
kurz zu sagen, in dem Sinne, in welchem Gott die Ursache 
seiner selbst genannt wird, muss er auch die Ursache 
aller Dinge genannt werden. Dies wird sich noch deut- 
licher aus dem folgenden Zusatz ergeben. 

Z. Die einzelnen Dinge sind nur die Erregungen der 
Attribute Gottes oder die Zustande, wodurch die Attribute 
Gottes sich auf eine feste und bestimmte Weise dar- 
stellen. Der Beweis erhellt aus L. 15 und D. 5.^) 

L. 26. Ein Ding , was zii ein&r Wii'ksamkeit be- 
stimmet worden ist, ist von Gott nothwendig so bestimmt 
worden y und ein Ding, welches von Gott nicht dazu 
bestimmt worden, kann sich selbst nicht zur Wirksam- 
keit bestim,men, 

B. Das, was als das gilt, was die Dinge zu 
«iner Wirksamkeit bestimmt, ist nothwendig etwas Po- 
sitives (wie von selbst klar ist), deshalb ist Gott nach 
der Nothwendigkeit seiner Natur die wirksame Ursache 
sowohl von dem Wesen, wie von dem Dasein dieses Po- 
sitiven (L. 25 u. 16). Dies war der erste und daraus folgt 
auch auf das Deutlichste der zweite Satz. Demi, 
wenn ein Ding, was von Gott nicht bestimmt wäre, sich 
selbst bestimmen könnte, so wäre der erste Theil dieses 
Beweises falsch, was, wie gezeigt worden, wider- 
sinnig ist. *^) 



L Thea Von Gott. 33 

L. 27. Ein Ding, was von Gott bestimmt ist, etwas 
zu t/iimy kann sieh diese BestimmiJieit nicht selbst 
wieder nehmen, 

B. Dieser Lehrsatz erhellt aus A. 3. **) 

L.^8. Jedes Eitizelne oder jeder Gegenstand von 
mdlicfier und begrenzter Eadstenz kann zum Existiren 
imd zum Handeln nwr durch eine andere Ursache be- 
stimmt werden f welc/ie wiederum endlich ist und eine 
beschränkte Existenz hat Afich diese Sache kann nur 
existiren und zum Handeln durch eine andere bestimmt 
werden, die wieder endlich ist und eine begrenzte 
Existenz liat und so fort ohne Ende, 

B» Alles, was zum Sein und Handeln bestimmt ist, 
ist von Gott so bestimmt (L. 26 L. 24 Z.). Aber das, was end- 
lich ist und eine beschränkte Existenz hat, hat nicht von 
der unbedingten Natur eines Attributes Gottes hervor- 
gebracht werden können, denn alles, was aus der un- 
bedmgten Natur eines Attributes Gottes folgt, ist unend- 
lich und ewig (L. 21). Es hat also aus Gott oder aus 
einem seiner Attribute folgen müssen, insofern es in einer 
gewissen Weise erregt angesehen wird, denn ausser Sub- 
stanz und Zuständen giebt es nichts (A. 1 D. 3 und 5) 
und die Zustände sind nur Erregungen der Attribute 
Gottes (L. 25 Z.). Ebensowenig konnte das Endliche aus 
einem Attribut Gottes hervorgehen, soweit es mit einem 
Zustand behaftet ist, der ewig und unendlich ist (L. 22). 
Hiemach musste das Endliche folgen oder zu seiner 
Existenz und Thätigkeit von Gott oder einem seiner 
Attribute insofern bestimmt werden, als das Attribut mit 
einem Zustand behaftet ist, der endlich ist und eine be- 
schränkte Existenz hat. Dies war das Erste. 

Femer muss diese Ursache oder dieser Zustand 
wiederum (und zwar aus demselben Grunde, aus welchem 
schon der erste Satz bewiesen worden ist) von einem 
Anderen bestimmt wordwi sein, welcher auch endlich ist 
and eine beschränkte Existenz hat, und dieser Letzere 
wiederum (aus demselben Grunde) von einem Anderen 
4ind so immer fort (aus demselben Grunde) ohne Ende. 

E. Da Einiges von Gott unmittelbar hat hervorgebracht 
werden müssen, nämlich das, was aus seiner unbedingten 

Spinoza, £thik. 3 



34 I. Theil. Von Gott. 

Natnr nothwendig folgt, und dies Erste das yer- 
mittelte, was doch ohne Gott nicht sein noch vorgestellt 
werden kann, so ergiebt sich daraus, 1) dass Gott die 
unbedingt nächste Ursache der Dinge ist, welche unmittel- 
bar von ihm hervorgebracht sind; aber nicht in ihrer 
Gattung, wie man sagt. Denn die Wirkungen Gottes 
können ohne ihre Ursache weder sein noch vorgestellt 
werden (L. 15 L. 24 Z.). Es folgt 2), dass Gott eigentlich 
nicht die entfernte Ursache der Einzel-Dinge genannt werden 
kann, ausser vielleicht, um sie von denen zu unterschei- 
den, welche Gott unmittelbar hervorgebracht hat, oder 
vielmehr, welche aus seiner unbedingten Natur folgen. 
Denn unter einer entfernten Ursache versteht man eine 
solche, welche mit der Wirkung in keiner Weise ver- 
knüpft; ist. Aber alles Daseiende ist in Gott und ist von 
Gott so abhangig, dass ohne ihn es weder sein noch vor- 
gestellt werden kann.*^ 

L. 29, In der Natur gieht es kein ZufälUgeSf son- 
dern Alles ist aus der Notkwendigkeit der götüichen 
Natur bestimmt y in einer gewissen Weise zu eadstiren 
und zu wirken, 

B. Alles Daseiende ist in Gott (L. 15); Gott kann 
aber nicht ein zufälliges Wesen genannt werden; denn er 
existirt nothwendig und nicht zufallig (L. 11). Ferner 
sind die Zustände der göttlichen Natur aus ihr ebenfaUs 
nothwendig, nicht aber zufallig erfolgt (L. 16); und dies 
gilt, mag die göttliche Natur unbedingt (L. 21) oder in 
gewisser Weise zum Handeln bestimmt angesehen wer- 
den (L. 27). 

Femer ist Gott die Ursache von diesen Zuständen 
nicht blos so weit sie einfach existiren (L. 24 Z.), sondern 
auch so weit sie zur Wirksamkeit bestimmt aufgefasst 
werden (L. 26). Wenn sie von Gott nicht so bestinmit 
wären (L. 26), wäre es unmöglich, also nicht zufallig, 
dass sie sich selbst bestimmten; und umgekehrt, wenn 
sie von Gott bestimmt sind (L. 27), so ist es unmöglich, 
also nicht zufallig, dass sie sich diese Bestimmtheit selbst 
wieder nehmen. Es ist daher Alles durch die Nothwendig- 
keit der göttlichen Natur nicht blos zur Existenz über- 
haupt, sondern auch zu einer gewissen Weise der Existenz 
und Wirksamkeit bestinunt, und es giebt nichts Zufälliges. 



I. Theil. Von Gott. 55 

E. Ehe ich weiter gehe, will ich erklären, oder viel- 
mehr daran erinnern, was wir unter wirkender Natnr 
(natura naturans) nnd unter gewordener Natur (natura na- 
tnrata) zu verstehen haben. Ich glaube, es ergiebt sich 
schon aus dem Bisherigen, dass wir unter Ersterer das 
zn verstehen haben, was in sich ist und durch sich vor- 
gestellt wird oder solche Attribute der Substanz, welche 
deren ewige und unendliche Wesenheit ausdrücken, d. h. 
Gott, soweit er als freie Ursache betrachtet wird (Lu 14 
Z. 1 und L. 17 Z. 2.).i 

Unter gewordener Natur verstehe ich[]Alles, was aus der 
Nothwendigkeit der göttlichen Natur oder irgend eines 
göttlichen Attributs folgt, d. h. alle Zustande der gött- 
lichen Attribute, insofern sie als solche aufgefasst werden, 
welche in Gott sind, und ohne Gott weder sein noch vor- 
gestellt werden können. **)j 

L. 80. Der Verstand^ mag er in Wtrkliehkett end- 
lich oder unendlich seiuy muss die Attribute und die 
ZiLstände Gottes auffassen und nichts weiter. 

B. Eine wahre Vorstellung muss mit ihrem Vor- 
gestellten übereinstimmen (A. 6), d. h. (wie von selbst 
klar ist) das, was im Verstände gegenstandlich enthalten 
ist, das muss es nothwendig in der Natur geben. In der 
Natur giebt es aber blos eine Substanz (L. 14 Z. 1), 
nämlich Gott, und keine anderen Zustande, als die in Gott 
sind und die ohne Gott weder sein noch vorgestellt wer- 
den können (L. 15). Also muss sowohl ein endlicher, wie 
ein unendlicher Verstand die Attribute und die Zustände 
auffassen und nichts weiter.**) 

L. 31. Der Verstand ah wirklicher, mag er endr 
lieh oder ufiendlicJi sein, ebenso der Wille, das Be- 
gehren, die Diebe u. «, w. gehören zur gewordenen 
Natur und nicht zur wirkenden Nattvr, 

B. Unter Verstand verstehe ich nämlich (wie von 
selbst klar ist) nicht das unbedingte Denken, sondern nur 
einen gewissen Zustand des Denkens, welcher von anderen 
Zuständen wie Begehren, Liebe u. s. w. sich unterschei- 
det und deshalb durch das unbedingte Denken vorgestellt 
werden muss (D. 5.), d. h. er muss durch ein Attribut 
Gottes, was das ewige und unendliche Wesen seines 

3* 



36 L TheiL Von Gott. 

Denkens ausdrückt, so yorgestellt werden, dass er ohne 
dies Attribut weder sein noch yorgestellt werden kann 
(L. 15 D. 6). Deshalb gehört er zur gewordenen Natur 
(L. 29 E.) und nicht zur wirkenden, wie auch die übrigen 
Zustände des Denkens. 

£• Der Orund, weshalb ich hier von dem Verstand, 
als wirklichen, spreche, ist nicht, weil ich anerkenne, dass 
es irgend einen Verstand der Möglichkeit nach gäbe, 
sondern ich habe, um alle Verwirrung zu vermeiden, nur 
von einem uns völlig klaren Gegenstände sprechen wollen, 
nämlich von dem Verstehen selbst, was uns klarer ist 
als alles andere. Denn wir können nichts verstehen, was 
nicht zu einffl: vollkommneren Kenntniss des Verstehens 
beitrüge.*®) 

L. 32. Der Wille kann nicht eine freie Ursache, 
sondern nur eine nothwendige genannt werden, 

B. Der Wille ist nur ein gewisser Zustand des 
Denkens, wie der Verstand. Deshalb kann das einzelne 
Wollen nur durch eine andere Ursache entstehen oder zur 
Wirksamkeit bestimmt werden (L. 28), und diese andere 
wieder nur von einer anderen und so fort ohne Ende. 
Wird der Wille als unendlich angenommen, so muss er 
ebenfalls von Gott zur Existenz und Thätigkeit bestimmt 
werden und zwar von Gott nicht als unendliche Substanz, 
sondern insofern er ein Attribut hat, was die unendliche 
und ewige Wesenheit des Denkens ausdrückt (L. 23). 
Mag man sich also den Willen endlich oder unendlich 
vorstellen, so erfordert er immer eine Ursache, durch 
welche er zum Dasein und zum Handeln bestimmt wird. 
Der Wille kann deshalb nicht eine freie Ursache genannt 
werden, sondern nur eine nothwendige oder gezwungene 
(D. 7). 

Z. 1. Hieraus folgt 1), dass Gott nicht aus Freiheit 
des Willens handelt. 

Z. 2. Es folgt 2), dass Wille und Verstand sich 
wie Bewegung und Buhe zu Gottes Natur verhalten, und 
überhaupt wie alles Natürliche, was von Gott zur Existenz 
und zur Wirksamkeit auf eine gewisse Weise bestimmt 
werden muss (L. 29). Denn der Wille bedarf, wie alles 
Andere, einer Ursache, von welcher er zum Dasein und 
Wirken in gewisser Weise bestimmt wird. Und wenn 



I. TheiL Von Gott. 37 

aueh ans einem gegebenen Willen oder Verstände un- 
endlich Vieles folgt, so kann doch deshalb nicht ge- 
sagt werden, das Gott ans freiem Willen handle, so wenig 
wie wegen der Folgen der Bewegung und Buhe (denn 
auch aus diesen folgt unendlich Vieles) gesagt werden 
kann, dass Gott aus freier Bewegung oder freier Buhe 
handle. Der Wille gehört deshalb nicht mehr zur Natur 
Gottes, als alles andere Natfirliche; yielmehr verhält er 
sich zu ihr ebenso wie Bewegung und Buhe und alles 
Andere, von dem ich gezeigt habe, dass es aus der Noth- 
wendigkeit der göttlichen Natur folgt und von ihr be- 
stimmt wird, in gewisser Weise zu existiren und zu 
wirken. *'') 

L« 33« Die Dinge konnten auf keine andere Weise 
und in keiner anderen Ordrmng von Gott liervor- 
gebracht werden^ als sie fiet*vorgebraekt sind, 

B. Denn alle Dinge sind aus der gegebenen Natur 
Gottes nothwendig gefolgt (L. 16) und sind aus der Noth- 
wendigkeit von Gottes Natur zum Existiren und Wirken 
in gewisser Weise bestimmt worden (L. 29). Wenn also 
die Dinge von anderer Natur hätten sein oder in anderer 
Weise zur Wirksamkeit bestimmt werden können, so dass 
die Ordnung der Natur eine andere wäre, so könnte auch 
die Natur Gottes eine andere sein, als sie schon ist, und 
dann hätte diese andere auch existiren müssen (L. 11) und 
folglich könnte es zwei oder mehr Götter geben, was 
widersinnig ist (L. 14 Z. 1). Deshalb konnten die Dinge 
anf keine andere Weise und in keiner anderen Ordnung 

U. 8. W.**) 

£• 1. Nachdem ich hiermit deutlicher, wie Sonnen- 
licht, gezeigt habe, dass es durchaus Nichts in den Din- 
gen giebt, weshalb sie zufällig genannt werden könnten, 
so will ich mit wenigen Worten erklären, was unter Zu- 
fällig zu verstehen ist, zuvor aber, was unter Noth- 
wendig und Unmöglich zu verstehen ist. Eine Sache 
heisst nothwendig entweder rücksichtlich ihres Wesens 
oder rücksichtlich ihrer Ursache. Denn das Dasein einer 
Sache folgt entweder nothwendig aus ihrem Wesen und 
ihrer Definition, oder aus einer gegebenen wirkenden Ur- 
sache. Dann heisst auch' aus diesen Gründen eine Sache 
unmöglich, weil nämlich entweder ihr Wesen oder ihre 



38 L TheiL Von Gott. 

Definition einen Widersprach enthalt oder weil es keine 
äussere Ursache gie\>ty welche zur Hervorbringung einer 
solchen Sache bestimmt ist. Aber zufällig wird eine 
Sache aus keinem anderen Grunde genannt, als wegen 
Mangels unserer Eenntniss. Denn eine Sache, von der wir 
nicht wissen, ob ihr Wesen den Widerspruch einschliesst 
oder von der wir wohl wissen, dass sie keinen Wider- 
spruch enthält, aber von deren Existenz wir doch nichts 
behaupten können, weü die Ordnung der Ursachen uns 
yerborgen ist, diese können wir niemals weder für noth- 
wendig noch für unmöglich halten, und nennen sie des- 
halb zufallig oder möglich. ^9) 

E. 2. Aus Yorstehendem folgt offenbar, dass die 
Dinge in höchster Yollkommenheit von Gott hervorgebracht 
worden sind, da sie aus der gegebenen vollkommensten 
Natur gefolgt sind. Auch überweiset dies Gott keiner 
ünvollkommenheit, vielmehr hat dessen Vollkommenheit 
uns zu dieser Behauptung genöthigt. Aus dem Gegen- 
theil dieses Satzes würde sogar offenbar sich ergeben 
(wie ich eben gezeigt habe), dass Gott nicht im höchsten 
Maasse vollkommen wäre. Denn wären die Dinge in 
anderer Weise hervorgebracht worden, so müsste Gott 
eine andere Natur zugetheilt werden, verschieden von 
der, welche wir aus der Betrachtung eines vollkommen- 
sten Wesens ihm zuzusprechen genöthigt gewesen sind. 
Indess zweifle ich nicht, dass Viele diese Behauptung als 
widersinnig verwerfen werden und sich nicht anschicken 
mögen, sie zu erwägen, und zwar aus keinem anderen 
Grunde, als weil sie gewöhnt sind, Gott eine andere Frei- 
heit zu ertheilen, die sehr verschieden ist von der von 
mir dargelegten (D. 6), nämlich einen unbedingten Willen. 
Indess zweifle ich auch nicht, dass, wenn sie die Frage 
überlegen, und die Beihe meiner Beweise gehörig bei 
sich erwägen wollten, sie eine solche Freiheit, wie sie sie 
Gott zusprechen, nicht allein als verkehrt, sondern auch 
als ein grosses Hindemiss der Erkenntniss entschieden ver- 
werfen würden. Ich brauche nicht das zu wiederholen, 
was ich L. 17 E. gesagt habe. Doch will ich ihnen zu 
Liebe noch zeigen, dass, selbst wenn man zugiebt, der 
Wille gehöre zum Wesen Gottes, aus seiner Vollkommen- 
heit dennoch folgt, dass die Dinge auf keine andere Weise 
und Ordnung von Gott hätten geschaffen werden können. 



L Theü. Von Gott. 39 

Dies wird sich leicht zeigen lassen, wenn wir das, 
was wir den Gegnern selbst zugestehen , überlegen; 
nämlich, dass es bloss Yon Gottes Beschluss und Willen 
abhänge, dass jede Sache das ist, was sie ist. Denn 
ohne dem wäre Gott nicht die Ursache von allen Dingen. 
Femer dass alle Beschlüsse Gottes von Ewigkeit her von 
Gott selbst beschlossen worden sind, denn ohnedem 
würde Gott der ünvollkommenheit und Unbeständigkeit 
überwiesen werden. 

Da es aber in dem Ewigen kein Wenn und kein 
Vor und kein Nach giebt, so folgt daraus, nämlich 
ans der blossen Vollkommenheit Gottes, dass Gott es 
nicht anders beschliessen konnte und niemals gekonnt 
hat oder dass Gott nicht vor seinen Beschlüssen gewesen 
ist und nicht ohne sie sein kann. 

Aber man sagt, dass aus der Annahme, Gott liätte 
eine andere Natur der Dinge gemacht oder hätte von 
Ewigkeit her anders über die Natur und Ordnung der 
Dinge beschlossen, keine Ünvollkommenheit folge. Wenn 
man indess dieses behauptet, so muss man auch zu- 
gestehen, Gott könne seinen Entschluss ändern. Denn 
wenn Gott über Natur und ihre Ordnung etwas anderes 
beschlossen hätte, als er beschlossen hat, das heisst, 
dass er etwas Anderes über die Natur gewollt und vor- 
gestellt hätte, so hätte er nothwendig einen anderen 
Verstand und Willen haben müssen, als er schon hat. 
Und wenn man Gott einen anderen Verstand und Willen 
znertheilen darf, ohne dabei sein Wesen und seine Voll- 
kommenheit zu verändern, was hindert da, dass er seine 
Beschlüsse über die erschaffenen Dinge ändern könnte 
und doch gleich vollkommen verbliebe? Denn sein Ver- 
stand und Wille in Bezug auf die erschaffenen Dinge 
und ihre Ordnung bleibt iu demselben Verhältniss zu 
seinem Wesen und seiner Vollkommenheit, welcher Art 
man ihn sich auch vorstellen mag. Femer erkennen alle 
mir bekannten Philosophen an, dass es in Gott keinen 
Verstand der Möglichkeit nach gebe, sondem nur einen 
wirklichen. Da aber sein Verstand und sein Wille von 
seinem Wesen nicht zu unterscheiden sind, was ebenfalls 
alle zugeben, so folgt auch hieraus, dass wenn Gott 
einen anderen Verstand und Willen wirklich gehabt hätte, 
auch sein Wesen nothwendig ein anderes sein müsste. 



40 I- Thea Von Gott. 

Wären also (wie ich anfänglich gefolgert habe) die Dinge 
anders, als sind sind, Yon Gott henrorgebracht worden, 
so hätte sein Wille nnd sein Verstand, mithin sein Wesen 
ein Anderes sein müssen, was widersinnig ist. 

Da also die Dinge anf keine andere Weise nnd Ordnung 
von Gott haben hervorgebracht werden können und aus 
der höchsten Vollkommenheit Gottes folgt, dass dies 
wahr ist, so kann kein vernünftiger Grund uns überreden, 
zu glauben, dass Gott nicht alles, was in seinem Ver- 
stände ist, mit derselben Vollkommenheit habe erschaffen 
wollen, mit der er es erkennt. 

Aber man wird sagen, dass in den Dingen weder 
Vollkommenheit noch Unvollkommenheit sei , sondern dass 
das in ihnen, weshalb sie vollkommen oder unvollkom- 
sind oder gut oder schlecht genannt werden, nur von 
Gottes Willen abhänge; so dass, wenn Gott es gewollt 
hätte, er auch hätte es bewirken können, dass das, was 
jetzt Vollkommenheit ist, die höchste Unvollkommenheit 
wäre und umgekehrt. 

Aber was wäre dies anderes, als geradezu zu be* 
haupten, dass Gott, der das, was er will, nothwendig 
erkennt, durch seinen Willen hätte bewirken können, dass 
er die Dinge anders erkenne, als er sie erkennt. Dies 
wäre, wie ich gezeigt habe, eine grosse Widersinnigkeit. 

Ich kann daher ihren Beweisgrund gegen sie selbst 
in folgender Weise umkehren: Alles hängt von Gottes 
Macht ab. Sollten also die Dinge sich anders verhalten 
können, so müsste auch nothwendig Gottes Wille sich 
anders verhalten; Gottes Wille kann sich aber nicht 
anders verhalten (wie ich eben aus Gottes Vollkommen- 
heit bewiesen habe) folglich können auch die Dinge sich 
nicht anders verhalten. 

Ich gestehe, dass die Meinung, welche alles einem 
gewissen gleichgültigen Willen Gottes unterwirft und von 
seinem Gutfinden alles abhängen lässt, weniger von der 
Wahrheit abirrt als die Meinung derer, welche annehmen, 
dass Gott nur handle um des Guten willen. Denn 
Letztere scheinen etwas ausser Gott hinzustellen, was 
nicht von Gott abhängt, auf das Gott, wie auf ein Muster 
bei seinem Handeln Acht hat oder auf welches, wie auf 
ein Ziel, er abzielt. 

Dies heisst wahrhaftig Gott dem Schicksal (Fatum) 



L Theil, Von Gott. 41 

unterwerfen. Man kann nichts Verkehrteres von Gk)tt 
behaupten, der nach meiner Darlegung sowohl von dem 
Wesen wie von der Existenz aller Dinge die erste und 
einzige freie Ursache ist. Ich brauche deshalb die Zeit 
nicht mit Widerlegung einer solchen Widersinnigkeit zu 
verschwenden. ••) 

L, 34, Die Macht Gottes ist seine WesenJieit selbst 

B. Denn aus der blossen Nothwendigkeit des gött- 
lichen Wesens folgt, dass Gott die Ursache seiner selbst 
(L. 11) und aller Dinge ist (L. 16 Z.). Also ist die 
Macht Gottes, durch die er und alle Dinge sind und 
handehi, seine Wesenheit selbst. •*) 

L« 35* Alles, was nach unserer Vorstellung in 
Gottes Motcht ist, ist notltwendig, 

Q. Denn alles, was in Gottes Macht ist, muss in 
semem Wesen so enthalten sein (L. 84), dass es aus 
demselben nothwendig folgt, also nothwendig ist. •^ 

L« 36« Es existirt nichts y aus dessen Natur nicht 
eine Wirkung folgte. ^ 

B. Alles was existirt, drückt die Natur und das 
Wesen Gottes auf eine gewisse und bestimmte Weise 
ans (L. 25 Z.); d. h., Alles, was existirt, drückt die 
Macht Gottes, welche die Ursache von allen Dingen ist, 
auf eine gewisse und bestimmte Weise aus (L. 34); folg- 
lich muss aus demselben eine Wirkung folgen (L. 16). •*) 

Anhang. Hiermit habe ich die Natur und Eigen- 
schaften Gottes dargelegt; sowie dass er nothwendig 
existirt; dass er ein einziger ist; dass er nur aus 
der Nothwendigkeit seiner Natur ist und han- 
delt; dass er die freie Ursache von allen Dingen 
ist und in welcher Weise; dass Alles in Gott ist 
und von ihm so abhängt, dass ohne ihm es weder 
sein noch vorgestellt werden kann und endlich, 
dass Alles von Gott vorausbestimmt worden ist 
und zwar nicht aus Freiheit des Willens oder aus einem 
nnhedingten Belieben , sondern aus der unbedingten Natur 
oder unendlichen Macht Gattes. 

Ich habe femer bei jeder Gelegenheit die Vorurtheile 
zu entfernen gesucht, welche das Verständniss meiner 



42 I- TheiL Von Gott. 

Beweise hindern könnten. Da indess noch manche son- 
stige Yornrtheile bestehen, welche es anch und zwar 
ganz besonders hindern könnten und können, dass man 
die Verkettung der Dinge nicht so wie ich sie dargelegt 
habe, auffasse, so habe ich es für nöthig erachtet, diese 
Vorurtheile hier einer Prüfung durch die Vernunft zu 
unterwerfen. Und da alle Vorurtheile, welche ich hier 
besprechen will, von dem einen abhängen, dass nach der 
gewöhnlichen Meinung alle natürlichen Dinge eines Zweckes 
wegen handeln, wie die Menschen; ja dass Gott selbst 
unzweifelhaft alles nach einem gewissen Ziele leitet (man 
sagt nämlich, Gott habe Alles der Menschen wegen ge- 
macht, den Menschen aber, damit er Gott verehre), so 
will ich diese Meinung zunächst betrachten. 

Ich werde zuerst den Grund suchen, weshalb man 
sich meistentheils bei diesem Vorurtheil beruhigt und 
weshalb man zu dieser Annahme von Natur geneigt ist; 
sodann werde ich dessen Unwahrheit darlegen und 
endlich zeigen, wie daraus die Vorurtheile über gut 
und böse, über Verdienst und Sünde, über Lob und 
Tadel, über Ordnung und Verwirrung, über Schönheit 
und Hässlichkeit und über anderes der Art entstanden sind. 

Es ist hier nicht der Ort, um dies aus der Natur 
der menschlichen Seele abzuleiten; es wird genügen, 
wenn ich von dem ausgehe, was von jedermann an- 
erkannt worden muss; also davon, dass die Menschen 
ohne Kenntniss der Ursachen der Dinge auf die Welt 
kommen und dass alle den Trieb haben, das ihnen 
Nützliche zu suchen und dass sie sich dessen bewusst sind. 

Daraus folgt zunächst, dass die Menschen sich für 
frei halten; denn sie sind sich ihrer Begehren und ihrer 
Triebe bewusst und denken nicht im Traume an die 
Ursachen, welche sie zum Begehren und Wollen ver- 
anlassen , da sie diese nicht kennen. Sodann folgt daraus, 
dass die Menschen alles um eines Zweckes willen thun, näm- 
lich des Nutzens wegen, den sie begehren; daher kommt es, 
dass sie immer nur nach den Zwecken des Geschehenen 
fragen und sich bei deren Mittheilung beruhigen, da sie 
keinen Anlass zu weiteren Zweifeln haben. Können sie 
aber diese Zwecke von Anderen nicht erfahren, so bleibt 
ihnen nur übrig, auf sich selbst und auf die Zwecke zu 
sehen, wodurch sie zu ähnlichen bestimmt zu werden 



I. Theil. Von Gott. 43 

pflegen. So benrtheilen sie die SiDnesweise des Anderen 
nothwendig nach ihrer eigenen. Da sie femer in sich 
und ausser sich viele Mittel finden, die zur Erreichung 
ihres Nutzens erheblich beitragen, wie z. B. die Augen 
zum Sehen, die Zähne zum Kauen, die Kräuter und 
Thiere zur Nahrung, die Sonne zur Erleuchtung, das 
Meer zur Ernährung der Fische u. s. w., so kommt es 
hiervon, dass sie sQles Natürliche gleichsam als Mittel 
für ihren Nutzen ansehen; und da sie wissen, dass sie 
diese Mittel vorgefunden und nicht selbst eingerichtet 
haben, so entstand der Glaube, dass irgend ein Anderer 
es sein müsse, der diese Mittel zu ihrem Nutzen bereitet 
habe. Denn nachdem sie einmal die Dinge als Mittel be- 
trachtet hatten, so konnten sie nicht annehmen, dass 
diese sich selbst gemacht hätten, vielmehr mussten sie 
aus den Mitteln, welche sie sich selbst herzurichten 
pflegen, schliessen, dass es einen oder mehrere Leiter 
der Natur gäbe, welche mit menschlicher Freiheit aus- 
gestattet, alles für sie besorgt und zu ihrem Nutzen 
gemacht haben. Da sie nun von dem Verstände dieser 
Leiter niemals etwas gehört hatten, so konnten sie ihr 
ürtheil darüber nur nach ihrem Verstände bilden. Daher 
ihre Annahme, dass die Götter Alles zum Nutzen der 
Menschen leiten, um sich dieselben zu verbinden und von 
ihnen in höchsten Ehren gehalten zu werden. 

Daher ist es gekommen, dass jeder eine andere Art 
der Gottesverehrung sich in seinem Kopfe ausgedacht 
hat, damit Gott ihn mehr, wie die Uebrigen liebe, und 
die ganze Natur nach dem blinden Begehren und unersätt- 
lichem Geize derselben leite. Dies Vorurtheil ist zum Aber- 
glauben geworden und hat in den Köpfen tiefe Wurzel 
geschlagen; es war der Grund, dass Jeder vor Allem 
die Endzwecke der Dinge einzusehen und zu erklären 
sich bemühte. Während sie aber zu zeigen suchten, dass 
die Natur Nichts umsonst thue, d. h. nichts, was nicht zum 
Besten der Menschen diene, so haben sie doch nichts damit 
gezeigt, als dass die Natur und die Götter, wie die Men- 
schen, sich im Wahnsinn befinden. Man sehe nur, wohin dies 
endlich führte! Unter vielem Nützlichen mussten sie auch 
vieles Schädliche in der Natur bemerken, wie Stürme, Erd- 
beben, Krankheiten«, s. w., und man nahm an, dass diese 
daher kommen, weil die Götter über das Unrecht erzürnt 



44 L TheiL Von Gott. 

wären, was die Menschen ihnen zugefügt hätten and über 
die Sünden, die jene bei ihrer Yerelunng begangen hätten. 
Obgleich die Erfahrung täglich dagegen stritt nnd durch 
unzählige Beispiele zeigte, dass Nutzen und Schaden die 
Frommen ebenso wie die Gottlosen treffen, so liess man 
doch von dem eingewurzelten Vorurtheile nicht ab. " Denn 
es wurde ihnen leichter, diese Erfahrung zu dem anderen 
Unbekannten, dessen Nutzen man nicht einsah, «u rechnen 
und so sich den gegenwärtigen und eingeborenen Zustand 
der Unwissenheit zu bewahren, als das ganze Gkbaude 
niederzureissen und ein neues auszudenken. Es galt ihnen 
daher als gewiss, dass die Beschlüsse der Götter die 
menschliche Fassungskraft; weit übersteigen. Dies allein 
hätte hingereicht, dass die Wahrheit dem menschlichen 
Geschlecht ewig verborgen geblieben wäre, wenn nicht die 
Mathemathik, welche sich nicht mit den Zwecken, sondern 
nur mit dem Wesen und den Eigenschaften der Gestalten 
beschäftigt, dem Menschen ein anderes Bichtmaass der 
Wahrheit gezeigt hätte. Auch können noch andere Ur- 
sachen neben der Mathematik bezeichnet werden (deren 
Aufzählung indess überflüssig ist), durch welche die 
Menschen veranlasst wurden, diese gememen Vorurtheile 
zu bemerken und zur wahren Erkenntniss der Dinge über- 
zugehen. Damit habe ich das dargelegt, was ich als 
Erstes versprochen habe. Um nun aber zu zeigen, dass 
sich die Natur keinen Zweck vorgesetzt hat und dass alle 
Zwecke nur eine menschliche Einbildung sind, bedarf es 
nicht viel. Denn ich glaube, dass dies schon genügend 
aus den Unterlagen und Ursachen erhellt, welche diesem 
Vorurtheil, wie gezeigt, den Ursprung gegeben haben. 

Auch erhellt es aas L. 16 und L. 32 Z., sowie aus 
Allem, womit ich gezeigt habe, dass in der Natur Alles 
mit einer gewissen ewigen Nothwendigkeit und höchsten 
Vollkommenheit vorgeht. Indess will ich noch hinzufügen, 
dass durch diese Lehre vom Zweck die Natur überhaupt 
umgestossen wird. Denn sie behandelt das als Wirkung, 
was in Wahrheit Ursache ist und umgekehrt; femer macht 
sie das Frühere in der Natur zu dem Späteren ulid end- 
lich das Höchste und Vollkommenste zum Unvollkommen- 
sten. Denn (wenn ich die zwei ersten Punkte bei Seite 
lasse, weil sie sich von selbst verstehen) so erhellt aus 
L. 21, 22 u. 23, dass diejenige Wirkung die voll- 



L TheiL Von Gott 45 

kommenste ist, welche von Gott unmittelbar hervorgebracht 
wird; jemehr Mittelursachen sie zu ihrer Hervorbringung 
bedarf, desto unvollkonunener ist sie. Wenn nun aber 
die von Gott unmittelbar hervorgebrachten Dinge nur ge- 
macht wären, damit Gott seinen Zweck erreichte, so 
müssten nothweudig die letzten, derentwegen die früheren 
gemacht sind, die vorzüglichsten sein. Auch hebt diese 
Lehre die Vollkommenheit Gottes auf, denn wenn Gott 
wegen eines Zweckes handelt, so begehrt er nothwendig 
etwas, was ihm fehlt Wenn nun auch die Theologen 
und Methaphysiker zwischen dem Zweck des Bedürfnisses 
mid dem Zweck der Yerähnlichung unterscheiden, so ge- 
stehen sie doch zu, dass Gott Alles nur seinetwegen ge- 
than hat, und nicht der zu schaffenden Dinge wegen, 
weil sie vor der Schö^pfung nichts neben Gott angeben 
können, dessentwegen Gott gehandelt hatte. So müssen 
sie also einräumen, dass Gott dasjenige, wofür er die 
Mittel hat bereiten wollen, entbehrt hat und dass er dies 
begehrt hat, wie von selbst klar ist 

Es muss hier auch erwähnt werden, dass die Anhänger 
dieser Lehre, welche in Aufstellung von Zwecken der 
Dinge ihren Scharfsinn zeigen wollten, für den Beweis 
ihrer Lehre eine neue Art der Begründung herbeigebracht 
haben, indem sie diese nicht auf die Unmöglichkeit, sondern 
aaf die Unwissenheit zurückführten, woraus erhellt, dass 
dieser Lehre kein anderes Mittel der Begründung zu Ge- 
bote gestanden hat. Wenn z. B. ein Stein aus einer Höhe 
auf eines Menschen Eopf gefallen wäre und ihn getödtet 
hätte, so würden sie auf diese Art beweisen, dass der 
Stein gefallen sei, um den Menschen zu tödten; denn wenn 
er nicht zu diesem Zweck mit dem Willen Gottes gefallen 
wäre, wie hätten da so viele Umstände aus Zufall zu- 
sanunentreffen können? (denn oft wirken mehrere zugleich.) 
Man wird vielleicht antworten, es sei deshalb so ge- 
kommen, weil der Wind geweht und weil den Menschen 
sein Weg dahin gefuhrt habe. Aber jene werden darauf 
bestehen: Weshalb hat der Wind damals geweht? wes- 
halb fährte den Menschen damals sein Weg dahin? Wenn 
man darauf erwidert, der Wind sei damals entstanden, 
weil das Meer den Tag vorher bei ruhigem Wetter sich 
zu bewegen angefangen hatte und weil der Mensch von 
einem IVeunde eingeladen worden war; so werden sie 



46 I. TheiL Von Gott 

wiederum fragen, da des Fragens hier kein Ende ist: 
Warum wnrde das Meer unruhig? Weshalh war der 
Mensch damals eingeladen? Und so werden sie fort 
und fort nach den Ursachen der Ursachen fragen, bis 
man zu dem Willen Gottes d. h. zu dem Asyl der Unwissen- 
heit seine Zuflucht nimmt. 

Ebenso staunen sie bei dem Anblick des Baues des 
menschlichen Körpers und weil sie die Ursachen von so 
viel Kunst nicht kennen, so schliessen sie, dass er nicht 
durch mechanische Kräfte, sondern durch eine göttliche 
und übernatürliche Kunst gebildet und so eingerichtet 
worden, dass kein Theil den andern verletzt So kommt 
es, dass der, welcher die wahren Ursachen der Wunder 
aufsucht und sich bestrebt, die natürlichen Dinge, wie 
ein Unterrichteter, einzusehen und nicht wie ein Dummer 
anzustaunen, hier und da ffai einen Ketzer und Gottlosen 
gehalten und als solcher von Denen ausgerufen wird, 
welche die Menge als die Dolmetscher der Natur und der 
Götter verehrt. Denn diese wissen, dass mit dem Weg- 
fall der Unwissenheit auch das Staunen aufhört, d. h. das 
einzige Mittel für ihre Beweise und für die . Erhaltung 
ihres Ansehens. 

Ich lasse dies und gehe nach meinem Plane zu dem 
dritten Punkt über. Nachdem die Menschen sich eingeredet 
hatten, dass Alles, was geschieht, ihretwegen geschähe, 
so mussten sie in jedem Dinge dasjenige für das vor- 
zügliche halten, was ihnen am Nützlichsten war und alles 
das am höchsten schätzen, von dem sie am angenehmsten 
berührt wurden. Daraus mussten sich die Begriffe bilden, 
nach welchen sie die Natur der Dinge erklärten, als: 
Gut, Schlecht, Ordnung, Unordnung, Warm, Kalt, Schön- 
heit, Hässlichkeit u. s. w. Da sie sich für frei hielten, 
so entsprangen daraus die Begriffe von Lob und Tadel, 
Sünde und Verdienst Diese Letzteren werde ich später 
nach Untersuchung der menschlichen Natur erörtern. 
Jene will ich aber hier kurz erklären. 

Man nannte nämlich alles gut, was zur Gesundheit 
oder zur Gottesverehrung nützte, und das Gegentheil 
davon schlecht; und da die, welche die Natur der Dinge 
nicht einsehen, nichts von den Dingen bejahen, sondern 
die Dinge sich nur bildlich vorstellen, und die Vorstellun- 
gen für Erkenntnisse halten, so sind sie deshalb von 



L TheiU Von Gott. 47 

einer Ordnung in den Dingen überzeugt, während sie doch 
Yon den Dingen und ihrer Natur nichts wissen. Denn 
wenn die Dinge so eingerichtet sind, dasswir bei der sinn- 
lichen Wahrnehmung ihre Bilder leicht auffassen und wir 
uns ihrer leicht erinnern können, so nennen wir sie gut an-* 
geordnet, im andern Falle schecht angeordnet oder verwirrt. 
Und weil uns das am liebsten ist, was wir leicht uns bildlich 
vorstellen können, so ziehen die Menschen die Ordnung 
der Verwirrung vor, als wenn die Ordnung etwas in der 
ITatnr, ohne Bücksicht auf unser Vorstellen, wäre. Daher 
sagt man, dass Gott Alles in Ordnung erschaffen habe, 
und auf diese Weise theilt man ohne es zu wissen, Gott 
das bildliche Vorstellen zu ; im Fall man nicht vielleicht vor- 
zieht, dass Gott in Bücksicht auf die menschliche Einbildung 
alle Dinge so angeordnet habe, dass sie von dieser am 
leichtesten bildlich erfasst werden könnten. Man lässt sich 
auch hierin nicht dadurch irre machen , dass sich unendlich 
Vieles findet, was unser bildliches Vorstellen weit über- 
steigt, und Vieles, was es wegen seiner Schwäche verwirrt* 

Doch genug davon. 

Auch die übrigen Begriffe neben den Formen des 
sinnlichen Vorstellens, wodurch die Einbildung in ver- 
schiedener Weise erregt wird, sind Nichts und werden 
doch von den Unwissenden als die wichtigsten Bestim- 
mungen behandelt; weil, wie erwähnt, sie glauben, dass 
die Dinge nur ihretwegen gemacht worden seien, nur 
weil sie die Natur eines Gegenstandes gut oder schlecht,, 
gesund oder faul und verdorben nennen, je nach dem 
sie von demselben erregt werden. So nennen sie z. B. 
die Gegenstände dann schön, wenn die Bewegung, welche 
die Nerven von diesen, durch die Augen dargestellten 
Gegenstände empfangen, der Gesundheit zuträglich ist» 
Im gegentheiligen Falle heissen sie sie hässlich. Was femer 
durch die Nase den Sinn erregt, nennen sie wohlriechend oder 
stinkend; was durch die Zunge, süss oder bitter, schmack- 
haft; oder unschmackhaft; was durch das Gefühl, hart 
oder weich, schwer oder leicht. Wenn die Dinge endlich 
die Ohren erregen, so sagt man, dass sie einen Lärm, 
Ton oder Harmonie hören lassen, und diese Harmonie 
hat die Menschen so irre geführt, dass selbst Gott 
nach ihrer Meinung daran sich erfreut. Auch giebt es 
Philosophen, die sich überredet haben, dass die himm- 



48 I. Theü. Von Gott. 

lischen Bewegungen eine Hannonie bilden. Dies Alles 
zeigt zur Genüge, dass Jeder nach der Beschaffenheit 
seines Gehirns über die Dinge urtheilt, oder yiebnehr die 
Erregungen seiner Einbildungskraft für die Dinge selbst 
genommen hat. Man darf sich daher (beiläufig bemerkt) 
nicht wundern, dass unter den Menschen, wie wir sehen, 
soviel Streitigkeiten sich erhoben haben, aus denen endlich 
der Skepticismus hervorgegangen ist. Denn wenn auch 
die menschlichen Körper in Vielem übereinstimmen, so 
vreichen sie doch in noch Mehrerem von einander ab ; daher 
hält dies der Eine für gut, der Andere für schlecht. Was 
dem Einen geordnet ist, ist dem Andern verworren; was 
dem Einen angenehm, ist dem Andern unangenehm. Das- 
selbe gilt von allem Uebrigen. Ich lasse es bei Seite, 
da hier nicht der Ort ist, um ausfuhrlich darüber zu 
handeln und da wir Alle die genügende Erfahrung daran 
gemacht haben. Denn in aUer Munde sind die Worte: 
> Wieviel Köpfe, soviel Sinne«; »Jeder hat an seinem Sinne 
genug«; »So verschieden die Geschmäcke, so verschieden 
auch die Köpfe.« Diese Bedensarten zeigen hinlänglich, dass 
die Menschen mehr nach dem Zustand ihres Gehirns über 
die Dinge urtheilen und über die Dinge mehr phantasiren. 
Denn wenn sie die Dinge erkannt hatten, so würden diese, 
vrie die Mathematik beweist. Alle, wenn auch nicht an- 
locken, doch wenigstens überzeugen. 

Wir sehen also, dass alle die Gründe, aus denen die 
Menge die Natur zu erklären pflegt, nur verschiedene 
Weisen der Einbildung sind, welche von keiner Sache 
die Natur anzeigen, sondern nur den Zustand der Ein- 
bildungskraft, und weil die Menschen Namen haben, 
als wenn die Dinge dazu ausserhalb der Einbildungskraft 
existirten, so nenne ich diese nicht Dinge der Vernunft, 
sondern Dinge der Einbildung, und so können leicht alle 
Beweisgründe, die man gegen mich aus ähnlichen Begriffen 
herbeiholt, leicht umgestossen werden. Viele pflegen 
uämlich ihren Beweis so zu führen: Wenn alles aus der 
Nothwendigkeit der vollkommensten göttlichen Natur ge- 
folgt ist, woher kommt dann so viel UnvoUkommenes in 
der Natur, als das Untergehen und Faulen der Dinge, 
das Verderben und der Gestank der Dinge und die Häss- 
lichkeit derselben, welche Ekel erregt, und die Unord- 
nung, das Schlechte, die Sünde u. s. w«? Indess können 



IL Thdil. üeber die SeeU. 49 

sie, wie ich eben bemerkt, leicht widerlegt werden; denn 
die YollkoBunenheit 4er Dinge isrt nur nach deren Natur 
und Macht zu schätzen, und die Dinge sind nicht des- 
halb mehr oder weniger vollkommen, weil sie den Sinn 
der Menschen ergötzen oder beleidige und weil m der 
m»i9chlich0& Hatur entsprechen oder ihr widerstreiten. 
Auf die Frage aber: Warum Gtott nicht alle Menschen 
so geschaffen habe, dass sie blos von der Yemunft.sich 
leiten liesseiij habe ich nur die Antwort: Weil ihrndiicht 
der Stoff fehlte, um Alles vom höchsten bis zu dem 
niedrigsten Grade der Yollkommenheit zu schaffen. Oder 
um nüch richtiger auszudrücken:. Weil die Gesetze seiner 
Nator so umfassend gewesen sind, dass sie zureichten, 
um Alles hervorzuMugen, was . von einem unendlichen 
Verstände vorgestellt werden kann, wie ich duroh L. 16 
bewiesen habe. Dies sind die Yorurtheile, welche ich 
hier berühren wollte ; wenn noch andere der Art bestehen 
sollten, so wird Jieder sie bei- massigem Nachdenken leicht 
berichtigen können.^*) 



Zweiter Theil. 



lieber die Natur und den Ursprung 

der Seele/) 



V o r w o r t. 

Ich gehe nun. zur Auseinandersetz^ung dessen über, 
was aus der Wesenheit Gottes oder des ewigen und un- 
endlichen Wesen» nothwendig folgen muss. Diese Aus- 
einandersetzung umfasst zwar nicht alles (denn I. L. 16 
liäbe ick gezeigt, dass unendlich Vieles auf unendlich 
viele Weise aus ihm folgen muss), sondern nur das, was 

Spinoza, Ethik. 4 



7)0 n. Thefl. üeberdie Seele. 

far die Erkenntniss der menschlichen Seele and ihrer 
höchsten Seligkeit gleichsam handgreiflich darans herge- 
leitet werden kann. 

D. 1. Unter Körper verstehe ich]^ einen Zustand, 
welcher Grottes Wesen, insofern es als ausgedehnte Sache 
anfgefasst wird, in gewisser bestimmter Weise ausdrückt. 
(I. L. 25; Z.). «) 

D. 2. Zum Wesen einer Sache gehört, sage ich, 
das, wodurch, wenn es gegeben ist, die Sache nothwendig 
gesetzt wird, und wodurch, wenn es weggenommen wird, 
die Sache nothwendig aufgehoben wird, oder: das, ohne 
welches die Sache, und umgekehrt, das was ohne die Sache 
weder sein noch yorgestellt werden kann. *) 

D. d. Unter: Vorstellung verstehe ich eine Auf- 
fassung der Seele, welche die Seele bildet, weil sie ein 
denkendes Ding ist. 

E. Ich sage lieber: Auffassung als Wahrnehmung, 
weil letzteres Wort anzudeuten seheint, dass die Seele 
von dem Gegenstande leidet, während: Auffassung die 
Thätigkeit der Seele auszudrucken scheint. ^) 

D. 4« Unter: Zureichender Vorstellung ver- 
stehe ich eine Vorstellung, welche sofern sie in sich und 
ohne Beziehung auf den Gegenstand betrachtet wird, alle 
Eigenschaften oder innem Bestimmungen einer wahren 
Vorstellung hat. 

E. Ich sage: Innere, um diejenige auszuschliessen, 
welche äusserlich ist, nämlich die Uebereinstimmung der 
Vorstellung mit ihrem Vorgestellten.*) 

D. 5. Dauer ist ein unbestimmte Fortsetzung der 
Existenz. 

E. Ich sage: unbestimmt, weil sie durch die eigene 
Natur der existirenden Sache keineswegs bestimmt werden 
kann und auch nicht von der wirkenden Ursache, da diese 
das Dasein der Sache nothwendig setzt, aber es nicht 
aufhebt. •) 

D. 6. Unter: Bealität und Vollkommenheit 
verstehe ich ein und dasselbe. "0 

D. 7. Unter: Einzel-Dingen verstehe ich Dinge, 
welche endlich sind und eine begränzte Existenz haben. 
Wenn mehrere Einzeldinge in einer Handlung so zusammen- 
wirken, dass alle zugleich die Ursache der einen Wir- 



II. Tbeil, Ueber die Seele. 51 

knng sind, so betrachte ich sie alle in soweit als eine 
einzahle Sache. ^) 

A. 1. Das Wesen des Menschen schliesst nicht seine 
nothwendige Existenz ein; d. h. nach der Ordnung der 
Natnr kann es ebenso geschehen, dass dieser oder jener 
Mensch existirt, als dass er nicht existirt. 

1. 2. Der Mensch denkt. ^) 

A. 8. Die Znstande des Denkens, wie Liebe, Begeh- 
ren und alles sonst, was mit Affekt der Seele bezeich- 
net wird, giebt es nnr, wenn in demselben Einzelnen die 
Yorstellnng des geliebten, begehrten u. s. w. (Gegenstandes 
gegeben ist. Aber die Vorstellong kann bestehen, wenn 
auch kein anderer Zustand des Denkens gegeben ist.^®) 

A. 4. Wir empfinden, dass ein gewisser Körper auf 
viele Weise erregt wird. ^) 

A« 5. Wir empfinden und nehmen keine andern ein- 
zelnen Gegenstände wahr, als Körper und Zustände des 
Denkens. ^) 

Die Heischesätze sehe man hinten. U. L. 13. 

L. 1. Das Denken ist ein Attribut Gottes, oder 
Gott ist ein denkendes Ding, 

B. Die einzelnen Denkakte oder dieser und jener 
Gedanke sind Zustände, welche die Natur Gottes auf eine 
gewisse und bestimmte Weise ausdrücken. (I. L. 25. Z.) 
Es kommt also Gott ein Attribut zu (I. D. 5), dessen 
Vorstellung alle einzelnen Gedanken einschliessen, durch 
welches sie ebenfalls Vorgestellt werden. Es ist also das 
Denken eines von den unendlich vielen Attributen Gottes, 
welches das ewige und unendliche Wesen Gottes aus- 
drückt (I. D. 6), d. h. Gott ist ein denkendes Wesen. 

E. Dieser Lehrsatz erhellt auch daraus, dass wir uns 
ein denkendes Wesen als unendlich vorstellen können. 
Denn je Mehreres ein denkendes Wesen denken kann, 
desto mehr enthält es, nach unserer Vorstellung, Realität 
oder Vollkommenheit. Ein Wesen also, was Unendlich- 
Yieles auf unendlich viele Weise denken kann, ist noth- 
wendig in der Kraft des Denkens unendlich. Da wir 
somit, auf das blosse Denken achtend, ein unendliches 
Wesen vorstellen, so ist nothwendig das Denken eines 
von den vielen Attributen Gottes (I. D. 4, 6), wie ich 
behauptet habe. 



52 n. Thefl. üebet die Seele. 

L« 3. Die Ausdehnung ist ein Attribut Gottes, 
odei* Gott ist ein ausgedehntes Ding, 

Der Beweis davon nimmt denselben Gang, wie der 
Beweis des vorgehenden Lehrsatzes.^') 

L« 3« In Gott besteJd noihwendig sowohl eine 
Vorstellung von seinem Wesen, wie von Allem ^ was 
aus seinem Wesen nothwendig folgt, 

B. Denn Gott kann Unendiich-Yieles auf unendlich 
viele Weise denken (11. L. 1), oder er kann eine Vor- 
stellung seines Wesens und aller darans sich nothwendig 
ergebenden Folgen bilden. (Was nach I. L. 16 dasselbe ist.) 
Nnn ist aber nothwendig alles, was in Gottes Macht ist. 
(I. L. 35). Es giebt deshalb nothwendig eine solche 
Vorstellung und sie ist nur in G^tt. (I. L. 15), 

E« Die Menge verst^t unter der Macht Gottes seinen 
freien Willen und sein Becht auf Alles, was da ist. 
Letzteres wird deshalb gewöhnlich als zufallig betrachtet. 
Denn man sagt, Gott hat die Macht, alles zu zerstören 
und in Nichts zu veirwandeln. Man vergleicht femer die 
Macht Gottes mit der Macht der Könige. Dies habe ich 
I. L. 32 Z. 1 und 2 widerlegt und I. L. 16 gezeigt, 
dass Gott mit derselben Nothwendigkeit handelt, mit der 
er sich selbst erkennt, d. h. so Wie aus der Nothwendig- 
keit der göttlichen Natur folgt (und alle einstimmig be- 
haupten), dass Gott sich selbst erkennt, mit derselben 
Nothwendigkeit folgt, dass Gott iD^nendlich- Vieles auf 
unendlich viele Weise thui Sodann habe ich I. L. 34 
gezeigt, dass Gottes Macht nur sein thatiges Wesen ist; 
es ist deshalb uns ebenso unmöglich, vorzustellen, dass 
Gott nicht handle, als dass Gott nicht sei. Wenn es 
verstattet wäre, dies weiter zu verfolgen, so köunte ich 
femer zeigen, dass jene Macht, welche die Menge Gott 
zutheilt, nur eine menschliche ist (mithin die Menge Gott 
nur als Menschen oder nur nach dem Bilde eines Men- 
schen sich vorstellt), ja selbst die Ohnmacht einschliesst. 
Doch mag ich über dieselbe Sache nicht so viele Male das- 
selbe wiederholen. Ich bitte nur nochmals den Leser, dass 
er wiederholt erwäge, was von I. L. 16 bis zu Ende hier- 
über gesagt worden ist. Denn Niemand wird das richtig 
verstehen können, was ich meine, wenn er sich nicht 



n. Theil. Ueber die Seele. 53 

Mtet, Gottes MacM mit der menschlidLen Macht und 
dem Eecht der Könige zu verwechseln. ^^) 

L. 4. Die Vorstellung von Gott, aus welchei* 
unendlich Vieles auf unendlich viele Weise folgt, kann 
nur eine einzige sein, 

Bf Der unendliche Verstand umfasst nichts ausser 
den Attributen Gottes und seinen Zuständen {I L. 30) 
aber Gott ist ein Emziger (I. L. 14. Z. 1), daher kamt 
die Vorstellung von Gott, aus welcher unendlich Vieles 
auf unendlich viele Weise folgt, nur eine einzige sein. ^) 

L, 4k, Das wirkliche Sein der Vörsteüungen er^ 
kennt GottnuPf m»ofem er als denkendes We^en auf- 
gefasst loird, für seine Ursoiche an, und nioht* insofern 
Gott ditreh ein anderes Attribut ausgedrüekt unrd; 
d. L die Vorstellungen sowohl von Gottes Attributen 
als von '-den einzelnen Dingen erkennen nicht das Vor- 
gestellte selbst^ oder die wahrgenommenen Dinge für 
ihre wirkende Ursache an, sondern Gott selbsty in- 
sofern er ein denkendes Wesen ist. 

B, Dies erhellt aus II. L. 3. Denn dort fol^rten 
wir, dass Gott die Vorstellung seines Wissens und aller 
Dinge, welche daraus folgen, nur dadurch bilden könne, 
dass Gott ein denkendes Wesen ist, und nicht dadurch, 
dass er der Gegenstand seiner Vorstellung ist. Darum 
erkennt das wirkliche Sein der Vorstellungen Gott, insofern 
er ein denkendes Wesen ist, als Ursache an. Ein anderer 
Beweis ist folgender: Das wirkliche Sein der Vorstellun- 
gen ist ein Zustand des Denkens (wie von selbst klar 
ist) d. h. ein Zustand (I. L. 25. Z.) , welcher die Natur 
Gottes, sofern er ein denkendes Wesen ist, auf gewisse 
Weise ausdrückt. Dieser Zustand schliesst mithin die 
Vorstellung von keinem andern Attribute Gottes ein (I. L. 10) 
nnd ist folglich käines anderen Attributes als des Den- 
kens Wirkung. (I. A. 4). Also erkennt das wirkliche 
Sein der Vorstellungen Gott nur, insofern er als ein den- 
kendes Wesen aufgefasst wird u. s. w. ^^) 

L. 6, Die Zustände eines jeden Attributes haben 
Gott zur Ursache, insofern es nur unter dem Attri-- 



54 n. TheiL Ueber die Seele. 

bute, dessen Zustände sie sind, aufgefcLsst vnrdf und 
nicht unter dem eines anderen Attributes. 

B. Denn jedes Attribut wird durch sich und ohne 
ein anderes vorgestellt. (I. L. 10.) Desshalb schliessen 
die Zustände jedes einzelnen Attributs den Begriff ihres 
Attributes und nicht den eines andern Attributes in sich 
ein; mithin haben sie Gott zur Ursache, nur insofern er 
unter diesem Attribut, dessen Zustande sie sind, aufge- 
fasst wird und nicht unter einem anderen. 

Z. »Hieraus ergiebt sich, dass das wirkliche Sein der 
Dinge, welche keine Zustände des Denkens sind, nicht 
deshalb aus der Natur Gottes folgen, weil er di^ Dinge 
früher vorgestellt hat, sondern die vorgestellten Dinge 
folgen und werden gefolgert, auf dieselbe Weise und mit 
derselben Nothwendigkeit aus ihren Attributen, wie die 
Vorstellungen nach unserer Darlegung aus dem Attribut 
des Denkens folgen. ^^ 

L. 7i Die Ordnung und Verknüpfung der Vor- 
stellungen ist dieselbe^ wie die Ordnung und Ver- 
knüpfung der Dinge. 

B. Erhellt aus I. A. 4. Denn die Yorstellung von 
jedem Verursachten hängt von der Vorstellung der Ur- 
sache ab, deren Wirkung es ist.J J 

Z. Hieraus ergiebt sich, dass Gottes Macht zu den- 
ken seiner wirklichen Macht zu handeln gleich ist, d. h. 
Alles was aus der unendlichen Natur Gottes in der Wirk- 
lichkeit folgt, dies Alles folgt aus der Vorstellung Gottes, 
in derselben Ordnung und Verknüpfung in Gott als 
gegenständlicher Inhalt seines Denkens, i^) 

£. Ehe wir weiter gehen, ist an das oben Dargelegte 
zu erinnern, nämlich dass Alles, was von einem unend- 
lichen Verstand als das aufgefasst werden kann, was 
das Wesen der Substanz ausmacht, dass dies Alles nur 
zu einer einzigen Substanz gehört, und dass folglich die 
denkende und die ausgedehnte Substanz eine und dieselbe 
Substanz sind, welche bald unter diesem, bald unter 
jenem Attribut aufgefasst wird. Deshalb ist auch der 
Zustand der Ausdehnung und die Vorstellung dieses Zu- 
standes ein und dasselbe, nur auf zwei Weisek ausge- 
drückt. Dies scheinen Einige bei den Juden gleichsam 



IL Thea üeber die Seele. 55 

durch den Nebel eingesehen zu haben , da sie annehmen^ 
<lass Gott, Gottes Verstand und die von ilun bestimmten 
Dinge ein und dasselbe seien. So ist z. B. ein Kreis, 
welcher in der Natur existirt, und die YorsteUung dieses 
edstirenden Kreises, die auch in Gott ist, ein und das* 
selbe, nur durch yerschiedene Attribute ausgedrückt. 
Mögen wir daher die Natur unter dem Attribut der Aus- 
dehnung oder unter dem Attribut des Denkens oder unter 
irgend einem anderen auffassen, so werden wir dieselbe 
Ordnung und dieselbe Verknüpfung der Ursachen, d. h. 
die gegenseitige Folge der Dinge antreffen. Aus keinem 
anderen Grunde habe ich gesagt, dass Gott z. B. die 
Ursache der Vorstellung des Kreises ist, insofern er nur 
ein denkendes Wesen ist; aber die Ursache des Kreises 
selbst, nur insofern er ein ausgedehntes Wesen ist. Weil 
das wirklidie Sein der Vorstellung des Kreises nur durch 
einen andern Zustand des Denkens als seine nächste 
Ursache und dieser wiederum durch einen Midern und 
so fort ohne Ende vorgestellt werden kann. 

Wir müssen daher, so lange wir die Dinge nur als 
Znstande des Denkens auffassen, die Ordnung der ganzen 
iNatur oder die Verknüpfung der Ursachen durch das 
Attribut des Denkens aJlein erklaren; und insofern sie 
als Zustande der Ausdehnung aufgefasst werden, muss 
auch die Ordnung der ganzen Natur bloss durch das 
Attribut der Ausdehnung erklärt werden. Dasselbe nehme 
ich Yon den übrigen Attributen an. 

Deshalb ist dl& wahre Ursache der Dinge, wie sie in 
sich sind, Gott, insofern er aus unendlich vielen Attri- 
buten besteht, und deutlicher kann ich dies gegenwärtig 
nicht erkläre. *») 

L. 8. Die Vorstellungen der einzelnen Dinge oder 
Zustände, welche nicht eanstiren, müssen in der un- 
endlichen Vorstellung Gottes so hefasst seiHy wie das 
wirhlicJie Wesen der einzelnen Dinge oder ZusUi,nde 
in den Attributen Gottes entJialtek sind, 

B. Dieser Lehrsatz ergiebt sich aus U. L. 7. E. 

Z. Hierausfolgt, dass, so lange die einzelnen Dinge 
nicht existiren, als nur insofern sie in Gottes Attributen 
befesst sind, deren vorgestelltes Sein oder deren Vor- 



56 n. Theil üeber die Seele. 

Stellungen anch nur existiren, so^veit die unendliche 
Yorstellnng Gattes existirt. 

Wenn aber von den einzelnen Sachen gesagt wird, 
dass sie existiren, nicht bloä insofern sie in Grottes 
Attributen befasst sind, sondern insofern auch die zeit- 
liche Dauer von ihnen ausgesagt wird, so werden deren 
Yorstelhtngen ebenfalls diejenige Existenz haben, mit 
welcher man ihre zeitliche Dauer bezeichnet. 

£. Wenn Jemand zum besseren Yerständniss dessen 
ein Beispiel verlangt, so kann ick nicht wohl eins geben, 
was die hier besprochene Frage, die vielleicht in ihrer 
Art einzig ist, vollkommen angemessen ausdrQckt; doch 
will ich den Gegenstand; so gut es geht, erläutern. 

Der Kreis ist nämlich von solcher Katur, dass die 
Eechtecke aus den Abschnitten aller geraden Linien, 
welche in ihm sich gegenseitig schneiden, mit einander 
gleich sind. Der Kreis enthält daher unendlich viele 
einander gleiche Bechtecke. Man kann aber dennoch 
nicht sagen, dass eines derselben existirt > als nur inso- 
fern ein Kreis existirt, und ebenso kann man nicht sagen, 
dass die Vorstellung eines dieser Bechtecke existirt, als 
nur insofern es in der Vorstellung des Kreises befasst 
ist: Nun stelle man sich vor, dass von jenen unendlich 
vielen Bechtecken nur zweie, nämlich D und E existiren, 

dann existiren deren Vorstellungen 
nicht bloB, insofern sie nur in der 
Vorstellung des Kreises befasst sind, 
sondern auch insofern sie die Existenz 
dieser beiden Vierecke in sich enthalten ; 
dadurch werden sie von den übrigen 
Vorstellungen der anderen Vierecke 
. unterschieden. *^ 

^ L. 9« Die Vorstellung eines einzelnen, wirklich 
existirenden Gegenstandes hat Gott zur ürsc^Tie:^ nicht 
insofern ev unendlich ist, sond&rn insofe^m er aufgefasst 
wird als erregt von einer ande7*n Vorstellung eines 
einzelnen zdirklioh existirendm Gegenstandes, dessen 
Ursache Gott wiederum nur isty insofern e9* von emer 
andern dritten Vorstellung erregt ist, und so weiter 
ohnä Ende. 




n.T}ieiL Ueber die Seele. 57 

B, Die VorstellTiiig eines einzelnen, inrklich existi- 
renden Gegenstandes ist ein einzelner Znstand des Denkens 
und Yon den anderen nütersöhieden (11. L. 8 Z. E.). 
Diese Yorstellung * hat deshalb Gott nnr insofern er ein 
denkendes Wesen ist, znr Ursache (II. L. 6); aber nicht, 
insofern Qroit ein unbedingt denkendes Wesen ist, sondern 
nur, insofern Gott als erregt durch einen andern Znstand 
des Denkens aufgefasst wird; und eben so ist dieser Zn- 
stand nur die WirfcuAg, insofern Gott von einem andern 
erregt ist und so fort ohne Ende (I. L. 28). Nun ist 
aber die Ordnung und Verknfij^fung der Vcfrstellungen 
dieselbe, wie die Ordnung und Verknüpfung der Gegen- 
stände (II. L. 7), deshalb ist die Ursache einer einzelnen 
Vorstellung eine andere Vorstellung, oder Gott, insofern 
er von einer anderen Vorstellung erregt aufgdfasst wird, 
und von dieser ist die Ursache wieder Gott, insofern er 
von einer andren erregt- ist, und so fort ohne Ende. 

Z. Von dem, was in dem einzelnen Gegenstand 
irgend einer Vorstellung vorgeht, hat Gott die Kenntniss 
nur, insofern er die Vorstellung des Gegenstandes hat. 

B. Alles, was in dem- Gegenstandie irgend einefr Vor- 
stellung vorgeht, davon hat Gott die Vorstellung nicht, 
insofern er unendlich ist (II. L. 3), sondewi insofern, als 
er durch eine andere Vorstellung eines einzelnen Gegen- 
standes en-egt aufgefasst wiM (II. L. 9>); die Ordnung 
und Verknüpfung der Vo^rstöMüngen ■ ist aber dieselbe, 
wie die Ordnung und Vorknttpfung der Dinge (IL L. 7); 
die Kenntniss dessen, was in emem einzelnen Gegen^ 
stände vorgeht, wird also in Gott Sein, nur insofern er 
die Vorstellung dieses Gegenstandes hat. ^^) 

Ii.lO. Zum Wßsen de^ Menschen gehört nicht das 
Sein der Substanz, pdm* die Substanz bildet nicht 
das Wirklichem des MenscJien» 

B« Denn das Sein der Substanz schliesst die noth- 
wendige: Existenz ein (I. L. 7). Wenn mithin zum 
Wesen des Menschen das Sein der Substanz gehörte^ 
so wftrde mit der Substanz auch nothweüdig der Mensch 
gegeben sein (11. D. 2), und folglich wurde der Mensch 
nothwendig existiren , was widersinnig ist (II. A. 1), 
deshalb gehört u. s. w. i , 

£• Es folgt dieser Lehrsatz auch aus I. L. 5j weil 



58 n. TheiL Ueber die Seele. 

es nämlich nicht zwei Sabstauzen derselben Natur giebt. 
Da aber mehrere Menschen existiren können, so ist folglicli 
das, was das Wirkliche der Menschen ausmacht, nicht 
das Sein der Substanz. TJebrigens erhellt dieser Satz 
auch aus den übrigen Bestimmungen der Substanz, 
nämlich, dass die Substanz von Natur unendlich, un- 
Teränderlidi, untheilbar u. s. w. ist, wie jeder leicht be- 
merken kann. 

Z« Hieraus folgt, dass das Wesen des Menschen 
aus gewissen Zuständen der Attribute Gottes gebildet wird. 
Denn das Sein der Substanz gehört nicht zu dem Wesen 
des Menschen (11. L. 10). Der Mensch ist also etwas, 
was in Grott ist (I. L. 15) und was ohne Gott weder sein 
noch vorgestellt werden kann, d. h. er ist eine Btregvaxg 
oder ein Zusta^d, welcher die Natur Gottes auf eine 
gewisse und bestimmte Weise ausdrückt (I. L. 25. Z.) 

£• 2« Jedermann muss einräumen, dass ohne Gott 
nichts sein und vorgestellt werden kann. Denn allgemein 
wird, anerkannt, dass Gott die alleinige Ursache aller 
Dinge ist, sowohl nach ihrem Wesen, wie nach ihrer 
Existenz; d. h. Gott ist, wie man sich ausdrückt, die 
Ursache der Dinge nicht blos nach ihrem Werden, sondern 
auch nach ihrem Sein. Aber dabei behaupten die Meisten, 
dass das zum Wesen eines Dinges gehörte, ohne welches 
es weder sein, noch vorgestellt werden kann; sie nehmen 
daher an, dass Gottes Natur zum Wesen der erschaffenen 
Dinge gehört, oder dass die erschaffenen Dinge ohne Gott 
sein und vorgestellt werden können, oder sie schwanken 
in ihren Ansichten, was das wahrscheinlichere ist. 

Der Grund hiervon ist, dass sie nach meiner Meinung 
den ordnungsmässigen Gang des Philosophirens nicht 
innegehalten haben. Denn sie hielten die göttliche Natur, 
die sie vor allem hätten betrachten sollen, weil sie sowohl 
nach ihrer Erkenntniss, wie nach ihrei Natur das erste 
ist im Gange des Erkennens, for das letzte; und die Dinge, 
welche die Gegenstände der Sinne heissen, hielten sie für 
die ersten von allen. Daher ist es gekommen, daas sie 
während der Betrachtung der natürlidien Dinge an nichts 
weniger dachten, als an die göttliche Natur, und nachdem 
sie dann' ihren Sinn auf die Betrachtung der göttlichen 
Natur richteten, keimten sie über keinen Gegenstand 
weniger denken, als über ihre erst^ Einbildungen, auf 



n. Tbefl. Ueber die Seele. 59 

welche sie die Erkenntniss der natflrlichen Dinge auf*- 
gebant hatten, da diese zur Erkenntniss der göttlichen 
Katar nichts helfen konnten. 

Man darf sich daher nidit wundern, wenn sie sich 
hin und wieder widersprechen. Doch dies bei Seite. 
Meine Absicht war hier nur, den Onmd anzugeben, wes- 
halb ich nicht gesagt habe, dass das zum Wesen eines 
Dinges gehört, ohne welches es weder sein noch Yor-* 
gestellt werden kann; nämlich weil die einzelnen Dinge 
nicht ohne Gott sein und vorgestellt werden können und 
Gott doch nicht zu ihrem Wesen gehört. 

Yielmehr habe ich gesagt, dass dasjenige das Wesen 
eines Dinges nothwendig ausmacht, mit dessen G«geben- 
sein das Ding gesetzt wird und mit dessen Wegnahme es 
aufgehoben wird oder dasjenige, ohne welches das Ding 
und umgekehrt das, was ohne das Ding weder sein noch 
vorgestellt werden kann (11. D. 2). «^ 

L. 11. Das erste j was das wirkliche Sein der mensch- 
Uehen Seele ausmacht, ist nichts anderes f als die Vor- 
stellung einer einzebien, wirklich eadstirenden SacJie, 

B. Das Wesen des Menschen wird durch gewisse 
Zustande der Attribute Gottes gebildet (ü. L. 10 Z), 
nämlich durch die Zustände des Denkens (11. A. 2) , von 
denen die Vorstellung der Natur nach der erste von allen 
Zuständen des Denkens ist (II. A. 3). Ist diese Vor- 
stellung gegeben, so müssen die übrigen Zustände des 
Denkens (denen nämlich die Vorstellung von Katur vor- 
geht) in demselben Einzelwesen sein (II. A. 4). Daher 
ist die Vorstellung das Erste, was das Sein der mensch- 
lichen Seele ausmacht, aber nicht die Vorstellung einer 
noch nicht existirenden Sache; denn dann könnte man 
nicht sagen, dass die Vorstellung selbst existirt (II. L. 8 Z). 
Es muss deshalb die Vorstellung einer wirklich existiren- 
den Sache sein. Aber auch nicht die Vorstellung von 
einer unendlichen Sache; denn eine unendliche Sache 
muss immer nothwendig existiren (I. L. 21 und^23); aber 
dies ist widersinnig (IL A. 1). Das erste also, was 
das wirkliche Sein der menschlichen Seele ausmacht, 
ist die Vorstellung einer einzelnen wirklich existiren- 
den Sache. 

Z. Hieraus erglebt sich, dass die menschliche Seele 



60 n. Tfaefl. üeber die Seele. 

ein Theil des unendlichen Verstandes Gottes ist Wenn 
wir femer sagen, dass cGe mensdbliclie Seele dies oder 
jenes auffasst, so sagen wir nichts anderes, als dass 
Grott, nidit insofern er nnendlieh ist, sondern insofern 
er sich durch die Natur der menschlichen Seele darstellt, 
oder insofern er das Wesen der menschlichen Seele aus- 
macht, diese oder jene Vorstellung hat; und wenn wir sagen, 
dass Gott diese oder jene Vorstellung habe, nicht Moss 
insofern er die Natur der menschlichen Seele ausmacht, 
sondern insofern er zugleich mit der menschlichen Seele 
auch die Vorstellung einer andern Sache hat, dann sagen 
wir, dass die menschliche Seele die Sache nur. theilweise 
d. h. unzureichend auffasse. 

£• Hier werden sichertich die Leser stocken und es 
wird ihnen vieles einfallen, was ihnen Bedenken macht; 
deshalb bitte ich sie mit mir langsam weiter zu gehen 
und nicht eher ihr Urtheil zu fallen, als bis sio Alles 
durchlesen haben. **) 

% 

L. 12« Alles, was in dem Gegenstande der Vor- 
stellung j wele/te die menschliche Seele ausmacht y v(yt*- 
gehtj dies muss von der m^ischUchen Seele aufgefcLsst 
werden; oder es wird von diesem Gegenstande noth- 
wendig eine Vorstellung in der Seele geben; d^ A. wenn 
der Gegenstand de^* Vorstellung^ welcite die msnsch- 
lio/ie Seele ausmacht, ein Körper ist^ so kann in 
diesem Körper nichts vergehen, was von der Seele 
nicht aufge/asst wird, 

B. Denn Alles, was in dem Gegenstande irgend einer 
Vorstellung vorgeht, davon giebt es nothwendig in Gott eine 
Kenntnifls (II. L. 9 Z.), insofern er als von der Vorstellung 
dieses Gegenstandes erregt aufge&sst wird, d. h. insofern 
er die Seele eines Gegenstandes büdet (11. L. 11). Was 
also in dem Gegenstande der Vorstellung, welche die 
menschliche Seele ausmacht, vorgeht, davon giebt es 
nothwendig eine Eenntniss in Gott, soweit er die Natur 
der menschlichen Seele ausmacht, d. h., die Eenntniss 
desselben wird nothwendig in der Seele sein, oder die 
Seele fasst es auf (II. L. 11 Z.). 

E. Dieser Lehrsatz folgt auch aus n. L. 7 E. und 
wird dadurch deutlicher eingesehen. ^) 



n. TheiL Ueber die Seele. 61 

L, 13. Der G^aenstand det*^ Voratelhmgy welche 
die mense/iltehe Seele cmemcteht^ ist ein Körper odei* 
em gewisser Zustand der Ausdehnung s der wirklich 
emtirt tmd nichts Anderes, 

B. Weim der Körper nicht der Gegenstand der 
mensclilichen Seele wäre, so wären die Yorstellnngen 
Ton den Zustanden des Körpers in Gott (U. L. 9 Z), 
nicht insofern er unsere Seele, sondern insofern er die 
Seele eines anderen Gegenstandes ausmachte, d. k die 
Yorstellungen der Zustände des Körpers wären nicht in 
unserer Seele (II. L. 11 Z.). Allein wir haben die Vor- 
stellmigen von den Zuständen des Körpers (II. A. 4), 
deshalb ist der Gegenstand der Vorstellung, welche die 
menschliche Seele ausmacht, ein Körper, und zwar ein 
wirklich existirender (11. L. 11). Ferner wenn noch etwas 
Anderes ausser dem Körper Gegenstand der Seele wäre, 
so nmsste nothwendig, da nichts existirt, aus dem nicht 
nothwendig >eine Wirkung folgt (L L. 36), es eine Vor- 
stellung irgend einer solchen Wirkung in unserer Seele 
geben (IL L. 11). Eine solche giebt es aber nicht (II. 
A. 5). Deshalb ist . der Gegenstand unserer Seele ein 
existirender Körper und nichts Anderes. 

Z. Hieraus ergiebt sich, dass der Mensch aus Seele 
nnd Körper besteht, und dass der menschliche Körper so 
eiistirt, wie wir ihn wahrnehmen. 

E. Dadurch wird es verständlich, nicht .nur, dass 
die menschliche Seele mit dem Körper vereint ist,: sondern 
anch was unter der Einheit von Seele und Körper zu 
verstehen ist. Aber diese Einheit wird Niemand zureichend 
oder bestimmt verstehen, wenn er nicht zuvor die Natur 
unseres Körpers zureichend kennt. Denn das, was bis 
hierher dargelegt worden ist, ist sehr allgemein, und gilt 
nicht blos für Menschen, sondern aueh für die übrigen 
Einzeldinge, die alle, wenn auch in verschiedenen Graden, 
doch beseelt sind. Denn von jedem Dinge giebt es noth- 
wendig in Gott eine Vorstellung, deren Ursache Gott ist, 
«benso wie dies bei der Vorstellung von dem menschlichen 
Korper der Fall ist, und mithin gilt das, was von der 
Vorstellung dee menschlichen Körpers gesagt worden ist, 
auch von der Vorstellung jedes anderen Dinges. . 

Demioch kann mau nicht -leugnen, dasadie.Vorstellun- 



62 II. Theil. Ueber die Seele. 

gen ebenso, wie die Gegenstände selbst unterschieden sind, 
und die eine yorzfiglicher als die andere ist und mehr an 
Realität enthält, je nachdem der (Gegenstand der einen 
Vorstellung vorztiglicher ist als der Gegenstand der anderen 
und mehr an Bealität enthält. Um deshalb zu bestim- 
men, was die menschliche Seele Yon den andern Seelen 
unterscheidet und worin sie die übrigen übertrifft, müssen 
wir nothwendig deren Gegenstand, d. h. wie gesagt, die 
Natur des menschlichen KOrpers kennen lernen. 

Die Natur desselben hier erlautem kann ich jedoch 
nicht; auch ist es für das, was ich beweisen will, nicht 
nothwendig. Nur das will ich im Allgemeinen bemerken: 
Je mehr ein Körper vor dem andern geeignet ist. Heh- 
reres zugleich zu thun oder zu leiden, desto mehr ist 
dessen Seele mehr wie die übrigen geeignet, Mehreres 
zugleich aufzufassen; und jemehr die Handlungen eines 
Körpers von ihm allein abhängen und je weniger andere 
Körper mit ihm zusammenwirken, desto geschickter ist 
seine Seele, bestimmt zu erkennen. Hieraus kann man 
den Werth einer Seele vor der andern abnehmen, femer 
den Grund einsehen, weshalb wir nur eine sehr verwor- 
rene Kenntniss von unserem Körper haben, und Vieles, 
was ich später hiervon ableiten werde. 

Ich habe es deshalb der Mühe werth erachtet, dies 
genauer zu erklären und zu begründen ; und deshalb muss 
Einiges über die Natur der Körper hier vorausgeschickt 
werden. •*) 

A. 1. Alle Körper bewegen sich oder mhen. 

A. 2. Jeder Körper bewegt sich bald langsamer, bald 
schneller. 

Ln. 1. Die Körper unterscheiden sich von 
einander in Bezug auf Bewegung und Ruhe, 
Schnelligkeit und Langsamkeit, aber nicht in 
Bezug auf die Substanz. 

B» Den ersten Theil dieses Satzes nehme ich als 
selbstverständlich an. Dass aber die Körper nicht in 
Bezug auf die Substanz sich unterscheiden, erhellt sowohl 
aus I. L. 5 wie 8 ; aber noch deutlicher aus dem, was in 
der Erläuterung zu I. L. 15, gesagt worden ist. 

Ln* 2. Alle Körper stimmen in Einigem mit- 
einander überein. 

B. Denn alle Körper stimmen darin überm, dass 



n. Theil. üeber die Seele. 6S 

sie die Aufasstuig eines nnd desselben Attributes enthal- 
ten, (n. D. 1.) Ferner dass sie bald langsamer, bald 
schneller, und öberLanpt, dass sie bald sich bewegen^ 
bald mhen können. 

Ln. 8. Ein bewegter o4or ruhender Körper 
muss zur Bewegung oder Euhe durch einen an- 
dern Körper bestimmt werden, welcher auch 
zur Bewegung oder Buhe yon einem anderen be- 
stimmt worden ist, und dieser wieder von einem 
anderen, und so fort ohne Ende. 

B. Die Körper sind einzelne Dinge (II. D. 1), welche 
sich nach 11. Ln. 1. in Bezug auf Bewegung oder Buhe 
von einander unterscheiden; deshalb musste Jeder zur 
Bewegung oder Buhe nothwendig von einem anderen ein- 
zelnen Dinge bestimmt werden (I. L. 28), nämlich von 
einem anderen Körper, (II. L. 6) der auch bewegt wird 
oder ruht (11. A. 1). Aber auch dieser hätte (aus dem- 
selben Grunde) sich nicht bewegen oder ruhen können, 
wenn er nicht von einem andern zur Bewegung oder Buhe 
bestimmt worden wäre. Und dieser wiederum (aus dem- 
selben Grunde) von einem andern, und so fort ohne Ende. 

Z. Hieraus ergiebt sich, dass ein bewegter Körper 
solange sich bewegt, bis er von einem andern Körper zur 
Buhe bestimmt wird, und dass ein ruhender Körper so 
lange ruht, bis er von einem anderen zur Bewegung be- 
stimmt wird. Dies ist auch selbstverständlich. Denn 
wenn ich annehme, dass z.B. der Körper A. ruht und 
ich auf andere Körper nicht Acht habe, so kann ich von 
dem Körper A. nichts aussagen, als dass er ruht. Trifit 
es sich später, dass der Körper A. sich bewegt, so konnte 
dies offenbar nicht daraus hervorgehen, dass er ruhte^ 
denn daraus konnte nur seine Buhe folgen. Wenn um- 
gekehrt angenommen wird, dass A. sich bewegt, so kann 
man, so lange man blos auf A. Acht hat, nichts als seine 
Bewegung von ihm aussagen. Trifft sich später, dass A. 
ruht, so konnte dies offenbar nicht aus der Bewegung 
hervorgehen, welche er hatte, denn aus der Bewegung 
kann . nichts Anderes folgen , als dass A. sich bewegt. 
Es tritt also die Buhe durch einen Gegenstand ein , der 
nicht in A. war, also durch eine äussere Ursache, welche 
seine Buhe bestimmt. 

A. 1» Alle Zustande, in welche ein Körper vou 



Qi ILThell. Ueber die Seele. 

meinem azuierei» Körper yerBetzi.: wird, folgen zusammen 
aus der Natur des Ersten und des Zweiten, so dass der- 
selbe. Körper sich, verschieden bejwegt, je nach der Ver- 
schiedenheit der Natur der ihn bewegenden Körper und 
ebenso, . dass verschiedene Körper, von ein und demselben 
Körper auf verschiedene Weise bewegt werden. 

A. 2. Wenn ein bewegter Körper auf einen ruhenden, 
den er nicht wegbewegen kann» stösst, so wendet er 
sich zurück, um in der Bewegung fortzufalnren, und der 
Winkel der Linie seiner Bückbewegung mit» der Ebeae 
des ruhenden Körpers, auf welchen er gestossen hat, 
wird gleich sein dem Winkel, welchen die Linie der ein- 
fallenden Bewegung mit derselben Ebene bildet. 




Soviel von den einfachsten Körpern, die.sich 
nämlich blos durch > Bewegung und Buhe, Schnelligkeit 
und L^'Ugsamkeit von einander unterscheiden. Jetzt wollen 
wir zu den/zusammengesetzten übergehen. ?®) 

D. Wenn einige Körper gleicher oder verschiedener 
Grösse von den übrigen so zusammengedrängt werden, 
dass sie auf einander liegen, oder wenn sie in gleichen 
oder verschiedenen Graden der Schnelligkeit sich bewegten, 
so dass sie sich ihre Bewegungen in einer gewissen Art 
mittheilen, so heissen diese Körper mit einander geeint 
und man sagt, dass sie sämmtÜch. einen Körper oder ein 
Einzelding bilden, was sich von den übrigen durch 
diese Yereinung der Körper unters<^heidet. 

A. 3. Je nachdem die Theile eines Einzeldings oder 
zusammengesetzten Körpers mit grösseren oder, kleineren 
Oberflächen aufeinander- liegen, desto schwerer oder leich- 
ter können sie zu einer Yeränd^ung ihrer Lage gezwun- 
gen werden, und folglieh >kaiin es um so leichter oder 
schwerer bewirkt werden, dass dieses Einzelding eine 
andere Gestalt annimmt. Daher werde ich die Körper, 
deren Theile in grossen Oberfläehen aufeinander, li^en, 



H Thefl« XJeber die Seele. 65 

hart; deren Theile in kleinen auf einander liegen, weich 
und endlich deren Theile sich unter einander bewegen, 
flüssig nennen. 

Lb, 4. Wenn von einem Körper oder Einzel- 
dinge, was aus mehreren Körpern besteht, einige 
abgetrennt werden und gleichzeitig ebenso viele 
andere derselben Natur in deren Stelle nach- 
folgen, so wird das Einzelding seine Natur wie 
vorher behalten x)hne irgend eine Veränderung 
seiner Gestalt. 

B. Denn die Körper unterscheiden sich nicht rück- 
sichtlich der Substanz. (II. Ln. 1). Aber das, was die 
Gestalt eines 'Einzeldinges ausmacht, besteht in der Ver- 
bindung von Körpern (11. Ln. 3 D.); diese bleibt aber, 
wenn auch die Körper sich fortwährend ändern (nach der 
Voraussetzung); das Einzelding wird also sowohl rück- 
sichtlich seiner Substanz, als seines Zustandes seine 
frühere Natur behalten. 

Ln. 5. Wenn die Theile, welche ein Einzel- 
ding bilden, grösser oder kleiner werden, jedoch 
in dem Verhältniss, dass alle dieselbe Weise 
der Bewegung oder Buhe, wie vorher, gegen 
einander behalten, so wird das Einzelding eben- 
falls seine Natur behalten und ohne irgend eine 
Yeränderung seiner Gestalt. 

Der Beweis dieses Lehnsatzes ist mit dem des Vor- 
gehenden gleich. 

Ln. 6. Wenn gewisse Körper, welche ein 
Einzelding bilden, genöthigt werden, ihre Be- 
wegung, die sie nach einer Bichtung hatten, in 
eine andere umzulenken, aber so, dass sie ihre 
Bewegung fortsetzen und sich gegenseitig in 
derselben Weise, wie früher mittheilen können, 
so wird ebenfalls das Einzelding seine Natur 
behalten und ohne Veränderung der Gestalt. 

B. Es erhellt dies von selbst. Denn bei dieser Vor- 
aussetzung behält das Einzelding alles, was, laut seiner 
Definition seine Gestalt ausmacht. 

Ln. 7. Ausserdem behält ein Einzelding, was 
so zusammengesetzt ist, seine Natur, mag es 

Spinoza, Ethik. O 



06 IL Thefl. üeber die Seele. 

sich im Ganzen bewegen oder rnlien, oder nach 
dieser oder jener Bichtnng sich bewegen; wenn 
nnr jeder Theil seine Bewegung behält und sie, 
so wie vorher, den übrigen mittheilt. 

B. Dies erhellt aus der Definition zu II. Ln. 4 
£. Daraus ist zu entnehmen, wie ein zusammen- 
gesetztes Einzelding auf viele Weise erregt werden und 
doch seine Natur bewahren kann. Bis hier haben wir 
ein Einzelding angenommen, was nur aus Körpern zu- 
sammengesetzt ist, die blos durch Bewegung und Buhe, 
Schnelligkeit und Langsamkeit sich unterscheiden, d. h. 
welches aus den einfachsten Xörpem gebildet ist Stellen 
wir uns nun aber ein anderes Einzelding vor, was aus 
mehreren Einzeldingen verschiedener Natur zusammen- 
gesetzt ist, so werden wir finden, dass es seinen Zustand 
noch auf mehrere andere Weise wird verändern können, 
und doch seine Natur sich bewahren. Denn wenn jeder 
Theil desselben aus mehreren Körpern zusammengesetzt 
ist (nach 11. Ln. 7), so wird jeder Theil ohne Verände- 
rung seiner Natur bald langsamer, bald schneller sich 
bewegen und deshalb seine Bewegungen den übrigen bald 
schneller bald langsamer mittheilen. Wenn wir uns nun 
noch eine dritte Art von Einzeldingen vorstellen, welche 
aus solchen der zweiten Art zusammengesetzt sind, so wer- 
den wir finden, dass sie in ihren Zuständen in viel mehr 
Weisen verändert werden können, und doch, ohne dass ihre 
Gestalt sich ändert. Und wenn wir so ohne Ende fort- 
fahren, so werden wir leicht uns vorstellen, dass die 
ganze Natur nur ein Einzelding ist, dessen Theile, d. h. 
alle Körper in unendlich vielen Zuständen wechseln, ohne 
dass das ganze Einzelding sich irgend verändert. Wäre 
es meine Absicht, die Körper zum Hauptgegenstand mei- 
ner Untersuchung zu machen, so hätte ich dies müssen 
ansf&hrlicher erklären und beweisen. Indess ist meine 
Absicht, wie gesagt, eine andere; ich habe das Vor- 
stehende nur angeführt, weil ich daraus leicht das ab- 
leiten kann, was ich zu beweisen mir vorgesetzt habe.*^ 

H. 1. Der menschliche Körper besteht aus 
sehr vielen Einzeldingen (verschiedener Natur) 
von denen jedes sehr zusammengesetzt ist 

H. 2. Von den Einzeldingen, aus welchen 



n. Thell Ueber die Seele. 67 

der menschliche Körper besteht, sind einige 
flüssig, andere weich und noch andere hart. 

H. 3. Die Einzeldinge, welche den mensch- 
lichen Körper bilden, und folglich auch der 
menschliche Körper selbst, werden von äussern 
Körpern in sehr vieler Weise erregt. 

H. 4. Der menschliche Körper braucht zu 
seiner Erhaltung sehr yieler anderer Körper, 
durch welche er fortwährend wiedererzeugt 

wird. 

H. 5. Wenn der flüssige Theil des mensch- 
lichen Körpers von einem äussern Körper be- 
stimmt wird, auf einen andern weichen oft 
anfzustossen, so verändert er dessen Fläche 
anddrückt ihm gleichsam gewisse Spuren des 
fremden stossenden Körpers ein. 

H. 6. Der menschlicheKörper kann die frem- 
den Körper auf sehr verschiedene Weise be- 
wegen und in sehr verschiedener Weise be- 
stimmen.^) 

L. 14. Die menschlic/ie Seele ist zur Auffassung 
tJon Vielem geeignet und um so mehr, je mehr ütfr 
Körper in vieler Weise bestimmt werden kann. 

B. Denn der menschliche Körper wird in sehr ver- 
schiedener Weise von fremden Körpern erregt (II. H. 3. 6) 
imd veranlasst, die fremden Körper in sehr verschiedener 
W^e zu erregen. Alles aber, was in dem menschlichen 
Körper vorgeht, inuss die menschliche Seele auffassen; 
(11. L. 12). Die meuschliche Seele ist deshalb zur Auffas- 
sung von sehr Vielem geeignet und um so mehr u. s. w. *•) 

!• 15. Die Vorstellung} welche das wirklielie 
• Sein der menschlichen Seele ausmacht j ist nicht ein- 
fcLch, sondern aus sehr vielen . Vorstellungen zusammen- 
gesetzt. 

B. Die Vorstellung, welche das wirkliche Sein der 
menschlichen Seele ausmacht, ist die Vostellung des Kör- 
pers (11. L, IB), und dieser wird aus sehr vielwi und 
sehr zusammengesetzten Einzeldingen gebildet. Aber von 

6» 



68 IL Theil üeber die Seele. 

jedem Einzeldinge, was den Körper bildet, giebt es noth- 
wendig eine Vorstellung in Gott (II. L. 8. Z.); deshalb ist 
die Vorstellung des menschlichen Körpers aus vielen Vor- 
stellungen der ihn bildenden Theile zusammengesetzt, 
(n. L. 7).»®) 

L« 16. Die Vorstellung jedes Zustandes^ in wel- 
elieii der mensehUclie Körper durch fremde Körpefi* 
versetzt wird, muss sowohl die Natur des menschlichen 
Körpers, wie die des fremden Körpers enthalten. 

B. Denn alle Zustande, in welche ein Körper ver- 
setzt wird, sind eine Folge dieses Körpers und zugleich 
dessen, der ihn versetzt. (II. H. 3. Z. A. 1). Daher 
muss die Vorstellung dieser Zustande nothwendig die 
Natur beider Körper enthalten (I. A. 4); mithin enthalt 
die Vorstellung jedes Zustandes, in welchen der mensch- 
liche Körper versetzt wird, sowohl die Natur des mensch- 
lichen Körpers, wie die des fremden. 

Z. 1. Hieraus folgt 1) dass die menschliche Seele 
die Natur vieler Körper zugleich mit ilires Körpers Natur 
auffasst. 

Z. 2. Es folgt 2) dass die Vorstellungen, die wir 
von fremden Körpern haben, mehr die Verfassung unseres 
eigenen Körpers als die Natur der fremden Körper an- 
zeigen, wie ich im Anhange zum I. Theil mit vielen Bei- 
spielen erläutert habe. *^) 

L« 17« We9in de9* menschliche Körper in einen 
Zustand versetzt isty welclwi* die Natur eines fremden 
Körpers einschliesst , so wird die mefischUcfie Seele 
diesen fremden Körper als wirklich daseiend oder i/tr 
gegenwärtig auffassen, bis ihr Körper in einen Zustand 
versetzt tmrdj welciter die Existenz oder Gegenwart 
dieses fremden Körpers ausschliesst 

B. Dies ist klar ; denn so lange der menschliche Kör- 
per sich in einem solchen Zustande befindet, so lange 
wird die menschliche Seele diesen Zustand des Körpers 
betrachten (11. L. 12) d. h. sie wird die Vorstellung eines 
wirklich existirenden Zustandes haben (11. L. 16), welcher 
die Natur des fremden Körpers mit enthält, d. h. eine 
Vorstellung, welche die Existenz öder Gegenwart der Natur 
eines fremden Körpers nicht ausschliesst, sondern setzt. 



ILTheil üeber die Seele. 69 

Mithin wird die Seele einen fremden Körper als wirklich 
eiistirend und gegenwärtig betrachten (II. L. 16. Z.), bis 
ein anderer Zustand u. s. w. 

Z. Die Seele kann fremde Körper, von denen der 
menschliche Körper einmal erregt gewesen ist, auch wenn 
sie nicht existiren und nicht gegenwärtig sind, dennoch 
so betrachten, als wenn sie gegenwärtig wären. 

B. Wenn fremde Körper die flüssigen Theile des 
menschlichen Körpers so bestimmen , dass sie auf die 
weicheren oft aufstossen, so ändern sie deren Ober- 
flächen (II. H. 5), weshalb sie von ihnen auf andere 
Weise zurückgestossen werden, als es früher zu geschehen 
pflegt und weshalb sie auch später, wenn sie auf diese 
neuen Oberflächen durch ihre freiwillige Bewegung auf- 
stossen, auf dieselbe Weise zurückgeworfen werden, als 
wenn sie von fremden Körpern gegen diese Oberflächen 
gestossen worden wären. Folglich erregen sie den mensch- 
lichen Körper, wenn sie fortfahren so zurückgeworfen sich 
zu bewegen, auf dieselbe Weise, und die Seele wird davon 
ebenso denken (II. L. 12), d. h. die Seele wird den frem- 
den Körper wieder als gegenwärtig betrachten ; (11. L. 17) 
und zwar so oft, als die flüssigen Theile des mensch- 
licben Körpers in ihrer freiwilligen Bewegung densel- 
ben Oberflächen begegnen werden. Wenn also auch die 
fremden Körper, von denen der menschliche Körper ein- 
mal erregt worden ist, nicht existiren, so wird doch die 
Seele sie so oft als gegenwärtig betrachten, als diese 
Thätigkeit des menschlichen Körpers sich wiederholen 
wird. 

£. Man sieht damit, wie es möglich ist, dass wir das, 
was nicht ist, als gegenwärtig betrachten, wie oft ge- 
schieht. Es ist auch möglich, dass dies auch aus andern 
Ursachen eintritt; doch genügt es mir, hier eine auf- 
gezeigt zu haben, durch welche ich den Vorgang so er- 
klären kann, als wenn ich ihn durch seine wahre Ursache 
dargelegt hätte. Ich glaube indess nicht, dass ich von 
der Wahrheit weit abirre, da alle dabei von mir ange- 
nommenen Voraussetzungen kaum etwas enthalten, was 
nicht nach der Erfahrung feststünde, und wir in diese 
Erfahrung nicht Zweifel setzen dürfen, nachdem- ich ge- 
zeigt habe, dass der menschliche Körper so existirt, wie 
wir ihn sinnlich wahrnehmen. (II. L. 13. Z.) Ausserdem 



70 n. Theü. üeber die Seele. 

erkennen wir deutlich den Unterschied (11. L, 16. Z. 2, 
nnd L. 17. Z.) zwischen der Yorstellnng z. B. des Peter^ 
welcher das Wesen des Peter ausmacht und zwischen 
der Vorstellung desselben Peter, welche in einem andern 
Menschen, ^a in Paul ist; denn jene drückt das Wesen 
des eigenen Körpers des Peters geradezu aus und ent- 
hält nur so lange die Existenz, als Peter existirt; diese 
zeigt aber mehr einen Zustand in dem Körper des Paul 
an, als die Natur des Peter und wird daher des Paul 
Seele, so lange dieser Zustand des Körpers von Paul 
dauert, den Peter, wenn er auch nicht existirt, doch als 
sich gegenwärtig betrachten. Ferner werden wir, um die 
gewohnten Ausdrücke beizubehalten, die Zustaiide des 
menschlichen Körpers, deren Vorstellungen uns die frem* 
den Körper als gegenwärtig darstellen, die Bilder 
der Dinge nennen, obgleich sie die Gestalten der Dinge 
nicht wiedergeben; und wenn die Seele auf diese Weise die 
Körper betrachtet, werden wir sagen, dass sie dieselben sich 
bildlich vorstellt. Und hier bitte ich, damit ich be- 
ginne zu zeigen, was Irrthum ist, zu bemerken, dass die 
bildlichen Vorstellungen der Seele, an sich betrachtet, 
keinen Irrthum enthalten , d. h. , dass die Seele deshalb, 
weil sie sich etwas bildlich vorstellt, nicht irrt; sondern 
nur in dem Betracht, dass ihr die Vorstellung fehlt, 
welche die Existenz der Dinge ausschliesst, die sie sich 
als gegenwärtig bildlich vorstellt. Denn wenn die Seele, 
während sie sich Dinge, die nicht existiren, als gegen- 
wärtig vorstellt, zugleich wüsste, dass sie in Wahrheit 
nicht existiren, so würde sie diese Kraft, sich bildlich 
vorzustellen, eher zu den Vorzügen, als zu den Fehlern 
ihrer Natur rechnen; zumal wenn dieses Vermögen des 
bildlichen Vorstellens von ihrer Natur allein abhinge, 
d. h. wenn dieses Vermögen des bildlichen Vorstellens 
der Seele frei wäre. (I. D. 7).»«) 

Jj* 18« Wenn der menschlicJie Körper einmal von 
zwei oder mehreren Körpern zugleich erregt ivorden 
ist, 80 entsinnt sich die Seele, wenn sie später einen 
von ihnen sich vorstellt, sofoo't auch der andern. 

B« . Die Seele stellt sich deshalb einen iS^örper bild- 
lich vor (nach L. 17. Z), weil der menschliche Körper 
von den Spuren des fremden Körpers ebenso erregt und 



n. TheiL Ueber die Seele, 71 

bestimmt wird, wie wenn einige seiner Theile Ton dem 
fremden Körper selbst den Stoss erhalten hatten. Nun 
war (nach der Yoranssetznng) der Körper so bestimmt 
worden, dass die Seele zugleich zwei Körper sich bildlidi 
yorstellte; folglich wird sie auch jetzt zugleich zweie 
sich Yorstellen und die Seele wird, sobald sie den Einen 
sich vorstellt, sofort auch des Andern sich erinnern. 

£• Hieraus ergiebt sich deutlich, was das Gedächt- 
niss ist. Es ist nämlich nur eine gewisse Verknüpfung 
der Vorstellungen, welche die Natur der ausserhalb des 
inenschlichen Körpers befindlichen Dinge mit enthalten. 
Diese Verkettung bildet sich in der Seele nach der Ord- 
nung und Verknüpfung der Erregungen des mensch- 
lichen Körpers. 

Ich sage erstens: Eine Verknüpfung von nur sol- 
chen Vorstellungen, welche die Natur der Dinge ausser- 
halb des menschlichen Körpers mit enthalten, aber nicht 
eine Verkettung solcher Vorstellungen, welche die Natur 
derselbigen Dinge darlegen. Denn sie sind in Wahrheit 
Vorstellungen von den Erregungen des menschlichen Kör- 
pers, welche sowohl die Natur dieses, als der fremden 
Körper einschliessen. (II. L. 16). 

Ich sage zweitens: Eine Verkettung der Erregun- 
gen des menschlichen Körpers, um sie Ton der Verket- 
tung der VorsteUungen zu unterscheiden, welche nach der 
Orctoung des Verstandes geschieht, mittelst welcher die 
Seele die Dinge durch ihre ersten Ursachen erfasst, und 
welche Ordnung bei allen Menschen dieselbe ist. 

Hieraus erkennt man auch deutlich, warum ein Mensch 
Ton dem Gedanken eines Gegenstandes sofort auf den 
Credanken eines andern kommt, obgleich er mit dem 
vorigen keine Aehnlichkeit hat. So kommt z. B. ein Kömer 
von dem Gedanken des Wortes Pomus (Apfel) sofort 
anf den Gedanken der Frucht, die mit jenem artikulirten 
Lant keine Aehnlichkeit hat und die mit ihm nichts ge- 
mein hat, als d^s von diesen Beiden der Körper des- 
selben oft erregt worden ist, d. h., dass dieser Mensch 
oft das Wort Pomus gehört hat, während er die Frucht 
selbst sah. So wird jeder von einem Gedanken auf einen 
anderen kommen, wie die Gewohnheit eines Jeden die 
Bilder der Dinge in dem Körper geordnet hat. So wird 
ein Soldat z. B*, wenn er die Spuren eines Pferdes im 



72 ILTheiL üeber die Seele. 

Sande sieht, sofort von dem Gedanken eines Pferdes auf 
den des Beiters nnd yon diesem anf den Gedanken des 
Krieges u. s. w. kommen; aber der Baner wird von dem 
Gedanken des Pferdes änf den Gedanken des Pfluges, 
des Ackers u. s. w. kommen. So kommt Jeder danach, 
wie er sich gewöhnt hat, die Bilder der Dinge auf 
diese oder jene Weise zu verbinden nnd zu ver- 
knüpfen, von dem einen anf diesen oder anf einen andern 
Gedanken. **) 

L« 19. Die menschlielie Seele kennt ihren eigenen 
Körper und dose er eaistirt, nur durch die Vorstel- 
lungen der Zuständey in welclte ihr Körper versetzt wird. 

B. Denn die menschliche Seele ist die Yorstellnng 
selbst oder die Kenntniss des menschlichen Körpers (IL 
L. 13), welche zwar in Gott ist (lt. L. 9), insofern als 
er anfgefasst wird als erregt durch eine andere Vorstel- 
lung einer einzelnen Sache; weil aber der menschliche 
Körper (11. H. 4) sehr vieler Körper bedarf, durch die 
er fortwährend gleichsam wieder erzengt wird und die 
Verknüpfung der Vorstellungen dieselbe ist, wie die Ord- 
nung und Verknüpfung der Ursachen (11. L. 7), so wird 
diese Vorstellung in Gott sein, insofern er von den Vor- 
stellungen mehrerer einzelner Dinge erregt anfgefasst 
wird. Gott hat also die Vorstellung des menschlichen 
Körpers oder kennt den menschlichen Körper, insofern 
er von sehr vielen andern Vorstellungen erregt ist und 
nicht insofern er die Natur der menschlichen Seele aus- 
macht, d. h. die menschliche Seele kennt ihren Körper 
nicht. (II. L. 11. Z.) Aber die Vorstellungen der Zu- 
stande des Körpers sind in Gott, soweit er die Natur der 
menschlichen Seele ausmacht, oder die menschliche Seele 
fasst diese Zustande auf (II. L. 12) und folglich auch 
den menschlichen Körper selbst; (11. L. 16) und zwar 
als wirklich existirend. (II. L. 17). Die menschliche 
Seele erfasst also nur insoweit ihren eigenen Körper.*^) 

L« 20« Von der menschliehen Seele gieht es ctuch 
in Gott eine Vorstellung oder Kenntniss y welche in 
Gott auf dieselbe Weise folgt mid auf Gott in der- 
selben Weise sich bezieht^ wie die Vorstellung oder 
Kenntniss des menschlichen Körpers, 






n. Theil. Ueber die Seele. 73 

B. Das Denken ist ein Attribut Gottes (II. L. 1), folg- 
lich muss sowohl davon (II. L. 3) als von allen dessen 
Zuständen und folglich anch von der menschlichen Seele 
(ü.. L 11) es nothwendig in Gott eine Vorstellung geben. 
Sodann folgt nicht, dass diese Vorstellung oder Kennt* 
niss der Seele in Gott besteht,, insoweit er unendlich ist, 
sondern soweit er durch eine andere Vorstellung einer 
einzelne^ Sache erregt ist. (II. L. 9). Die Ordnung 
und Verknüpfung der Vorstellungen ist aber dieselbe, wie 
die Ordnung und Verknüpfung der Ursachen (II. L. 7); 
daraus ergiebt sich, dass diese Vorstellung oder Kennt- 
niss der Seele in Gott ist und sich auf Gott in derselben 
Weise bezieht, wie die Vorstellung oder Kenntniss des 
Körpers. ^) 

L. 21. Die Vorstellung dei* Seele ist auf dieselbe 
Weise mit der Seele geeint, loie die Seele selbst mit 
dem Körper geeint ist 

B. Dass die Seele mit dem Körper vereint ist, habe 
ich dadurch bewiesen, dass der Korper der Gegenstand 
der Seele ist (IL L. 12. 13). Folglich muss aus dem- 
selben Grunde die Vorstellung der Seele mit ihrem Ge- 
genstande, d. h. mit der Seele selbst in derselben Weise 
vereint sein, wie die Seele mit dem Körper vereint ist. 

£• Dieser Lehrsatz erhellt viel deutlicher aus dem 
zu IL L. 7. E. Gesagten. Dort habe ich nämlich ge- 
zeigt, dass die Vorstellung des Körpers und der Körper, 
d. h. die Seele und der Körper (IL L. 13) ein und das- 
selbe Einzelding sind, was bald unter dem Attribute des 
Benkens, bald unter dem der Ausdehnung aufgefasst 
wird. Deshalb ist die Vorstellung von der Seele und die 
Seele selbst ein und derselbe Gegenstand, welcher unter 
ein und demselben Attribut, nehmlich dem des Denkens, 
aufgefasst wird. Ich sage, es folgt, dass die Vorstellung 
der Seele und die Seele selbst mit derselben Nothwen- 
digkeit und aus derselben Macht des Denkens in Gott 
bestehen. Denn in Wahrheit ist die Vorstellung von der 
Seele, d. h. die Vorstellung von einer Vorstellung nichts 
anderes als das Wirkliche der Vorstellung, insoweit diese 
als ein Zustand des Denkens und ohne Beziehng auf den 
Gegenstand aufgefasst wird. Denn sobald jemand etwas 
'vreiss, so weiss er auch damit, dass er es weiss, und er 



74 HTheiL üeber die Seele. 

weiss Zugleich, dass er sein Wissen weiss nnd so fort 
ohne Ende. Doch hierüber später.^) 

L. 22. Die mensehUöhe Seele erfasst nicht blos 
die Zustände des Körpers^ sondern cateh die Vor- 
steJhaigen dieser Zustäwfe, 

B. Die Vorstellungen Ton den Vorstellungen der 
Zustände folgen in Gott in derselben Weise und werden 
auf Gott in derselben Weise bezogen, wie die Vorstellun- 
gen der Zustände selbst; dies wird auf dieselbe Weise 
bewiesen wie n. I^hrsatz 20. Aber die Vorstellungen 
der Zustände des Körpers sind in der menschlichen Seele 
(ü. L. 12), d. h. in Gott (11. L. 11. Z.), soweit er das 
Wesen der menschlichen Seele ausmacht. Deshalb werden 
die Vorstellungen von diesen Vorstellungen in Gott sein, 
insofern er die Eenntniss oder Vorstellung von der mensch- 
lichen Seele hat, d. h. in der Seele selbst, (II. L. 21) 
welche deshalb nicht blos die Zustände des Eöi'pers, son- 
dern auch deren Vorstellungen aufifasst. ^ 

L« 33. Die Seele kennt sieh selbst mir, insofern 
sie die Vorstellungen von den Zuständen des Körpers 
erfassU 

B« Die Vorstellung oder Eenntniss der menschlichen 
Seele folgt in Gott auf dieselbe Weise und wird auf 
Gott in derselben Weise bezogen (11. L. 20), wie die Vor- 
stellung oder Eenntniss des Eörpers. Da aber die mensch- . 
liehe Seele den menschlichen Eörper selbst nicht kennt 
(II. L. 19), d. h. da die Eenntniss des menschlichen Eör- 
pers auf Gott nicht bezogen wird (11. L. 11. Z), insofern 
er die Natur der menschlichen Seele ausmacht, so wird 
auch die Eenntniss der Seele nicht auf Gott bezogen, 
insofern er das Wesen der menschlichen Seele ausmacht, 
und deshalb kennt die menschliche Seele sich selbst nicht. 
(II. L. 11. Z). Femer enthalten die Vorstellungen der 
Zustände, welche in dem Eörper erregt werden, die Natur 
des Eörpers selbst (11. L. 16. Z.), d. h. sie stimmen mit 
der Natur der Seele überein (II. L. 13). Die Eenntniss 
dieser Vorstellungen schliesst also nothwendig die Eennt- 
niss der Seele ein; die Eenntniss dieser VorsteUungen ist 
aber in der menschlichen Seele selbst (II. L. 22). Des- 



n. Theil. Ueber die Seel«. 75 

halb kennt sieh Iselbst die menschliehe Seele nur in 

soweit.^) 

• L. 24, Die mensehÜelie Seele entJiäh nicht -die 
zureicJiende Kenntniss der llieile, welclie den mensch- 
liehen Kö9*per bilden, 

B. Die Theile, welche den menschlichen Körper bil- 
den, gehören nur insoweit zu dem Wesen dieses Körpers, 
als sie ihre Bewegungen sich gegenseitig in gewisser 
Weise mittheilen; (Ln. 3. D hinter Z) aber nicht, insoweit 
sie als Einzeldinge, ohne Beziehung auf den menschlichen 
Körper, aufgefasst werden können. Denn die Theile des 
menschlichen Körpers sind zusammengesetzte Einzeldinge 
(H. 1), deren Theile von dem menschlichen Körper ohne 
Veränderung seiner Natur und Gestalt -sich trennen 
(II. Ln. 4) und ihre Bewegungen andern Körpern in 
anderer Weise mittheilen können (IL Ln. 3. A. 2). Des» 
halb wird die Vorstellung oder Kenntniss jedes Theiles 
in Gott sein (II. L. 3), insofern er aufgefasst wird als 
erregt durch eine andere Vorstellung einer einzelnen 
Sache, welch^einzelne Sache nach der Ordnung der Natur 
dem Theile selbst vorgeht (IL L. 7). Dasselbe gilt von 
jedem Theile des Einzeldinges, was den menschlichen 
Körper bildet, also ist die Kenntniss von jedem, den 
menschlichen Körper bildenden Theil in Gott, insofern er 
von mehreren Vorstellungen von Dingen erregt ist und 
nicht, insofern er nur die Vorstellung des menschlichen 
Körpers hat; d. h, die Vorstellung, welche die Natur der 
menschlichen Seele bildet (IL L. 13). Daher enthält die 
menschliche Seele keine zureichende Kenntniss von den 
Theilen des menschlichen Körpers. 8®) 

L, 25. Die Vorstellung eitles jeden ^ustandes des 
menschlichen Körpers enthält nicht die zureichende 
Kenntniss eines fremden Körpers, 

B. Die Vorstellung von einem Zustande des mensch- 
lichen Körpers, enthält, wie wir gezeigt haben (11. L. 10), 
insoweit die Natur des fremden Körpers, als dieser den 
menschlichen Körper auf eine gewisse Weise bestimmt. 
Insoweit aber der fremde Körper ein Einzelding ist, was 
nicht zu dem menschlichen Körper gehört, ist dessen 
Yorstellung oder Kenntniss in Gott (IL L, 9), insofern 



76 n. Theil. Ueber die Seele. 

Gott als. durch die Yorstellang einer andern Sache erregt 
aufgefasst wird, welche dem fremden Körper Ton liTatnr 
vorgeht. (11. L. 7). Deshalb ist die zureichende Kennt- 
niss des fremden Körpers nicht in Gott, insofern er die 
Yorstellang von einem Zustande des menschlichen Körpers 
hat; oder die Yorstellung von einem Zustande des mensch- 
lichen Körpers enthält nicht die zureichende Kenntniss 
des fremden Körpers. ^^) 

L« 26. Die menschltc/ie Seele nimmt einen frem- 
den Körper nur durch die Vorstellungeil von den Zu' 
standen ihres Körpers als wirklich existirend wahr, 

B. Wenn der menschliche Körper von einem frem- 
den Körper in keiner Weise erregt ist, so ist auch die 
Yorstellung des menschlichen Körpers (II. L. 7) d. h. so 
ist auch die menschliche Seele in keiner Weise mit der 
Yorstellung der Existenz dieses Körpers befasst, (II. L. 13) 
d. h. sie nimmt in keiner Weise die Existenz dieses frem- 
den Körpers wahr. Aber so weit der menschliche Körper 
von einem fremden Körper auf irgend eine Weise erregt 
wird, insoweit nimmt sie den fremden törper wahr. 
(IL L. 16 und Z.) 

Z, Soweit die Seele einen fremden Körper sich bild- 
lich vorstellt, soweit hat sie keine zureichende Kenntniss 
von demselben. 

B. Wenn die menschliche Seele den fremden Kör- 
per vermittelst der Yorstellungen der Zustande ihres 
Körpers betrachtet, so sagen wir, dass sie bildlich 
vorstellt (n. L. 17. E.). Der Mensch kann nur in 
dieser Weise sich die wirkliche Existenz der fremden 
Körper vorstellen (11. L. 25). Insofern also die Seele 
die fremden Körper sich bildlich vorstellt, hat sie keine 
zureichende Kenntniss von ihnen.'**) 

L, 27, Die Vorstellung irgend eines Zustandes 
des menschlichen Körpers enthält keine zureichende 
Kenntniss des rnenschliclien Körpers seihst 

B. Jede Yorstellung eines Zustandes des mensch- 
lichen Körpers enthält in soweit die Natur desselben, als 
er in gewisser Weise erregt aufgefasst wird (II. L.- 16). 
Insofern aber der menschliche Körper ein Einzelding ist, 



n. Theü. Ueber die Seele. 7T 

was auf Yiele andcTe Weise erregt werden kann; so ist 
dessen Vorstellung u. s. w. (Siehe II. L. 25. B.) ^*) 

L. 28. Die Vorstellungen der Zustände des mensch- 
liclien Körpers^ sind, soweit sie nur (xuf die mensch- 
Uelte Seele bezogen werden, nicht klar und bestimmt^ 
sondern verwon'en. 

B. Denn die Yorstellmigen Ton den Zustanden de& 
menschlichen Körpers enthalten sowohl die Natur der 
fremden Körper, wie des menschlichen Körpers selbst 
(U. L. 16). Sie müssen aber nicht blos die Natur de^ 
menschlichen Körpers, sondern auch seiner Theile enthal- 
ten; dßnn diese Zustände sind Vorgänge (H. 3), durch 
welche die Theile des menschlichen Körpers und folglich 
der ganze menschliche Körper erregt wird. Aber die 
zureichende Kenntniss der fremden Körper, so wie der 
den menschlichen Körper bildenden Theile ist nicht in 
Gott, insofern er mit der menschlichen Seele, sondern 
insofern er mit andern Vorstellungen befasst ist (II. L. 
24. 25). Die Vorstellungen dieser Zustände gleichen mit- 
hin, insofern' sie blos auf die menschliche Seele bezogen 
werden, einem Schluss ohne die Vordersätze, d. h. sie sind 
(wie von selbst erhellt) verworren. 

E. Die Vorstellung, welche die Natur der mensch- 
lichen Seele ausmacht, ist aus denselben Gründen, für 
sich betrachtet, nicht klar und bestimmt; dasselbe gilt 
von der Vorstellung der menschlichen Seele und von den 
Vorstellungen der Vorstellungen der Zustände des mensch- 
lichen Körpers, soweit sie blos auf die Seele bezogen 
werden, wie jeder einsehen kann.***) 

L. 29. Die Vm'stellung von der Vorstellung irgend 
eines Zustandes des ^menschlichen Körpers enthält 
keine zureic/iende Kenntniss der msnschliclven Seele. 

B. Die Vorstellung eines Zustandes des menschlichen 
Körpers (IL L. 27) enthält keine zureichende Kenntniss 
des Körpers oder drückt dessen Natur nicht zureidiend 
aus; d. h. sie stimmt mit der Natur der Seele nicht voll- 
kommen entsprechend überein (II. L. 13). Die Vorstel- 
lung dieser Vorstellung drückt also die Natur der mensch- 
lichen Seele nicht vollkommen entsprechend aus oder 
enthält keine zureichende Kenntniss derselben. (I. A. 6). 



78 U. TheiL üeber die Seele. 

Z* Hieraus ergiebt sich, dass die menschliche Seele, 
80 oft sie nach dem gewöhnlichen Laufe der Natur auf- 
fasst, keine zureichende, sondern nur eine verworrene und 
verstümmelte Kenntniss von sich selbst und von ihrem 
Körper und von den fremden Körpern hat. Denn die 
Seele kennt sich selbst nur, insofern sie die Vorstellun- 
gen der Zustande des Körpers vorstellt (11. L. 23). Ihren 
Körper aber erfasst die Seele nur durch die Vorstellung 
seiner Zustände (11. L. 19), und dadurch erfasst sie auch 
nur die fremden Körper (II. L. 26). Sie hat mithin in 
diesen Vorstellungen keine zureichende Kenntniss weder 
von sich selbst (11. L. 29), noch von ihrem Körper 
(II. L. 27), noch von den fremden Körpern (11. L. 25), 
sondern nur eine verstümmelte und verworrene (11. L. 28 
mit E.). 

£. Ich sage ausdrücklich, dass die Seele von sich 
und von ihrem Körper und von den fremden Körpern 
keine zureichende, sondern nur eine verworrene Kenntniss 
hat, so lange sie die Gegenstände in der gewöhnlichen 
Weise vorstellt, d. h. so lange sie von aussen, aus dem 
zufalligen Begegnen der Gegenstände, bestimmt wird, 
dies oder jenes zu betrachten und so lange sie nicht 
von innen, und zwar deshalb, weil sie mehrere Gegen- 
stände zugleich betrachtet, bestimmt wird, deren üeber- 
einstimmung, Unterschiede und Gegensätze zu erkennen. 
Denn wenn sie auf diese oder eine andere Weise von 
innen veranlasst wird, dann betrachtet sie die Gegenstände 
klar und bestimmt, wie ich unten zeigen werdet) 

L« 30. Wir können von der Dauer unsei^ea Kör- 
pe9*8 nur eine sehr unzureichende Kenntniss haben, 

B. Die Dauer unseres Körpers hängt nicht von dessen 
Wesen ab (II. A. 1) und auch nicht von der unbeding- 
ten Natur Gottes (I. L. 21). Der Körper wird vielmehr 
zur Existenz und Thatigkeit von solchen Ursachen be- 
stimmt (I. L. 28), welche wieder von Andern zur Existenz 
und Thatigkeit auf eine gewisse Weise bestimmt worden 
sind, und diese sind wieder von Andern bestimmt . worden 
und so ohne Ende. Die Dauer unseres Körpers hängt 
deshalb von einer gemeinsamen Ordnung der Natur und 
von der Verfassung der Dinge ab. In welcher Weise 
aber die Dinge geordnet sind, davon besteht die zurei- 



ILTheü. Ueber die Seele. 79 

ebenda Eenntniss in Gott, insofem er die Yorsiellimgen 
aller dieser Dinge hat, nnd nicht blos die des mensch- 
lichen Körpers (11. L. 9. Z.). Deshalb ist die Eenntniss 
der Dauer unseres Körpers sehr unyollkommen in Gott, 
insofem er nur als die Natur der menschlichen Seele 
bildend aufgefasst wird (11. L. 11 Z), d. h. diese Kennt- 
niss in unserer Seele ist sehr unyollkommen. 

L, 31* Wir können von der Dauer der einzelnen 
Dinge xmsser uns nur eine sehr unzureichende Kefnnt- 
niss Jiaben. 

B. Denn jede einzelne Sache, ebenso wie der mensch- 
liche Körper, sind von einer andern einzelnen Sache auf 
eine gewisse und feste Weise zur Existenz und Thätigkeit 
bestimmt; ebenso diese yon Andern und sofort ohne Ende 
(I. L. 28). Da nun im yorigen Lehrsatz aus dieser, allen 
einzehen Dingen gemeinschaMichen Eigenschaft, bewiesen 
worden ist, dass wir yon der Dauer unseres Körpers nur 
eine sehr unzureichende Kenntniss haben, so wird dasselbe 
von der Dauer der einzelnen Dinge gelten müssen, näm- 
lich, dass wir yon ihr nur eine sehr unzureichende Kennt- 
niss haben können. 

Z. Hieraus folgt, dass alle einzelnen Dinge zufallig 
und yergänglich sind; denn yon ihrer Dauer können wir 
keine zureichende Kenntniss haben (II. L. 31), und dies 
ist es, was unter Zufälligkeit und Vergänglichkeit der 
Dinge zu yerstehen ist (I. L. 33. E. .1). Denn ausser- 
dem giebt es nichts Zufälliges (I. L. 29). -**) 

L. 32. Alle Vorstellungen^ insofern sie auf Gott 
bezogen werden, sind wahr, 

B. Alle Yorstellungen, die in Gott sind, stimmen 
überhaupt mit ihrem Vorgestellten überein (11. L. 7. Z), 
und deshalb sind sie alle wahr (I. A. 6). 

L. 33* In den Vorstellungen ist nichts Positivesy 
dessenwegen sie falsch genannt werden, 

B. Wer dies bestreitet, stelle sich, wenn er es yer- 
niag, eine positiye Weise des Denkens yor, welche das 
Wirklidie des* Irrthums oder der Falschheit ausmacht. 
Diese Art des Denkens kann nicht in Gott sein (II. L. 32). 
Ausserhalb Gottes kann sie aber auch nicht sein, noch 



80 n. Tbeil. üeber die Seele. 

vorgestellt werden (I. L. 15). Es kann also nichts Po- 
sitives in den Vorstellungen geben, weshalb sie falsch 
genannt werden. 

L* 34. Jede Vorstelbaiff, welcits in uns unbedingt 
oder zureic/iend, oder vollkommen ist, ist waltr. 

B* Wenn wir sagen, dass es in un& eine zureichende 
oder vollkommene Vorstellung gebe, so sagen wir nichts 
Anderes, als dass in Gott, soweit er das Wesen unserer 
Seele ausmacht, eine zureichende und vollkommene Vor- 
stellung bestehe (IE. L. 11. Z.); und desshalb sagen wir 
nichts Anderes, als dass solche Vorstellung wahr sei 
(H. L. 32). 

L. 36* Die Unwahrheit besteht in einem Mangel 
der Kenntnissj welchen die unangemessenen oder ver- 
stSmmeUen oder verworrenen VorsteUtmgen enthalten, 

B. Es giebt nichts Positives in den Vorstellungen, 
was das Wirkliche der Falschheit ausmachte (11. L. 33) ; 
die Unwahrheit kann aber nicht in einem unbedingten 
Mangel bestehen, denn man sagt von den Seelen ^und 
nicht von den Körpern, dass sie irren oder täuschen; 
aber auch nicht in einer unbedingten Unwissenheit, denn 
Nichtwissen und Irren sind verschieden. Die Falschheit 
besteht deshalb in einem Mangel der Kenntniss, welchen 
die unzureichende Kenntniss der Dinge oder die un- 
zureichenden und verworrenen Vorstellungen derselben 
enthalten. 

E. In der Erläuterung zu 11. L. 17 habe ich dar- 
gelegt, in welcher Weise der Irrthum aus einem Mangel 
der Kenntniss besteht; indess will ich zur mehreren Ver- 
deutlichung ein Beispiel geben. Nämlich: die Menschen 
täuschen sich, weil sie sich für frei halten ; diese Meinung 
besteht aber nur darin, dass sie zwar ihre Handlungen 
kennen, aber nicht die Ursachen, durch welche sie be- 
stimmt werden. Dies ist also die Vorstellung ihrer Frei- 
heit, dass sie keine Ursache ihrer Handlungen kennen. 
Denn wenn sie sagen, dass die menschlichen Handlungen 
von dem Willen abhängen, so sind dies Worte, bei denen 
sie sich Nichts vorstellen; denn Niemand weiss, was der 
Wille ist und wie er den Körper bewegt. Alle, welche 
hierüber etwas aufstellen, Sitze und Wohnorte der Seele 



n. Theil. Ueber die Seele. ' 81 

ausdenken, pflegen Lachen oder Ekel . zn erregen. Ebenso 
stellen wir, wenn wir die Sonne sehen, uns vor, sie sei 
ungefähr 200 Fuss von uns entfernt; ein Irrthum, der 
in dieser bildlichen Vorstellung allein nicht enthalten ist, 
sondern darin, dass während wir so uns die Sonne vor- 
stellen, wir die wahre Entfernung derselben und die Ur- 
sache unserer bildlichen Vorstellung nicht kennen. Denn 
wenn wir auch später erkennen, dass die Sonne über 
600 Erddurchmesser von uns entfernt ist, so bleibt dessen- 
ungeachtet in uns die bildliche Vorstellung, dass sie 
nahe bei uns sei; denn wir stellen uns die Sonne nicht 
deshalb als nahe vor, weil wir ihre wahre Entfernung 
nicht kennen, sondern weil die Erregung unseres Körpers 
das Wesen der Sonne nur in so weit einschliesst, als 
unser Körper davon erregt wird. *®) 

L. 36, Die unzureichenden und verworrenen Vor- 
stellungen folgen sich mit derselben Nothwendigkeit^ 
wie die zureiclienden oder klaren und bestimmten Vor- 
stellungen. 

B. Alle Vorstellungen sind in Gott (I. L. 15) und sind, 
so weit sie auf Gott bezogen werden, wahr (II. L. 32) 
und zureichend (II. L. 7 Z.). Es bestehen deshalb keine 
unzureichenden oder verworrenen Vorstellungen, als in- 
sofern sie auf die einzelne Seele eines Menschen bezogen 
werden (IE. L. 24, 28). Mithin folgen sich alle sowohl 
zureichenden wie unzureichenden Vorstellungen mit gleicher 
Nothwendigkeit (II. L. 6 Z.). 47) 

L, 37» Das, was Allen gemeinsam ist (IL Im. 2) 
und was ebenso im 27ieile als im Ganzen ist, macht 
nicht das Wesen einer einzelnen Sache aus. 

B, Wer dies bestreitet, mag, wenn er kann, sich 
vorstellen, dass dies Gemeinsame das Wesen einer ein- 
zelnen Sache ausmache, z. B. das Wesen von B. Dann 
tann dies Gemeinsame ohne B. weder sein noch vor- 
gestellt werden (11. D. 2), was gegen die Voraussetzung 
ist; es gehört also nicht zu dem Wesen von B. und bildet 
auch nicht das Wesen einer andern einzelnen Sache. ^) 

L. 38. DaSj was allen Dingen gemein ist und was 
ehenso im l^heile wie im^ Ganzen ist, kann nicht an- 
ders vorgestellt werden, als zureichend. 

Spinoza, Ethik. g 



82 n. TheiL Ueber die Seele. 

B. A. sei etwas, was allen Körpern gemein ist und 
was ebenso in dem Theile jedes Körpers, wie in dem 
Ganzen ist. Ich behaupte nun, dass A. nnr zureichend 
vorgestellt werden kann. Denn die Vorstellung desselben 
wird in Gott nothwendig eine zureichende sein, sowohl 
insofern Gbtt die Vorstellung des menschlichen Körpers, 
als die Vorstellungen seiner Zustande hat (II. L. 7 Z.), 
welche Zustände sowohl die Natur des menschlichen 
Körpers, als der fremden Körper zum Theil in sich ent- 
halten (II. L. 16, 25, 27); d. h. diese Vorstellung wird 
nothwendig in Gott eine zureichende sein, soweit er die 
menschliche Seele ausmacht oder soweit er die Vorstellun- 
gen hat, die in der menschlichen Seele sind. Folglich 
erfasat die Seele das A. nothwendig zureichend (11. L. 11 Z.), 
und zwar sowohl insofern sie sich selbst, als insofern 
sie ihren Körper oder irgend einen fremden Körper 
vorstellt, und A. kann auf andere Weise nicht vorgestellt 
werden. 

Z. Hieraus ergiebt sich, dass es gewisse Vorstellun- 
gen oder Begriffe giebt, die allen Menschen gemein sind. 
Denn alle Körper kommen in gewissen Stücken überem 
(Ln. 2), und diese müssen von allen Menschen zureichend 
oder klar und bestimmt aufgefasst werden (11. L. 38). ^®) 

L. 39. Dasjenige, was dem menschlichen Körper 
und einigen fremden Körpern, von denen der mensch- 
liche erregt zu werden pflegt, gemein isty sowie das, 
was dem Theile eines jeden dieser ebenso toie dem 
Ganzen gemein und eigen ist, davon wird die Vw- 
stellung in der Seele ebenfalls eine zwreich&ade sein, 

B« A. sei dasjenige, was dem menschlichen Körper 
und einigen fremden Körpern gemein und eigen ist und 
was ebenso in dem menschlichen Körper, wie in jenen 
fremden Körpern ist und was ebenso in dem Theile, wie 
in dem Ganzen jedes fremden Körpers ist. Dann wird 
in Gott von diesem A. eine zureichende Vorstellung be- 
stehen, sowohl insofern er die Vorstellung des mensch- 
lichen Körpers hat, als insofern er die Vorstellung der 
vorausgesetzten fremden Körper hat (II. L. 7 Z.). Nun 
nehme man an, dass der menschliche Körper von einem 
fremden Körper durch das erregt wird, was er mit ihm 
gemein hat, d. h. durch A. Die Vorstellung dieser Er- 



n. Theil. Ueber die Seele. 83 

regung wird die Eigenthümlichkeit von A.* enthalten 
(11. L. 16), nnd deshalb wird die Vorstellung dieser Er- 
regung, soweit sie die Eigenthümlichkeit von A. enthält, 
YoUkommen sein in Gott, soweit er mit der Vorstellung 
des menschlichen Körpers behaftet ist (II. L. 7 Z.) d. h. 
insofern er die Natur der menschlichen Seele ausmacht 
(U. L. 1*6). Folglich ist auch diese Vorstellung in der 
menschlichen Seele eine zureichende (II. L. 11 Z.). 

Z. Hieraus ergiebt sich; dass die Seele um so ge- 
eigneter ist, Mehreres zureichend zu erfassen, je mehr 
Gemeinsames ihr Körper mit anderen Körpern hat. ^) 

L. 40. Alle Vorstellungen in der SeeUy welche 
mi8 zureichenden Yoretellungen in ihr folgen^ sind 
ebenfalls zureicJiend. 

B. Dies ist klar. Denn wenn man sagt, dass in 
der menschlichen Seele eine Vorstellung ans Vorstellungen 
folgt, die in ihr zureichend sind, so wird damit nui* 
gesagt, dass es in dem göttlichen Verstände eine Vor- 
stellung giebt, wovon die Ui-sache Gott ist, nicht insofern 
er unen^ich ist und nicht insofern er durch die Vor- 
stellungen mehrerer einzelnen Dinge erregt ist, sondern 
nur, insofern er das Wesen der menschlichen Seele aus- 
macht (11. L. 11 Z.). 

£. 1* Hiermit habe ich die Ursache der Begriffe 
dargelegt, welche Gemeinbegriffe genannt werden und 
die Grundlagen unserer Schlussfolgerungen sind. Indess 
giebt es von einigen Axiomen und Begriffen andere 
Ursachen, die hier nach meiner Weise zu erklären 
zweckmässig sein dürfte. Es würde nämlich daraus hervor- 
gehen, welche Begriffe nützlicher sind als andere, und von 
welchen kaum ein Gebrauch gemacht werden kann; fer- 
ner, welche Begriffe allgemein, und welche nur Denen, die 
nicht an Vorurtheilen leiden, als klar und bestimmt gelten ; 
endlich welche schlecht begründet sind. Es würde sich 
ausserdem ergeben, woher die Begriffe, welche man die 
der zweiten Ordnung nennt und folglich auch, yoher 
die auf sie gestützten Axiome ihren Ursprung haben, so 
wie Anderes, was ich darüber beim Nachdenken gefunden 
habe. Da ich indess dies einer anderen Abhandlung 
vorbehalten habe; und da ich durch zu grosse Ausführ- 



84 n, Theil. Ueber die Seele. 

lichkeit ntcht ermüden mag^ so habe ich beschlossen, 
hier davon abzusehen. 

Um indess hier nichts Wissenswerthes zu übergehen, 
will ich die Ursachen knrz angeben, von denen die so- 
genannten transscendentalen Ausdrücke herkommen, 
wie Bing, Gegenstand, Etwas. Diese Ausdrüke 
entstehen dadurch, dass der menschliche Xörper, der ja 
beschränkt ist, nur fähig ist, eine gewisse Anzahl von 
Bildern bestimmt auf einmal in sich zu bilden. (Was 
Bild ist, habe ich II. L. 17 E. erklärt.) Wird diese 
Zahl überschritten, so beginnen diese Bilder sich zu 
verwischen, und wenn die Zahl der Bilder, deren be- 
stimmte Bildung auf einmal der Körper fähig ist, weit 
tiberschritten wird, so verwischen sie sich alle gänzlich. Da 
es sich' nun so verhält, so folgt aus n. L. 17 Z. u. Ln. 18, 
dass die menschliche Seele so viel Körper auf einmal wird 
bildlich vorstellen können, als Bilder in ihrem Körper 
auf einmal sich bilden können. Wenn aber diese Bilder 
im Körper sich gänzlich verwischen, so wird auch die 
Seele alle Köi'per verworren und ohne Unterscheidung 
bildlich vorstellen und daher gleichsam unter einem 
Ausdruck zusammenfassen, nämlich unter dem Ausdruck: 
Ding, Gegenstand u. s. w. 

Es lässt sich dies auch daraus ableiten, dass die 
Bilder nicht immer in gleicher Kraft bestehen und aus 
anderen ähnlichen Ursachen, die ich hier nicht ausein- 
anderzusetzen brauche; denn für das Ziel, dass ich er- 
strebe, genügt die Betrachtung einer Ursache. Denn alle 
Ursachen laufen darauf hinaus, dass diese Ausdrücke im 
höchsten Grade verworrene Vorstellungen bezeichnen. 

Aus äbnlichen Ursachen sind jene Begriffe entstanden, 
welche man universale nennt, wie Mensch, Pferd, 
Hund u. s. w. Weil nämlich in dem menschlichen Köiper 
auf einmal z. B. vom Menschen so viel Bilder gebildet 
werden, dass sie die bildliche Vorstellungskraft, wenn auch 
nicht ganz und gar, doch so weit übersteigen, dass die 
Seele die kleineren Unterschiede der einzelnen (wie die 
Farbj, die Grösse jedes einzelnen) und ihre bestimmte 
Zahl nicht bildlich vorstellen kann, so wird die Seele 
nur das bestimmt bildlich vorstellen, worin alle überein- 
stimmen, soweit der Körper von ihnen erregt worden ist. 
Denn von diesen war der Körper am meisten, d. h. von 




n. Theü. Ueber die Seele. 85 

jedem einzelnen erregt, und dies drückt man mit dem 
Worte Mensch aus und sagt es von den unzähligen Ein- 
zelnen aus. Denn die Seele kann sich, wie gesagt, die 
bestimmte Zahl der Einzelnen nicht bildlich vorstellen. 
Mau muss indess festhalten, dass diese Begriffe nicht in 
allen Seelen auf dieselbe Weise gebildet werden ; vielmehr 
wechseln sie bei jeder nach Yerhältniss des Gegenstandes, 
Yon dem der Körper oft erregt worden ist und den die 
Seele leichter bildlich vorstellt und zurückruft. So ver- 
stehen z. B. die, welche häufiger mit Bewunderung die 
aufrechte Gestalt der Menschen betrachtet haben, unter 
dem Namen: Mensch ein Wesen mit aufrechter Gestalt; 
Andere, die ein Anderes zu betrachten gewöhnt waren, 
werden ein anderes gemeinsames Bild der Menschen bil- 
den, z. B., dass der Mensch ein lächerliches Geschöpf ist, 
oder ein zweifüssiges ohne Federn, oder ein vernünftiges 
Greschöpf. Und so wird Jeder nach der Beschaffenheit 
seines Körpers auch von d«n Uebrigen die universellen 
Bilder der Dinge bilden. Man kann sich daher nicht 
wundem, dass unter den Philosophen so viele Streitpunkte 
sich erhoben haben, da sie die natürlichen Dinge durch 
die blossen Bilder derselben haben erklären wollen. 

E. 2* Aus alle dem erhellt deutlich, dass wir vieles 
auffassen und universelle Begriffe bilden 1) aus Einzelnen, 
welche durch die Sinne verstümmelt, .verworren und ohne 
Ordnung dem Verstände zugeführt werden (II. L. 29 Z.). 
Deshalb habe ich gewöhnlich dergleichen Auffassungen 
»die Kenntniss aus verworrener Erfahrung« genannt. 

2) aus Zeichen, z. B. daraus, dass wir aus gewissen 
gehörten und gelesenen Worten uns der Dinge erinnern 
und gewisse Yorstellungen von ihnen bilden, ähnlich denen, 
durchweiche wir die Dinge bildlich vorstellen (II. L. 18 E.). 

Diese beiden Ai*ten, die Dinge zu betrachten werde ich 
künftig die Kenntnis erster Ordnung, Meinung 
oder Einbildung nennen; 

3) endlieh daraus, dass wir Gemein -Begriffe und zu- 
reichende Vorstellungen von den Eigenschaften der Dinge 
haben (II. L. 38 Z. 39 Z. L. 40). Und dies werde ich 
die Vernunft oder die Kenntniss der zweiten 
Ordnung nennen. 

Ausser diesen beiden Arten von Kenntniss giebt es 
öoch, wie ich denmächst zeigen werde, eine dritte Art, 



86 n. Theil. Ueber die Seele. 

welche ich das anschauliche Wissen nennen werde. 
Diese Art der Erkenntniss schreitet von der zureichenden 
Vorstellung des wirklichen Wesens einiger Attribute Gottes 
zu zureichender Erkenntniss des Wesens der Dinge vor. 
Dies Alles will ich durch ein Beispiel erläutern. Es 
werden z. B. drei Zahlen gegeben, um die vierte zu finden, 
die sich zur dritten verhalten soll, wie die zweite zur 
ersten. Die Kaufleute sind nicht zweifelhaft; dass mau 
dazu die zweite Zahl mit der dritten multipliziren und 
das Produkt durch die erste dividiren muss; weil sie 
nämlich das, was sie von ihrem Lehrer ohne allen Beweis 
gehört, noch nicht vergessen haben, oder weil sie es oft 
an den einfachsten Zahlen erprobt haben, oder auf Grund 
des Beweises von Lehrsatz 19 im siebenten ]^uche des 
Euklid; nämlich aus der gemeinsamen Eigenthümlichkeit 
der Proportionalzahlen. Bei den einfachsten Zahlen bedarf 
es indess dessen nicht. Wenn z. B. die Zahlen 1, 2, 3 ge- 
geben sind, so weiss Jeder, dass die vierte Zahl 6 ist 
und dies viel deutlicher, weil wir aus dem Verhältnisse 
das wir zwischen der ersten und zweiten Zahl auf den 
ersten Blick erkennen, die vierte folgern.*^) 

L. 41, Die Kenntniss der ersten Art ist die ein- 
zige Ursache der Unwahrheit; die der zweiten und 
dritten Art ist aber nothwendig wahr, 

B« Zur Kenntniss der ersten Art gehören, wie wir 
in der vorhergehenden Erläuterung gesagt haben, alle 
jene Vorstellungen, welche unvollkommen und verworren 
sind; daher ist dieses Wissen die einzige üisache des 
Falschen (11. L. 35). Aber zur Kenntniss der zweiten 
und dritten Art gehören nach dem, was ich gesagt, alle 
zureichenden Vorstellungen; deshalb ist sie nothwendig 
wahr (IL L, 34). 

L. 42. Die Ke^intniss der zweiten und der dritten 
Art, aber nicht die der ersteren, lehrt uns das Wahre 
von dem Falschen unterscheiden, 

B. Dieser Lehrsatz ist durch sich selbst klar; denn 
wer zwischen wahr und falsch unterscheiden kann, muss 
die zureichende Vorstellung des Wahren und des Falschen 
haben, d. h, das Wahrö und Falsche in der zweiten oder 
dritten Art der Kenntniss kennen. **) 



n. Theü. Ueber die Seele. 87 

L. 43* Wer eine wahre Vorstellung hat, weise 
zugleich^ dass er eine wahre hat und kann über die 
Wahrheit des Gegenstandes nicht zweifeln, 

B. Die wahre Vorstellung in uns ist diejenige, welche 
iu Gott zureichend ist, soweit er durch die Natur der 
menschlichen Seele ausgedrückt wird (II. L. 11 Z.). Wir 
wollen also annehmen, dass es in Gott, soweit er durch 
die Natur der menschlichen Seele ausgedrückt wird, eine 
zureichende Vorstellung von A. gebe. Von dieser Vor- 
stellung muss es nothwendig in Gott auch eine Vorstel- 
lung geben, welche auf Gott in derselben Weise bezogen 
wird, wie die Vorstellung von A. (n. L. 20, dessen Be- 
weis allgemein ist). Aber die Vorstellung von A. wird 
nur vorausgesetztermaassen auf Gott bezogen, insofern er 
durch die Natur der menschlichen Seele ausgedrückt ist; 
deshalb muss auch die Vorstellung von der Vorstellung 
des A. auf Gott in derselben Weise bezogen werden, d. h. 
diese zureichende Vorstellung der Vorstellung des A. wird 
in derselben Seele sein, welche die zureichende Vorstel- 
lung des A. hat (II. L. 11 Z.). Wer deshalb eine zu- 
reichende Vorstellung hat, und wer eine Sache wahrhaft 
kennt (11. li. 34), muss zugleich die zureichende Vor- 
stellung seiner Kenntniss oder ihre wahre Kenntniss haben, 
d. h. er muss zugleich derselben gewiss sein (wie von 
selbst offenbar ist). 

£• In der Erläuterung zu II. Lehrsatz 21 habe ich 
auseinandergesetzt, was die Vorstellung einer Vorstellung 
ist; indess ist der vorstehende Lehrsatz auch an sich 
emleuchtend. Denn Jeder, der eine wahre Vorstellung 
hat, weiss, dass die wahre Vorstellung die höchste Gewiss- 
heit in sich schliesst; denn eine wahre Vorstellung haben, 
bedeutet nichts weiter, als einen Gegenstand vollkommen 
und auf das Beste kennen. Hierbei kann sicherlich Nie- 
mand Zweifel haben, er müsste denn die Vorstellung für 
etwas Stummes halten, gleich dem Gemälde auf der Tafel, 
und nicht für eine Art des Denkens, d. h. nicht für das 
Erkennen selbst; und ich frage: Wer kann wissen, dass 
er eine Sache einsieht? d. h. wer kann wissen, dass er 
einer Sache gewiss ist, wenn er nicht vorher der Sache 
gewiss ist? Was kann es endlich Klareres und Gewisse- 
res geben, um als Kennzeichen der Wahrheit zu gelten, 



88 n. Theü. Ueber die Seele, 

als die wahre Vorstellnng? Sowie das Licht sich selbst 
und die Finsterniss offenbart, so ist die Wahrheit das 
Eichtmaass ihrer und des Falschen. Ich glaube damit 
auch folgende Zweifel erledigt zu haben, nämlich: Wenn 
die wahre Vorstellung nur, insofern ' als von ihr aus- 
gesagt wird, dass sie mit ihrem Gegenstande übereinstimme, 
von der falschen sich unterscheidet, so sagt man, dass 
dann die wahre Vorstellung an Bealität und Vollkommen- 
heit nichts vor der falschen voraus habe (weil sie nur 
durch eine äusserliche Bezeichnung unterschieden wer- 
den), und folglich habe au^h ein Mensch mit wahren 
Vorstellungen vor einem Menschen mit falschen Vorstel- 
lungen nichts voraus. Ferner fragt man, woher es komme, 
dass die Menschen falsche Vorstellungen haben, und end- 
lich woher Jemand es gewiss wissen könne, dass er Vor- 
stellungen habe, die mit ihren Gegenständen überein- 
stimmen. Auf diese Frage habe ich nach meiner Mei- 
nung schon geantwortet. Denn was den Unterschied 
zwischen der wahren und falschen Vorstellung anlangt, 
so erhellt aus U. L. 35, dass jene zu dieser sich vorhat, 
wie das Seiende zu dem Nicht-Seienden. Die Ursachen 
des Falschen habe ich von II. L. 19 bis 35 Z. völlig 
deutlich dargelegt, und daraus ergiebt sich auch, welcher 
Unterschied zwischen einem Menschen besteht, der wahre 
Vorstellungen hat und einem, der nur falsche hat. Was 
endlich die letzte Frage anlangt, nämlich woher der 
Mensch wissen könne, dass er eine Vorstellung habe, 
welche mit ihrem Gegenstande übereinstimme, so habe 
ich eben ausführlich gezeigt, dass dies nur daher komme, 
weil er eine Vorstellung hat, die mit ihrem Gegenstande 
übereinstimmt, oder weil die Wahrheit ihr eigenes ßicht- 
maass ist. Dem ist noch hinzuzufügen; dass unsere 
Seele, insofern sie die Gegenstände wahr auffasst, ein 
Theil des unendlichen Verstandes Gottes ist (II. L. 11 Z.), 
folglich müssen die klaren und bestimmten Vorstellungen 
der Seele so wahr sein, als die Vorstellungen Gottes. *»*} 

L. 44:. JEs liegt nicht in der Naiur der Vernunft, 
die Dinge als zufällig zu betrachten, solidem als 
nothwendig» 

B. Die Natur der Vernunft ist, die Dinge wahrhaft 
aufzufassen (II. L. 41), d. h. wie sie in sich sind 



n. Theil Ueber die Seele. 89 

(I. A. 6), d. h. nicht als zufällige, sondern als nothwen- 
dige (I. L. 29).«^) 

Z. 1. Hieraus ergiebt sich, dass es blos von dem 
bildlichen Vorstellen kommt, wenn wir die Dinge sowohl 
in Bücksicht des Vergangenen wie Zukunftigen als zufällig 
betrachten. 

E. Wie dies geschieht, will ich mit Wenigem erklä- 
ren. Ich habe oben gezeigt (II. 17 mit Z.), dass die 
Seele die Dinge, obgleich sie nicht existiren, doc^ immer 
als sich gegenwärtig bildlich vorstellt, wenn nicht Ur- 
sachen eintreten, die deren gegenwärtige Existenz aus- 
schliessen. Dann habe ich gezeigt (II. L. 18), dass, 
wenn der menschliche Körper einmal von zwei fremden 
Körpern erregt wurden ist, die Seele später bei der bild- 
lichen Vorstellung des einen sich auch sofort des andern 
erinnern wird, d. h. sie wird Beide als sich gegenwärtig 
auffassen, wenn nicht Ursachen eintreten, welche deren 
gegenwärtige Existenz ausschliessen. Ausserdem zweifelt 
Niemand, dass wir uns auch die Zeit bildlich vorstellen, 
weil wir uns vorstellen, dass gewisse Körper sich lang- 
samer oder schneller, oder gleich schnell mit anderen 
bewegen. 

Nehmen wir also einen Knaben an, der gestern zum- 
ersten Male früh den Feter, Mittags den Faul und Abends 
den Simeon gesehen hat und heute wiederum früh den 
Peter. Aus II. L. 18 erhellt, dass er, sobald er das 
Morgenlicht erblickt, sich auch die Sonne bildlich vor- 
stellen wird, wie sie von da . aus denselben Theil des 
Himmels durchlaufen wird, wie er es den vorigen Tag 
gesehen hat, d. h. er wird sich den ganzen Tag vor- 
stellen und zugleich mit der Morgenzeit den Peter, mit 
der Mittagszeit den Paul und mit der Abendzeit den 
Simeon ; d. h. er wird die Existenz von Paul und Simeon 
mit Bezug auf die künftige Zeit vorstellen und umge- 
kehrt, wenn er am Abend den Simeon sieht, so wird er 
den Paul und Peter auf die vergangene Zeit beziehen, 
indem er sie mit der vergangenen Zeit verbunden vor- 
stellt. Dies wird um so sicherer geschehen, je öfter er 
sie in dieser Ordnung gesehen hat. Wenn es sich ein- 
mal trifft, dass er an einem andern Abend statt des Simeon 
den Jacob sieht, so wird er am folgenden Morgen mit 
der Abendzeit bald den Simeon, bald den Jacob, nicht 



90 n. Theil. üeber die Seele. 

aber Beide zugleich yorstellen. Denn es ist angenommen 
worden, dass er nur einen von Beiden, nicht aber Beide 
zugleich zur Abendzeit gesehen hat Sein bildliches Yor- 
stellen wird daher schwanken und mit der folgenden 
Abendzeit bald diesen, bald jenen vorstellen, d. h. Keinen 
gewiss, sondern Jeden wird er als ein zufälliges Künf- 
tiges yorstellen. Dieses Schwanken des bildlichen Yor- 
stellens wird ebenso eintreten, wenn es sich um das 
bildlich^ Vorstellen von Dingen handelt, welche wir in 
derselben Weise mit Beziehung auf die vergangene oder 
gegenwärtige Zeit betrachten und folglich werden wir 
die Dinge, welche auf die gegenwärtige oder vergangene 
oder zukünftige Zeit bezogen werden, als zuföUig yor- 
stellen. W) 

Z. 2. Es liegt in der Natur der Vernunft, die Dinge 
unter der Form der Ewigkeit aufzufassen. 

B. Es liegt in der Natur der Vernunft, die Dinge 
als nothwendig und nicht als zufallig zu betrachten 
(II. L. 44). Diese Nothwendigkeit der Dinge erfasst aber 
die Vernunft wahrhaft (IT. L. 4), d. h. wie sie in sich ist 
(I. A. 6). Aber diese Nothwendigkeit der Dinge ist die 
eigne Nothwendigkeit der ewigen Natur Gottes (I. L. 16); 
es liegt also in der Natur der Vernunft, die Dinge unter 
dieser Bestimmung der Ewigkeit vi betrachten. Man 
nehme hinzu, dass die GrundOÜagen der Vernunft Begriffe 
sind, welche das darlegen (II. L. 38), was allen gemein 
ist, und welche nicht das Wesen einer einzelnen Sache 
ausdrücken (II. L. 37), und welche deshalb ohne alle Be- 
ziehung auf die Zeit unter der Form der Ewigkeit anf- 
gefasst werden müssen. *•) 

L. 45. Jede Vorstellung irgend eines wirklich 
eaistirenden Körpers oder einzelnen Dinges enthält 
nothwendig die ewige und unendliche WesenJieit Gottes» 

B« Die Vorstellung eines einzelnen, wirklich existi- 
renden Dinges enthält nothwendig sowoM das Wesen wie 
die Existenz (II. L. 8 Z.) dieses Dinges. Die einzelneu 
Dinge können aber nicht ohne Gott vorgestellt werden 
(I. L, 15), denn sie haben Gottr^üur Ursache (II. L. 6), 
insofern er unter dem Attribut aui^gefasst wird, dessen 
Zustände Jone Dinge sind, und es müssen deshalb noth- 
wendig ihre Vorstellungen die Vorstellung ihres Attributs 



II. Theil. Ueber die Seele. 91 

(I. A. 4), d. h. die ewige und unendliche Wesenheit 
Gottes, einschliessen (L. B. 6). 

£• Ich verstehe unter Existenz hier nicht die zeit- 
liche Bauer, oder eine Existenz, soweit sie ahstrakt und 
als eine Art der Grösse aufgefasst wird. Denn ich spreche 
hier von der eigenen Natur der Existenz, welche den 
einzelnen Dingen beigelegt wird, weil aus der ewigen 
Natur Gottes Unendlich-Vieles auf unendlich viele Weise 
folgt (I. L. 16). Ich spreche also von der Existenz der 
Dinge, soweit sie in Gott sind. Denn wenn auch jedes 
Einzelne von einem Andern auf eine gewisse Weise zur 
Existenz bestimmt wird, so folgt doch die Kraft, durch 
welche Jedes in der Existenz verharrt, aus der ewigen 
Nothwendigkeit der Natur Gottes (I. L. 24 Z.). 

L. 46» Die Kenntntss des ewigen und unendlichen 
Wesens Gottes, welche in jeder Vorstellung enthalten 
ist, ist zureichend und vollkommen, 

B« Der Beweis des vorgehenden Lehrsatzes gilt allge- 
mein; mag der Gegenstand als Theil oder als Ganzes be- 
trachtet werden, so enthält seine Vorstellung, sowohl von 
ihm als Ganzes, wie als Theil die ewige und unendliche 
Wesenheit Gottes (II. L. 45). Deshalb ist dasjenige, was 
die Kenntniss des ewigen und unendlichen Wesens Gottes 
gewährt, ein allen Dingen Gemeinsames und ebensowohl 
in dem Theile, wie im Ganzen enthalten, und daher ist 
diese Kenntniss eine zureichende (IL L. 38). 

L. 47. Die menschliche Seele hat eine zureichende 
Kenntniss von dem ewigen und unendlichen Wesen 

Gottes, 

B. Die menschliche Seele hat Vorstellungen (11. L. 22), 
durch welche sie ihren Körper (IL L. 23, 19) und die 
fremden Körper (IL L. 17, 16 Z.) als wirklich existirend 
erfasst; folglich hat sie eine zureichende Kenntniss von 
dem ewigen und unendlichen Wesen Gottfes (IL L. 45, 46). 

E. Hieraus sieht man, dass das unendliche Wesen 
und die Ewigkeit Gottes Allen bekannt sind. Da aber 
Alles in Gott ist und durch Gott vorgestellt wird, so 
folgt, dass wir aus dieser Erkenntniss viele zureichende 
Kenntnisse ableiten können. Damit erwerben wif jene 
dritte Art der Erkenntniss, von welcher IL L. 40 E. 



92 n. Theil. Ueber die Seele, 

gesprochen worden ist, und deren Vorzügliclikeit und 
Nutzen darzulegen im fünften Theil dieses Werkes der 
Ort sein wird. Wenn aber die Menschen keine so klare 
Kenntniss Crottes besitzen, wie von den Gremeinbegriffen, 
so kommt das daher, dass sie Gott nicht so wie die Kör- 
per sich bildlich yorstellen können, und dass sie den 
Namen Gottes mit Vorstellungen von Dingen verbunden 
haben, die sie zu sehen gewöhnt sind; welche Yerbindung 
kaum vermeidlich ist, da die Menschen fortwährend von 
fremden Körpern erregt werden. In Wahrheit bestehen 
die meisten Irrthümer nur allein darin, dass man den 
Bingen nicht die rechten Worte giebt. Denn wenn 
Jemand sagt, dass die aus dem Mittelpunkt eines Kreises 
nach dessen Umring gezogenen Linien ungleich seien, so 
hat er offenbar, wenigstens hier, unter Kreis etwas anderes 
im Sinn, als die Mathematiker. So haben die Menschen, 
welche sich verrechnen, andere Zahlen im Kopfe, als auf 
dem Papier. Sieht man auf deren Seele, so irren sie 
nicht, sie scheinen uns nur zu irren, weü wir glauben, 
dass sie dieselben Zahlen im Kopfe, wie auf der Tafel 
haben. Wäre dies nicht, so wflrden wir nicht glauben, 
dass sie irrten; so wie ich keinen Irrthum bei dem Men- 
schen angenommen habe, der neulich schrie, dass sein 
Hof auf des Nachbars Henne geflogen sei, weil ich wohl 
verstand, was er eigentlich meinte. Davon kommen die 
meisten Streitigkeiten, indem die Menschen ihre Memung 
nicht richtig ausdrücken oder die eines Andern schlecht 
auslegen. In der That denken sie da, wo sie sich am 
heftigsten streiten, entweder Dasselbe oder Verschiedenes, 
so dass die Irrthümer und Widersinnigkeiten, welche sie 
bei dem Andern annehmen, gar nicht bestehen. *'') 

L. 48. In dm* Seele giebt es keinen unbedingten 
oder freien Willenj smidem die Seele wird zu diesem 
oder jenem Wollen durch eine Ursache bestimmt, 
welche ebenfalls von einer andern bestimmt ist, und 
diese wieder von einer ande9*n und so fort ohne Ende, 

B. Die Seele ist ein gewisser und bestimmter Zustand 
des Denkens (II. L. 11), deshalb kann sie nicht die freie 
Ursache ihrer Handlungen sein (I. L. 17 Z. 2), d. h. sie 
kann nicht die unbedingte Fähigkeit des Wollens und 
NichtwoUens haben, sondern sie wird zu diesem oder 



n. Theil. Ueber die Seele. 93 

jflnem Wollen von einer Ursache Iteatimmt {I. L, 28), 
welche ebenfalls von einer andern bestimmt ist, mid diese 
wieder von einer andern u. s. w. 

E. Ebenso beweist' man, dass es in der Seele keine 
nobedingte Fähigkeit des Einsehens, des Begehrens, des 
Liebens n. s. v. giebt. Daraus folgt, dasg diese und 
andere Vermögen gänzlich eingebildet sind nnd nnr meta- 
physische oder imiverselle Wesen sind, welche man ans 
den Einzelnen zn bilden gewohnt ist. Deshalb verhalten 
sich Verstand und Wille zu dieser oder jener Torstellung 
oder zu diesem oder jenem Wollen ebenso, wie die Stein- 
heit zu diesem oder jenem Stein oder wie der Mensch 
lam Feter oder Faul. Die Ursache aber, weshalb die 
Henschen sich für frei halten, habe ich im Anhang zum 
Theil I. dargelegt. Ehe ich indoss weiter gehe, mnss 
ich bemerken, dass ich unter Willen die Fähigkeit zu 
bejahen oder zn verneinen, nicht aber das Begehren 
verstehe. Ich meine also damit das YermOgen, vermittelst 
welchem die Seele das Wahre oder Falsche bejaht oder 
verneint, und nicht die Begierde, vermittelst welcher die 
Seele die Dinge begehrt oder verabscheut. Nachdem ich 
gezeigt habe, dass diese Vermögen universelle Begriffe 
sind, die sich von den Einzelnen, aus denen sie gebildet 
werden, nicht unterscheiden, so ist zu untersuchen, oh 
diese einzelnen Wollen etwas anderes sind, als die Tor- 
stellangen der Dinge selbst. Es ist also, wie ich sage, 
la untersnchen, ob es in der Seele noch ei] 
Bejahung oder Verneiming giebt ausser der, n 
Vorstellung, soweit sie Vorstellung ist, in siel 
Hierüber lese man den folgenden Lehrsatz und 
nition n. 3, damit das Denken nicht in gema 
verfalle. Denn ich verstehe unter Yorstelluni 
Bilder, wie sie im Grunde des Auges oder, ^ 
will, im Innern des Gehirns gebildet werden. 
Vorstellungen des Denkens. 

L. 49. In der Seele giebt es kein Wollt 
Btjahen oder Verneinen, aitsser demjenigen, w< 
Vorstellung, als solche, enthält. 

B. In der Seele giebt es (II. L. 48) kein 
tes Vermögen zn wollen oder nicht zu wollen, 
nur einzelne Wollen, nämlich diese oder jene 



94 n. Theil. Ueber die Seele. 

und diese oder jene Verneinung. Nehmen wir daher ein 
einzelnes Wollen, d. h. einen Znstand des Denkens, durch 
welches die Seele bejaht, dass die drei Winkel eines 
Dreiecks zwei rechten gleich sind.' Diese Bejahung ent- 
halt die Aufifassung oder Vorstellung des Dreiecks; d. h. 
ohne die Vorstellung des Dreiecks kann diese Bejahung 
nicht gefasst werden. Denn es ist dasselbe, ob ich sage, 
dass A. die Vorstellung von B. enthalte, wie, dass A. 
ohne B. nicht vorgestellt werden kann. Femer kann 
diese Bejahung auch nicht ohne die Vorstellung des 
Dreiecks sein (11. A. 3). Diese Bejahung kann daher 
weder sein noch vorgestellt werden ohne die Vorstellung 
des Dreiecks. Femer muss diese Vorstellung des Drei- 
ecks dieselbe Bejahung enthalten, nämlich dass die drei 
Winkel desselben zwei rechten gleich sind. Deshalh 
kann auch umgekehrt die Vorstellung des Dreiecks ohne 
diese Bejahung weder sein noch gefasst werden. Folglich 
gehört diese Bejahung zum Wesen der Vorstellung des 
Dreiecks und ist nichts Anderes, als sie selbst (11. D. 2). 
Was ich von diesem .WoUem hier dargelegt habe, gilt 
(da es willkürlich herausgegriffen worden ist) auch von 
jedem andern Wollen, nämlich dass es nichts Besonderes 
neben der Vorstellung ist. 

Z. Der Wille und der Verstand sind ein und dasselbe. 

B. Der Wille und der Verstand sind nichts, als die 
einzelnen Wollen und Vorstellungen (II. L. 48^ und E.); 
aber das einzelne Wollen und die einzelne Vorstellung 
sind ein und dasselbe (II. L. 49), folglich ist der Wille 
und der Verstand ein und dasselbe. 

E. Damit ist die Ursache beseitigt, welche gewöhnlich 
für die Ursache des Irrthums gehalten wird. Ich habe 
oben gezeigt, dass die Unwahrheit in einem blossen Man- 
gel besteht, welchen die verstümmelten und verworrenen 
Vorstellungen enthalten. Deshalb enthält die falsche Vor- 
stellung, soweit sie falsch, keine Gewissheit. Wenn es 
deshalb von einem Äenschen heisst, dass er sich bei dem 
Falschen beruhige und nicht darüber zweifele, so soll da- 
mit nicht gesagt sein, dass er desselben gewiss sei, son- 
dem nur, dass er nicht zweifele; oder dass er sich bei 
dem Falschen nur beruhige, weil keine Ursachen bestehen, 
welche sein bildliches Vorstellen ins Schwanken bringen 
(II. L. 44. E.). Wenn also auch ein Mensch noch so sehr 



n. Theil. üeber die Seele. 95 

dem Falschen anhängt, so kann man, doch nicht sagen, 
dass er dessen gewiss sei; denn anter Gewissheit ver- 
stehe ich etwas Positives, aber nicht den Mangel des 
Zweifels (ü. L. 43 mit E.). Aber unter dem Mangel 
der Gewissheit verstehe ich das Falsche.**) 

Indess wird zur mehreren Yerdeutlichung des vorher- 
gehenden Lehrsatzes noch Einiges zu sagen sein. Es ist 
auch noch erforderlich, dass ich auf die Gründe antworte, 
welche man dieser meiner Lehre entgegenstellen kann; 
und endlich schien es mir, um alle Zweifel zu beseitigen, 
rathsam, auf einige nützliche Folgen dieser Lehre hin- 
zuweisen» Ich sage auf einige; denn die wichtigsten 
werden durch die Ausführung des V. Theiles besser ver- 
ständen werden. 

Ich beginne mit dem ersten und erinnere die Leser, 
genau zu unterscheiden zwischen Vorstellung oder Auf- 
fassung der Seele und zwischen den Bildern der Dinge, 
welche der Gegenstand unserer bildlichen Vorstellungen 
sind. Ebenso muss zwischen den Vorstellungen und den 
Worten, als Bezeichnung der Dinge, unterschieden werden. 
Denn weil diese drei als die Bilder, die Worte und die 
Vorstellungen von Vielen ganz vermengt oder nicht genau 
genug oder nicht vorsichtig genug unterschieden wer- 
den, 80 ist ihnen diese Lehre von dem Willen gänzlich 
unbekannt, obgleich sie doch ebenso wissenswerth ist 
für die Untersuchungen im Denken, als für die weise 
Einrichtung des Lebens. Man glaubt nämlich, dass die 
Vorstellungen in Bildern bestehen, welche in uns durch 
die Begegnung der Körper sich bilden, und ist überzeugt, 
dass jene Vorstellungen der Dinge, von denen man kein 
ähnliches Bild sich herstellen kann, keine Vorstellungen 
seien, sondern nur Einbildungen, die man sich aus freier 
Willkür macht. Man betrachtet also die Vorstellungen 
wie stumme Bilder auf einer Tafel, und von diesem Vor- 
urtheil eingenommen, bemerkt man nicht, dass die Vor- 
stellung als solche die Bejahung oder Verneinung in sich 
enthält. 

Ferner meinen die, welche die Worte mit der Vor- 
stellung oder mit der in ihr enthaltenen Bejahung ver- 
wechseln, dass sie anders wollen könnten, als sie vor- 
stellen; da sie ja mit blossen Worten etwas gegen ihre 
Meinung bejahen oder verneinen können. 



96 ' n. TheiL Ueber die Seele. 

Diese Vorurtheüe wird indess deijenige leicht ablegen 
können, welcher anf die Xatur des Denkens Acht hat, 
da dieses die Vorstellnng der Ausdehnung keineswegs 
enthält, und er wird deshalb klar einsehen, dass cüe 
Vorstellung als ein Zustand des Denkens weder aus dem 
Bild einer Sache noch aus Worten besteht. Denn das 
Wesen der Worte und Bilder besteht in blossen körper- 
lichen Bewegungen, welche die Vorstellung des Denkens 
keineswegs enthalten. 

Dies Wenige wird genügen, und ich gehe daher zu den 
übrigen Einwürfen über. Der erste ist, dass man als 
gewiss ansieht, dass der Wille sich weiter erstreckt als 
der Verstand, mithin von ihm verschieden sein müsse. 
Der Grund aber, weshalb man meint, der Wille erstrecke 
sich weiter als der Verstand, ist die angebliche Erfahrung 
au sich selbst, wonach man zur Zustimmung, d. h. zum 
Bejahen oder Verneinen unendlich vieler Dinge, die man 
nicht kennt, keines grösseren Vermögens zur Zustimmung 
bedarf, als man schon hat; aber wohl eines grösseren 
Vermögens zur Erkenntniss. Man unterscheidet also den 
Willen von dem Verstand, weil dieser beschränkt und 
jener unbeschränkt sei. Man wendet zweitens ein, dass 
man, wie die Erfahrung ganz deutlich zeige, sein ürtheil 
zurückhalten könne, um den Dingen, welche man wahr- 
nimmt, nicht beizustimmen. Auch dies soll beweisen, 
dass man von Niemand beweisen kann, er werde ge- 
täuscht, insofern er etwas wahrnimmt, sondern nur in- 
sofern er beistimmt oder nicht beistimmt. 

Wer sich z. B. ein geflügeltes Pferd vorstellt, erkennt 
damit nicht schon an, dass es ein solches gebe; d. h. er 
irrt nur erst dann, wenn er zugleich annimmt, dass es 
ein geflügeltes Pferd gebe. Also zeigt die Erfahrung 
offenbar, dass der Wille oder das Vermögen zuzustimmen 
frei und von dem Vermögen der Einsicht verschieden 
sei. Man kann drittens den Einwand erheben, dass die 
eine Bejahung nicht mehi* Eealität enthalte, als die an- 
dere, d. h. wir bedürfen keiner grösseren Macht, um das 
für wahr zu behaupten, was wahr ist, als um etwas für 
wahr zu behaupten, was falsch ist. Dagegen bemerken 
wir, dass eine Vorstellung mehr Realität oder Vollkommen- 
heit enthält, als die andere; denn um wieviel ein Gegen- 
stand vor dem andern vorzüglicher ist, um soviel ist 



n. Theil. üeber die Seele. 97 

auch seine Vorstellung vorzüglicher als die des andern. 
Auch daraus soll ein Unterschied zwischen Willen und 
Verstand sich ergeben. Viertens kann man einwenden, 
wäS) wenn ein Mensch nicht aus Freiheit des Willens 
handele, dann werden solle, wenn er im Qleidigewicht 
sich befinde, wie der. Esel des Buridan? Ob er dann 
verhungern oder verdürsten würde? Denn wenn ich dies 
behaupte, so behandele ich ihn wie einen Esel oder wie 
die Bildsäule eines Menschen, aber nicht wie einen 
Menschen; wenn ich es aber verneine, so folge, dass 
ein Mensch sich selbst bestimme und folglich das Ver- 
mögen zu gehen und Alles zu thun habe, was er wolle. 
Man kann vielleicht noch andere Einwendungen erheben; 
allein da ich nicht auf alle Träumereien zu antworten 
verpflichtet bin, so will ich nur auf diese erwähnten 
Einwände antworten, und zwar so kurz als möglich. 
In Bezug auf den ersten Einwand räume ich ein, dass 
der Wille sich weiter erstreckt als der Verstand, wenn 
man unter diesem nur die klaren und bestimmten Vor- 
stellungen versteht; aber ich bestreite es, dass der Wille 
sich weiter erstreckt als die Wahrnehmungen und das 
Vermögen vorzustellen. Ich sehe auch nicht ein, warum 
das Vermögen zu wollen eher für unendlich zu erklären 
ist, als das Vermögen der Wahrnehmung. Denn sowie 
man mit demselben Vermögen des WoUens unendlich 
Vieles bejahen kann (jedoch eins nach dem andern, 
denn auf einmal kann man unendlich Vieles nicht bejahen), 
ebenso kann man unendlich viele Körper (nämlich einen 
nach dem andern) durch das Vermögen des Wahrneh- 
mens vorstellen oder erfassen. Wenn die Gegner be- 
haupten, dass es unendlich Vieles gäbe, was man nicht 
erfassen könne, so erwidere ich, dass wir dasselbe auch 
durch kein Denken und folglich auch durch kein Ver- 
mögen des Wollans erreichen können. Aber man sagt, 
wenn Gott bewirken wollte, dass wir auch dieses er- 
fassen, so müsste er uns zwar ein grösseres Vermögen 
des Wahrnehmens geben, aber kein grösseres Vermögen 
des Wolkns, als wir schon haben. Dies ist indess 
ebenso, als wenn man sagte, dass, wenn es Gott be- 
wirken wollte, dass wir unendlich viele andere Wesen 
erkennten, es zwar nöthig wäre, Uns einen grösseren 
Verstand zu geben, aber nicht einen universelleren Begriff 

Spinoza, Ethik. * 7 



98 . n. TheiL Heber die Seele. 

des Seins, als wir schon haben, um diese unendlich vielen 
Wesen zu umfassen. Denn ich habe gezeigt, dass der 
Wille ein universelles Ding ist, oder eine Yorstellung, 
mit v^elcher wir alle einzelnen Wollen oder das ihnen 
allen Gemeinsame bezeichnen. Wenn also die Gegner 
diese allen einzelnen Wollen gemeinsame oder universelle 
Vorstellung für ein Vermögen halten, so darf man sich 
nicht wundem, wenn sie sagen, dass dieses Vermögen 
über die Grenzen des Verstandes ohne Ende sich aus- 
dehne. Denn das Universelle wird ebenso von dem Ein- 
zelnen, wie von dem Mehreren und von unendlich vielen 
Einzeldingen ausgesagt. Auf den zweiten Einwand 
antworte ich, indem ich bestreite, dass wir die freie 
Macht hätten, unser Urtheil aufzuhalten. Denn wenn 
man sagt, dass Jemand sein IJrtheil anhalte, so soll dies 
nur heissen, dass er einsieht, er verstehe die Sache noch 
nicht zureichend; die Anhaltung des Urtheils ist deshalb 
in Wahrheit eine Vorstellung und keine Willkür. Um 
dies deutlicher einzusehen, nehme man einen Knaben an, 
der sich ein Pferd bildlich vorstellt, aber sonst nichts 
Anderes auffasst. Da diese bildliche Vorstellung des 
Pferdes die Existenz einschliesst (II. L. 17 Z.) und der 
Knabe nichts auffasst, was die Existenz des Pferdes auf- 
hebt, so wird er nothwendig das Pferd als gegenwärtig 
annehmen und wird auch über die Existenz des Pferdes 
nicht zweifeln, obgleich er derselben nicht gewiss ist. Tnd 
dies erleben wir täglich beim Träumen, und ich glaube, 
dass Niemand meint, während des Träumens die freie Macht 
zu besitzen, sein Urtheil über das, was er träumt, anzu- 
halten, und zu bewirken, dass er das, was er zu sehen 
träumt, nicht träume. Und dennoch trifft es sich, dass 
man auch im Traume sein Urtheil hemmt, wenn man 
nämlich träumt, dass man träume. 

Ich g4be femer zu, dass Niemand getäuscht wird, 
insofern er wahrnimmt, d. h. ich gebe zu, dass die bild- 
lichen Vorstellungen der Seele als solche keinen Irrthum 
enthalten (II. 17 E.) ; aber ich bestreite, dass der Mensch, 
insofern. er wahrnimmt, nichts bejahe. Denn was ist die 
Auffassung eines geflügelten Pferdes anders als die 
Bejahung der Flügel am Pferde- Denn wenn die Seele 
neben dem geflügelten Pferde nichts weiter vorstellte, so 
würde sie es als ein sich Gegenwärtiges vorstellen, und 



IL Theil. lieber die Seele. 99 

sie würde keine Ursache haben, über seine Existenz- zu 
zweifehl, und auch kein Yermögen^ dem nicht beizustim- 
men, so lange nicht die Existenz des geflügelten Pferdes 
mit einer Vorstellung verbunden ist, welche dessen Existenz 
aufhebt, oder so lange sie nicht bemerkt, dass ihre Vor- 
stellung des geflügelten Pferdes eine unzureichende ist, 
aber dann wird sie nothwendig die Existenz dieses Pferdes 
leugnen oder nothwendig bezweifeln. 

Ich glaube damit auch auf den dritten Einwand 
geantwortet zu haben, nämlich dass der Wille etwas 
Universelles ist, was von allen Vorstellungen ausgesagt 
wird, und dass er nur das bezeichnet, was allen Vor- 
stellungen gemeinsam ist, nämlich eine Bejahung; das 
zureichende Wesen dieser Bejahung, insofern sie so 
abstrakt gefasst wird, muss deshalb in jeder Vor- 
stellung sein, und nur in dieser Hinsicht muss sie in 
allen dasselbe sein; aber nicht, insofern sie als das 
Wesen der Vorstellung bildend aufgefasst wird; denn 
insofern unterscheiden sich die einzelnen Bejahungen 
ebenso von einander, wie die einzelnen Vorstellungen. 
So unterscheidet sich z. B. die Bejahung, welche in der 
Vorstellung eines Kreises enthalten ist, von der Bejahung, 
welche in der Vorstellung eines Dreiecks enthalten ist, 
ebenso, wie sich die Vorstellung des Kreises von der 
des Dreiecks unterscheidet. Sodann bestreite ich ent- 
schieden, dass wir einer gleichen Kraft des Denkens be- 
dürfen, um das als wahr zu bejahen, was wahr ist, als 
um das als wahr zu bejahen, was falsch ist. Denn beide 
Bejahungen verhalten sich in Bezug auf die Seele, wie 
das Sein zu dem Nichtsein. Denn in den Vorstellungen 
ist nichts Positives, was das Wirkliche des Falschen 
bildet (II. L. 35 E. L. 47 E.). Hier war deshalb vor- 
zugsweise darauf aufmerksam zu machen, wie leicht man 
irrt, wenn man das Universelle mit dem Einzelnen und 
die Gebilde der Vernunft und das Abstrakte mit dem 
Wirklichen verwechselt. 

Was endlich den vierten Einwand anlangt, so gebe 
ich zu, dass ein Mensch in solchem Gleichgewicht vor 
Hunger und Durst umkommen wird (insofern er nämlich 
nichts weiter vorstellt, als Hunger und Durst, und diese 
Speise und diesen Trank, welche beide gleich weit von ihm 
abstehen). Fragt man mich, ob ein solcher Mensch nicht 

7* 



100 IL Theü. üeber die Seele. ^ 

yielmehr als ein Esel, denn als Mensch gelten müsse, so 
sage ich, dass ich dies nicht weiss, so wenig wie icli 
weiss, wofür ich den halten soll, der sich aufhängt, 
oder wofür Kinder, Thoren nnd Wahnsinnige zu halten 
sind.**) 

Ich habe endlich noch anzudeuten, wie nützlich die 
Xenntniss dieser Lehre für das Leben ist, was man leicht 
aus Folgendem entnehmen kann. Nämlich zuerst daraus, 
dass sie uns lehrt, nach dem blossen Wink Gottes zu 
handeln und der göttlichen Katur um so mehr theilhaft 
zu werden, je vollkommenere Handlungen wir thun und 
je mehr und mehr wir Gott erkennen. Diese Lehre hat 
ausserdem, dass sie das Gemüth durchaus beruhigt, noch 
das Gute, dass sie uns lehrt, worin unser grösstes Glück 
und Seligkeit besteht, nämlich nur in der Kenntniss 
Gottes, wodurch wir nur das zu thun veranlasst werden, 
was Lie'be und Frömmigkeit rathen. Daraus erkennen 
wir deutiich, wie sehr Jene von der wahren Schätzung 
der Tugend abirren, welche für die Tugend und für die 
besten Handlungen, wie für die schwerste Knechtschaft, 
mit den höchsten Belohnungen von Gott geschmückt zu 
werden erwarten, als wenn die blosse Tugend und der 
Dienst Gottes nicht das Glück selbst und die höchste 
Freiheit wäre. 

Zweitens insofern sie uns lehrt, wie wir uns zu den 
Glücksgütern zu verhalten haben, oder zu dem, was 
nicht in unserer Macht steht, d. h. zu Dingen, die nicht 
aus unserer Natur folgen; nämlich beide Antlitze des 
Schicksals mit Gleichmuth zu erwarten und zu ertragen. 
Weil Alles nämlich aus dem ewigen Beschluss Gottes 
mit derselben Nothwendigkeit folgt, wie aus dem Wesen 
des Dreiecks folgt, dass seine drei Winkel zwei rechten 
gleich sind. Drittens nützt diese Lehre für das gemein- 
same Leben, indem sie lehrt, Niemanden zu hassen, zu 
verrathen, zu verspotten. Niemandem zu zürnen oder ihn 
zu beneiden. Ferner indem sie lehrt, dass Jeder mit 
dem Seinigen sich begnüge und dem Nächsten helfe; 
^icht aus weibischem Mitleid, Parteilichknit noch Aber- 
glauben, sondern bloss aus dem Gebot der Vernunft, je 
nachdem es nämlich Zeit und jD^mstände erfordern, wie 
ich im dritten Theile zeigen werde. Endlich nützt diese 
Lehre viertens auch nicht wenig der bürgerlichen Gesell- 



m. TheiL Von den Affekten. IQl 

Schaft, indem sie lehrt, auf welche Weise die Bürger zn 
regieren and zu leiten sind, damit sie nicht sklavisch 
folgen, sondern frei das Beste vollbringen. 

Damit ist der Zweclt dieser Erläutenmg erreicht, und 
icli BCiiUesse hiermit diesen zweiten Theil, in welchem 
ich die Natur der menschlichen Seele mit ihren Eigen- 
thflmJichkeiten ausführlich und so deutlich, als es die 
Schwierigkeit des Gegenstandes gestattet, dargelegt und 
eine Lehre gegeben zu haben glaube, ans der viel Herr- 
liches, höchst Nützliches und Wissen swerthes entnommen 
werden kann, wie zum Theil das Folgende ergeben 
Tfird.6») 81) 

Drittel Theil. 

Von dem Ursprünge und der Natur der 
Affekte. 

"V o r r e d e. 

Die Meisten, welche über die Affekte und Lebensweise 
der Menschen geschrieben haben, acheinen nicht natürliche 
Dinge zu behandeln, welche den gemeinsamen ßesetzeu 
der Katur folgen, sondern Dinge ausserhalb der Satur; 
ja, sie scheinen den Menschen in der Natur wie einen 
Staat im Staate aufzufassen. Denn sie glauben, dass der 
Mensch die -Ordnung der Natur eher stört als befoM.- 
dass er über seine Handlungen eine unbedingte Ma 
hat und von Niemand als ihm selbst bestimmt w 
Ebenso schieben sie die Schuld der menschlichen Schwa 
heit und Unbeständigkeit nicht auf die allgemeine Ma 
der Natur, sondern auf, ich weiss nicht, welchen Fei 
der menschlichen Natur, die sie deshalb beweinen, 
lachen, verachten, oder, wie meistentheils geschit 



102 in. Theil. Von den Affekten. > 

verwünschen. Wer die Ohnmacht der menschlichen Seele 
am beredtsten und scharfsinnigsten zu verspotten versteht, 
wird gleichsam für ein göttliches Wese^n gehalten. 

Dennoch hat es viele ausgezeichnete Männer gegeben 
(deren Arbeit und Fleiss ich Vieles zu schulden anerkenne), 
welche über die rechte Weise zu leben viel Vortreffliches 
geschrieben und den Sterblichen Eathschläge voll Klug- 
heit gegeben haben; Niemand aber hat, soviel ich weiss, 
über die Natur und Kräfte der Affekte und was die Seele 
vermag, um sie zu massigen, etwas festgestellt. Ich 
weiss zwar, dass der berühmte Carte sius, trotz seiner 
Meinung, dass die Seele über ihre Handlungen eine un- 
bedingte Macht habe, sich bestrebt hat, die menschlichen 
Affekte durch ihre letzten Ursachen zu erklären und 
zugleich den Weg zu zeigen, wie die Seele eine unbe- 
dingte Herrschaft über die Affekte erlg,ngen kann; indess 
hat er, meiner Ansicht nach, nur, die Schärfe seines 
grossen Geistes gezeigt, wie ich an seinem Orte darlegen 
werde. 

Ich kehre daher zu denen zurück, welche die Affekte 
und Handlungen der Menschen lieber verwünschen und 
belachen, als erkennen wollen. Diesen wird es wahr- 
scheiBlich wunderbar vorkommen, dass ich versuchen 
will, die Fehler und Thorheiten der Menschen in geome- 
trischer Weise zu behandeln und durch sichere Beweise 
das darzulegen, was der menschlichen Vernunft wider- 
spricht, und was sie als eitel, verkehrt und schauderhaft 
beklagen. 

Mein Grund ist aber folgender: es geschieht nichts 
in der Natur, was einem Fehler von ihr zugeschrieben 
werden könnte. Denn die Natur ist immer und überall 
ein und dieselbe, nnd ihre Vorzüglichkeit ist dasselbe, 
wie ihre Macht zu handeln; d. h. die Gesetze und Eegeln 
der Natur, nach denen Alles geschieht und aus einer 
Gestalt in die andere übergeht, sind Überali und immer 
dieselben. Deshalb kann es nur eine Weise geben, die 
Natur von irgend einem Gegenstande zu erkennen, nämlich 
durch die allgemeinen Gesetze und Eegeln der i^atur. 

Daher ergeben sich die Affekte des Hasses, des Zornes, 
des Neides u. s. w., an sich betrachtet, aus derselben 
Nothwendigkeit und Vorzüglichkoit der Natur, wie alles 
Andere. Sie haben deshalb ihre bestimmten Ursachen, 



m, Theil. Von den Affekten. 103 

durch die man sie erkennen kann, und sie haben be- 
stimmte Eigenschaften, die dieser Erkenntniss ebenso 
würdig sind, wie die Eigenschaften irgend einer anderen 
Sache, an deren blosser Betrachtung wir uns er- 
götzen. 

Ich werde daher über die Natur und Kraft der Affekte 
und die Macht der Seele über ^sie in derselben Weise die 
Untersuchung anstellen, wie ich es bis hief über Gott 
und die Seele gethan habe,^ und ich werde die mensch- 
lichen Handlungen und Begierden ebenso betrachten, als 
wenn es sich um Linien, Ebenen oder Körper handelte. ^) 

D. 1, Ich nenne eine Ursache zureichend, wenn ihre 
Wirkung klar und deutlich durch sie aufgefasst werden 
kann, unzureichend oder partiell aber dann, wenn ihre 
Wirkung aus ihr allein nicht erkannt werden kann. *) 

D, 2. Ich sage, dass wir dann handeln, wenn in oder 
ausser uns etwas geschieht, dessen zureichende Ursache 
wir sind, d. h. wenn aus unserer Natur etwas in 
oder ausser uns folgt, das durch sie allein klar und 
deutlich erkannt werden kann (D. 1). Dagegen sage ich, 
dass wir leiden, wenn etwas in uns geschieht oder aus 
unserer Natur etwas folgt, von dem wir nur die partielle 
Ursache sind. *) 

D» 3* Unter Affekte verstehe ich die Zustande des 
Körpers, durch welche des Körpers Macht zu handeln 
vermehrt oder vermindert, gesteigert oder gehemmt wird, 
und zugleich die Vorstellungen dieser Zustände. 

Wenn wir mithin die zuseichende Ursache eines dieser 
Affekte sein können, dann verstehe ich unter Affekt ein 
Handeln, soust ein Leiden. 4) 

H. 1. Der menschliche Körper kann auf viele Weise 
erregt werden, wodurch seine Macht zu handeln vermehrt 
oder vermindert wird; ebenso aber auf andere Weisen, 
welche seine Macht zu handeln weder vergrössern noch 
verkleinem. 

Dieser Satz oder dieses Axiom stützt sich auf II. H. 1. 
und Ln. 6, 7, hinter L. 13. 

H. 2« Der menschliche Körper kann viele Verände- 
rungen erleiden und dennoch die Eindrücke oder Spuren 
der Gegenstände behalten (II. H. 5) und mithin auch 
dieselben Bilder dieser Gegenstände (11. L. 17 E.). 



104 HL TheiL Von den Affekten. 

L« 1. Unsef^e Seele handelt baldj bald leidet sie; 
nämUchy so weit sie zureichende Vorstellungen Jtat, 
so weit ist sie nothwendig handelnd, und so weit sie 
unzureichende Vorstellungen hat, so weit ist sie noth- 
wendig leidend, 

B. In jeder menschlichen Seele sind zureichende Vor- 
stellungen und solche, die verstümmelt und verworren siiid 
(11. L. 40 E.). Nun sind die Vorstellungen, welche in der 
Seele zureichend sind, in Gott zureichend, insofern er das 
Wesen der menschlichen Seele ausmacht (II. L. 11 Z.), und 
die, welche in der Seele unzureichend sind, sind ebenfalls 
zureichend in Gott (11. L. 11 Z.), nicht insofern er nur 
das Wesen der Seele, sondern insofern er andere Dinge 
in sich enthält. Femer muss aus irgend einer ge- 
gebenen Vorstellung irgend eine Wirkung nothwendig 
folgen (I. L. 36), von welcher Gott die zureichende 
Ursache ist (II. D. 1), nicht insofern er unendlich ist, 
sondern insofern er mit jener Vorstellung behaftet auf- 
gefasst wird (11. L. 9). Von der Wirkung nun, von 
welcher die Ursache Gott ist, insofern er behaftet ist 
mit einer Vorstellung, welche in einer Seele zureichend 
ist, ist diese Seele die zureichende Ursache (11. L. 11 Z.)- 
Sofern also unsere Seele zureichende Vorstellungen hat 
(11. D. 2), ist sie nothwendig handelnd. Dies war das 
Erste. Was femer nothwendig aus einer Vorstellung 
folgt, die in Gott zureichend ist, nicht insofern er bloss 
die Seele eines Menschen hat, sondern zugleich die Seelen 
anderer Dinge mit der Seele dieses Mensehen in sicli 
hat, von dieser Folge ist die Seele dieses Menschen nicht 
die zureichende Ursache, sondem die partielle (II. L. 11 Z.), 
und deshalb ist die Seele, soweit sie unzureichende Vor- 
stellungen hat, nothwendig leidend. Dieses war das Zweite. 
Also handelt unsere Seele u. s. w. *) 

Z« Hieraus erhellt, dass die Seele um so mehr leidenden 
Zustanden unterworfen ist, je mehr unzureichende Vor- 
stellungen sie hat, und umgekehrt, dass sie um so mehr 
handelt, je mehr zureichende Vorstellungen sie hat. 

L« 2* Der Körper kann die Seele nicht zum 
Denken j und die Seele den Körper nickt zur Bewegung 
oder Ruhe oder sonst etwas bestimmen. 



m. Theil. Von den Mekten. 105 

B« Alle Zustände des Denkens haben Gott, insofern 
er ein denkendes Wesen ist und nicht insofern er durch 
ein anderes Attribut ausgedrückt ist, zu ihrer Ursache 
(IL L. 6). Das, was die Seele zum Denken bestimmt, 
ist folglich ein Zustand des Denkens und nicht der Aus- 
dehnung, d. h. nicht der Körper (I. D. 1); dies war das 
Erste. Ferner muss die Bewegung oder Ruhe des Kör- 
pers von einem andern Körper ausgehen, welcher eben- 
falls zur Bewegung oder Ruhe von einem andern bestimmt 
worden ist, und überhaupt muss Alles, was in dem Kör- 
per entsteht, von Gott entstehen, insofern er von einem 
Zustande der Ausdehnung und nicht insofern er von 
einem Zustande des Denkens erregt vorgestellt wird 
(IL L. 6), d. h. es kann von der Seele, welche ein Zu- 
stand des Denkens ist (ü. L. 11), nicht entstehen. Dies 
ist das Zweite. Der Körper kann deshalb die Seele 
u. s. w. •) 

E. Dies erhellt deutlicher aus dem, was in der Er- 
läuterung zu IL L. 7. gesagt ist, dass nämlich Seele und 
Körper dasselbe Ding sind, was bald unter dem Attribut 
des Denkens, bald der Ausdehnung aufgefasst wird. Daher 
kommt es, dass die Ordnung und Verknüpfung der Dinge 
nur eine ist, mag die Natur unter diesem oder jenem 
Attribut aufgefasst werden, folglich auch, dass die Ord- 
nung des Handelns und Leidens bei unserem Körper von 
Natur zugleich ist mit der Ordnung des Handelns und 
Leidens der Seele. Dies erhellt auch daraus, wie der 
Lehrsatz II. 12 bewiesen worden ist. Obgleich dies sich 
so verhält, dass kein Grund zum Zweifel übrig bleibt, so 
glaube ich doch kaum, dass man, ehe ich es nicht aus 
der Erfahrung bewiesen habe, sich entschliessen wird, 
dies mit Gleichmuth zu überlegen ; so stark ist die Ueber- 
zeugung, dass der Körper sich auf den blossen Wink der 
Seele bald bewegt, bald ruht, bald Verschiedenes thut, 
was bloss von dem Willen und der Kraft des Denkens in 
der Seele abhängt. 

Denn was der Körper vermag, hat bis jetzt noch 
Niemand bestimmt, d. h. Niemand weiss bis jetzt aus 
Erfahrung, was der Körper nach den blossen Gesetzen 
der Natur, insofern sie nur als körperliche aufgefasst 
wird, zu thun vermag, und was er, ohne durch die Seele 
bestimmt zu werden, nicht vermag; denn Niemand hat bis 



106 HL TheiL Von den Affekten. 

jetzt diese Werkstatt des Körpers so genau erkannt, dass 
er alle ihre Verrichtungen erklären könnte. Ich wül 
dabei gar nicht erwähnen, dass. man bei den vemunft- 
losen Thieren Manches beobachtet, was den menschlichen 
Scharfsinn weit übersteigt, und dass die Nachtwandler im 
Schlafe Vieles thun, was sie im Wachen nicht wagen 
wurden ; dies zeigt zur Genüge, dass der Körper aus den 
blossen Gesetzen seiner Natur Vieles vermag, was seine 
Seele bewundert. 

Auch weiss Niemand, auf welche Weise und durch 
welche Mittel die Seele den Körper bewegt, noch wie 
Yiel Grade der Bewegung sie dem Körper mittheüen kann, 
und mit welcher Schnelligkeit sie ihn bewegen kann. 
Daraus folgt, dass, wenn man sagt, diese oder jene Hand- 
lung des Körpers rühre von der Seele her, welche die 
Herrschaft über den Körper habe, man nicht weiss, was 
man sagt, und dass man nichts Anderes thut, als mit 
schönen Worten einzugestehen, dass man die wahre Ur- 
sache jener Handlung nicht kenne und sich darüber nicht 
wundere. 

Aber man behauptet, dass, möge mau die Mittel, durch 
welche die Seele den Körper bewege, kennen oder nicht, 
man doch aus der Erfahrung wisse, dass der Körper sich 
nicht regen werde, wenn die menschliche Seele nicht zum 
Denken fähig wäre. Ebenso sagt man, dass man aus 
Erfahrung wisse, dass es bloss in der Macht der Seele 
stehe, zu sprechen und zu schweigen und vieles Andere 
zu thun, was man deshalb als von dem Beschluss der 
Seele abhängig hält. 

Was nun das Erste anlangt,- so frage ich, ob die Er- 
fahrung nicht auch lehii, dass wenn umgekehrt der Körper 
träge ist, auch die Seele zugleich ungeeignet zum Denken 
ist? Denn wenn der Körper im Schlafe ruht, so ist die 
Seele zugleich mit ihm eingeschläfert und hat nicht die 
Macht, wie im Wachen etwas zu überdenken. Ferner wird 
Jedermann wohl erfahren haben, dass die Seele nicht 
immer gleich geschickt ist, über einen Gegenstand nach- 
zudenken. So wie vielmehr der Körper geeigneter ist, 
dass das Bild dieses oder jenes Gegenstandes in ihm er- 
weckt werde, so ist auch die Seele geschickter zur Be- 
trachtung dieses oder jenes Gegenstandes. 

Aber man sagt, aus den blossen Gesetzen der Natur, 



m. TheiL Von den Affekten. 107 

so weit sie nur als' eine körperliche betrachtet wird, sei 
es mui^Öglich, die Ursachen abzuleiten von den Gebäuden, 
Gemälden und ähnlichen Dingen, welche bloss durch die 
menschliche Kunst entstehen; der menschliche Körper sei 
nicht im Stande, einen Tempel zu bauen, wenn er nicht 
von der Seele bestimmt und geleitet werde. Aber ich 
habe schon gezeigt, dass man selbst nicht weiss, was der 
Körper vermag, und was man aus. der Betrachtung seiner 
Natur allein ableiten kann. Man erfahrt selbst, dass sehr 
Vieles aus blossen Naturgesetzen entsteht, von denen man 
nie geglaubt hätte, dass es anders als durch die Leitung 
der Seele geschehen könne, z. B. das, was die Mond- 
süchtigen im Schlafe thun, und was sie beim Wieder- 
erwachen selbst bewundern. Ich beziehe mich ausserdem 
noch auf den kunstlichen Bau des menschlichen Körpers, 
welcher an Künstlichkeit Alles weit übertrifft, was mensch- 
liche Kunst gefertigt hat, ohne das oben Dargelegte zu 
erwähnen, dass aus der Natur unter der Aufi&.ssung eines 
jeden Attributs unendlich Vieles folgt. 

Was nun das Zweite betrifft, so würde es allerdings 
mit den menschlichen Verhältnissen weit besser stehen, 
wenn das Schweigen ebenso wie das Sprechen in der 
Gewalt der Menschen wäre. Aber die Erfahrung lehrt 
über und über, dass die Menschen nichts weniger in 
ihrer Gewalt haben, wie ihre Zunge, und nichts weniger 
vermögen, wie ihre Begierden zu massigen. Viele sind 
deshalb der Ansicht, dass der Mensch nur da frei 
handelt, wo er schwach begehrt, weil das Begehren sol- 
cher Dinge leicht durch die Vorstellung einer andern 
Sache beschränkt werden kann, deren wir uns häufig 
erinnern, aber dass der Mensch bei den Gegenständen 
nicht frei handelt, welche er mit Heftigkeit begehrt, und 
wo dies Begehren durch die Erinnerung eines andern 
Gegenstandes nicht beschwichtigt werden kann. Wenn 
man indess nicht an sich die Erfahrung gemacht hätte, 
dass man Manches thut, was Einen später gereut, und dass 
man, wenn man nämlich von entgegengesetzten Affekten 
bedrängt wird, das Bessere einsieht und das Schlechtere 
thut, so würde der Meinung, dass man in Allem frei 
handelt, kein Hinderniss entgegen stehen. So glaubt das 
Kind, dass es die Milch freiwillig begehrt, und ebenso 
hält der Knabe das Wollen der Eache, und der Furcht- 



108 ^- 1^B>l> '^0° d^ Affekten. 

same das Wollen zu fliehen föi ein IVeiwilliges. Femer 

^lanbt der Betrunkene, dass er ans freiem Entgchlnss 

der Seele das epreche, was er nüchtern gern verschwiegen 

"•""«. So glaubt der Wahnsinuige, der Schwätzer, der 

>be nnd viele andere dieser Art ans freiem Bescblnss 

Seele zn sprechen, während sie doch ihre Begierde zu 

tchen nicht bezähmen können. 

So lehrt die Erfahrung nicht minder deutlich, wie die 
nunft, dasa die Menschen sich nur. deshalb für frei 
en, weil sie zwar ihre Handlungen kennen, aber niclit 
Ursachen, vOn denen sie bestimmt werden. Die Ent- 
risse der Seele sind nur dasselbe, was die Begehren, 
daher verschieden nach dem verschiedenen Befinden 
£&rpers. Ein Jeder bestimmt Alles nach seinen 
kten, nnd die, welche von entgegengesetzten Affekten 
lürmt werden, wissen nicht, was sie wollen; die endlich, 
:he von keinem Affekt erregt sind, werden durch ein 
inges hier oder dorthin 'getrieben. 
Dies Alles zeigt deutlich, dass sowohl der Entschiusa 
Seele, wie das Begehren nnd die Bestimmung des 
pers, von Natur zugleich sind oder vielmehr; dass sie 
und dieselbe Sache sind, welche, wenn man sie unter 
. Attribut des Denkens auffasst und durch dieses ans- 
^kt, Entschlnss heisst, und welche unter dem Attribut 
Äusdehnnng aufgefasat und aus den Gesetzen der 
'egung und Kühe abgeleitet, Bestimmung heisst. Dieses 
l noch deutlicher au's dem bald Folgenden sich er- 
m. Denn zunächst möchte ich noch an ein Anderes 
nem, dass wir nämlich nur das in Folge eines Be- 
usses der Seele thun können, dessen wir uns ent- 
en. So gönnen wir z. B. kein Wort aussprechen, dessen 
uns nicht erinnern. Aber es steht nicht in der freien 
ht der Seele, sich einer Sache zu erinnern oder sie zu 
ressen. Man meint deshalb, dass es nur in der Macht 
Seele stehe, eine Sache, deren wir uns erinnern, zu 
chweigen oder auszusprechen. Wenn wir aber träa- 
, dasa wir sprechen, so glauben wir aus freiem Ent- 
uss der Seele zu sprechen und apreclien doch nicht, 
wenn wir sprechen, geschiebt es nur durch unwill- 
iche Bewegungen des Körpers. Wir tränmen auch, 
; wir den Menseben etwas verheimlichen, und zwar 
demselben Entschlnss der Seele, mit dem wir wachend 



m, Theil. Von den Affekten. 109 

das, was- wir wissen, verschweigen. Wir träumen endlich, 
dass wir nach dem Beschluss der Seele etwas vornehmen, 
was wir wachend nicht wagen, und so möchte ich doch 
wissen, ob es in der Seele zwei Arten von Beschliessungen 
giebt, phantastische und freie? 

Wenn man bis zu dieser tollen Annahme nicht gehen 
kann, so folgt, dass der Beschluss der Seele, welchen 
man für frei hielt, von der blossen Vorstellung oder von 
dem Gedächtniss sich nicht unterscheidet, und dass dieser 
Entschluss nichts ist, als jene Bejahung, welche jede 
Vorstellung als solche nothwendig enthält (II. L. 49). 
Daher entstehen diese Entschlüsse der Seele mit derselben 
liothwendigkeit in ihr, wie die Wahrnehmungen der wirk- 
lich existirenden Dinge. Wer also glaubt, aus freiem 
Beschluss der Seele zu sprechen oder zu schweigen oder 
etwas zu thun, der schläft mit offenen Augen. '^) 

L. 3. Die Handlungen der Seele entspinngen nur 
aus zureiche7ide7i Vorstellungen; ihre leidenden Zu- 
stände hängen aber bloss von "unzureichenden Vor Stel- 
lungen ab. 

B. Zuerst erhellt, dass das, was das Wesen der 
Seele ausmacht, nur die Vorstellung ihres wirklich existi- 
renden Körpers ist (II. L. 11 und 13), welche sich aus 
yielen andern Vorstellungen zusammensetzt (II. L. 15), 
von denen einige zureichend (II. L. 38 Z.), andere un- 
zureichend sind (II. L. 29 Z.). Alles mithin, was aus 
der Natur der Seele folgt, und von dem die Seele die 
nächste Ursache ist, durch die es erkannt werden muss, 
ist nothwendig die Folge einer zureichenden oder unzu- 
reichenden Vorstellung. Soweit aber die Seele unzu- 
reichende Vorstellungen hat (III. L. 1), ist sie nothwendig 
leidend. Daher folgen die Handlungen der Seele nur aus 
zureichenden Vorstellungen, und die Seele leidet nur des- 
halb, weil sie unzureichende Vorstellungen hat. 

£• Man sieht daher, dass die leidenden Zustände auf 
die Seele nur bezogen werden, sofern sie etwas hat, was 
eine Verneinung enthalt, oder sofern sie als ein Theil 
der Natur betrachtet wird, welchei: für sich und ohne 
Anderes nicht klar und bestimmt aufgefasst werden kann. 
Ich könnte auf diese Weise zeigen, dass die leidenden 
Zustände ebenso auf die einzelnen Dinge, wie auf die 



^. 



110 III. TheiL Von den Affekten. 

Seele sich beziehen und nicht anders aufzufassen sind; 
indess geht meine Absicht nur auf die Untersuchung der 
menschlichen Seele, ö) 

L. 4. Jedes Ding kann nur von einer äussern 
Ursache zerstört werden. 

B. Dieser Lehrsatz versteht sich von selbst. Denn 
die Definition einer jeden Sache bejaht das Wesen der 
Sache und verneint es nicht; oder sie setzt das Wesen 
der Sache und hebt es nicht auf. Wenn man daher nnr 
auf die Sache selbst und nicht auf fremde Ursachen Acht 
hat, so wird man nichts in ihr auffinden können, was sie 
zerstören könnte. ®) 

L* 5, Die Dinge sind in soweit entgegengesetzter 
Natu/r, d. h, sie können in soweit nicht in demselben 
Gegenstande sein, als das eine das andere zerstören 
kann, 

B. Denn wenn sie zusammenkommen oder in dem- 
selben Gegenstande zugleich sein könnten, so wurde es 
in ein und demselben Gegenstande etwas geben, was ihn 
zerstören könnte, und dies ist widersinnig (III. L. 4). 
Deshalb sind u. s. w. i^) 

L. 6. Jedes Ding, soweit es in sich ist, strebt in 
seinem Sein zu verJiarren, 

B. Denn die einzelnen Dinge sind Zustände, durch 
welche die Attribute Gottes auf gewisse und bestimmte 
Weise ausgedrückt -werden (I. L. 25 Z.), d. h. Dinge, 
welche die Macht Gottes, durch welche Gott ist und 
handelt, auf gewisse und bestimmte Weise auscbrücken, und 
kein Ding hat etwas in sich, was es zerstören oder seine 
Existenz aufheben könnte (III. L. 4). Vielmehr stellt es 
sich Allem, was seine Existenz aufheben kann; entgegen 
(HE. L. 5). Deshalb strebt es, so viel es kann und in 
sich ist, in seinem Sein zu verharren, i^) 

L. 7. Das Streben, wodurch jedes Ding in seinem 
Sein zu verhangen sucht, ist nichts als das wirkliclie 
Wesen des Dinges.* 

B. Aus dem gegebenen Wesen irgend einer Sache 
folgt nothwendig etwas (I. L. 36), und die Dinge ver- 



m. Tlieil. Von den Affekten. Hl 

mSgen nar das, was aus ihrer bestimmten Katar noth- 
vendig folgt (I. L. 39). Deshalb ist die Eraft oder das 
Bestreben einer jeden Sache, wodurch sie entweder allein 
oder mit Änderen etwas thnt oder zu thun strebt, d. h. 
die Macht oder das Bestreben, mit dem sie in ihrem Sein 
2U Terharren sucht, nnr das gegebene oder wirkliche 
¥esen dieser Sache, **) 

h. 8. Das Best/rebmi, mit dem jede Sache in ifirem 
Sein eu verkarrren aneht, eiithäUt nicht eine bestimmte, 
sondern eine jml>estimmte Zeit. 

B. Denn wenn es eine bestimmte Zeit enthielte, 
welche die Dauer der Sache bestimmte, so würde ans 
der blossen Macht, durch welche die Sache existirt, folgen, 
dass die Sache nach Ablanf dieser bestimmten Zeit nicht 
eiiatiren könnte, vielmehr untergehen müssto; aber dies 
ist widersinnig (III. L. 4). Folglich enthält das Bestre- 
ben, mit welchem die Sache existirt, keine bestimmte Zeit, 
sondern eine unbestimmte, weil sie mit derselben Macht, 
dnrch welche sie existirt, zu existiren Immer fortfahren 
wird, wenn sie nicht von einer fremden Ursache zerstört 
wird.") 

L. 9. Mag die Seele klare und bestimmte, oi 
verworrene Vorstelbaiffen habest, so strebt sie in ihr 
Sein auf unbestimmte Dauer mu verliarren und ist a 
diese« Strebens bewusst. 

B. Das Wesen der Seele wird aus zureichenden \ 
unzureichenden Vorstellungen gebildet (III. L. 3). D 
halb strebt sie in ihrem Sein zu verharren, ebenso iu 
fem sie diese, wie insofern sie jene hat {III. L. 7), \ 
zwar mit unbestimmter Dauer (III. L. 8). Da aber 
Seele durch die Vorstellungen der körperlichen Zustäi 
nothwendig eich ihrer bewusst ist {II. L. 23), so ist ai 
die Seele sich ihres Bestrebens bewusst (III. L. 7). 

E. Dieses Streben heisst, wenn es auf die Seele all 
bezogen wird, Wille, wenn es aber auf Seele und 1 
Ilagleich bezogen wird, heisst es Verlangen. Dieses 
daher nur das eigene Wesen des Menschen, aus welch 
nothwendig das folgt, was seiner Erhaltimg dient, i 
deshalb ist der Mensch veranlasst, dies zu thun. Zwiscl 
Verlangen und Begierde ist nur der Unterschied, d 



m. Theil. Von den Affekten. 

rde meistentheila nur auf den Menschen bezogen 
eit er sich seines Verlangens bewasst ist, und 
kann man die Begierde definiren, dass sie das 
1 mit dem Bewusstsein seiner ist. Es erhellt 
a diesem, dass der Mensch nach nichts strebt, 
11, verlangt oder hegehrt, weil er es fflr gut 
lern Tungekehrt hält er ea deshalb für gut, weil 
trebt, will, yerlangt oder begehrt,**) 

'. Eine Vorstellung, welche die Existenz 
'i&iyer» ausschUeast, kann ea m unaerer SeeU 
•en, sondetii sie ist üir ' ' ' 



Vas unseren Eorper zerstören kann, das kann 
m nicht geben (III. L. 5). Deshalb kann es 

Vorstellung einer solchen Sache in Gott nicht 
sofern er die Vorstellung von unserem Eörper 

L. 9 Z.), d. h. die Vorstellung dieser Sache 
in unserer Seele nicht gehen (IL L. 11 13). Im 
l1, weil das Erste, was das Wesen der Seele aus- 
e Vorstellung des wirklich eiistirenden Körpers 
t das Erste, und Wichtigste für das Streben 
leele, die Existenz unseres Körpers zu bejahen 

7). Daher ist die Vorstellung, welche die 
duseres Körpers verneint, unserer Seele entgegen- 

') 

l. Alles, was die Macht zu /landeln in unserem 
mehrt oder mindei-t, unterntütst oder hemmt, 
orstellvitig mehrt oder mindert, unterstätzt odei- 
naerer Seele Macht zu denken. 
Meser Lehrsatz ei^ebt sich aus II. L. 7 oder 
IL L. 14.»«) 

lan sieht dalier, dass die Seele grosse Ver- 
en erleiden und bald zu grösserer bald zu gerin- 
llkommenheit übergehen kann, welche leidenden 
die Affekte der Fröhlichkeit und Traurigkeit 
ren. Unter Fröhlichkeit werde Ich deshalb später- 
leidenden Zustand verstehen, wo die Seele zu 
Vollkommenheit Dbergeht, und unter Traur^keit 
sie zu einer geringeren Vollkommenheit übergeht, 
e femer den Affekt der Fröhlichkeit, wenn er 
er und Seele zugleich bezogen wird, Lust oder 



m. Theil. Von den Affekten. 1 13 

Heiterkeit und den Aflekt der Traurigkeit, in dieser Weise 
bezogen, Schmerz oder Trübsinn. Doch ist zu bemerken, 
dass Lust und Schmerz auf den Menschen bezogen wer- 
den, wenn einer seiner Theile vor den übrigen erregt 
ist; Heiterkeit aber und Trübsinn, wenn alle Theile 
gleichmäss'g erregt sind. 

Was femer Begierde ist, habe ich (III. L. 9) erklärt, 
und ausser diesen dreien erkenne ich keinen ursprüng- 
lichen Affekt an ; die übrigen entstehen aus diesen dreien, 
wie ich später zeigen werde. Ehe ich jedoch weiter gehe, 
möchte ich den Lehrsatz III. 10 ausführlicher erläutern, 
damit man deutlicher einsehe, auf welche Weise eine 
Vorstellung der andern entgegengesetzt ist. ^'^) 

In der Erläuterung zu IL L. 17 habe ich gezeigt, 
dass die Vorstellung, welche das Wesen der Seele aus- 
macht, die Existenz des Körpers so lange enthält, als 
der Körper selbst existirt. Eerner folgt aus dem, was 
ich U. L. 8 Z. und E. gezeigt habe, dass die gegen- 
wärtige Existenz unserer Seele nur davon abhängt, dass 
die Seele die wirkliche Existenz des Körpers enthält. 
Endlich habe ich gezeigt, dass die Macht der Seele, wo- 
durch sie die Dinge sich bildlich vorstellt oder sich ihrer 
erinnert, ebenfalls davon abhängt, dass sie die wirkliche 
Existenz des Körpers einschliesst (11. L. 17, 18 E.). 

Daraus folgt, dass die gegenwärtige Existenz der 
Seele und ihre Vorstellungskraft aufgehoben wird, sobald 
die Seele aufhört, die gegenwärtige Existenz des Körpers 
zu bejahen. Die Ursache aber, weshalb die Seele aufhört, 
diese Existenz des Körpers zu bejahen, kann nicht die 
Seele selbst sein (III. L. 4) und auch nicht, dass der 
Körper aufhört zu sein. Denn die Ursache, weshalb die 
Seele die Existenz des Körpers bejaht, ist nicht die, dass 
der Körper zu existiren angefangen hat (IL L. 6) ; des- 
halb kann sie aus diesem Grunde die Existenz ihres 
Körpers zu bejahen auch nicht aufhören, weil der Körper 
zu sein aufhört, sondern dies konmit von einer andern 
Vorstellung (IL L. 8), welche die gegenwärtige Existenz 
unseres Körpers und folglich unserer Seele ausschliesst, 
und welche mithin der Vorstellung, welche das Wesen 
unserer Seele ausmacht, entgegengesetzt ist. ^*) 

Li 12, Jjie Seele betttrebt sich, 8o viel nie kann, 

Spiuox*. Ethik. ^ 



114 nL Theil. Von den Affekten. 

dasjeniffd aie/i hildUeh voi'ZugleUifn, wag des Körpw» 
Macht SU handeln vertneUrt oder imtt^siätüt. 

So lange der menschliche Eßrper in einer Weise 
irird, welche die Natur eines fremden Edrpere ein- 
t, so lange betrachtet die menschliche Seele dieseu 
als gegenwärtig (II. L. 17), und folglich ist, so 
üe menschliclie Seele einen fremden Körper itls 
irtig annimmt (II. L. 7), d. h. bildlich sich voratallt 
7 Z.), der menschliche Körper so lange in einei 
erregt, welche die Natur eines fremden Eöqiers 
esst. Folglich ist, so lange die Seele das sich 

vorstellt, was des Körpers Macht zu handeln 
t oder unterstützt, der Körper in einer "Weise er- 
elche seme Kraft zu handeln vermehrt oder unter- 
III. H. 1), und folglich wird auch so lange die 
1er Seele zu denken vermehrt oder unterstützt 

11), und deshalb strebt die Seele, so viel sie 
ich dies vorzustellen (HI. L. 6, 9).") 

13. Wenn die Seele sich das hildlieh voi'sUÜt. 

'.s Körpers Macht sw luzndeln mindet-t oder 

so strebt sie, so viel sie kann, derjenigen 

sieh zTi entsinnen, welche die Existenz jener 

So lauge sich die Seele ao etwas vorstellt, so lange 
e Kraft der Seele und des Körpers gemindert oder 
it (III. L. 42), und dennoch wird sich die Seele dieses 
! bildlich vorstellen, bis sie sich etwas Anderes bild- 
rstellt, was die gegenwärtige Existenz jenes ans- 
t (II. L. 17), d. h. (wie oben gezeigt worden) die 
1er Seele und des Körpers wird so lange gemin- 
Br gehemmt werden, bis die Seele sich etwas an- 
orstetlt, was die Existenz von jenem ansachliesst 
t daher der Mensch, so viel er kann, streben wird, 
rausteilen oder zu erinnern (III. L. 9), 

Daher kommt es, dass die Seele das sich vorzu- 
scheut, was die Kraft ihrer selbst nnd die ihres 
I mindert oder hemmt. ^) 

Hieraus erhellt klar, was Liebe nnd was fiass 
e Lieüe ist nfimlich nur die Fröhlichkeit, begleitet 

Vorstellung einer äusseren Ursache, und der Haas 



III. Theil. Von den Affekten. 115 

die Traurigkeit, begleitet von der Vorstellung einer 
äussern Ursache. Man sieht daher, dass der Liebende 
Dothwendig strebt, den geliebten Gegenstand gegenwärtig 
zu haben und zu erhalten, und dass umgekehrt der Has- 
sende strebt, den gehassten Gegenstand zu entfernen und 
zu zerstören. Doch über dies Alles später ausführlicher. ^) 

L. 14. Wenn die Seele einmal durch zwei Affekte 
erregt gewesen ist, so wirdy wenn sie später von einem 
derselben wieder erregt wird, sie auch von dem andern 
erregt werden, 

B. Wenn der menschliche Körper einmal von zwei 
Körpern zugleich erregt gewesen ist, so wird die Seele, 
wenn sie später einen von diesen sich vorstellt, sofort 
auch des andern sich erinnern (II. L. 18). Aber die 
bildlichen Vorstellungen der Seele zeigen mehr die Er- 
regungen dieses Körpers, als die Natur des fremden Kör- 
pers an (II. L. 16 Z. 2). Wenn deshalb der Körper 
und folglich auch die Seele (II. D. 3) von zwei Affekten 
auf einmal erregt worden ist, und sie später wieder von 
einem erregt wird, so wird sie auch von dem andern 
erregt werden. ^ 

L. 15. Jeder Gegenstand kann durch Zufall die 
Ursache einer Fröhlichkeit, einer Traurigkeit odcQ* 
einer Begierde sein. 

B. Man nehme an, dass die Seele durch zwei Affekte 
zugleich erregt ist, nämlich durch einen, der ihre Kraft 
zu handeln weder vermehrt noch vermindert, und durch 
einen zweiten, der sie vermehrt oder vermindert (III. L. 1). 
Aus dem vorgehenden Lehrsatz erhellt, dass wenn die 
Seele später von jenem Affekte vermittelst seiner wahren 
Ursache erregt wird, der (nach der Annahme) für sich 
ihre Kraft zu denken weder mehrt noch mindert, sie so- 
fort auch von dem andern erregt werden wird, welcher 
ihre Kraft zu denken mehrt oder mindert; d. h. die Seele 
wird fröhlich oder traurig erregt sein (III. L. 11 E.). 
Mithin wird jene Sache nicht für sich, sondern durch 
Zufall die Ursache der Fröhlichkeit oder Traurigkeit sein. 
Auf diese Weise lässt sich auch leicht zeigen, dass jener 
(Gegenstand durch Zufall die Ursache einer Begierde sein 
kann. 

8* 



HL Theil. Von den Affekten. 

)shalb allein, weil wir einen Gegenstand mit 
t der Fröhlichkeit oder Trauer betrachtet haben, 
r ihn lieben oder hassen, obgleich er nicht die 
Ursache dieser Affekte ist. 
enn dies kommt allein davon (III. L. 14), dass 

indem sie sich diesea Gtegenstand später bEd- 
dlt, von dem Affekt der Freude oder Trauer 
rd, d. h. dasB die Macht der Seole und des 
'ennehrt oder vermindert wird u. s. w. (IIL 

und folglich, dass die ßeele begehrt (IIL L. 

scheut, ihn sich vorzustellen (III. L. 13 Z), 
I sie ihn liebt oder haast (III. L, 13 E.). 
araus ersieht man, wie es möglich ist, dass wir 
ieben oder hassen, ohne dass uns eine Ursache 
uint ist, sondern nur aus Sympathie oder Anti- 
e man sagt. Hierher gehören auch die Gegen- 
ilche uns blos deshalb mit Freude oder Trauer 
reil sie eine Äehnlichkeit mit den Gegenständen 
Iche in uns dieselben Affekte zu erregen pflegen, 
m folgenden Lehrsatz zeigen werde. Ich weiss 
, dass die Schriftsteller, welche zuerst diese 
mpathio nnd Antipathie eingeführt haben, damit 
eheime Eigenschaften der Dinge haben bezetch- 
i; dennoch glaube Ich, wird es.mir erlaubt sein, 
len Worten auch bekannte oder offenbare E^en- 
!u verstehen. *•) 

• Deshalb allein, wM wir vna vorstelleri, dass 
tistaaul eitdge Aehnliefikeit mit einem midettt 
'«»■ die Seele j'röhlieh oder traurig zu erregen 
rdun wir dienen Gegen»la/nd Ueben oder liaaxen, 
(lag, worin beide ä/mltch stfid, niökt dvi wir- 
■aaehe dienKi- Affekte ist. 
as, was dem Gegenstände ähnlich ist, haben wir 
Annahme) in diesem Gegenstände selbst mit 
rt; der Fi'öhlichkeit oder Traurigkeit betrachtet; 
rd, wenn die Seele von dessen Bilde erregt wird 
-1), sie sofort auch von diesem oder jenem Affekt 
rden; deshalb wird auch der zweite Gegenstand, 
'ir dasselbe Aehnliche bemerken, durch Zufall die 
1er Fröhlichkeit oder Trauer werden (III. L. 15) ; 
rerden wir den Gegenstand lieben oder haüseu, 



m. Theil Von den Affekten. 117 

wenn auch das, worin er dem andern ähnlich ist, nicht 
die wirkende Ursache dieser Affekte ist. (III. L. 15. Z.). *^) 

Li 17. Wenn ein Gegenstandj welcher uns mit 
dem Affekt de9* Traurigkeit z^t erfüllen pßegt uns 
dne Aehulichkeit mit einem andern zu haben seheint, 
der uns mit dem gleich starken Affekt der FröhUcßi- 
keit zu erfüllen pßegt, so werden wi.r diesen Gegen- 
stand zugleich hassen und lieben. 

B. Denn dieser Gegenstand ist nach der Annahme 
für sich die Ursache der Traurigkeit, und soweit wir ihn 
mit diesem Affekte uns vorstellen, hassen wir ihn. So- 
weit er ausserdem, nach unserer Vorstellung, etwas Aehn- 
liches mit einem andern hat, welcher uns mit einem gleich 
starken Affekt der Fröhlichkeit zu erfüllen pflegt, werden 
wir ihn mit gleich starker Fröhlichkeit lieben (III. L. 16), 
und daher werden wir ihn zugleich hassen und lieben. 

E. Dieser Zustand der Seele, welcher nämlich aus 
zwei gegensätzlichen Affekten entspringt, heisst das Schwan- 
ken der Seele; es bezieht sich auf die Affekte, wie der 
Zweifel auf die Vorstellungen (II. L. 44 E.). Auch 
unterscheidet sich das Schwanken und Zweifeln der Seele 
nur nach dem Mehr oder Weniger. Es ist aber zu be- 
merken, dass ich im vorgehenden Lehrsatze diese Schwan- 
kung der Seele aus Ursachen abgeleitet habe, wovon die 
eine durch sich den einen Affekt und die andere durch 
Zufall den andern Affekt verursacht hat. Ich habe dies 
deshalb gethan, weil ich sie so leichter aus dem Vor- 
grehenden ableiten konnte; aber ich leugne deshalb nicht, 
dass die Schwankungen der Seele meistensfheils von einem 
Gegenstände entstehen, welcher die wirkende Ursache von 
beiden Affekten ist. Denn der menschliche Körper be- 
steht aus sehr vielen Einzeldingen verschiedener Natur 
(IL H. 1). Deshalb kann er von ein und demselben 
Körper auf sehr verschiedene Weise erregt werden (II. 
L. 13, A. 1. Ln. 3), und umgekehrt, weil ein und derselbe 
Gegenstand auf viele Weise erregt werden kann, so wird 
er auch auf viele verschiedene Weise denselben Körper- 
theil erregen können. Hieraus kann man leicht anneh- 
men, dass ein und derselbe Gegenstand die Ursache vieler 
und entgegengesetzter Affekte abgeben kann.**) 



1 18 m. Theil. Von den Affekten. 

L. 18. Der Mensch wird durch das ßüd eines 
vergangenen odei' zukünftigen Dinges mit demselben 
Affekt der Fröhlichkeit oder Trauer beJiaftet, wie am 
dem Bilde eines gegenwärtigen Dinges, 

B. So lange ein Mensch von dem Bilde eines Dinges 
erregt ist, so lange wird er es als gegenwärtig betrach- 
ten, wenn es anch nicht existirt (11. L. 17 Z.). Und er 
nimmt es nicht als gegenwärtig oder zukünftig, wenn 
nicht dessen Bild mit dem Bilde einer kommenden oder 
vergangenen Zeit verknüpft ist (11. L. 44 E.). Deshalb 
ist das Bild des Dinges, für sich allein betrachtet, das 
gleiche, mag es auf die zukünftige oder vergangene Zeit, 
oder auf die Gegenwart bezogen werden, d. h. der Zustand 
des Körpers oder der Affekt ist 'derselbe, gleichviel, ob 
das Bild das eines vergangenen, kommenden oder gegen- 
wärtigen Dinges ist (II. L. 16 Z. 2). Daher ist der 
Affekt der Fröhlichkeit oder Trauer derselbe, mag das 
Bild das eines vergangenen oder kommenden oder gegen- 
wärtigen Dinges sein. 

E, Ich nenne hier ein Ding insofern vergangen oder 
zukünftig, als wir von demselben erregt gewesen sind 
oder erregt werden, z. B. insofern wir ein Ding ge- 
sehen haben oder sehen werden; insofern es uns gestärkt 
hat oder stärken wird; insofern es uns verletzt hat oder 
verletzen wird. Insoweit wir nämlich das Ding so uns 
vorstellen, insoweit bejahen wir seine Existenz, d. h. der 
Körper wird durch keinen Affekt erregt, welcher die 
Existenz des Dinges ausschliesst, und deshalb wird der 
Körper durch das Bild dieses Dinges ebenso erregt, als 
wenn das Din^ selbst gegenwärtig wäre. Da ^s indessen 
gewöhnlich ist, dass viel erfahrene Menschen schwanken, 
so lange sie eine Sache als zukünftig oder vergangen be- 
trachten, und über den Ausgang meistentheils zweifeln 
(n. L. 44 E.), so kommt es, dass die aus solchen Bil- 
dern entstehenden,Affekte nicht sehr beharrlich sind, son- 
dern meistens durch die Bilder anderer Gegenstände gestört 
werden, bis die Menschen über den Ausgang der Sache 
mehr Gewissheit erlangen. *•) 

E, 2. Aus dem eben Gesagten erhellt, was die Hoff- 
nung, die Furcht, die Zuversicht, die Verzweiflung, die 
Freude und die Gewissensbisse sind. Die Hofl&iung ist 



ni. Theil. Von den Affekten. 119 

nämlicli nichts Anderes, als die unbeständige Fröhlichkeit, 
welche aus dem Bilde einer kommenden oder yergangenen 
Sache entspringt, über deren Erfolg wii* zweifeln. Die 
Furcht ist dagegen eine unbeständige Traurigkeit, welche 
aus dem Bild einer zweifelhaften Sache entspringt.'* Wird 
der Zweifel bei* diesen Affekten gehoben, so verwandelt 
sich die Hoffnung in Zuversicht und die Furcht in Ver- 
zweiflung, d. h. in eine Fröhlichkeit oder eine Trauer, 
welche aus dem Bilde einer Sache entsprungen ist, welche 
wir gefürchtet oder gehofft haben. Die Freude ist femer 
eine Fröhlichkeit, welche aus dem Bilde einer vergange- 
nen Sache entsprungen ist, über deren Erfolg wir zwei- 
felten. Die Gewissensbisse sind eine Trauer, welche der 
Freude entgegengesetzt ist. *^) 

L. 19. W'e^m man sich vorstellt, dass dasj was 
man lieht, zerstört wird, wird man sich betrüben; stellt 
man sich aber t>or, dass es erhalten loird, so toird man 
fröhlich sein, 

B. Die Seele strebt soviel als möglich, sich das- 
jenige vorzustellen, was des Körpers Macht zu handeln 
vermehrt oder unterstützt (III. L. 12), d. h. das, was sie 
liebt (III. L. 12 E.). Aber die bildliche Vorstellungs- 
kraft wird von dem unterstützt, was die Existenz der 
Sache setzt, und umgekehrt gehemmt von dem, was die 
Existenz der Sache ausschliesst (II. L. 17), Deshalb 
unterstützen die Bilder der Dinge, welche die Existenz 
des geliebten Gegenstandes setzen, das Streben der Seele, 
sich den geliebten Gegenstand vorzustellen, d. h. sie er- 
füllen die Seele mit Fröhlichkeit (III. L. 11 E.). Um- 
gekehrt wird das, was die Existenz des geliebten Gegen- 
standes ausschliesst, dasselbe Streben der Seele hemmen. 
d. h. die Seele mit Trauer erfüllen (III. L. 11 E.). Wer 
also sich einbildet, dass das, was er liebt, zerstört wird, 
wird sich betrüben u. s. w. *•) 

L. 20. Wenn man sich vorstellt, dass das, was 
man Iiasst, zerstm't wird, so wird man fröhlich 
sein, 

B. Die Seele strebt sich das vorzustellen (III. L. 13), 
was die Existenz der Dinge, welche des Körpers Macht 
zu handeln mindern oder beschränken, ausschliesst, d. h. 



120 ni. Tbeil. Von den Affclvten. 

sie streM sich das vorzustellen (III. L. 13 E.), was die 
Existenz der Dinge, welche sie hasst, ausschliesst. Polg- 
lich unterstützt das Bild eines Dinges, welches die Existenz 
desjenigen, was die Seele hasst, ausschliesst, dieses Stre- 
ben der Seele, d. h. sie erfüllt die Seele mit Fröhlichkeit 
(III. L. 11 E.). Folglich wird der sich' freuen, welcher 
sich vorstellt, . dass das, was er hasst, zerstört wird. **) 

L. 21. Wer daSy was er Hebt, sich vorstellt als von 
FVöhlichkeit odei* Iraxier erfüllt, wird eher^alls von 
Fröhlichkeit oder Tratter erfüllt; und beide Affekk 
werden in dem Ldeb enden grösser oder kleinei* sein^ 
je nachdem beide in dem geliebten Gegenstande grosse^' 
oder kleiner sind, 

B. Die Bilder der Dinge, welche die Existenz des 
geliebten Gegenstandes setzen (III. L. 9), unterstützen 
das Streben der Seele, den geliebten Gegenstand sich 
vorzustellen. Die Fröhlichkeit setzt aber die Existenz des 
fröhlichen Gegenstandes, und zwar um so mehr, je grösser 
der Affekt der Fröhlichkeit ist; denn er ist ein üeber- 
gang zu höherer Vollkommenheit (HI. L. 11 E.). Des- 
halb unterstützt das Bild des Frohseins des geliebten 
Gegenstandes in dem Liebenden das Streben seiner Seele, 
d. h. es erfüllt den Liebenden mit Fröhlichkeit (III. L. 11 E.). 
und zwar mit um so stärkerer, je starker dieser Affekt 
in dem geliebten Gegenstand ist. Dies war das Erste. 

Ferner wird ein Gegenstand insoweit zerstört, als er 
von Traurigkeit erfüllt ist, und zwar um so mehr, je grösser 
die Traurigkeit ist (III. L. 11 E.). Folglich wird der, 
welcher sich vorstellt, dass das, was er liebt, mit Trau- 
rigkeit erföllt ist, ebenfalls von Traurigkeit erfüllt wer- 
den, und von um so grösserer, je grösser die Traurigkeit 
in dem geliebten Gegenstande ist.'<*) 

L. 22* Wenn wir uns vorstellerif dass Jemand die 
Sacliej welche wir lieben, mit Fröhlichkeit erfüllt^ so 
werden toir von Triebe zu ihm erfüllt werden, Wemi 
wir uns aber vorstellen^ dass er die Sache mit Iran- 
rigkeit erfüllt, so wei^den wir dagegen von Hass gegen 
ihn erfüllt werden, 

B. Wer einen Gegenstand, welchen wir lieben, mit 
Fröhlichkeit oder Traurigkeit erfüllt, der erfüllt auch uns 



m Theil. Von den Affekten. 121 

selbst mit Fröhlichkeit oder Traurigkeit, insofern wir 
nämlich den geliebten Gegenstand uns von Fröhlichkeit 
oder Traurigteit erfüllt vorstellen (III. L. 21). Aber es 
wird angenommen, dass diese Fröhlichkeit oder Trauer in 
nn8 besteht in Begleitung der Vorstellung einer fremden 
Ursache. Doshalb werden wir von Liebe oder Hass gegen 
den erfüllt werden, von dem wir uns vorstellen, dass er 
den Gegenstand, welchen wir lieben, mit Fröhlichkeit 
oder Trauer erfülle (III. L. 13 E.). «) 

E. Der Lehrsatz 21 erklärt, was das Mitleiden ist; 
man kann es definiren als die Traurigkeit, welche aus 
eines Andern Schaden entsprungen ist. Dagegen weiss 
ich nicht, mit welchem Namen die Fröhlichkeit bezeich- 
net werden soll, welche aus eines Andern Wohlsein ent- 
springt Man nennt femer die Liebe für den, der 
einem Andern wohlgethan hat, Gunst, und dagegen den 
Hass gegen den, der einem Andern Uebles gethan hat: Er- 
bitterung. Endlich ist zu bemerken, dass man nicht 
Mos mit dem Gegenstande Mitleid hat, den man liebt 
(III. L. 21), soudeiTi auch mit dem, für den man vorher 
von keinem Affekte erfüllt gewesen ist, sofern man nur 
den Gegenstand sich ähnlich erachtet (wie ich später 
zeigen werde). "Wir sind daher auch dem günstig ge- 
sinnt, welcher einem uns ähnlichen Gegenstande Gutes 
gethan hat, und sind umgekehrt auf den erbittert, welcher 
einem solchen Uebles zugefügt hat. *^) 

L. 23, We9' sich vorstellt, dass das^ was er hasst, 
von 2 r au ei* et^föllt istj loird fröhlich sein; umgekehrt, 
icerm er sich vorstellt^ dass es von FröhUchkeit erfüllt 
ist, wird er sich betrüben» Jeder dieser Affekte wird 
(jross oder klein sein, je nachdem de7* entgegengesetzte 
in dem geliassten Gegenstande gross oder klein ist. 

B. Soweit der gehasste Gegenstand von Traurigkeit 
erfÖUt ist, wird er zerstört, und zwar um so mehr, je 
grösser die Traurigkeit ist (III. L. U E.). Wer also 
sich vorstellt, dass ein gehasster Gegenstand von Trau- 
rigkeit erfüUt ist, wird umgekehrt von Freude erfüllt 
werden (III. L. 20), und zwar um so mehr, je grösser 
er sich die Trauer in dem gehassten Gegenstande vor- 
stellt Dies war das Erste. Femer setzt die Fröhlich- 
keit die Existenz des fröhlichen Gegenstandes (III. L. 1 1 E.), 



122 in. Theil. Von den Affekten. 

DDd um 80 mehr, je grosser sie Totgestellt wird. Wenn 
[ind sich vorstellt, dass der, den er hasst, von Fröli- 
[eit erfQllt ist, so wird diese Yorstelliing sein Streben 
men (III. L. 13), d. h. der Hassende wird tod Tntii- 
ttit erfüUt sein (III. L. 11 E.). 
S. Diese Fröhlichkeit kann kaum eine feste nnd TOm 
pf der Seele freie sein. Denn (wie ich in L, 27 
an werde) soweit Jemand einen ihm ähnlichen 6e- 
tand als von Tianor erföllt sich voratellt, mnss m 
ng werden, und nmg^ekehrt, wenn er sich denselben 
lieh vorstellt. Hier ist indess nur der Haas in Be- 
it zu ziehen. ") 

[i. 24. Wenn vnr uns vorstellen, dass Jemand 
n Geffenättmd, den wir kosten, mit Fröldichkeit 
Üt, so icerden wir auch mit Heus ffegeri Um er- 
Wenn wir lins umgekehrt vm-stellen, da»D er 

in Gegenstand mit Trauer erfüllt, so werden mr 

Lirbe gegen Um erfüUt. 

1. Dieser Lehrsatz wird ebenso bewiesen, wie Lehr- 

22. 
l. Dieser nnd ähnliche ^Affekte des Hasses gehören 

Neid, welcher mithin nnr der Hass selbst is^ in- 
'n er einen Menschen so bestimmt, dass er sich ther 

Debel eines Andern erfrent nnd Aber sein Gates 
>bt. »*) 

j. 35. Wir streben von ims und von dem geHehlen 
imstande Alles ett bi^ahen, von dem wir uns vorntul- 
dass es uns oder den geliebten Gegenstand mit 

hlichkeit erfüllen werde; und umgekehrt Alles das m 
einen, von dem wir uns vorstellen, dass es uns oder 
geliebten Gegenstand mit Iraner erfüllen werde. 
). Was einem geliebten Gegenstände Fröhlichkeit oder 
er bringend vorgestellt wird, erfüllt uns mit Fröh- 
;eit oder Traner (III. L. 21). Aber die Seele strebt 

Möglichkeit sich das vorzustellen, was uns mit Fröh- 
:eit erfüllt (III. L. 21), d. h, dies als gegenwärtig zu 
ichten (II. L. 17 Z.). Umgekehrt streben wir von 

was uns mit Trauer erfüllt, die Existenz zn heaei- 
1 {III. L, 13). Deshalb werden wir von uns nnd 

geliebten Gegenstände Alles zn bejahen streben, von 



m. Theil. Von den Affekten. 123 

dem vorgestellt wird, dass es uns oder den geliebten 
Gegenstand mit Fröhlichkeit erfüllt, und umgekehrt.«*) 

L. 26. Wir streben, von einem Gegenstände, den 
wir hassen. Alles zu bejahen, was ihn nach unserer 
Meinmig mit Trauer erfüllt y und umgekehrt das zu 
verneinen, was ihn nach unserer Meinung mit F\*öh- 
lichkeit erfüllt, 

B. Dieser Lehrsatz folgt ebenso aus III. L. 23, wie 
der vorgehende aus III. L. 21. «6) 

E. Hieraus erhellt, dass ein Mensch von sich und 
einem geliebten Gegenstande mehr hält, als recht ist, und 
umgekehrt von einem Gegenstaude, den er hasst, weniger 
hält, als recht ist. Diese Vorstellung heisst in Bezug 
auf den Menschen, der mehr, als recht ist, von sich hält, 
Stolz und ist eine Art von Wahnsinn, weil der Mensch 
mit offenen Augen träumt, dass er Alles vermag, was er 
in der blossen Einbildung erreicht. Er behandelt deshalb 
dies AUes wie wirkliche Dinge und ist überglücklich dar- 
über, so lange er sich das nicht vorstellen kann, was 
dessen Existenz ausschliesst und seine Macht zu handeln 
beschränkt. Der Stolz ist also eine Fröhlichkeit, welche 
daraus entsprungen ist, dass der Mensch mehr, als recht 
ist, von sich hält. Ferner nennt man die Fröhlichkeit, 
welche daraus entsteht, dass man von Einem mehr, als 
recht ist, hält, Ueberschätzung und die, welche daraus 
entsteht, dass man weniger, als recht ist, von ihm hält, 
Verachtung. ^'0 

L. 27. Wenn wir uns voi'stellen, dass ein uns a/m- 
licher Gegenstand, für den wir keinen Affekt gehegt 
haben, mit einem Affekt erfüllt werde, so werden wir 
mit dem gleichen Affekte erfüllt 

B. Die Bilder der Gegenstände sind Zustände des 
menschlichen Körpers, deren Vorstellungen fremde Körper 
als uns gegenwärtig darstellen (II. L. 17 E.), d. h. die 
Natur unseres Körpers und zugleich die gegenwärtige Natur 
des fremden Körpers enthalten (II. L. 16). Wenn also die 
Natur des fremden Körpers der Natur unseres Körpers ähn- 
lich ist, so wird unsere Vorstellung des fremden Körpers die 
Erregung unseres Körpers umfassen, welche der Erregung 
des fremden Körpers ähnlich ist. Wenn wir uns also vor- 
stellen, dass ein uns ähnlicher Gegenstand von einem Affekte 



124 in.Theil. Von den Affekten. 

erregt ist, so wird diese Vorstellung eine Erregim^ 
unseres Körpers ausdrücken, welche diesem Affekte ähn- 
lich ist. Wenn wir uns mithin vorteilen, dass ein niis 
ähnlicher Gegenstand von einem Affekt erfüllt sei, so wer- 
den wir von einem diesem ähnlichen Affekte erfallt. 
Wenn wir den uns ähnlichen Gegenstand hassen, so wer- 
den wir von dem entgegengesetzten Affekte und nicht von 
dem gleichen erfüllt (HI. L. 23). 

E. Diese Nachfolge ähnlicher Affekte heisst, wenn 
sie auf die Traurigkeit bezogen wird. Mitleiden (III. L. 
22 E.), auf die Begierde bezogen, Nacheiferung, 
welche mithin nichts Anderes ist, als die Begierde nach 
einem Gegenstande, die in uns daraus entspringt, dass 
wir uns vorstellen, Andere uns Aehnliche haben dieselbe 
Begierde. **) 

Z* 1. Wenn wir uns vorstellen, dass Jemand, der uns 
gleichgültig ist, einen uns ähnlichen Gegenstand mit 
Fröhlichkeit erfüllt, so werden wir ihn lieben. Wenn er 
umgekehrt nach unserer Meinung ihn mit Traurigkeit er- 
füllt, so werden wir ihn hassen. 

B. Dies wird auf dieselbe Weise aus dem vor- 
gehenden Lehrsatz bewiesen, wie III. L. 22 u. III. L. 21. 

Z, 2. Wir können einen Gegenstand, den wir be- 
mitleiden, nicht deshalb hassen, weil sein Elend uns mit 
Traurigkeit erfüllt. 

B. Denn wenn wir ihn deshalb hassen könnten, so 
würden wir uns an seiner Traurigkeit erfreuen (III. L. 23), 
was gegen die Voraussetzung ist. 

Z. 3. Einen Gegenstand, den wir bemitleiden, streben 
wir, so viel wir können, von dem Elend zu befreien. 

B. Das, was den Gegenstand unseres Mitleidens mit 
Trauer erfüllt, erfüllt auch uns mit gleicher Trauer 
(III. L. 27), deshalb werden wir streben. Alles, was die 
Existenz desselben aufhebt oder es zerstört, in uns wach 
zu rufen (III. L. 13), d. h. wir werden es zu zerstören 
verlangen oder zu dessen Zerstörung bestimmt werden; 
folglich werden wir einen Gegenstand, den wir bemit- 
leiden, von seinem Elend zu befreien suchen. 

E, Dieser Wille oder dieses Verlangen wohlzuthun, 
welches daraus entsteht, dass wir einen Gegenstand, dem 
wir eine Wohlthat erweisen wollen, bemitleiden, heisst 
Wohlwollen, welches daher nichts Anderes ist, als ein 



m. Theü. Von den Affekten. 125 

aas Mitleid entspringendes Begehren. TJebrigens sehe 
man in Betreff der Liebe und des Hasses gegen den, 
welcher einem uns ähnlichen Gegenstande Gutes oder 
üebles zugefügt hat, die Erläuterung zu III. L. 22,**) 

L. 28. Alles, was nach unserer Vo^'stellung zur 
Fröhlichkeit führt, streben wir zu unterstutzerij dass 
es sich verwirkliche; was aber nach unse9*e9* Var- 
stdlung diesem widerstrebt und zwr Traurigkeit führt, 
das strebeu wir zu entfernen oder zu zerstören. 

B* Was nach unserer Vorstellung zur Fröhlichkeit 
fuhrt, das streben wir nach Möglichkeit vorzustellen 
(in. L. 12), d. h. wir werden nach Möglichkeit streben, 
es als gegenwärtig oder wirklich existirend zu betrachten 
(IL L. 17). Aber das Streben oder Vermögen der Seele 
im Denken ist von Natur gleich und gleichzeitig mit dem 
Streben oder Vermögen des Körpers zu handeln (IL L. 7 Z. 
L. 11 Z.). Wir streben daher unbedingt dahin, dass es 
existirt; d. h. wir begehren und bezwecken es (was nach 
E. zu HL L. 9 dasselbe ist). Dies war das Erste. 
Wenn wir femer das. iwras wir für die Ursache der 
Traurigkeit halten, d. h. das, was wir hassen (III. L. 13 E.), 
fiir zerstört halten, so werden wir fröhlich sein (III. L. 20). 
Wir werden deshalb streben, es zu zerstören (nach dem 
ersten Theil dieses Beweises) oder von uns zu entfernen 
(in. L. 13), damit wir es nicht als gegenwärtig be- 
trachten. Dies war das Zweite. Daher streben wir, dass 
Alles, was zur Fröhlichkeit u. s. w. **<>) 

L. 29. Wir werden auch streben^ Alles das zu 
tJtun, wa^ nach unse^^ev Meinung die Menschen mit 
Fröhlichkeit betrachten, und umgekehrt das zu thun 
vermeiden, was die Menschen nach unserer Vorstelluna 
revahscheuen. (Unter Menschen verstehe ich hier und 
im Folgenden solche, die für uns gleichgültig sind.) 

B, Wenn wir uns vorstellen, dass Menschen etwas lieben 
oder hassen, so -werden wir es aus diesem Grunde eben- 
falls lieben oder hassen (III. L. 27), d. h. wir werden 
aus diesem Grunde an der Gegenwart derselben Sache 
uns erfreuen oder betrüben (III. L. 15 E.). Wir werden 
daher streben, Alles das zu thun, was die Menschen nacli 



126 ni. Theil. Von den Affekten. 

unserer Meinung lieben oder mit Fröhlichkeit (III. L. i 
betrachten. ***) 

£• Dieses Streben^ etwas zu thun oder zu unter- 
lassen, blos um den Menschen zu gefallen, heisst Ehr- 
geiz, vorzüglich wenn wir mit solcher Heftigkeit der 
Menge zu gefallen streben, dass wir zu unserem oder 
Anderer Schaden etwas thun oder unterlassen; anderen 
Falls pflegt es Humanität genannt zu werden. Femer 
nenne ich die Fröhlichkeit, mit der wir uns die Handlun- 
gen eines Anderen vorstellen, durch welche er uns za 
erfreuen gestrebt hat, Lob; aber die Traurigkeit, 
mit welcher wir die Handlung desselben verabscheuen, 
Tadel. 48) 

L. 30. Wenn Jemand etwas gei^han hat, was 
7iach seiner Meinung Andere mit Fröhlichkeit erfüllt, 
so vnrd er mit Fröhlichkeit erfüllt werden, begleitet 
von der Voi* Stellung seifier selbst als Ursache, oder 
e7' wird sich selbst mit Fröhlichkeit betrachten. Wenn 
ei* dagegen etwas gethan hat, was nach seiner Meinung 
die Anderen mit 7rauer erfüllt so wird er sich selbst 
mit Iraner betrachten. • 

B. Wer nach seiner Meinung die Anderen mit Fröh- 
lichkeit oder Trauer erfüllt, wird dadurch selbst fröhlich 
oder traurig (III. L. 27). Da aber der Mensch durch 
die Erregungen, welche ihn zum Handeln bestimmen, 
seiner selbst bewusst wird (II. L. 19 und 23), so wird 
auch der, welcher etwas gethan hat, was nach seiner 
Meinung die Andern mit Fröhlichkeit erfüllt, auch selbst 
mit Fröhlichkeit und dem Bewusstsein seiner als Ursache 
erfüllt werden, d. h. er wird sich selbst mit Fröhlichkeit 
betrachten, und umgekehrt. 

£. Da die Liebe die Fröhlichkeit in Begleitung der 
Vorstellung einer fremden Ursache und der Hass eine 
Traurigkeit in Begleitung einer fremden Ursache ist (IIL L. 
13. E.), so wird diese Fröhlichkeit oder Trauer eine Art der 
Liebe oder des Hasses sein. Weil aber Liebe und Hass auf 
fremde Gegenstande sich beziehen, so werden diese Affekte 
andere Namen erhalten, nämlich die Fröhlichkeit be- 
gleitet von der Vorstellung einer äusseren Ursache den 
Namen Buhmgefühl und die diesem entgegengesetzte 
Traurigkeit den Namen Scham. Ich meine damit den 



III. Theil. Von den Affekten, 127 

Fall, wo die Fröhlichkeit oder Traurigkeit daraus ent- 
springt, dass der Mensch sich gelobt oder getadelt glaubt; 
sonst nenne ich die Fröhlichkeit, in Begleitung der Vor- 
stellung einer äussern Ursache, Selbstzufriedenheit^ 
und die ihr entgegengesetzte Traurigkeit Eeue. Weil 
es endlich möglich ist (II. L. 17. Z.), dass die Fröh- 
lichkeit, mit welcher Jemand Andere zu erfüllen meint, 
eine blos eingebildete ist, und Jeder von sich Alles das 
vorzustellen strebt, was ihn nach seiner Meinung mit 
Fröhlichkeit erfüllt (III. L. 26), so kann es leicht kom- 
men, dass der Euhmsüchtige stolz wird und meint, er 
sei Allen angenehm, während er Allen lästig ist. ■**) 

L. 31. Wenn wir meinen, dass ein Anderer etwas 
liebt, begehrt oder hasst, was wir selbst lieben, be- 
gehren oder hassen j so werden wir diesen Gegenstand 
um so beharrlicher lieben u, s. w» Wenn wir aber 
glauben, dass dei* Andere das, was wir lieben, ver- 
ahscJieut oder umgekehrt, so werden wir ein Schwanken 
der Seele erleiden. 

B. Bios deshalb, weil ein Anderer nach unserer 
Meinung etwas liebt, werden wir es auch lieben (III. L. 27)- 
Es ist aber angenommen, dass wir es schon ohnedem 
lieben, folglich tritt der Liebe eine neue Ursache hinzu, 
welche sie verstärkt, und wir werden daher das, was wir 
lieben, deshalb um so beharrlicher lieben. Ferner werden 
wir deshalb, weil nach unserer Meinung ein Anderer 
etwas verabscheut, es ebenfalls verabscheuen (III. L. 27). 
Nehmen wir nun an, -dass wir zu gleicher Zeit es lieben, 
so werden wir zu gleicher Zeit es lieben und verab- 
scheuen oder in einem Schwanken der Seele uns befinden 
(in. L. 17. E.). 

Z. Aus diesem und dem Lehrsatz 28 folgt, dass 
Jeder, so viel er kann, strebt, dass Alle das lieben, was 
er liebt, und hassen, was er hasst; deshalb sagt der 
Dichter: 

Hoffen zugleich mid furchten zugleich muss Jeder, der liebt. 
Eisern ist, wer das Herz liebt, das ein Andrer verliess. 

E. Dieses Streben, dass Alle das billigen, was 
man liebt oder hasst, ist in Wahrheit der Ehrgeiz 
an. L. 29 K). 






128 ni. TheU. Von den Affekten. 

Daher sehen wir, dass Jeder von Natur verlangt, die 
Andern sollen nach seinem Sinne lehen. Wenn dies Alle 
in gleicher Weise verlangen, so sind sie Alle sich gleich 
hinderlich; und wenn Alle von Allen geloht oder geliebt 
sein wollen, so werden sie einander hassen. ^^) 

L. 32. Wenn Jemand nach uftserer Meinung sich 
einer Sache ef*/reut, die nur Einer besitzen kcmrij so 
werden wir dahin 8(/rebe7i, dass Jener der Saclie sich 
nicht bemächtigt 

B. Bios deshalb, weil ein Anderer nach unserer 
Meinung an einer Sache sich erfreut, werden wir sie 
lieben und streben, uns ihrer zu erfreuen (III. L. 27. 
Z. 1). - Aber dieser Fröhlichkeit steht nach unserer Mei- 
nung entgegen (wie vorausgesetzt worden ist), dass 
Jener sich derselben Sache erfreut; deshalb werden wir 
dahin streben, dass er sich ihrer nicht bemächtigt 
(III. L. 28). 

E. Man versteht hieraus, weshalb die Natur der 
Menschen meistentheils so beschafiten ist, dass sie die 
bemitleiden, denen es schlecht geht, und die beneiden, 
denen es gut geht, und zwar mit um so grösserem Hass, 
je mehr sie den Gegenstand lieben, dessen ein Anderer 
nach ihrer Meinung sich bemächtigt (in. L. 32). Man 
versteht ferner, wie aus derselben Eigenthümlichkeit der 
menschlichen Natur, welche die Menschen mitleidig macht, 
auch folgt, dass sie neidisch und ehrgeizig sind. Wenn 
wir die Erfahrung zu Eathe ziehen wollen, so sehen wir, 
dass sie dies Alles bestätigt ; besonders wenn wir auf die 
Zeit unserer Jugend zurücksehen. Denn man sieht, dass 
Knaben, weil ihr Körper fortwährend wie im Gleich- 
gewicht sich befindet, blos deshalb lachen oder weinen, 
weil sie Andere lachen oder weinen sehen; ebenso wollen 
sie das gleich nachahmen, was sie Andere thun sehen, 
und ebenso begehren sie Alles, was nach ihrer Vor- 
stellung Andere ergötzt. Der Grund ist, weil die Bilder 
der Dinge, wie erwähnt, die eigenen Erregungen oder 
Zustände des menschlichen Körpers sind, mittelst welcher 
der menschliche Körper von fremden Ursachen erregt 
und veranlasst wird, dies oder jenes zu thun. "**) 

L, 33. Wenn wir einen uns ähnlic/ien Gegen 



m. Theil. Von den Affekten. 129 

stand liehen j so streben wir nach Möglichkeit zu be- 
wirken, dass er uns wieder liebt, . 

B. Wir streben, einen geliebten Gegenstand, vor den 
übrigen, möglichst nns bildlich vorzustellen (III. L. 12.) 
Wenn der Gegenstand also nns ähnlich ist, so werden 
wir streben, ihn vor den übrigen mit Fröhlichkeit zu er- 
füllen (III. L. 29); oder wir werden nach Möglichkeit 
zu bewirken streben, dass der geliebte Gegenstand mit 
Fröhlichkeit erfüllt werde, begleitet von der Vorstellung 
unserer selbst, d. h., dass er uns wieder liebe (III. L. 

13. E.) 46) 

L, 34* Je grösser der Affekt ist ^ von dem ein 
geliebter Gegenstand nach unserer Meinung für un» 
ef füllt ist, desto mehr wei*den wir von Ruhmgefühl 
erfüllt sein. 

B. Wir streben soviel als möglich, dass der geliebte 
Gegenstand uns wieder liebe (III. L. 33), d. h., dass der 
geliebte Gegenstand mit Fröhlichkeit sich erfülle, unter 
Begleitung der Vorstellung von uns. Je grösser daher 
die Fröhlichkeit ist, von der wir den geliebten Gegen- 
stand durch uns als Ursache erfüllt halten, desto mehr 
wird dieses Streben befördert, d. h. mit desto grösserer 
Fröhlichkeit werden wir erfüllt (III. L. 11. E.). Wenn 
wir deshalb uns freuen, weil wir einen Andern, uns Aehn- 
lichen, mit Fröhlichkeit erfüllt haben, so werden wir uns 
selbst mit Fröhlichkeit betrachten (III. L. 30). Je grösser 
also der Affekt ist, von dem, nach unserer Meinung, der 
geliebte Gegenstand für uns erfüllt ist, mit desto grösserer 
Fröhlichkeit werden wir uns selbst betrachten, oder ein 
um so grösseres Euhmgefühl werden wir empfinden (III. L. 
30. E.) 47) 

L. 35. Wenn Jemand sich vorstellt, dass der ge- 
liebte Gegenstand sich mit einem Andern in gleicher 
oder engerer Freundshhaft verbindet, als in der er 
den geliebten Gegenstand besessen hat, so wird er 
dsn geliebten Gegenstand hassen und den Andern 
beneiden, 

B. Je grösser die Liebe ist, von der wir den 
geliebten Gegenstand für uns erfüllt glauben, desto mehr 
werden wir uns von Ruhm erfüllt fühlen (III. L. 34) 

* Spinoza, £thik. 9 



130 IIL Theil. V<m den Affekten. 

d. h. uns erfreuen (ITE. L. 30. E.). Deshalb werden wir 
so viel als möglich streben, uns vorzustellen, dass der ge- 
liebte Gegenstand mit uns am engsten verbunden ist. Dieses 
Streben oder Verlangen wird gesteigert, wenn wir glauben^ 
dass der Andere dasselbe begehrt (IIL L. 31). Aber es 
ist vorausgesetzt, dass dieses Streben oder Verlangen von 
dem Bilde des geliebten Gegenstandes unter Begleitung 
der Vorstellung dessen, mit dem er sich verbindet, ge- 
hemmt werde; wir werden also deshalb traurig sein 
(III. L. 11. E.) unter Begleitung der Vorstellung des 
geliebten Gegenstandes als Ursache und zugleich unter 
Begleitung des Bildes des Andern; d. h. wir werden den 
geHebten Gegenstand hassen und zugleich den Andern 
hassen (III. L. 13. E; L. 16. Z.), den wir beneiden wor- 
den, weil er sich an dem geliebten Gegenstande erfreut 
(III. L. 23). 

E. Dieser mit Neid verbundene Hass gegen den ge- 
liebten Gegenstand heisst Eifersucht, welche mithin 
nichts Anderes ist, als ein Schwanken der Seele, aus 
Liebe und Hass zugleich entspringend, unter Begleitung 
des Andern den man beneidet. TJeberdem wird dieser 
Hass gegen den geliebten Gegenstand nach Verhalkniss 
der Fröhlichkeit um so grösser sein, je mehr der Eifer- 
süchtige aus der gegenseitigen Liebe des geliebten Ge- 
genstandes erregt zu sein pflegte, und je mehr er auch 
von dem Affekt gegen den ergriffen war, der nach seiner 
Vorstellung den geliebten Gegenstand mit sich verbinden 
will. Denn wenn er diesen hasste, so wird er auch den 
geliebten Gegenstand, hassen (HE. L. 2,4), weil er sich 
vorstellt, dass dieser sich dessen erfreut, den er hasst, 
und auch deshalb (IIL L. 15. Z.), weil er genöthigt ist, 
mit dem Bilde des geliebten Gegenstandes das Bild des 
Gehassten zu verbinden, welcher Grund gewöhnlich bei 
der Liebe zu einer Frau stattfindet. Denn wer sich vor- 
stellt, dass eine Frau, welche er liebt, sich einem Andern 
hingiebt, wird sich nicht blos betrüben, weil sein eigenes 
Begehren gehemmt ist, sondern er wird auch, weil er das 
Bild des geliebten Gegenstandes mit den Schamtheilen 
und Ausleerungen eines Andern verbinden muss, das Weib 
verabscheuen, wozu noch kommt, dass der Eifersüchtige 
nicht mit denselben Mienen von ihr empfangen wird, di« 



m. Tliwl. Von den Affekten. 131 

sie ihm sonst zeigte, wodarch der Liebende ebenfalls be- 
trübt wijd, wie ich gleich zeigen werde. -**) 

L. 36. Wer eich eines Qegenatcmdea erinnert, 
der Um einmal erfreut haty sucJd denselben unter glei- 
cJiefi Umständen zu besitzen, als da er das erste Med 
sich dessen erfreut hat 

B. Alles, was man zugleich mit dem erfreuenden 
Gegenstande gesehen hat, wird mittelbar eine Ursache der 
Fröhlichkeit (III. L. 15), also wird er das AUes zugleich 
mit dem erfreuenden Gegenstande zu besitzen wünschen 
(in. L. 28), d. h. er wird den Gegenstand mit all den 
Umständen zu besitzen wünschen, unter denen er das erste 
Mal sich an demselben ergötzt hat. 

Z. Wenn der Liebende deshalb den Mangel eines 
dieser Umstände bemerkt, so wird er traurig werden. 

B. Denn soweit er diesen Mangel bemerkt, soweit 
stellt er sich etwas vor, was die Existenz dieses fehlenden 
Gegenstandes ausschliesst. Da er aber nach diesem Ge- 
göQstand oder Umstand aus Liebe verlangt (III. L. 36), 
so wird er sich betrüben, so weit er sich vorstellt, dass 
er fehlt (IH. L. 19). 

E. Diese Traurigkeit in Bezug auf etwas, was wir 
lieben, heisst Sehnsucht. ^^) 

L. 37. Das Begehren, was aus Trauer oder Fröh- 
liehkeity aus Hass oder Liebe entsteht, ist um so stär- 
keTy je grösser dieser Affekt ist. 

Bi Die Traurigkeit mindert oder hemmt des Men- 
schen Macht zu handeln (III. L. 11. E.), d. h. sie mindert 
oder hemmt das Bestreben des Menschen, in seinem Sein 
zu beharren (HL L. 27) ; sie widerspricht deshalb diesem 
Streben (TU. L. 5.), und das, was der von Traurigkeit erfüllte 
Mensch strebt, ist diese Traurigkeit zu entfernen. Aber 
je grösser die Trauer ist, einem desto grösseren Theile 
von des Menschen Macht zu handeln muss sie sich noth- 
wendig entgegenstellen; je grösser also die Trauer ist, 
mit einer desto grossem Macht wird der Mensch streben, 
die Traurigkeit zu entfernen, d. h. mit desto grösserer 
Begierde oder Verlangen wird dieses geschehen (III. L. 
9. E.). Weil ferner die Fröhlichkeit des Menschen Macht 
zu handeln vermehrt oder unterstützt, so ist leicht auf 



132 ni. Theil. Von den Affekten. 

• dieselbe Weise zu beweisen, dass der von FröUiclikeit 
erfüllte Mensch nichts Anderes wünscht, als sie sich zu 
erhalten, und zwar um so heftiger, je grösser die Fröh- 
lichkeit ist. Endlich folgt in derselben Weise, dass, da 
Hass und Liebe die eignen Affekte der Fröhlichkeit sind, 
das Streben, Verlangen oder die Begierde, welche 
^us letzterer entspringt, im Verhaltniss des Hasses und 
der Liebe wachsen wird. *•) 

. L. 38. Wenn Jemand einen geliebten Gegenstand 
anfängt zu hassen^ so dass die Liehe ganz versclmn- 
detf so wird er diesen Gegenstand bei gleicher UrsacJie 
stärker hassen, als wenn er Um nicht geliebt IiäUe^ 
und um so stärker y je grösser die Liebe vorJier ge- 
toesen ist. 

B« Denn wenn Jemand einen geliebten Gegenstand 
zu hassen beginnt, so werden mehrere seiner Bestrebungen 
gehemmt, als wenn er ihn nie geliebt hätte. Denn die 
Liebe ist eine Fröhlichkeit, welche der Mensch so viel als 
möglich sich za erhalten strebt (lU. L. 13. E. L. 28), 
und zwar dadurch, dass er den geliebten Gegenstand als 
gegenwärtig schaut (IH. L. 28. E.) und ihn, so viel er 
kann, mit Freude erfüllt (III. L. 21). Dieses Streben ist 
um so grösser (III. L. 37), je grösser die Liebe und das 
Streben ist, dass der geliebte Gegenstand ihn wieder liebe 
(III. L. 33.) 

Diese Bestrebungen werden durch den Hass des geliebten 
Gegenstandes gehemmt (III. L. 13. Z. L. 23), auch des- 
halb wird der Liebende (III. L. 11. E.) mit Trauer und 
um so mehr erfüllt werden, je grösser seine Liebe ge- 
wesen ist; d. h. ausser der Trauer, welche die Ursache 
des Hasses geworden ist, entsteht eine andere Trauer 
daraus; dass er den Gegenstand geliebt hat, und er wird 
deshalb den geliebten Gegenstand mit um so grösserer 
Trauer betrachten, d. h. er wird ihn mehr hassen (III. 
L. 13. E.), als wenn er ihn gar nicht geliebt hätte, und 
um so mehr, je grösser seine Liebe gewesen ist. *^) 

L. 39. Wer Jemand hasst, wird streben, ihm ein 

XJebel zuzuwenden n wenn er nicht fürchtet, dass ein 

g rössm'es Uebel daraus für ihn selbst entspringt; um- 



in. TheiL Von den Affekten. 133 

gekehrt wird der, welcher Jemand liebt ^ ihm nach 
demselben Gesetze wohl zu thun streben, 

B* Jemand hassen heisst, ihn als die Ursache einer 
Traurigkeit sich vorstellen (IIL L. 13. E.);, deshalb wird 
der, welcher Jemand hasst, ihn zu entfernen oder zu ver- 
nichten streben (HL L. 28.). Wenn er jedoch daraus 
etwas Trauriges oder ein grösseres Uebel (was dasselbe 
ist) für sich befürchtet, und er glaubt, dies vermeiden 
zu können, wenn er dem Gehassten das beabsichtigte 
Uebel nicht zufügt, so wird er streben, dieses Uebel ab- 
zuhalten (HI. L. 28), und zwar in stärkerem Grade (III. 
L. 27), als mit dem er das Uebel zufQgen wollte; jenes 
wird deshalb, wie gesagt, die Oberhand behalten. Der 
zweite Theil des Beweises ist ebenso zu führen. Wer 
also Jemand hasst, wird u. s. w. 

E. Unter Gut verstehe ich hier alle Arten der Fröh- 
lichkeit und femer, was zu ihr führt und was irgend ein 
Begehren befriedigt; unter Uebel dagegen alle Arten 
der Traurigkeit und vorzüglich das, was ein Begehren 
vergeblich macht. Denn ich habe oben gezeigt (III L. 
9. E.), dass wir nichts begehren, weil wir es für gut 
halten, sondern umgekehrt, weil wir etwas begehren, nen- 
nen wir etwas gut, und ebenso nennen wir das, was wir 
verabscheuen, ein Uebel. Deshalb bestimmt oder schätzt 
Jeder nach seinen Affekten, was gut, was schlecht, was 
besser, was schlechter, und endlich, was das Beste und 
das Schlechteste seL So hält ein Geiziger den Ueber- 
fluss an Silber für das Beste und dessen Mangel für das 
Schlimmste ; der Ehrgeizige verlangt dagegen nach nichts 
so, als nach Buhm, und umgekehrt scheut er nichts mehr, 
als Schande. Dem Neidischen ist ferner nichts ange- 
nehmer als das Unglück des Andern, und nichts lästiger, 
als das Glück desselben. So hält Jeder nach seinem 
Affekte eine Sache für gut oder schlecht, für nützlich 
oder schädlich. Uebrigens heisst der Affekt welcher den 
Menschen bestimmt, das nicht zu wollen, was er will, und 
das zu wollen, was er nicht will, Fürsorge. Diese ist 
mithin nichts Anderes, als die Furcht, insofern der Mensch 
dadurch bestimmt wird, ein kommendes Uebel durch ein 
kleineres zu vermeiden (III. L. 28). Wenn das Uebel, 
was er fürchtet, die Schande ist, so heisst die Furcht 
Scham. Wenn endlich das Streben, ein kommendes 



134 HL TheiL Yen den AfTekteiL 

TJebel zu vermeiden durch die Furcht vor eisern andemHebel 
so gehemmt wird, dass der Mensch nicht weiss, welches 
er lieher will, so heisst diese Furcht: Bestürzung^ na- 
mentlich, wenn die beiden gefürchteten Hebel zu den 
grossen gehören.**) 

L. 40. Wer steh vo7i Jemand für gelixisst Iiatt 
und glavht, dass er ihnr keine Ursaclte dazu geg4i- 
ben hoLe, wird ihn ebenfalls hassen, 

B. Wer sich Jemand als von Hass erfüllt -vorstellt, 
wird dadurch auch mit Hass erfüllt (III. L. 27) , d. h. 
von einer Traurigkeit, welche von der Vorstellung «ner 
äusseren Ursache begleitet ist (TU. L. 13. E.). Er stellt 
sich aber keine andere Ursache seiner Traurigkeit ver 
(nach der Annahme), al9 Jenen, von dem er gehasst 
wird. Deshalb wird die Vorstellung, dass wir von Jemand 
gehasst werden, uns mit Trauer erfüllen, unter Begl^iung 
der Vorstellung Jenes, d&r uns hasst; d. h. wir werden 
ihn ebenfalls hassen (III. L. 13. E). 

E. Wenn man glaubt, dass man eine gerechte Ursache 
zum Hass gegeben habe, so wi^d man von Scham erfüllt 
(III. L. 30 u. E.). Doch geschieht dies selten (m. L. 35). 
XJebrigens kann diese Gegenseitigkeit des Hasses audi 
dadurch entstehen, dass aus dem Hass das Streben ent- 
steht, dem Gehassten ein Uebel zuzufagen (III. L. 39). 
Wer also sich von einem Andern für gehasst hält, wird 
ihn als die Ursache eines Uebels oder einer Traurigkeit 
vorstellen, und er ' wird deshalb von einer Trauer ergriffen 
werden, d. h. von der Furcht unter Begleitung der Vor- 
stellung dessen, von dem er gehasst wird, als Ursache; 
er wird ihn also wieder hassen 

Z..1. Wer glaubt, dass der Mensch, welchen er liebt, 
ihn hasst, wird von Hass und Liebe zugleich erfasst wer- 
den. Denn insofern er sich für gehasst hält, wird er 
bestimmt, ihn wieder zu hassen (III. L. 40) ; aber er liebt 
ihn nichts destoweniger, nach der Annahme; deshalb wird 
er von Hass und Liebe zugleich ergriffen sein. ö8) 

Z. 2. Wenn wir glauben, dass uns von Jemand, der 
uns bisher gleichgültig gewesen ist, aus Hass ein Uebel 
zugefügt worden sei, so werden wir sofort streben, ihm 
diese Uebel ebenfalls zuzufagen. 

B. Wer glaubt, dass ein Anderer ihu hasst, wird 



m. Theil. Ton den Affekten. 135 

ilm wieder Iiassen (UL L. 40), und er wird streben,- sieh 
an Alles zu eriiuiem, was Jenen mit Traurigkeit erfüllen 
kann (III. L. 26), und er wird streben, ilun dies zo- 
lafngen (III. L. 39), Aber das Erste, an das er sich 
erinnert, ist (nach der Toranssetzung) das Hebel, was 
ilun selbst von Jenen zugefügt worden; deshalb wird er 
sofort streben, ihm dieses auch zuzufügen. 

E. Das Streben, dem, 'welchen wir hassen, ein 
Uebel znznfQgen, heisat Zorn; und das Streben, ein 
empfangenes Uebel zu vergelten, Bache. *4) 

L> 41. Wmin Jemand sich von einem Änderen 
für ffeUfbf hält vnd glaubt, dazu keine Va-anlcusuni; 
gegeben zu haben (was nach. III. L. 15. Z. und L. 16. 
möglich ist), so wird er ihn wieder lieben. 

B. Dieser Lehrsatz wird ebenso wie .der vorgehende 
twmsseu; auch ist dessen Erläuterung zu beachten. 

E. Wenn Jemand glaubt, dem Andern ein genügende 
Ursache znr Liebe g^eben zu haben, so wird er sich 
dessen rühmen (UL L. 30 mit E.), was häufiger ge- 
9cliieht (lU. L. 25), und dessen Gegentheil, wie erwähnt, 
dann eintritt, wenn Jemand sich von einem Anderen für 
gehasst hält (UL L. 40. E.). Femer heisst diese er- 
widernde Liebe und damit das Streben, dem gut zu tbun 
(EI. L. 39), der nns liebt, d. h. der uns gut zu tbnn 
sucht (m. L. 39), Erkenntlichkeit oder Dankbarkeit. 
Hieraus erhellt, dass die Menschen weit bereiter zur 
Bache sind, als zur Erwiderung einer Wohlthat. 

Z. Wer glaubt, dass der, welchen er hasst, ihn liebe, 
wird zugleich von Hass and Liebe ergriffen sein; dies 
wird ebenso wie der vorgehende Zusatz bewiesen. 

E. TJeberwiegt der Hass, so wird er dem Liebenden 
ein Uebel zufügen, welcher Affekt Grausamkeit go- 
mumt wird, vorzüglich wenn man glanbt, dass der Lie- 
bende, nach der gewöhnlichen Meinung, keinen Grund 
zum Hass gegeben habe. ^} * 

L. 42. Wenn Jemand aus Liebe oder in Hoi 
ntmff eines RvJtmgefühls einem Andern eine Wohlth 
meiesen hat, so wird er sich betnibenf wenn er siel 
dms diese mit undankbarem Sinn empfangen wird. 

B. Wer einen ihm ähnlichen Gegenstand liebt, wi 



; in. Thea Ton den Affekten. 

GhBt streben, dass dieser ibn wieder liebt (lEL L. 33). 
daher aus Liebe einem Andern eiue Wohlthat a- 
D hat, thnt ea aus der Ursache, wieder geliebt za 
n, d. h. in Hoffnung eines BnhmgefiMs oder einer 
Ichkejt (in. L. 34. L. 30. E.). Deshalb wird er 
chet streben, diese Ursache des Buhmsgeföhls sich 
stellen oder als geg^enwärttg za schauen. Abei 
der Voraussetzung) stellt er etwas Anderes vor, 
iie ExiatonE dieser Ursache ausachliesst; also wird 
durch betrübt sein (m. L. 19). 'S«) 

. 43. TJer Haas wird dure/i EnoidertiTiff des 
•es vergröasert imd kamt umgekeftrt durch Liebe 
r( werden. 
. Wenn Jemand glaubt, dass der, den er haBst, 

ihn basst, so entsteht daraus ein neuer Hass 
L. 40), während der erste noch fortbesteht (nach 
^nnaimie). Wenn er dagegen glaubt, dass der 
iste von Liebe gegen ihn erfüllt ist, so betracbl«t 
;h selbst mit Freude, so weit er sich dies vorstellt 
L. 30), und insoweit wird er streben, ihm zu ge- 

(in. L. 29), d. h. insoweit wird er streben, itui 

Eu^assen oder nicht mit Traurigkeit zu erfüllen 
L. 40). Dieses Streben wird gross oder klein sein 

dem Affekt, aus dem es entspringt (III. L. 37). 
} grosser, als das aus dem Hass entsprangene oder 
as Streben, den Gehassten mit Traurigkeit zu er- 
1 (III. L. 26), so wird es ftberwiegen und den Hass 
r Seele vertilgen. 

. 44. .Em Boss, der^ durch die Liebe vollständig 

^t ist, geht in Liebe über, imd diese Liebe ist 

fff'öaaeTj als wenn kein Hass voraasgegom- 

. Dieser Beweis geschieht in derselben Weise irie 
Lehrsatz III. 38. Denn wer einen Gegenstand, 
len er haeste, üder mit Traurigkeit zu betrachtea 
^e, za lieben anfingt, ist schon dadurch allein er- 
dass er liebt, und zq dieser in der Liebe enthaltenen 
ichkeit (IIL L. 13. E. u. D.) tritt jene hinzu, 
le daraus entspringt, dass das Streben, dfe Trauer 
itfemen, welche der Hass enthält, sehr unterstützt 



m. Theü. Von den Affekten. 137 

wird, unter Begleitung der YorstoUung des Gehassten 
als Ursache (IH. L. 37). 

£• Obgleich die Sache sich so verhält, so wird dock 
Niemand hegehren, einen Gregenstand deshalb zu hassen 
oder ihn mit Traurigkeit zu erfüllen, nur damit er selbst 
die erwähnte höhere Fröhlichkeit daraus geniesse; d. h. 
Niemand wird wünschen, dass ihm ein Schaden zugefügt 
werde, um der Hoffnung willen, diesen Schaden ersetzt 
zu erhalten, und Niemand wird sich eine Krankheit 
wünschen um der Hoffnung des Genesens willen. Denn 
Jeder wird immer streben, sein Dasein zu erhalten und 
die Traurigkeit möglichst fern zu halten. Wäre es 
indess möglich, dass ein Mensch begehrte. Jemand zu 
hassen, um ihm dann mit um so grösserer Liebe zugethan 
zu sein, Iso müsste er wünschen, ihn immer zu hassen« 
Denn je grösser der Hass gewesen ist, desto grösser wird 
die Liebe sein, und er wird deshalb immer wünschen, 
dass der Hass noch "mehr wachse. Ebenso wird ein 
Mensch begehren, noch immer kränker zu werden, um 
eine grössere Freude aus der hergestellten Gesundheit 
später zu gemessen; er müsste deshalb streben, immer 
krank zu sein, was widersinnig ist (HE. L. 6).*'^) 

L. 45. Wenn Jemand glaubt, dass ein anderer 
ihm ähnlicher Gegenstand einen andern ihm ähnliclien 
Gegenstand^ welclien er selbst liebty hasst, so vnrd er 
ienen aitc/i hassen. 

B. Denn der geliebte Gegenstand wird den, der ihn 
hasst, wieder hassen (III. L. 40), folglich wird der Lie- 
bende, welcher glaubt, dass Jemand den geliebten Gegen- 
stand hasst, glauben, dass dadurch der geliebte Gegen- 
stand von Hass, d. h. Traurigkeit erfüllt ist (HL L. 13 E.) 
und folglich wird er betrübt sein (III. L. 21), und zwar 
unter Begleitung der Vorstellung dessen, der den geliebten 
Gegenstand hasst, als Ursache, d. h. er wird diesen selbst 
hassen (in. L. 13. E.). »«) 

L 46. . Wenn Jemand von einem Andern, 
der anderen Standes, oder anderer Nation ^ mit 
Fröhlichkeit oder Trauer erfüllt worden isty in Be- 
gleitung einer Vorstellmig desselben unter dem aU- 
genieinen Namen des Standes oder der Nation ais 



138 ni. TheiL Von den Affektwu 

Ur»acJi£, so wird er nicht blas diesen, sondern alle 
Personen dieses Standes oder dieser Nation Ueben 
oder hassen. 

B. Der Beweis dieses Satzes erheUt aus HI. L. 16. *^) 

L. 47. Die Fröhlichkeit^ welche davon kommt, 
dass wir glauben , ein geJtasster Gegestand werde 
zerstört oder mit einem Uebel behaftet^ entsteht nicht 
ohne eine gewisse Iraurigieit der Seele. 

B. Dies erhellt ans HI. L. 27, denn so weit wir 
glauben, dass ein uns ähnlicher Gegenstand von Traurig- 
keit erfüllt wird, werden wir selbst traurig. 

£. Dieser Lehrsatz kann auch aus II. L. 17. Z. be- 
wiesen werden. Denn so oft wir uns einer Sache er- 
innern, so werden wir sie als gegenwärtig auffassen, ob- 
gleich sie wirklich nicht existirt, und da: Körper wird 
ebenso erregt werden. So lange daher das Andenken des 
Gegenstandes besteht, so lange wird der Mensch be- 
stimmt, sie mit Traurigkeit zu betrachten. Diese Be- 
stimmung wird zwar, während das Büd der Sache noch 
besteht, durch die Erinnerung jener Dinge gehemmt, 
welche .deren Existenz ausschliessen ; aber sie 'wird davon 
nicht aufgehoben. Der Mensch freut sich also nur in- 
soweit, als diese Bestimmung gehemmt wird, und daher 
kommt es, dass diese Fröhlichkeit, .welche aus dem Un- 
glück einer gehassten Sache entspringt, so oft wieder- 
kehrt, als wir uns derselben Sache erinnern. Denn wenn, 
wie gesagt, das Bild dieser Sache erweckt wird, so be- 
stimmt es, weil es die Existenz derselben enthält, den 
Menschen, sie mit derselben Traurigkeit zu betrachten, 
mit der es früher geschah , als sie existirte. Weil indess 
der Mensch mit dem Bilde dieser Sache andere ver- 
bunden hat, welche die Existenz derselben ausschliessen, 
so wird diese Yeraulassung zur Traurigkeit sofort ge- 
hemmt, und der Mensch ist wieder fröhlich, und zwar 
so oft, als sich dies wiederholt. 

Dies ist auch die Ursache, weshalb man si«h freut, 
so oft man sich eines vergangenen Uebels entsinnt, und 
weshalb die Erzählung von Gefahren, von denen man 
befreit worden ist, Freude macht. Denn wenn man sich 
eine Gefahr vorstellt, nimmt man sie als eine konunende 



HL Theü. Von den Affekten. 139 

und wird dadurch zur Furcht bestimmt; aber diese Be- 
stimmung Tfird wieder dnrch die Yorstellung der Be- 
freiimg gehemmt, welche sich mit der Vorstellung der 
Gefahr verknüpft hat, als man von ihr befreit worden ist; 
^jße macht wieder sicher, und man ist wieder froh. ®^) 

L« 48. Die Liebe uud der Hass^ z, B, gegen 
Peter ^ wird aufgehoben, we7in die Traurigkeitj welcJie 
dieser, tmd wenn die Fröhlichkeit, welche jene enthält, 
sich mit der Vorstellung einer asideren Ursache ver- 
bindet Beide Affekte vermindern sichy wenn Peter 
nic/d für die alleinige Ursache derselben gehalten 
worden ist 

B. Dies erhellt aus der blossen Definition der Liebe 
und des Hasses (III. L. 13. E.), denn die Freude wird 
nur deshalb zur Liebe und die Traurigkeit zum Hass 
gegen Feter, weil er für die Ursache derselben gehalten 
wird; ist die Annahme ganz oder zum Theü beseitigt, so 
verschwindet auch der Affekt gegen Feter ganz oder zum 
TheiL«) 

L. 49. Die Liebe und der Hass gegen einen 
Gegenstand y den man für frei hält, muss bei 
gleicher Ursache gi^össer sein^ als gegen einen unfreien 
Gegenstand, 

B. Ein Gegenstand, den man für frei hält, muss 
durch sich uud ohne Anderes vorgestellt werden (L. D. 7) ; 
wenn wir daher einen solchen für die Ursache der Fröh- 
lichkeit oder der Trauer nehmen (III. L. 13. E.), so wer- 
den wir ihn lieben oder hassen, und zwar in der stärksten 
Weise, welche for den gegebenen * Affekt möglich ist 
(m L. 48). Wenn wir aber den Gegenstand, welcher 
die Ursache derselben Affekte ist, für einen unfreien 
halten, dann nehmen wir ihn nicht für die alleinige Ur- 
sache derselben, sondern rechnen auch Anderes als Ur- 
sache hinzu (L. D. 7), und deshalb wird die Liebe und 
der Hass gegen den Gegenstand schwächer sein (III. L. 48). 

£. Daraus erklärt sich, dass Menschen sich mehr 
wie andei'e Dinge gegenseitig lieben oder hassen; sie 
halten sich nämlich für frei, und dazu kommt noch die 
Nachahmung der Affekte, worüber HL L. 27, 34, 40 
und 43 einzusehen sind, ö^) 



140 in. TheiL Von den Affekten. 

L. 50« Jeder Gegenstand kann zufällig die Ur- 
sache einer Hoffnung oder einer Furcht werden, 

B« Dieser Lehrsatz wird auf dieselbe Weise be- 
wiesen, wie in. L. 15 in Verbindung mit HE. L. 18. E. 

£• Die Gegenstande, welch zuf^g die Ursache der 
Hoffnung und Furcht sind, heissen gute oder schlechte 
Vorzeichen. Soweit sie die Ursache der Hoffnung und 
Furcht sind, soweit sind sie Ursachen der Fröhlichkeit 
oder Trauer (III. L. 18. E. 2), and folglich lieben oder 
hassen wir sie insoweit (lEL L. 15. Z.) und streben, sie 
als Mittel für das, was wir hoffen, anzuwenden oder als 
Hindemisse und IJrsachen der Furcht abzuwenden (in. 
L. 28). Femer falgt aus III. L. 25, dass wir von Natur 
80 beschaffen sind, dass wir das leicht glauben, was wir 
hoffen, und schwer, was wir fürchten, und unser ürtheil 
hierüber mehr, als recht ist, dadurch bestimmen lassen. 
Daraus sind die abergläubischen Meinungen entstanden, 
von denen die Menschen überall geplagt sind. 

Uebrigens ist es wohl nicht nothwendig, hier die 
Schwankungen der Seele darzulegen, welche aus der Hoff- 
nung oder Furcht entspringen, da schon aus der blossen 
Definition dieser Affekte sich ergiebt, dass es keine Hoff- 
nung ohne Furcht, und keine Furcht ohne Hoffnung 
giebt (wie an seinem Orte ausführlich erklärt worden ist). 
Ausserdem lieben oder hassen wir etwas in demselben 
Grade, wie wir es hoffen oder fürchten; das von der 
Liebe und dem Hass Gesagte wird daher Jeder leicht 
auf die Hoffnung und die Furcht anwenden können.^) 

L. 61. Verschiedene MenscJien können von dem- 
selben Gegenstande auf verschiedene Weise erregt 
werden, und derselbe Mensch kann von demselben 
Gegenstand zu verschiedenen Zeiten verschieden erregt 
werden, 

B, Der menschliche Körper wird von fremden Kör- 
pern auf verschiedene Weise erregt (11. '»H. 3). Es können 
deshalb zwei Menschen zu gleicher Zeit auf verschiedene 
Weise erregt sein, folglich auch von ein und demselben 
Gegenstande verschieden erregt werden (II. L. 13. Ln. 3, 
A. 1). Ferner kann der menschliche Körper bald auf 
diese, bald auf jene Weise erregt werden und daher von 



m. Theil. Von den Affekten. ' 141 

demselben Gegenstande, zn. verschiedenen Zeiten, ver- 
schieden erregt werdeni (II. L. 13. Ln. 3. A. 1). *^) 

£• Man sieht hieraus, wie es möglich ist, dass Einer, 
liebt, was der Andere hasst, und Einer fürchtet, was der 
Andere nicht fürchtet; und dass derselbe Mensch jetzt 
das liebt, was er früher hasste, und jetzt das wagt, was 
er früher fürchtete, u. s. w. Es ergiebt sich ferner, 
dass weil Jeder nach seinen Gefühlen urtheilt, was gut 
und schlecht, besser und schlimmer ist (III. L. 39. E.), 
die Menschen sowohl in den TJrtheilen, wie in den Ge- 
fühlen von einander abweichen. (Die Möglichkeit dazu, 
trotzdem dass die menschliche Seele ein Theil des gött- 
lichen Yerstandes ist, ist II. L. 17. E. dargelegt worden.) 
Wenn wir die Menschen unter einander vergleichen, so 
unterscheiden wir sie daher nach dem Unterschiede ihrer 
Affekte von uns und nennen diesen kühn, jenen furcht- 
sam, oder sonst wie. So werde ich z. B. den muthig 
nennen, welcher ein Uebel verachtet, was ich zu fürchten 
pflege. Wenn ich ausserdem bemerke, dass seine Be- 
gierde, dem Gegner zu schaden und dem Freunde wohl- 
zuthun, durch die Furcht vor einem Uebel nicht ge- 
hemmt wird, vor dem ich gewöhnüch zurückweiche, so 
werde ich ihn kühn nennen. Ferner wird mir derjenige 
als furchtsam gelten, der ein Uebel fürchtet, was ich 
zu verachten pflege; wenn ich ausserdem bemerke, dass 
seine Begierde durch die Furcht vor einem Uebel gehemmt 
wird, welches miqji nicht abschrecken kann, so werde 
ich ihn kleinmüthig nennen. 

In dieser Weise wird Jeder sein Urtheil fällen. Bei 
dieser Natur der Menschen und der Unbeständigkeit 
ihres Urtheils, und da die Menschen oft blos nach dem 
Gefahl über die Dinge urtheilen, und da die Gegenstände, 
welche sie für fröhliche oder traurige halten, und des- 
halb zu befördern oder zu entfernen streben (III. L. 28), 
oft nur eingebildete sind, so kann man, ohne dass ich 
noch an die Ungewissheit der Dinge zu erinnern 
brauche, wie sie im 11. Theil dargelegt worden sind, 
leicht begreifen, dass die Menschen oft in die Lage 
kommen können, sich zu betrüben oder zu erfreuen, oder 
^ dass sie von diesen Affekten erfasst werden, unter 
Begleitung der Vorstellung ihrer selbst als Ursache. 
Hieraus ergiebt si<^ leicht, was die Eeue und die Selbst- 



142 ni. Theil. Von den Affekten. 

Zufriedenheit ist. Die Bene ist nämlicli die Traurigkeit 
unter Begleitung der Vorstellung seiner selbst als Ursache, 
und die Selbstzufriedenheit ist eine Fröhlichkeit in 
gleicher Weise. Diese Affekte sind sehr heftig, weil die 
Menschen sich für frei halten. (III. L. 49). ®^) 

L. 52. Einen Gegenstandy den wir zugleich vnä 
andern frülier gese/ien haben, oder der nach imserer 
Meinung nichts an sich hat, was nicht mehreren Gegenr ^ 
ständen gemeinsam ist, werden wir nicht so lange he- 
tracliten^ als einen, der na^h unserer Auffassung eticas 
JEigentkumliches hat. 

B« Sobald wir uns einen Gegenstand vorstellen, den 
wir mit anderen gesehen haben, so w^den wir uns sofort 
dieser andern entsinnen (II. L. 18. £.), und so werden 
wir aus der Betrachtung des einen in die Betrachtung 
des andern gerathen. Ebenso verhält es sich mit einem 
Gegenstande, der nur Gemeinsames mit andern enthalt. 
Denn eben deshalb meinen wir in ihnen nichts zu schauen, 
was wir nicht vorher schon mit andern gesehen haben. 
Wenn wir aber annehmen, dass wir uns in einem Gegenstand 
etwas Eigenthümliches vorstellen, was wir vorher noch 
nicht gesehen haben, so heisst dies nichts Anderes, als 
dass die Seele bei der Beschauung dieses Gegenstandes 
nichts in sich hat, auf dessen Betrachtung sie durch 
die Betrachtung dieses gerathen könnte; sie ist daher 
nur veranlasst, diesen zu betrachte^. Deshalb werden 
wir einen Gegenstand u. s. w. ®*) 

E. Diese Erregung der Seele oder diese bildliche 
Vorstellung einer besonderen Sache heisst, so weit sie Wos 
in der Seele besteht, Bewunderung. Kommt sie von 
einem Gegenstande, den wir furchten, so heisst sie 
Bestürzung, weil die Bewunderung eines Uebels den 
Menschen in dessen Betrachtung so schwebend erhält, 
dass er nicht vermag, an das zu denken, wodurch er dieses 
Uebel vermeiden könnte. Wenn aber das, was wir be- 
wundem, eines Menschen Klugheit, Fleis oder dergl. ist, 
so wird jene Bewunderung Ehrfurcht genannt, indem 
wir sehen, dass der Mensch dadurch uns weit übertriM. 
Wenn wir eines Menschen Zorn, Neid u. s. w. bewun- * 
dem, so heisst dies Abscheu. Wenn wir femer eines 
Menschen, den wir lieben, Klugheit, Floiss u. s. w. be- 



HL Theil. Von den Affekten. 143 

wundern, so wird die Liebe dadurch steigen (III. L. 12). 
und diese mit Bewunderung oder Ehrfurcht verbundene 
Liebe heisst Ergebenheit. Auf diese Weise kann man 
sich anch den Hass, die Hoffnung, die Sicherheit und 
andere Affekte mit Bewunderung verbunden vorstellen und 
so mehr Affekte ableiten, als gebränchliche Worte dafür 
vorhanden sind. Daraus erhellt, dass die Namen der 
Affekte mehr nach ihrem gewöhnlichen Gebrauche, als 
nach ihrer genauen Kenntniss gebildet worden sind. 

Der Bewunderung steht die Verachtung gegenüber, 
deren Ursache meist folgende ist. Wenn wir sehen, 
dass Jemand eine Sache bewundert, liebt, fürchtet, oder 
wenn wir einen Gegenstand wegen seiner zunächst her- 
vortretenden Aehnlichkeit mit bewunderten, geliebten oder 
gefürchteten Gegenständen ebenfalls bewundern, Hellen, 
fürchten n. s. w., alsdann aber durch die Gegenwart oder 
genauere Betrachtung des Gegenstandes genöthigt sind. 
Alles das von ihm zu verneinen, was die Ursache der 
Bewunderung, der Liebe, der Furcht u. s. w. sein kann, 
so ist die Seele durch diese Gegenwart der Sache mehr 
veranlasst, an das darin Fehlende, als an das darin Be- 
findüche zu denken; während sie doch sonst wegen der 
Gegenwart des Gegenstandes an das Vorzügliche zu den- 
ken pflegt, was in dem Gegenstande ist. So wie nun die 
Ergebenheit aus der Bewunderung einer Sache entsteht, 
die wir lieben, so entsteht der Spott aus der Verach- 
tung eines Gegenstandes, den wir hassen oder fürchten; 
ebenso die Geringschätzung aus der Verachtung der 
Dummheit, wie die Verehrung- aus der Bewunderung 
der Klugheit. 

Auf diese Weise kann man sich auch eine Verbindung 
der Liebe, der Hoffnung, des Ehrgeizes und anderer Affekte 
mit der Verachtung denken und so mannigfache Affekte 
daraus ableiten, welche man ebenfalls nicht mit besondem 
Worten zu bezeichnen pflegt. ^') 

L. 63, Wenn die Seele sich seihst und ihre Macht 
zu handeln betrachtet y so ist sie erfreut, und zwar 
um so mehr y je bestimmter sie sich und diese Macht 
vorstellt', 

B. Der Mensch kennt sich selbst nur durch die Zu- 
stände seines Köi-pers und deren Vorstelungen (IL L. 19. 23). 



144 m. Theil. Von den Affekten. 

Wenn es also geschieht, dass sich der Mensch selbst 
betrachten kann, so wird angenommen dass er dadurch zu 
grösserer Vollkommenheit yorschreitet, d. h. dass er Ton 
Frende erfüllt ist (IIL L. 11. E.), nnd zwar nm so mehr, 
je bestimmter er sich und seine Macht zu handeln vor- 
stellen kann. 

Z. Diese Fröhlichkeit wird gesteigert, je mehr ein 
Mensch sich von Andem gelobt vorstellt. Denn je mehr 
dieses geschieht, desto höher hält er die Freude, welche 
Andere über ihn empfinden, und zwar unter Begleitung 
seiner als Ursache (III. L. 29. E.), und deshalb wird er 
selbst von grösserer Fröhlichkeit erfüllt, unter Begleitung 
der Vorstellung seiner selbst als Ursache. (III. L. 27.)**) 

L. 54, Die Seele strebt, nur das vorzusteUen, was 
üire Macht zu hundein setzt 

B. Das Streben oder die Macht der Seele ist ihr 
eigenes Wesen (III. L. 7). Das Wesen der Seele bejaht 
aber hur das, was die Seele ist und vermag (wie von 
selbst klar ist), und nicht das, was sie nicht ist und nicht 
vermag; deshalb strebt sie, nur das vorzustellen, was ihre 
Macht zu handeln bejaht oder setzt. ^•) 

L# 66. Wenn die Seele ihre Ohnmacht sich vm^ 
stellt, wird sie dadurch hetrbüt, 

B. Das Wesen der Seele bejaht nur das, was die 
Seele isx oder vermag, d. h. es ist der Natur der Seele ent- 
sprechend, sich nur das vorzustellen, was ihre Macht zu han- 
deln setzt (IIL L. 44,). Wenn ich also sage^ dass die 
Seele, wenn sie sich selbst betrachtet, ihre Ohnmacht be- 
trachtet, so heisst dies nur, dass das Streben der Seele, 
sich etwas vorzustellen, was ihre Macht zu handeln setzt, 
gehemmt werde, d. h. dass die Seele sich betrübe (III. 
L. 11. E.). 

Z. 1. Die Traurigkeit steigert sich, daher wenn man 
sich von Andern getadelt glaubt, was ebenso bewiesen 
wird, wie der Zusatz zu III. L. 53. 

E. Diese Traurigkeit in Begleitung der Vorstellung 
unserer Schwäche heisst: Niedergeschlagenheit; die 
Fröhlichkeit aber, die aus der Betrachtung unserer ent- 
springt, Selbstliebe oder Selbstzufriedenheit. Da 
diese so oft sich wiederholt, als der Mensch seine Tu- 



m. TheU. Von den Affekten. 145 

genden und seine Macht zu handeln betrachtet, so kommt 
es, dass Jeder so gerne seine Thaten zu erzählen und die 
Kraft seines Körpers wie seiner Seele zu zeigen sich 
beeifert, so dass die Menschen einander deshalb lastig 
werden. Es folgt daraus femer, dass die Menschen yon 
Natur neidisch sind (III. L. 24 E. L. 32 E.), d. h. dass 
sie sich über die Schwäche ihrer Nebenmenschen freuen 
und über deren Tugenden betrüben. Denn so oft Jemand 
an seine Handlungeu denkt, so oft wird er fröhlich (Ul, 
L. 53), und zwar um so mehr, je mehr Vollkommenheit 
nach seiner Meinung seine Handlungen ausdrücken, und 
je deutlicher er sie sich vorstellt, d. h. je mehr er sie 
von andern unterscheiden und als eigenthümliche Gegen- 
stände betrachten kann. Daher wird sich Jeder bei der 
Betrachtung seiner dann am meisten freuen, wenn er 
etwas in sich bemerkt, was den Andern fehlt Wenn 
aber das, was er von sich bejaht, sich auf die universelle 
Vorstellung des Menschen oder des Geschöpfes bezieht, 
so wird er nicht so fröhlich sein. Umgekehrt wird er sich 
betrüben, wenn er bei Vergleichung seiner mit Anderer 
Handlungen die seinigen für die schwächeren hält. Er 
wird streben, diese Traurigkeit zu entfernen (III. L. 28), 
indem er die Handlungen seiner Nebenmenschea herab- 
zieht oder die seinigen möglichst verschönert 

Es erhellt, dass die Menschen von Natur zu Hass 
und Neid geneigt sind un4. die Erziehung befördert dies. 
Denn die Eltern pflegen die Kinder nur durch die Beiz- 
mittel der Ehre und des Neides zur Tugend anzuhalten. 

Man kann mir indess entgegnen, dass wir ja oft die 
Tugenden der Menschen bewundem und sie verehren. 
IJi% diesen Einwand zu heben, will ich folgenden Zusatz 
beifügen. 

Z. 2. Niemand beneidet Jemand um seine Tugend, 
ausgenommen wenn dieser Seines gleichen ist. 

B. Der Neid ist ein Hass (III. L. 24 E.) oder eine 
Traurigkeit (III. L. 13. E.), d. h. ein Zustand, welcher 
des Menschen Macht oder Begehren hemmt (III. L. 11 E.). 
Aber der Mensch strebt und wünscht nur das zu thun 
(in. L. 9 E.), was aus seiner gegebenen Natur folgen 
kann. Daher wünscht der Mensch nicht, dass eine Macht 
zu handeln oder (was dasselbe ist) eine Tugend ihm bei- 
gelegt werde, welche der Natur eines Andern eigenthüm- 

Bpinoza, Ethik. lÖ 



146 in. Theil. Von den Affekten. 

lieh und seiner eignen fremd ist. Deshalb kann sein 
Begehren nicht gehemmt, d. h. er selbst nicht betrübt 
werden (III. L. 11 E.), wenn er in einem ihm unahn- 
lichen Gegenstande einen Yorzng bemerkt, und folglich 
wird er ihn auch nicht deshalb beneiden, wohl aber- Seines 
gleichen, der gleichen Natur mit ihm ist. 

E. Wenn ich daher oben (HI. L. 52 E.) gesagt 
habe, dass wir einen Menschen deshalb verehren, weil wii 
seine Klugheit, Tapferkeit u. s. w. bewundem, so geschielit 
es, weil wir diese Tugenden für solche halten, welche 
ihm eigenthümlich angehören, und nicht for solche, welche 
gemeinsame mit unserer Natur sind (in. L. 55). Wir 
werden deshalb ihn um dieser ebenso wenig beneiden, 
wie die Bäume um ihre Höhe und die Löwen um ihre 
Starke. W) 

L. 56. Es giebt ebenso viel Arten der FröhUchkeU, 
der Traurigkeit und des Begehrens, so wie der dar(m 
zusammengesetzten Affekte und Schwankungen de\' 
Seele und de9* daraus abgeleiteten Affekte^ wie Liebe^ 
HasSy Hoffnung, Furcht w. s. «?., als es Arten der 
Gegenstände giebt, von denen man etregt wird, 

B. Die Fröhlichkeit und die Trauer und die daraus 
gebildeten oder abgeleiteten Affekte sind leidende Zu- 
stande (in. L. 11 E.). Wir leiden aber nothwendig 
(in. L. 1^ soweit wir unzureichende Vorstellungen haben, 
und soweit wir sie haben, soweit leiden wir nur (III. L. 3), 
d. h. wir leiden nur soweit nothwendig (IL L. 40 E.)- 
soweit wir uns in bildlichen Vorstellungen bewegen, oder 
soweit wir durch einen Affekt erregt werden (IE. L. 17. E.)» 
welcher die Natur unseres Körpers und die eines freiideü 
einschliesst. Die Natur irgend eines leidenden Zustandes 
kann daher nur so erklärt werden, dass sie durch die 
Natur des Gegenstandes ausgedrückt wird, welcher uns 
erregt. So enÖiält die Fröhlichkeit, welche aus dem Ge- 
genstande A. entspringt, die Natur desselben Gegenstandes 
A., und die Fröhlichkeit, welche aus dem Gegenstande B. 
entspringt, die Natur desselben Gegenstandes B. Mithin 
sind diese beiden Affekte der Fröhlichkeit von Natur ver- 
schieden, da sie aus Ursachen verschiedener Natur ent- 
springen. So ist auch der Affekt der Traurigkeit, welcher 
aus dem einen Gegenstand entspringt, in seiner Natur 



•■ -1 

1 

. in. TheiL Von den Affekten. 147 | 

yerscliieden von der Traurigkeit, welche aus einer andern 

Ursache entsteht. Dies gilt auch von der Liebe, dem Hass, I 

der Hoffnung, der Furcht, den Gemüthsschwankungen u. s. w. 

Es giebt also nothwendig so viele Arten der Fröhlichkeit, 

Traurigkeit, der Liebe, des Hasses u. s. w., als es Arten 

der Gegenstände giebt, durch die wir erregt werden. 

Die Begierde aber ist die Natur oder das Wesen eines 
Jeden, soweit es aufgefasst. wird als durch eine gegebene 
Verfassung desselben zu einer Thätigkeit bestimmt (III. 
L. 9 F.). Je nachdem also in Jemand von äusseren Ur- 
sachen diese oder jene Art der Fröhlichkeit, der Traurigkeit, 
der Liebe, des Hasses u. s. w. erregt wird, d. h. je nach- 
dem seine Natur in diese oder jene Verfassung geräth, 
so muss auch sein Begehren ein anderes werden, und die 
Natur des einen muss sich von der Katar des andern 
ebenso unterscheiden, wie die Affekte sich unterscheiden, 
aus denen sie entspringen. Es giebt also so viele Arten 
des Begehrens, als Arten der Fröhlichkeit, Traurigkeit, 
Liebe u. s. w., und mithin (wie bereits gezeigt worden) 
so viele, als es Arten der Gegenstände giebt, von denen 
wir erregt werden, 

E. JDie wichtigeren unten den Arten der Affekte, deren 
es sehr viele geben muss (III. L. 56), sind die Schwelgerei, 
die Trunkenheit, die Wollust, der Geiz und die Ehrsucht. 
Sie sind nur Arten der Liebe und des Begehrens, und die 
Natur dieser beiden Affekte besondert sich in ihnen durch 
die Gegenstände, auf welche sie sich 'beziehen. Denn unter 
Schwelgerei, Trunkenheit, Wollust, Geiz und Ehrsucht 
versteht man nur die unmässige Liebe und Begierde nach 
Schmausereien , nach Begattung, nach Beichthum und 
ßuhm. Uebrigens haben diese Affekte keiuGegentheil, sofern 
man sie blos nach dem Gegenstande, auf den sie sich be- 
ziehen, von einander unterscheidet. Denn die Massigkeit, 
welche man der Schwelgerei, und die Nüchternheit, welche 
man der Trunkenheit, und die Keuschheit, welche man 
der Wollust entgegen zu stellen pflegt, sind keine Affekte 
oder leidende Zustände, sondern bezeichnen die Macht der 
Seele, wodurch diese Affekte gemässigt werden. 

Im TJebrigen kann ich die andern Alien der Affekte 
Mer nicht auseinandersetzen, da deren so viele sind, als 
Arten der Gegenstände (und selbst wenn ich es könnte, 
wäre es nicht nöthig). Denn um die Kräfte der Affekte 

10* 



148 ni. Theil. Von den Affekten. • 

und die Macht der Seele über sie zu bestimmen, was 
allein mein Zweck ist, genügt die allgemeine Definition 
eines jeden Affektes. Es genügt, sage ich, die Xenntniss 
der allgemeinen Eigensch^en der Affekte der Seele, um 
bestimmen zn können, welche Macht nach Art und Grösse 
die Seele besitzt, um die Affekte zu massigen und zu 
hemmen.' Wenn also auch ein grosser Unterschied zwischen 
diesem oder jenem Affekt der Liebe, des Hasses und des 
Begehrens besteht, z.B. zwischen der Liebe zu den Kin- 
dern und der zu der Gattin, so brauchen wir doch nicht 
diese Unterschiede zu kennen, und die Natur und den 
Ursprung dieser Affekte weiter zu erforschen, ''i) 

L. 57. Jeder Affekt eines Einzeldinges unter- 
scheidet sich von dem Affekt eines andern JDinges um 
so viel, als sich das Wesen des einen Einzeldinges 
von dem des andern unterscheidet 

B. Dieser Lehrsatz ergiebt sich aus n. L. 13 E. 
Ln. 3 A. 1. Nichtsdestoweniger will ich ihn durch die 
Definition der ursprünglichen drei Affekte beweisen. 

Alle Affekte beziehen sich auf das Begehren, die 
Fröhlichkeit und die Traurigkeit, wie die von mir gegebenen 
Definitionen derselben beweisen. Aber das Begehren ist die 
Natur oder das Wesen selbst von einem Jeden (HE. L 9 
D. in E.), deshalb unterscheidet sich das Begehren eines 
jeden Einzelnen von dem*des Andern gerade so weit, als 
die Natur oder das Wesen des Einen von dem des Andern 
abweicht. Die Fröhlichkeit oder die Trauer sind ferner 
leidende Zustände, durch welche eines Jeden Macht oder 
Streben, in seinem Sein zu verharren, vermehrt oder ver- 
mmdert, unterstützt oder gehemmt wird (HE. L. 11 u. E.). 
Unter dem Streben, in seinem Sein zu verharren wird, so 
weit es auf Seele und Körper zugleich bezogen wird, das 
Verlangen und die Begierde verstanden (III. L. 9 E.). 
Daher ist die Fröhlichkeit und Traurigkeit das Begehren 
oder Yerlangen selbst, insofern es von einer fremden Ur- 
sache vermehrt oder vermindert, unterstützt oder gehemmt 
wird, d. h. es ist die Natur eines Jeden (III. L. 9 E.)- 

Mithin unterscheidet sich die Fröhlichkeit oder 
Trauer des Einen von der des Andern auch insoweit, 
als die Natur und das Wesen des Einen von dem des 



in. TheiL Von den Aflfekten. 149 

Andern abweicht. Folglich unterscheidet sich der Affekt 
des einen Einzeldinges von dem des andern n. s. w. 

E. Hieraus ergiebt sich, dass die Affekte der Thiere, 
welche unveniünftig heissen (denn wir können nicht zwei- 
fehi, dass auch sie Vorstellungen haben, nachdem wir 
den Ursprung der Seele kennen gelernt haben), von denen 
der Menschen um so weit abweichen, wie ihre Natur von 
der des Menschen abweicht. Das Pferd wird, wie der 
Mensch, von der Lust sich zu begatten getrieben; aber 
jenes von einer pferdeartigen und dieser von einer mensch- 
lichen Lust. So müssen auch die Lüste und Begehren 
der Fische, der Insekten und der Vögel bei jedem ver- 
schieden sein. 

Wenn daher auch jedes Einzelwesen mit seiner Natur, 
welche es ausmacht, zufrieden lebt und sich derselben 
erfreut, so ist doch das Leben, mit welchem jedes zu- 
frieden ist und seine Freude nur die Vorstellung oder Seele 
dieses Einzelgeschöpfes, und deshalb unterscheidet sich 
die Freude des Einen von der des Andern in ihrer Natur 
um so viel, als das Wesen des Einen von dem Wesen des 
Andern. 

Endlich ergiebt sich aus dem vorstehenden Lehrsatz, 
dass ein grosser Unterschied ist zwischen der Freude, die 
z. B. einen Betrunkenen beherrscht, und der Freude, die 
ein Philosoph besitzt, wie ich im Vorbeigehen be- 
merken will. 

So viel über die Affekte, welche sich auf den Menschen 
beziehen, sofern er leidet. Es bleibt noch Einiges über 
die hinzuzufügen, die sich auf ihn beziehen, sofern er 
handelt. '«) 

L. 58« Ausser der Fröhliehkeit und Begierdej 
welche leidende Zustände sind, giebt es noch andere 
Affekte der Fröhlichkeit und Begierde^ welche sich auf 
uns, als Handelnde, beziehen, 

B. Die Seele freut sich, wenn sie sich und ihre 
Macht zu handeln vorstellt (in. L. 53). Die Seele be- 
trachtet sich aber noth wendig selbst, wenn sie eine wahre 
oder zureichende Vorstellung fasst (II. L. 43). Die Seele 
fasst aber einzelne zureichende Vorstellungen (II. L. 40 
E. 2); sie freut sich also auch, soweit sie zureichende 
Vorstellungen fasst, d. h. soweit sie handelt (III. L. 1). 



150 ni. Theil. Von den AflFekten. 

Ferner strebt die Seele, sowohl inwiefern sie klare und 
bestimmte, als inwiefern sie yerworrene Vorstellungen 
hat, in ihrem Sein zu verharren (III. L. 9). Unter Streben 
versteht man aber das Begehren (III. L. 9 E.); die 
Begierde gehört also zu uns auch, inwiefern wir einsehen, 
oder inwiefern wir handeln (m. L. 1). 

L. 69, Alle Affekte^ welche sich anxf den Men- 
schen, sofern er handelt, bezieJien, beziehen sich iwif 
auf die Fröhlichkeit oder auf das ßegeJifren. 

B. Alle Affekte haben auf das Begehren, die Fröh- 
lichkeit und die Traurigkeit Bezug, wie die von mir ge- 
gebenen Definitionen zeigen. Unter Traurigkeit wird aber 
verstanden, dass der Seele Macht zu denken vermindert 
oder gehemmt wird (HI. L. 11. u. E.). Daher wird, so- 
weit die Seele sich betrübt, ihre Macht einzusehen, d. h. 
zu handeln gemindert oder gehemmt (m. L. 1). Daher 
kann kein Affekt der Traurigkeit auf die Seele, sofern sie 
handelt, bezogen werden; sondern nur die lYöhlichkeit 
und das Begehren, welche sich insoweit auch auf die 
Seele beziehen (III. L. 58). 

E. Alle Handlungen, welche aus Affekten folgen, die 
auf die Seele als thatige bezogen werden, rechne ich zur 
Tapferkeit, welche ich in Seelenstärke und Edel- 
sinn theile. Denn unter Seelenstärke verstehe ich ein 
Begehren, durch welches Jeder sein Sein wegen des blossen 
Gebotes der Vernunft zu erhalten sucht, und unter Edel- 
sinn ein Begehren, durch welches Jeder wegen des blossen 
Gebotes der Vernunft strebt, die übrigen Menschen zu 
unterstützen und sich in Freundschaft zu verbinden. Die 
Handlungen, welche nur den Nutzen des Handelnden ver- 
folgen, rechne ich zur Seelenstärke; die, welche den Nutzen 
eines Andern verfolgen, zum Edelsinn. Massigkeit, Nüch- 
ternheit und Geistesgegenwart bei Gefahren sind Arten 
der Seelenstärke ; dagegen sind Bescheidenheit, Milde u.s. w. 
Arten des Edelsinns.'^*) 

Hiermit glaube ich die erheblichen Affekte und 
Schwankungen der Seele, welche aus der Verbindung der 
drei ursprünglichen Affekte, nämlich der Fröhlichkeit, der 
Traurigkeit und dem Begehren entstehen, erklärt und nach 
ihren letzten Ursachen dargelegt zu haben. Es erhellt 
daraus, dass wir durch fremde Ursachen auf viele Weise 



m, Theil. Von den Affekten. 151 

erregt werden, und dass wir hin- nnd herachwanken, wie 
die, von entgegengesetzten Winden bewegten Wellen des 
Meeres, nnkundig nnsers Erfolgs und Schicksals. Ich 
iib« indess schon gesagt, dass ich ncr die erheblichsten 
Brregnngen der Seele nnd nicht alle miJglichen habe dar- 
legen wollen. Denn wenn wir so, wie oben, fortschreiten, 
so können wir zeigen, dasa die Liebe mit der Keue "■'* 
der Geringschätzung, mit dem Schamgefühl sich 
bindet. Ja, ich glanbe, es ist Jedem aus dem Sishe 
klar, dass die Affekte sich mit einander auf so 
Arten verbinden, nnd dass daraus so grosse Mannigfi 
keilen entstehen können, dass man keine Zahl dafäi 
geben kann. Für meinen Zweck genügt es indess 
eihebUchsten aufgezählt zn haben; die, welche ich 
erwähnt habe, dienen mehr der Ifeugierde als dem Ni 

Doch muss ich von der Liebe noch bemerken, da 
nämlich sehr oft vorkommt, wie der Körper, wahrem 
des begehrten Gregenstandes geniesaen, durch den Gr< 
in eine neue Verfassung geräth, welche ihn anders best 
nnd andere Bilder in ihm erregt. Damit beginnt zug 
die Seele Anderes vorzustellen und zu begehren. ^ 
wir z. B. etwas Gu (schmecken des uns vorstellen, b< 
gehren wir, es zu genieagen, d. h. zq easen. Abel 
dem Genuas wird der Hagen angefüllt und der KOrj 
eine andere Verfassung gebracht. Wenn bei dieser 
änderten Verfassung des Körpers, das Bild der S] 
weil sie gegenwärtig ist, gesteigert wird, und damit 
das Streben oder die Begierde, sie zu essen, so wird 
neue Verfassung des Körpers diesem Begehren oder St: 
iriderstehen nnd deshalb wird die Gegenwart dei 
gehrten Speise lästig. Dies ist, was man üeberd 
nnd Ekel nennt. 

TTebrigens babe ich die äusseren Zustände des KCl 
welche man bei den Affekten beobachtet, wie Zi 
Biblassen, Schluchzen, Lachen u. s. w. bei Seite gab 
weil sie blos zu dem Körper gehören, ohne alle Bezie 
anf die Seele.'*) 

Znm SchlusB bleibt noch Einiges über die Definit 
der Affekte zu sagen. Ich werde sie deshalb hier der '. 
nach aufnehmen und bei jedem das Nöthige bemerk 



152 HL Theil. Von den Affekten. 

Deflnitionen der Affekte.''^) 

D. 1. Die Begierde ist das eigene Wesen des 
Menschen, insofern es Torgestellt wird, als dnrch irgend 
eine gegebene Erregung bestimmt, etwas zn thnn. 

Erkl. Ich habe oben III. ll 9 E. gesagt, die Be- 
gierde sei das Verlangen ^it dem Bewusstsein semer; 
das Verlangen aber sei das Wesen des Menschen selbst, 
so weit es bestimmt ist, das zn thnn, was seiner Erhal- 
tung dient. Aber in derselben Erläntemng habe ich auch 
bemerkt, dass ich in Wahrheit zwischen dem Verlangen 
und der Bergierde des Menschen keinen Unterschied an- 
erkenne. Denn mag nun der Mensch sich seines Ver- 
langens bewusst sein oder nicht, so bleibt doch das Ver- 
langen dasselbe, und deshalb habe ich, um nicht in eine 
Tautologie zu verfallen, die Begierde nicht durch das 
Verlangen erklärt, sondern sie so zu definiren gesucht, 
dass ich alles und jedes Streben der menschlichen Natur, 
was man mit Verlangen, Wollen, Begierde, Heftigkeit 
bezeichnet, darunter umfasse. Denn ich hätte sagen 
können, die Begierde sei das menschliche Wesen selbst, 
insofern es als zu einer Thätigkeit bestimmt aufgefasst 
werde; indess hätte sich dann aus dieser Definition nicht 
ergeben (11. L. 23), dass die Seele sich ihrer Begierde 
oder ihres Strebens bewusst werden könnte. Um daher 
die Ursache dieses Bewusstseins einzuschliessen, war es 
nothwendig (11. L. 23), hinzuzusetzen: »insofern bestimmt 
durch irgend eine Erregung u. s. w.€ Denn ich verstehe 
unter Erregung des menschlichen Wesens irgend eine 
Verfassung dieses Wesens, mag diese nun angeboren sein, 
oder mag sie blos durch das Attribut des Denkens oder 
blos durch das der Ausdehnung vorgestellt werden. Hier 
verstehe ich also unter dem Wort: Begierde alle Stre- 
ben, Verlangen, Begehren, Wollen des Menschen, welche 
nach der verschiedenen Verfassung des Menschen unter- 
schieden und oft einander entgegengesetzt sind, so dass 
der Mensch nach verschiedenen Richtungen gezogen wird 
und nicht weiss, wohin er sich wenden soll, 

D. 2« Die Fröhlichkeit, ist der Uebergang des 
Menschen von einer geringeren zu einer grösseren Voll- 
kommenheit. 

D. 8. Die Traurigkeit ist der Uebergang des 



III. Theil. Von den Affekten. 153 

Menschen von einer grösseren zu einer geringeren Voll- 
kommenheit. 

Erkl. Ich sage: TJebergang, denn die Fröhlichkeit 
ist nicht die Vollkommenheit* selbst; denn wenn ein 
Mensch mit der Vollkommenheit geboren würde, zu 
welcher er übergeht, so würde er dieselbe ohne den Affekt 
der Fröhlichkeit besitzen. Dies ergiebt sich deutlicher 
ans dem diesem entgegengesetzten Affekt der Traurig- 
keit. Denn Niemand kann bestreiten, dass die Traurigkeit 
in einem Uebergange zu einer geringem Vollkommenheit 
besteht, nicht in der geringem Vollkommenheit selbst, 
da Niemand sich insoweit betrüben kann, als er noch 
einer Vollkommenheit theilhaftig ist. Auch kann man 
nicht sagen, dass die Traurigkeit in dem Mangel einer 
grösseren Vollkommenheit bestehe, weil Mangel Nichts 
ist. Der Affekt der Traurigkeit ist vielmehr ein Wirk- 
liches und kann daher nichts Anderes sein, als der wirk- 
liche TJebergang zu einer geringeren Vollkommenheit, 
d. h. ein Vorgang, durch welchen des Menschen Macht 
zu handeln vermindert oder gehemmt wird (III. L. 11 E.). 
Ich übergehe die Definition der Heiterkeit, der Lust, der 
Schwermuth und des Schmerzes, weil sie sich hauptsächlich 
auf den Körper beziehen und nur Arten der Fröhlichkeit 
und Trauer sind. '^^) 

D. 4. Die Bewunderung ist die bildliche Vorstel- 
lung eines Gegenstandes, auf welchem die Seele deshalb 
haften bleibt, weil diese eigenthümliche Vorstellung keine 
Verbindung mit anderen hat. 

Erkl. In II. L. 18 E. habe ich gezeigt, weshalb die 
Seele von der Betrachtung des eines G-egenstandes sofort 
auf die eines anderen kommt, nämlich weil deren Bilder 
mit einander verknüpft und so geordnet sind, dass eines 
auf das andere folgt. 

Dies kann nicht geschehen, wenn das Bild des Gegen- 
standes ein neues ist, vielmehr wird die Seele in dessen 
Betrachtung so lange festgehalten werden, bis sie durch 
andere Ursachen zu anderen Gedanken bestimmt wird. 
Die bildliche Vorstellung eines neuen Gegenstandes ist 
daher an sich von gleicher Natur mit den übrigen Vor- 
stellungen, und deshalb rechne ich die Bewunderung nicht 
zu den Affekten; auch sehe ich keinen Grund, weshalb 
ich dies thun sollte, da dieses Abziehen der Seele aus 



m. Theil. Von den ÄffeWen. 

iHitiven Ursache entspringt, welche die Seele von 
abzOge, sondern nur darans, dass eine Ursache 
It, wodurch der Mensch von der Betrachtnng des 
^enstandea zu der eines anderen geführt wird. 
Tkenne daher nnr drei nrgprüngliche oder erste 
m (III. L. H E.); nämlich die Fri5hlichkeit, 
rigkeit und die Begierde, nnd ich habe von der 
;ung nnr gesprochen, weil es gebräuchlich ist, 
ms jenen drei ursprünglichen abgeleitete Affekt« 
rn Wort«i zn bezeichnen, wenn sie anf Gegen- 
ezogen werden, die man bewundert. Dies be- 
lieb auch hier, die Definition der Verachtung an- 

Die Verachtung ist die Vorstellung eines 
ndes, welcher die Seele so wenig berührt, dass 
durch die Gegenwart desselben mehr veranlasst 
i vorzustellen, was in ihm nicht ist, als das, 
im ist (in. L. 52 E.). Die Definition der Ver- 
iind der Geringschätzung lasse ich bei Seite, 
iel ich weiss, keine Affekte davon ihren Namen 

Die Liebe ist die Fröhlichkeit in Begleitung 
tellung einer äusseren Ursache derselben. 

Diese Definition giebt sehr deutlich das Wesen 
I. Dagegen drnckt die Definition jener Schrift- 
'eiche die Liebe definiren als den Willen des 
1, sich mit dem geliebten Gegenstände zn ver- 
nicht das Wesen der Liebe aus, sondern nur 
r Eigen thDmlichkeit«n; nnd weil diese Schrift^ 
as Wesen der Liebe nicht genügend erkannt 
a konnten sie auch von ihrer Eigenthämlicbkeit 
ire Vorstellung haben, weshalb deren Definition 
: sehr dunkel befunden worden ist. Man halt« 
, dasE, wenn ich sage, in dem Liebenden sei das 
mljche, dass er sich mit dem geliebten Gegen- 
frbinden wolle, ich- unter diesem Wollen nicht 
illigung oder eine Ueberlegnng oder einen freien 
!B der Seele verstehe (denn diese sind blosse 
Igen) (II. L. 48); anch meine ich damit nicht 
irde, sieb mit dem geliebten, aber abwesenden 
ade zn verbinden oder in seiner Gegenwart, 
da ist, zn verharren; denn die Liebe kann ohne 



III. Theil. Von den Affekten. 155 

diese und andere Begierden sein. Vielmehr verstehe ich 
unter diesem Wollen nur jene Befriedigung, welche in 
dem Liebenden wegen der Gegenwart des geliebten Gegen- 
standes besteht, und durch welchen die Fröhlichkeit des 
Liebenden gestärkt oder mindestens genährt wird.'''«) 

D. 7. Der Hass ist die Traurigkeit, begleitet von 
der Vorstellung einer äussern Ursache derselben. 

ErkL Was hier zu sagen ist, kann leicht aus dem 
in der vorstehenden Erläuterung Gesagten abgenommen 
werden (m. L. 11 B.). 

B. 8. Die Neigung ist die Fröhlichkeit, begleitet 
von der Vorstellung eines Gegenstandes, welcher die zu- 
fällige Ursache der Fröhlichkeit ist. 

D. 9. Der Widerwille ist eine Traurigkeit, begleitet 
Ton der Vorstellung eines Gegenstandes, welcher die zu- 
fallige Ursache der Traurigkeit ist (III. L. 15 E.). 

D. 10. Die Verehrung ist die Liebe für den, den 
wir bewundern. 

Erkl. Ich habe gezeigt, dass die Bewunderung aus 
der Neuheit des Gegenstandes entspringt (III. L. 52) ; 
wenn es sich daher trifft, dass wir uns das Bewunderte 
oft vorstellen, so wird die Bewunderung aufhören. Deshalb 
sieht man, dass der Affekt der Verehrung oft in einfache 
Liebe ausartet. 

D. 11. Der Spott ist eine Fröhlichkeit, die daraus 
entspringt, dass, nach unserer Vorstellung, in einem ge- 
hassten Gegenstande sich etwas befindet, was wir ver- 
achten. 

Erkl. Soweit wir einen gehassten Gegenstand ver- 
achten, soweit verneinen wir seine Existenz (III. L. 52 E.), 
und insoweit sind wir fröhlich (III. L. 20). Da wir 
aber annehmen, dass der Mensch das Terspottete dennoch 
hasst, so folgt, dass die Fröhlichkeit keine feste ist 
(in. L. 47 E.). 

D. 12. Die Hoffnung ist eine unbeständige Fröh- 
lichkeit, welche aus der Vorstellung einer kommenden 
oder vergangenen Sache entsteht, über deren Ausgang 
wir zweifeln. 

D. 13. Die Furcht ist eine unbeständige Traurigkeit, 
welche aus der Vorstellung einer kommenden oder ver- 
gangenen Sache entspringt, über deren Ausgang wir noch 
zweifeln (HL L. 18 E. 2).'?») 



S m. Theil. Tod den Affekten. 

IrU. Aus diesen Definitionen ergiebt sich, Aas& es 
I Hoffnung ohne Fnicht nnd keine Furcht ohne HofT- 
' gieht Denn wer hofft nnd über den Anegang nocli 
'elt; stellt sich etwas vor, was die Existenz der körn- 
ten Sache ansachliesst; er wird sich also insoweit 
iben (III. L. 19), nnd folglich während seines Haffena 
iten, daas ea so geschehe. 

Ter dagegen fürchtet, d. h. über den Ausgang des 
•Staa zweifelt, wird sich ebenfalls etwas Torstellen, 

die Existenz desselben ausschliesst; daher wird er 
ich Bein, nnd folglich insoweit hoffen, dass es nicht 
etön wird. 

). 11. Die Zuversicht ist eine Fröhlichkeit, welche 
der Vorstellung einer kommenden oder vergangenen 
e entsteht, bei welcher der Zweifel beseitigt ist. 
}, 16. Die Verzweiflung ist eine Tranrigkeit, ect- 
igend aus der Vorstellung einer kommenden oder ver- 
^nen Sache, bei welcher der Zweifel beseitigt ist 
irkl. Die Hoffnung verwandelt sich also in Sicber- 

nnd die Furcht in Verzweiflung, wenn der Zweifel 

den Ausgang gehoben ist, und dies geschieht, wenn 
Mensch glaubt, dass die vergangene oder kommende 
.e da sei, und sie als gegenwärtig betrachtet, oder 
I er ein Anderes voretellt, was die Existenz der 
:e ausschliesst, welche ihn zweifeln machten. Deun 
■gleich wir fiber den Ausgang der einzelnen Ding« 
als gewiss sein kdnnen (II. L. 31 Z.), so kann es 
. kommen, dass wir Aber deren Ausgang nicht zweifelu. 
1 ich habe gezeigt, dass der Zweifel nicht dasselbe 

die Gewissheit ist (It. L. 49 E.). So kann es 
nen, dass man sich an dem Bilde einer vergangeneu 

kommenden Sache ebenso erfrent oder betrübt, vie 
lern emer gegenwärtigen Sache, wie ich in HL L, 18 
>■ gezeigt habe, 

>. 10. Die Freude ist eine Fröhlichkeit, begleitet 
der Vorstellung eines vergangenen Gegenstandes, der 
irhofit eingetreten ist. 

). 17. Die Gewiseensbisse sind eine Traurigkeit, 
Bitet von der Vorstellung eines vergangenen Gegen- 
äes, welcher uuverhofft eingetreten ist. "••) 
». 18. Das Mitleiden ist eine Traurigkeit, begleitet 

der Vorstellung eines Uebels, was einem Andem 



in. Theil. Von den Affekten. 157 

begegnet, den wir fSr Unsereagleichen halten (m. L. 
22 E., L. 27 E.). 

ErkL ¥nter Uitleiden oder Barmbemglieit scheint nur 
der UnteTHchied za bestehen, dass HiUeiden den ein» 
ASekt, Banolierzigkeit aber den znr Gewohnheit geword 
Affekt ausdrückt. 

D. 19. Gunst ist die Liebe zn Jemandem, der e 
Aodem wohlgethan hat. 

D, äO. Der Unwille ist der Haas gegen Jemai 
der einen Andern Hebels getban hat. 

Erkl. Ich weiss, dass diese Worte im gewOhnli 
Gebrauche etwas Anderes bezeichnen. Heine Auf 
ist aber nicht, die Bedeutung der Worte, sondern 
Natnr der Dinge za erläutern und sie mit Worte 
bezeichnen, deren gewGhuliche Bedeutnng von der, wi 
icli ihnen gebe, nicht zu sehr abweicht; was ich ein 
allemal bemerkt haben will, üeber die Ursachen d 
Affekte sind einzusehen III. L. 27 Z. 1 u. L. 22 E 

D, 81. tJeberschätzung ist es, wenn man vone 
Andern aus Liebe mehr, als recht ist, hält. 

D. 2S, Geringschätzung ist, wenn man von e 
Andern aus Hass weniger, als recht ist, hält. 

ErU, Die Ueberschätzung ist daher eine Wirkung 
Eigenschaft der Liebe, und die Geringschätzung eine s( 
des Hasses. Die Ueberschätzung kann deshalb auch 
flnirt werden als die Liebe, welche den Menschen S( 
regt, dass er von dem geliebten Gegenstände mehr 
recht ist, hält, und Geringschätzung als Hass, wel 
den Menschen so erregt, dass er von dem Oehai 
weniger, als recht ist, hält (III. L. 26 E.). 

». 28. Der Neid ist ein Hass, welcher den Mens 
so erregt, dass er sich an des Anderen Glück betrübt 
an des Ajideren Uebel erfreut. 

Erkl. Dem Neid wird gewöhnlich die Barmherzij 
g'flgenOber gestellt, welche daher, gegen die gewöhn 
Bedeutung dieses Wortes, sich so definiren läaat: 

D. 24, Die Barmherzigkeit ist die Liebe, wi 
einen Menschen so erregt, dass er sich an des An 
Guten .erfreut und über des Andern Uebel betrübt. •' 

Erkl. Man sehe Qbrigens über den Neid III. L. 2 
L. 32 E. 

Dies sind Affekte der Fröhlichkeit und Traurigkeit 



158 ni. Theil. Von den Affekten. 

gleitet von der Vorstellung einer äusseren Sache als 
unmittelbarer oder zufälliger Ursache. Ich gehe nun zu 
den Affekten über, welche die Vorstellung einer inneren 
Sache als Ursache begleitet. 

B« 25. Die Selbstzufriedenheit ist eine Fröh- 
lichkeit, welche daraus entspringt, dass der Mensch sich 
und seine Macht zu handeln betrachtet. 

D. 20. Die Niedergeschlagenheit ist eine Trau- 
rigkeit, welche daraus entspringt, dass der Mensch seme 
Ohnmacht oder Schwäche betrachtet. 

Erkl. Die Selbstzufriedenheit steht der Niederge- 
schlagenheit gegenüber, insofern sie als eine Fröhlichkeit 
aufgefasst wird, welche aus der Betrachtung unserer Macht 
zu handeln entspringt; insofern wir sie aber als eine 
Fröhlichkeit nehmen, begleitet von der Vorstellung einer 
Handlung, welche wir aus freiem Entschluss gethan zu 
haben glauben, bildet sie den Gegensatz zu Beue, welche 
ich so deiinire: 

D. 27. Die Reue ist eine Traurigkeit, begleitet von 
der Vorstellung einer Handlung, welche wir aus freiem 
Entschluss der Seele gethan zu haben glauben. 

Erkl. Die Ursachen dieser Affekte habe ich bei III. 
L. 51 E., L. 53, 54 u. 55 E. gezeigt. Ueber die Frei- 
heit des Willens sehe man II. L. 35 E. Es ist nicht 
wunderbar, dass allen Handlungen, welche gewöhnlich 
schlechte genannt werden, Traurigkeit folgt, .und denen, 
die rechte genannt werden, Fröhlichkeit. Denn aus 
dem Obigen kann man leicht abnehmen, dass dies vor- 
züglich von der Erziehung abhängt. Indem die Eltern 
jene tadelten und die Kinder wegen derselben oft aus- 
schalten, diese dagegen begünstigten und lobten, be- 
wirkten sie,' dass die Erregungen der Trauer sich mit 
jenen und die der Freude mit diesen verbanden. Dies 
bestätigt auch die Erfahi'ung; denn die Sitten und die 
Eeligion sind nicht bei Allen gleich; vielmehr, was bei 
Einigen heilig, ist bei Andern sündlich, und was bei 
Einigen rechtlich, ist bei Andern scihändlich. Je nach- 
dem also Jemand erzogen ist, bereut er eine Handlung 
oder rühmt sich derselben, ß^) 

D. 28. Stolz ist, wenn man aus Eigenliel)e mehr, 
als recht ist, von sich hält. 

Erkl. Es unterscheidet sich also der Stolz von der 



m. Theil. Von den Affekten. 159 

Ueberschätzung dadurch, dass diese auf einen fremden 
Gegenstand, der Stolz aber auf das eigene Selbst be- 
zogen wird, indem man melir, als recht ist, von sich 
hält. So wie übrigens die Ueberöchätzung die Wirkung 
oder Eigenthtimlichkeit der Liebe ist, so ist der Stolz 
eine solche von der Selbstliebe. Man kann ihn daher 
auch definiren als die Selbstliebe oder Selbstzufrieden- 
heit, insofern sie einen Menschen so erregt, dass er mehr, 
als recht ist, von sich hält (III. L. 26 E.). Zu diesem 
Affekt giebt es keinen Gegensatz; denn Niemand hält 
aus Selbsthass weniger yon sich, als recht ist; ja dies 
geschieht nicht einmal, wenn er sich vorstellt, dass er 
dies oder jenes nicht könne. Denn wenn der Mensch 
sich vorstellt, dass er etwas nicht könne, so stellt er 
sich dies mit Nothwendigkeit vor und wird durch diese 
Vorstellung so bestimmt, dass er wirklich das nicht kann, 
was nicht zu können er sich vorstellt. Denn so lange er 
sich vorstellt, dies oder jenes nicht zu können, so lange 
ist er zum Handeln nicht entschlossen, und so lange ist 
folglich das Handeln unmöglich. Wenn wir aber blos 
auf das Acht haben, was von der Meinung allein ab- 
hängt, so erscheint es allerdings als möglich, dass ein 
Mensch, weniger als recht ist, von sich hält. Denn es 
ist möglich, dass Jemand, indem er traurig seine Schwäche 
betrachtet, sich für von Allen verachtet hält, obgleich 
dies in Wirklichkeit nicht der Fall ist. Ausserdem kann 
Jemand weniger, als recht ist, von sich halten, wenn er 
jetzt etwas von sich verneint, mit Eücksicht auf die 
Zukunft, über die er unsicher ist, z. B. wenn er verneint, 
dass er nichts Gewisses sich vorstellen könne, und dass 
er nur Schlechtes und Schändliches begehen oder thun 
könne. Man kann auch dann sagen, dass Jemand weniger, 
als recht ist, von sich hält, wenn man sieht, dass er aus 
Furcht vor Schande das nicht wagt, was Andere wagen. 
Diesen Affekt kann man also dem Stolz entgegenstellen. 
Ich will ihn Kleinmuth nennen; denn wie aus der Selbst- 
zufriedenheit der Stolz entsteht, so entsteht aus der Nieder- 
geschlagenheit der Eleinmuth, den ich daher so definire: 

D. 29, Kleinmuth ist, wenn man aus Traurigkeit 
weniger, als recht ist, von sich hält. 

Erkl. Man pflegt jedoch oft dem Stolze die Demuth 
entgegenzustellen; dann wird aber mehr ihre Wirkung, 



160 HL Theil. Ton den Affekten. 

wie ihre Natnr beachtet. Hau pflegt nämlich den stoli 
innen, der sich übertrieben rQhmt (III. L. 30 E.), 
ur seine Tugenden und um Anderer Fehler erzählt, 
llen vorgezogen sein will, nnd der endlich mit Bolcber 
e Dud Schmuck eishergeht, wie die pflegen, welche 
Iber ihm stehen. Dagegen nennt man den demflüiig, 
rt errCthet, der seine Fehler eingesteht, von Änderer 
iden spricht, der Allen Platz machte mid der endlich 
'BDeigtem Haupte wandelt und sich herauszupntieu 
iänmt. (Jebrigens sind die Affekte der Demntb 
ies Eleinmuthes nur selten, denn die menachliclie 

an sich stellt sich ihnen, soviel sie kann, entgegeo 
L. 15, 34); deshalb sind die, welche man für die 
thigsten und Eleinmüthigsten hält, meist die Ehr- 
sten und Neidischsten. 

80. Der Buhm ist die Fröhlichkeit, begleitet tou 
orstellnng einer eigenen Handlung, welche Ander«, 
unserer Meinung, loben. 

. 81. Der Schimpf ist eine Traurigkeit, beglütet 
är Vorstellung einer eigenen Handlung, welche Ander«, 
nnBerer Meinung, tadeln. 

rbL Mau sehe hierüber III. L. 30 E. Hier ist der 
schied zwischen Schimpf und Scham zu bemerk«!!. 
Ichimpf iet eine Traurigkeit, welche einer Handlung 

deren man sich schämt. Die Scham ist aber eiue 
t oder Sorge vor dem Schimpf, durch welche d«r 
;h abgebalten wird, etwas Schlechtes zu begehen. 
Scham pflegt die Unverschämtheit entgegengestellt 
irden, welche in Wahrheit kein Affekt ist, wie icli 
■ zeigen werde; denn die Namen der Affekte (wie 
innert habe) beziehen sich mehr auf ihren Gebraocli, 
if ihre Natur. *") 

iermit habe ich die Afl'ekte der Freude nnd Traurig- 
wendet, deren Erklärung ich mir vorgesetzt habe. 
ehe nun zn denen über, welche ich auf die Be^erd« 
kfübre. 

. 83. Die Sehnsucht ist die Begierde oder das 
m nach dem Besitze eines Gegenstandes, welches 
die Erinnerung an diesen Gegenstand gesteigert 
und zugleich dnrch die Erinnerung anderer Gegeo- 
B, welche die Existenz des begehrten Gegenstandes 
lilieesen, gehemmt wird. 



m. Theil. Von den Affekten. 161 

ErkL Wenn wir nns eines Gegenstandes entsinnen, 
so werden wir, wie oft erwähnt, bestimmt, ihn mit dem- 
selben Affekt zu betrachten, als wenn er gegenwärtig 
wäre. Dieser Zustand oder dieses Streben wird indess im 
Wachen meist von den Vorstellungen anderer Gegen- 
stände gehemmt, welche dip Existenz dessen ausschliessen, 
an den 'man denkt. Wenn wir uns also eines Gegen- 
standes entsinnen, der uns mit einer Art von Fröhlichkeit 
erfallt, so streben wir lediglich deshalb ihn mit demselben 
Affekt der Fröhlichkeit, wie er bei einem gegenwärtigen Statt 
hat, zu betrachten. Dieses Streben wird aber sofort gehemmt 
durch die Erinnerung an die Dinge, welche seine Existenz 
ausschliessen. Deshalb ist Sehnsucht in Wahrheit eine 
Traurigkeit, welche jener Fröhlichkeit entgegengesetzt 
ist, die aus der Abwesenheit eines gehassten Gegenstandes 
entspringt (III. L. 47 E.). Weil indess der Name: Sehn- 
sucht sich auf das Begehren zu beziehen -scheint, so 
rechne ich diesen Affekt zu denen des Begehrens. 

D, 88« Der Wetteifer ist das Begehren nach einem 
(jegenstande, welches in uns dadurch erzeugt wird, dass 
wir glauben, Andere haben . dasselbe Begehren. 

Erkl. Wenn Jemand flieht, weil er Andere fliehen 
sieht, oder fürchtet, weil er Andere furchten sieht, 
oder wenn Jemand, welcher einen Andern 'die Hand sich 
verbrennen sieht, deshalb seine eigene Hand zurückzieht 
oder sich benimmt, als wenn seine Hand verbrenne, so 
nennt man dies Nachahmung des Affekts, aber nicht VTett- 
eifer. Es geschieht dies nicht, weil wir für Beide einen 
Unterschied in ihren Ursachen kennen, sondern weil es 
gebräuchlich ist, dass man nur von dem Menschen Wett- 
eifer aussagt, der das nachahmt, was man für recht, 
nützlich oder . angenehm hält. lieber die Ursache des 
Wetteifers sehe man III. L. 27. E. Weshalb mit dem 
Wetteifer meist der Neid sich verbindet, sehe man III. 
L. 32. E. 

D. 34. Die Erkenntlichkeit oder Dankbarkeit ist 
ein Begehren oder Eifer der Liebe, mit dem wir dem 
wohl zu thun streben, der uns aus einem gleichen Affekt 
der Liebe wohlgethan hat (III. L. 39, 41. E.). 

D. 85. Das Wohlwollen ist ein Begehren, dem 
wohlzuthun, für den wir Mitleiden haben (III. L. 27. E.). 

D. 86. Der Zorn ist ein Begehren, wo wir durch 

Spinoza, Ethik. j^j^ 



?',- ^ "- 



162 ni. TheiL Von den Affekten. 

Hass angetrieben sind, dem Gehassten ein IJebel zuzu- 
fügen (in. L. 39). 

B« 37« Die Bache ist ein Begehren, wo wir durch 
einen erwiderten Hass angetrieben werden, dem ein Uebel 
zuzufügen, der uns in gleichem Affekt einen Schaden zu- 
gefügt hat (HI. L. 40. Z. 2 u. E.). 

D. 38. Die Grausamkeit oder Wuth ist 'ein Be- 
gehren, wo Jemand angetrieben wird, dem- ein Uebel zu- 
zufügen, den wir lieben oder bemitleiden.*^) 

ErkL Der Grausamkeit steht die Milde gegenüber, 
welche kein Leiden, sondern eine Macht der Seele ist, 
durch welche der Mensch den Zorn öder die Bache mässigt 

D. 39. Die Fürsorge ist das Begehren, ein grösseres 
Uebel, was wir fürchten, durch ein kleineres zu ver- 
meiden (ni. L. 39. E.). 

D. 40. Die Kühnheit ist das Begehren, durch 
welches Jeöiand angetrieben wird, etwas mit einer Ge- 
fahr zu thun, welche Seinesgleichen zu übernehmen sich 
scheuen. 

D. 41. Die Aengstlichkeit wird von dem aus- 
gesagt, dessen Begehren duroh die Furcht vor einer Ge- 
fahr gehemmt wird, welche Menschen Seinesgleichen zu 
übernehmen wagen. 

Erkl. Die Aengstlichkeit ist daher die Furcht vor einem 
Uebel, welches die Meisten nicht zu fürchten pflegen; 
ich rechne sie deshalb nicht zu den Begehren. Doch 
habe ich sie hier erwähnen wollen, weil, insoweit man 
aui das Begehren achtet, sie in Wahrheit den Gegensatz 
der Kühnheit bildet. 

D. 42. Die Verzagtheit wird von dem ausgesagt, 
dessen Begehren, ein Uebel zu vermeiden, durch dessen 
Bewunderung des Uebels, was er fürchtet, gehemmt ist. 

Erkl. Die Verzagtheit ist daher eine Art der Aengst- 
lichkeit. Weil sie aber aus einer doppelten Furcht 
entsteht, so kann man sie bequemer defiiiiren als eine 
Furcht, welche einen betäubten oder schwankenden Men- 
schen so erfasst, dass er das Uebel nicht abzuwenden 
vermag. Ich sage; betäubt, so weit man sich vorstellt, 
dass sein Begehren, ein Uebel abzuhalten, durch Bewun- 
derung gehemmt ist; schwankend aber, sofern man 
annimmt, dass sein Begehren durch die Furcht vor einem 
anderen Uebel gehemmt ist, welches ihn ebenso peinigt, 



IIL Theil. Von den Affekten. 163 

so dass er nicht weiss, welches von beiden er abwenden 
soll. Hierüber sehe man IIL L. 39. E. u. #k 52. E. 
üebrigens sehe man über die Aengstlichkeit nnd die 
Kühnheit m. L. 51. E. 

D. 48. Die Leutseligkeit oder Bescheidenheit ist 
ein Begehren, das zu thun, was den Menschen gefallt, 
oder zu unterlassen, was ihnen missfällt. 

B. 44. Die Ehrsucht ist ein unmässiges Begehren 
nach Euhm. 

Erkl. Die Ehrsucht ist eine Begierde, welche alle 
Affekte steigert oder verstärkt; daher kann dieser Affekt 
kaum überwunden werden (IIL L. 27, 31). Denn so 
lange Jemand von irgend einer Begierde erfasst ist, ist 
er zugleich von dieser erfasst. Cicero sagt: »Die besten 
Menschen sind ehrgeizig; selbst die Philosophen setzen 
ihren Namen auf die Bücher, welche sie über Verachtung 
des Ruhmes schreiben.« 

D. 45. Die Schwelgerei ist die unmässige Be- 
gierde nach Schmausen oder die Liebe zu solchem. 

D. 46. Die Trunksucht ist das unmässige Be- 
gehren oder die Liebe zum Trunk. 

D. 47. Der Geiz ist die unmässige Begierde oder 
Liebe zum Eeichthum. 

D. 48. Die Wollust ist die unmässige Begierde 
und Liebe zur fleischlichen Vermischung. 

Erkl. Man nennt es Wollust, mag die Begierde nach 
Begattung massig sein oder nicht. Femer haben diese 
fünf Begierden kein Gegentheil (wie in IIL L. 56. E. 
bemerkt worden ist). Denn die Bescheidenheit ist eine 
Art des Ehrgeizes (worüber HL L. 29. E.). Von der 
Massigkeit, Nüchternheit und Keuschheit habe ich be- 
reits gesagt, dass sie eine Macht der Seele und keinen 
leidenden Zustand bezeichnen. Wenn es auch möglich 
ist, dass ein geiziger, elirsüchtiger oder furchtsamer 
Mensch des Uebermaasses im Essen, Trinken oder in der 
Begattung sich enthält, so sind trotzdem der Geiz, die 
Ehrsucht und die Furchtsamkeit nicht die Gegensätze von 
Verschwendung, Trunkenheit und Keuschheit. Denn der 
Geizige wünseht meistens mit fremder Speise und Trank 
sich voll zu füllen; der Ehrsüchtige aber wird sich, 
wenn er hofft, dass es nicht bekannt wird, in keiner 
Weise massigen, und wenn er unter Trunkenbolden oder 

11* 



164 ni. Theil Von den Affekten. 

Wollüstlingen lebt, wird er seiner Ehrsncht wegen um 
so mehr-||u ihren Lastern neigen. Der FnrcMsame end- 
lich thut/ was er nicht will. Denn wenn er auch, nm das 
Leben zu retten, seine Eeichthümer in das Meer wirft, 
bleibt er doch geizig, und wenn ein wollüstiger Mensch 
traurig ist, weil er seiner Lust nicht fröhnen kann, so 
hört er damit nicht auf, wollüstig zu sein. XJeberhaupt 
beziehen sich diese Affekte weniger auf die Handlungen 
des Verschwendens, des Trinkens u. s. w. als auf das 
Begehen und die Liebe selbst. Man kann deshalb diesen 
Affekten nichts entgegenstellen, als den Edelmuth und 
die Seelenstärke, worüber in dem Folgenden. 

Die Definitionen der Eifersucht und der übrigen 
Schwankungen der Seele übergehe ich, theils weil sie 
aus der Verbindung von Affekten entstehen, die schon 
definirt worden sind, theils weil die meisten keinen 
Namen haben, was zeigt, dass eine Kenntniss derselben 
der Gattung nach für die Zwecke des Lebens hinreicht. 
Diese Definitionen der dargelegten Affekte ergeben, dass 
sie alle aus dem Begehren, aus der Fröhlichkeit oder 
aus der Trauer entspringen oder vielmehr nur eines von 
diesen dreien sind, die nur wegen ihrer verschiedenen 
äusserlichen Beziehungen und Merkmale mit verschiedenen 
Namen bezeichnet zu werden pflegen. 

Wenn man auf diese ursprünglichen Affekte und das 
oben über die Natur der Seele Gesagte Acht hat, so 
können die Affekte, wenn man sie nur auf die Seele be- 
zieht, so definirt werden: 

Allgemeine Definition der Affekte. 

Der Affekt, der ein leidender Zustand der Seele ge- 
nannt wird, ist eine verworrene Vorstellung, wodurch die 
Seele eine stärkere oder schwächere Kraft zu existiren, 
als vorher in Bezug auf ihren Körper oder einen Theil 
desselben bejaht, und wodurch auch die Seele selbst be- 
stimmt wird, mehr an dies als an Anderes zu denken. 

ErkL Ich sage zuerst: »Der Affekt oder das Leiden 
der Seele ist eine verworrene Vorstellung.« Denn ich 
habe gezeigt, dass die Seele nur so weit leidet, als sie 
verworrene oder unzureichende Vorstellungen hat (ÜI. 
L. 3). Ich sage ferner: »wodurch die Seele eine grössere 



m. Theil. Von den Affekten. 165 

oder geringere Kraft zu existiren, als vorher, bei ihrem 
Körper oder einem Theile desselben bejaht.« Denn alle 
Vorstellungen von Körpern, die wir haben, bezeichnen 
mehr die wirkliche Verfassung unseres Körpers (11. L. 16 
Z. 2) als die Natur der fremden Körper; das aber, was 
das Wirkliche des Affektes ausmacht, muss die Verfassung 
unseres Körpers oder eines Theiles desselben bezeichnen oder 
ausdrücken, welcher unser Körper oder sein Theil deshalb 
hat, weil seine Macht zu handeln oder Kraft zu existiren 
vermehrt oder vermindert, unterstützt oder gehemmt wird. 
Mit den Worten: »eine grössere oder geringere Kraft zu 
existiren, als vorher,« meine ich nicht, dass die Seele 
die gegenwärtige Verfassung des Körpers mit einer 
früheren vergleicht, sondern dass die Vorstellung, welche 
den Affekt eigentlich ausmacht, vom Körper etwas be- 
jaht, was in Wahrheit mehr oder weniger Eealität als 
vorher enthält. Und weil das Wesen der Seele darin 
besteht (II. L. 11, 13), dass sie die wirkliche Existenz 
ihres Körpers bejaht, und da ich unter Vollkommenheit 
das Wesen eines Gegenstandes selbst verstehe, so folgt, 
dass die Seele zu einer grösseren oder geringeren Voll- 
kommenheit übergeht, wenn es sich trifft, dass sie von 
ihrem Körper oder einem Theile desselben etwas bejaht, 
was mehr oder weniger Eealität als vorher enthällt. Wenn 
ich also oben gesagt habe, »dass der Seele Kraft zu 
denken vermehrt oder vermindert werde,« so habe ich 
gemeint, dass die Seele eine Vorstellung ihres Körpers 
oder eines Theiles desselben gebildet hat, welche mehr 
oder weniger Eealität ausdrückt, als sie vorher von 
ihrem Körper bejaht hatte. Denn die Vorzüglichkeit der 
Vorstellungen und die wirkliche Macht zu denken wird 
nach der Vorzüglichkeit des Gegenstandes geschätzt. 
Ich habe endlich noch hinzugefügt: »durch welche die 
Seele bestimmt wird, mehr an dies als an Anderes zu 
denken,« um neben der Natur der Fröhlichkeit und 
Traurigkeit, welche der erste Theil der Definition darlegt, 
auch die Natur des Begehrens auszudrücken. ^5) 86j 






166 rV. Theil. Von der menschlichen Knechtschaft. 



Vierter Theil. 

Von der menschlichen Knechtschaft oder 
von den Kräften der Affekte. 



^V o r r e d e. 

Die Ohnmacht des Menschen in Massigung oder Hem- 
mung seiner Affekte nenne ich Knechtschaft; denn der 
von seinen Affekten abhängige Mensch ist nicht Herr 
seiner selbst, sondern dem Schicksal unterthan. Er be- 
findet sich in solchem Grade in dessen Hand, dass er 
oft gezwungen ist, dem Schlimmen zu folgen, obgleich 
er das Bessere sieht. Die Ursachen hiervon und das 
Gute und Schlimme, was die Affekte selbst haben, will 
ich in diesem vierten Theile darlegen. Vorher ist es 
indess rathsam, über Vollkommenheit und Unvoll-' 
kommenheit und über gut und schlecht npch Einiges 
vorauszuschicken. 

Wer sich vorgentomen hat, eine Sache zu fertigen 
und sie dann vollendet hat, hält nicht allein die Sache 
für vollkommen, sondern ebenso jeder, welcher die Absicht 
und den Zweck des Urhebers des Werkes richtig kennt oder 
zu kennen meint. Wer z. B. einen Bau (der noch nicht 
vollendet sein soll) ßieht und weiss, dass die Absicht des 
Bauherren ist, ein Haus zu bauen, wird sagen, dass das 
Haus unvollkommen ist; wenn er aber sieht, dass der 
Bau so weit fertig gebracht ist, als ihn der Baumeister 
bringen wollte, so wird er ihn für vollkommen oder vollstän- 
dig erklären. Wenn aber Jemand ein Werk erblickt, von 
dem er bis jetzt nichts Aehnliches gesehen hat, von dem 
er auch die Absicht des Werkmeisters nicht kennt, der 
wird offenbar nicht wissen, ob er das Werk für vollendet 
oder nicht vollendet halten soll. Dies scheint die erste 
Bedeutung dieser Worte gewesen zu sein. 



IV. Theil. Von der menschlichen Knechtschaft. 167 

l^achdem indess die Menschen angefangen hatten, 
imiverselle Begriffe zu bilden und sich die Muster-Bilder 
für Häuser, Gebäude, Thürme auszudenken und eines 
dem andern Torzuziehen, so ist es gekommen, dass jeder 
das vollkommen nennt, was dem universellen Begriffe, 
den er von dergleichen Gegenständen hat, entspricht, und 
dass er das für unvollkommen erklärt, was mit dem 
von ihm gebildeten Begriffe weniger übereinstimmt, obgleich 
es nach des Werkmeisters Ansicht ganz vollendet ist 

Derselbe Grund ist es auch, weshalb die natürlichen 
Dinge, welche des Menschen Hand nicht gefertigt hat, 
gemeinhin vollkommen oder unvollkommen genannt werden. 
Denn die Menschen pflegen ebenso von natürlichen Dingen, 
wie von den gefertigten universelle Vorstellungen sich 
zu bilden, die sie wie ihre Muster behandeln. Diese 
schaut nach ihrer Meinung die Natur an und setzt sie 
als Muster sich vor (da- sie meinen, die Natur handle 
nur nach Zwecken). Wenn sie mithin in der Natur etwas 
entstehen sehen, was mit dem vorgefassten Muster dieses 
Gegenstandes weniger übereinstimmt, so glauben sie, dass 
auch die Natur gefehlt oder gesündigt und die Sache 
unvollkommen gelassen habe. 

Man sieht also, dass die Menschen gewöhnt sind, die natür- 
lichen Dinge mehr nach Vorurtheilen als nach deren wahrer 
Erkenntniss vollkommen oder unvollkommen zu nennen. 
Denn ich habe im Anhange zum ersten Theile gezeigt, 
dass die Natur nicht nach Zwecken handelt, da jenes 
ewige und unendliche Wesen, was ich Gott oder Natur 
nenne, mit derselben Nothwendigkeit handelt, wie existirt; 
und ich habe gezeigt, dass es aus der Nothwendigkeit, 
mit der es existirt, auch handelt (I. L. 16). Der Grund 
oder die Ursache, weshalb Gott oder die Natur handelt 
und weshalb sie existirt, ist ein und dasselbe. So wie 
die Natur also um keines Zweckes willen da ist, so han- 
delt sie auch um keines Zweckes willen; vielmehr hat 
sie für ihre Existenz, wie für ihr Handeln kein Prinzip 
oder Zweck. Was man Zweck nennt, ist nur das mensch- 
liche Begehren, aufgefasst als Prinzip oder erste Ursache 
emes Gegenstandes. Wenn wir z. B. sagen, das Wohnen 
sei der Zweck dieses oder jenes Hauses gewesen, so meint 
man damit nur, dass der Mensch um der Vortheile eines 
häuslichen Lebens willen das Begehren, ein Haus zu 



168 IV. Theil. Von der menschlichen Knechtschaft. 

bauen, gehabt hat. Das Wohnen als Zweck ist deshalb 
nur dies einzelne Begehren ; dieses ist die wahre Ursache, 
und sie gilt als die anfangliche, weil die Menschen ge- 
wöhnlich die Ursache ihrer Begehren nicht kennen; denn 
sie sind, wie ich oft gesagt, wohl ihrer Handlungen und 
Begehren sich bewusst, aber sie kennen die Ursachen 
nicht, von denen sie zu diesem Begehren bestimmt 
werden. Die Eedensarten, dass die Natur manchmal 
fehle oder sündige und unvollkommene Dinge zu Stande 
bringe, zäMe ich deshalb zu den Erdichtimgen, über 
die ich im Anhange zum ersten Theile gesprochen habe. 

Vollkommenheit und UnvoUkonmienheit sind deshalb 
in Wahrheit nur Weisen des Denkens, d. h. Begriffe, 
die wir aus der Vergleichung der Einzeldinge einer Art 
oder Gattung zu bilden pflegen. Deshalb habe ich oben 
(ü. D. 6) gesagt, dass ich unter Eealität und Vollkom- 
menheit dasselbe verstehe; denn man pflegt alle Einzel- 
dinge der Natur auf eine einzige Gattung als die all- 
gemeinste zu beziehen, nämlich auf den Begriff des 
seienden, welcher unbedingt allen Einzeldingen der 
Natur zukommt. . Wenn man daher die Einzeldinge der 
Natur auf diesen Gattungsbegriff bezieht und mit einander 
vergleicht, so bemerkt man, dass einige mehr Sein oder 
Realität als andere haben, und man nennt " deshalb jene 
vollkommener als diese. 

Soweit man aber ihnen "etwas zutheilt, was eine Ver- 
neinung enthält, wie Grenze, Ende, Ohnmacht, nennt 
man sie unvollkommen, weil sie die Seele nicht ebenso 
erregen, wie jene, die man vollkommen nennt. Es ge- 
schieht dies also nicht deshalb, weil etwas ihnen Zu- 
gehöriges fehlt, und weil die Natur gefehlt hat; denn 
zur Natur einer Sache gehört nur, was aus der Noth- 
wendigkeit der Natur der wirkenden Ursache folgt, und 
es geschieht nothwendig, was aus dieser Nothwendigkeit 
und Natur der wirkenden Ursache folgt. 

Was das Gute und das Schlechte anlangt, so be- 
zeichnen sie auch nichts Positives in den Dingen, wenn 
sie an sich betrachtet werden. Sie sind nur Arten des 
Denkens oder Begriffe, die man aus der Vergleichung 
der Dinge bildet. Denn eine und dieselbe Sache kann 
zu gleicher Zeit gut, schlecht und auch gleichgültig sein. 
So ist z. B. eine Musik gut für den Schwermüthigen, 



IV. Theil. Von der menschlichen Knechtschaft. 169 

schlecht für den Trauernden, aber fnr den Tauben weder 
gut noch schlecht. Obgleich sich dies so verhält, muss 
ich dennoch diese Worte beibehalten. Denn weil ich 
einen Begriff des Menschen als Muster der mensch- 
lichen Natur, auf das man hinblicke, zu bilden wünsche, 
wird es nützlich sein, diese Worte in dem erwähnten 
Sinne beizubehalten. Unter gut werde ich also im Fol- 
genden das verstehen, was wir gewiss als ein Mittel 
kennen, welches mehr und mehr zu dem uns vorgesetzten 
Muster der menschlichen Natur hinfuhrt; unter schlecht 
aber das, von dem wir überzeugt sind, dass es uns 
hindert, das Muster darzustellen. Ebenso werde ich die 
Menschen vollkommener oder unvollkommener nennen, je 
nachdem sie sich diesem Muster mehr oder weniger 
nähern. Denn vor Allem ist festzuhalten, dass, wenn ich 
sage, Jemand geht von einer niedem zu einer grossem 
Vollkommenheit über und umgekehrt, ich nicht meine, 
dass sein Wesen und Wirkliches sich in ein Anderes 
verwandle (denn das Pferd geht z. B. zu Grunde, mag 
es in einem Menschen oder in ein Insekt verwandelt 
werden), sondern weil ich annehme, dass seine Macht 
zu handeln, insofern sie seine eigene Natur bildet, sich 
vermehrt oder vermindert. 

Endlich verstehe ich unter Vollkommenheit, wie gesagt, 
im Allgemeinen die Eealität, d. h. das Wesen ieder 
Sache, sofern sie in bestimmter Weise existirt und wirkt, 
ohne dabei auf ihre Dauer Rücksicht zu nehmen. Denn 
keine Sache kann deshalb vollkommener als eine andere 
genannt werden, weil sie längere Zeit im Existiren ver- 
harrt; denn die Dauer der Dinge kann aus ihrem Wesen 
nicht bestimmt werden, da dies keine feste und bestimmte 
Zeit der Existenz einschliesst; vielmehr kann die voll- 
kommenere Sache ebenso, wie die unvollkommenere, mit 
der gleichen Kraft, in der sie begonnen, auch zu existiren 
fortfahren, so dass alle Dinge hierin einander gleich sind. ^) 

D. 1. Unter gut verstehe ich das, von dem wir 
gewiss wissen, dass es uns nützlich ist. 

D. 2. Unter schlecht verstehe ich das, von dem 
wir gewiss wissen, dass es uns verhindert, ein Gutes zu 
erreichen. 

Hierüber sehe man den Schluss der obigen Vorrede. *) 

D. 8. Die Einzeldinge nenne ich zufällig, insofern 



170 IV. TheiL Von der menschlichen Bjiechtschaft. 

ihre blosse Wesenheit nichts enthällt, was deren Existenz 
nothwendig setzt oder nothwendig aufhebt. 

D. 4. Ich nenne dieselben Einzeldinge möglich, 
insofern man in Bezug auf die Ursachen, aus denen sie 
hervorgehen sollen, nicht weiss, ob diese bestinmit sind, 
sie hervorzubringen. 

In I. L. 33 E. 1 habe iqh zwischen Möglichem 
und Zufälligem nicht unterschieden, weil es dort nicht 
nöthig war, sie beide genau zu unterscheiden. ') 

D. 5. Unter entgegengesetzten Affekten verstehe ich 
in Folgendem die, welche den Menschen nach entgegen- 
gesetzten Eichtungen ziehen, wenn sie auch gleicher 
Art sind, wie Schwelgerei und Geiz, welche beide Arten 
der Liebe sind; sie sind auch nicht von Natur, sondern 
nur zufällig Gegensätze. 

D. 6. Was ich unter Affekt für einen zukünftigen, 
gegenwärtigen oder vergangenen Gegenstand verstehe, 
habe ich in IH. L. 18 E. 1, 2 erläutert 

Es muss hier aber noch besonders erwähnt werden, 
dass der Mensch Zeitgrössen wie Eaumgrössen nur bis 
zu einer gewissen Grenze sich bildlich vorstellen kann. 
So wie man pflegt, alle Gegenstände, welche über 200 
Fuss von uns abstehen, oder deren Entfernung von unserer 
Stelle weiter ist, als man sich deutlich vorstellen kann, 
sich als gleich entfernt oder gleichsam in derselben Fläche 
befindlich vorzustellen ; so geschieht dies ebenso mit Gegen- 
ständen, die nach unserer Vorstellung von der Gegen- 
wart zeitlich weiter entfernt sind, als man sich bestimmt 
bildlich vorzustellen pflegt. Man hält sie alle gleich 
weit von der Gegenwart entfernt und stellt sie gleichsam 
in einen Zeitpunkt. ^) 

D. 7. Unter Zweck, wegen dessen wir etwas thun, 
.verstehe ich das Verlangen. *) 

D. 8. Unter Tugend und Macht verstehe ich das- 
selbe; d. h. die Tugend in Bezug auf den Menschen 
(III. L. 7) ist des Menschen eignes Wesen oder Natur, 
insoweit sie die Macht hat, etwas zu bewirken, was durch 
die blossen Gesetze ihrer Natur erkannt werden kann. *) 

A. Es giebt in der Natur keine einzelne Sache, die 
mächtiger und stärker wäre als alle andern; vielmehr 
giebt es über jede gegebene noch eine stärkere, von der 
sie zerstört werden kann. '^) x 



IV. Theil. Von der mensclilichen Knechtschaft. 171 

L 1. Alles, was eine faUo/ie Vorstellung Positives 
enthält, vrird durch die Gegenwart des Wahren, als 
Wahlen, nicht aufgehoben. 

B. Das Falsche besteht aus einem blossen Mangel 
der Kenntniss, welchen die unzureichenden Vorstellungen 
enthalten, und sie werden wegen keines in ihnen enthaltenen 
Positiven falsch genannt (II. L. 35, 33), im Gegentheil, 
auf Grott bezogen, sind sie wahr (II. L. 32). Wenn daher 
das Positive einer falschen Vorstellung durch die Gegen- 
wart des Wahren als Wahren aufgehoben würde, so 
höbe die wahre Vorstellung sich selbst auf, was wider- 
sinnig ist (III. L. 4). 

£. Dieser Lehrsatz erhellt deutlicher aus II. L. 16. Z. 2. 
Denn die bildliche Vorstellung ist eine Vorstellung, welche 
mehr die gegenwärtige Verfassung des menschlichen 
Körpers, als die Natur eines fremden Körpers anzeigt, 
und zwar nicht bestimmt, sondern verworren; daher 
kommt es, dass man sagt, die Seele iirt. Wenn man 
z. B. die Sonne ansieht, so hält man sie für ohngefahr 
200 Puss von sich entfernt, und man irrt so lange hierin, 
als man ihre wahre Entfernung nicht Itennt. Mit der 
Kenntniss dieser verschwindet zWar der Irrthum, aber 
nicht die bildliche Vorstellung, d. h. die Vorstellung 
der Sonne, welche deren Natur nur soweit darlegt, als 
der Körper von ihr erregt wurde. Obgleich wir also die 
wahre Entfernung der Sonne kennen, wird doch die 
bildliche Vorstellung bleiben, wonach sie nahe bei uns 
ist. Denn wie ich in II. L. 35 E. gesagt habe, stellt 
man die Sonne nicht deshalb als nahe vor, weil man ihre 
wahre Entfernung nicht kennt, sondern weil die Seele 
die Grösse der Sonne nur so weit auffasst, als der Körper 
von ihr erregt wird. Ebenso werden wir uns bildlich vor- 
stellen, dass die Sonne im Wasser ist, wenn die auf die 
Oberfläche des Wassers fallenden Sonnenstrahlen nach 
unseren Augen zurückgeworfen werden, obgleich wir 
ihren wahren Ort kennen. Dasselbe gilt von den übrigen 
bildlichen Vorstellungen, durch welche die Seele getäuscht 
wird; mögen sie nur die natürliche Verfassung des Kör- 
pers oder eine Vermehrung oder Verminderung seiner 
Macht zu handeln anzeigen; sie sind nicht die Gegen- 
sätze des Wahren und erlöschen nicht durch dessen 
Gegenwart. Es kommt zwar vor, dass, wenn wir falschlich 



172 IV. Theil. Von der mensclilichen Knechtschaft. 

ein TJebel fürchten, die Furcht bei Anhörung der wahren 
Nachricht erlischt; aber ebenso erlischt auch die Furcht 
vor einem wirklich kommenden Uebel beim Hören der 
falschen Nachricht. Die bildlichen Vorstellungen er- 
löschen daher nicht durch die Gegenwart des Wahren 
als Wahren, sondern weil stärkere auftraten, welche der 
eingebildeten Dinge gegenwärtige Existenz ausschliessen, 
wie ich II. L. 17 gezeigt habe. *) 

L. 2. Wir leiden, insoweit als wir ein Theü der 
Natur sind, welclier für sich und ohne Anderes nicht 
vorgestellt werden kann. 

B. Wir leiden, wenn etwas in uns entsteht, wovon 
wir nur die partielle Ursache sind (III. D. 2), d. h. etwas, 
was aus den blossen Gresetzen unserer Natur nicht ab- 
geleitet werden kann (III. D. 1). Wir leiden daher, so- 
weit wir ein Theil der Natur sind, welcher für sich und 
ohne Anderes nicht vorgestellt werden kann. ®) 

L. 3* Die Kraft, mit der ein Mensch in seiner 
Existenz verharrt, ist beschränkt und wird von der 
Macht fremder Ursa^Jien unendlich übertroffen, 

B. Dies erhellt aus dem obigen Axiom, denn giebt 
es einen Menschen, so giebt es auch etwas Anderes, etwa A, 
was stärker ist, und ist A gegeben, so giebt es femer 
etwas Anderes, etwa B, was stärker als A ist, und so 
fort ohne Ende. Die Macht eines Menschen wird deshalb 
durch die Macht eines anderen Gegenstandes beschränkt 
und von der Macht fremder Ursachen unendlich über- 
troffen. 1«) 

L. 4. Es ist unm^öglichy dass ein Mensch keinen 
llieil der Natur bilde und nm^ Veränderungen erleide, 
ivelche durch seine Natur allein erkannt loerden können, 
und deren zureichende Ursache er ist, 

B. Die Macht, durch welche die Einzeldinge und 
folglich auch der Mensch ihr Sein bewahren, ist Gottes 
oder der Natur Macht selbst (II. L. 24 Z.), und zwar 
nicht als unendliche, sondern soweit sie durch des 
Menschen wirkliches Wesen dargelegt werden kann (III. 
L. 7). Die Macht des Menschen ist daher, soweit sie 
sich durch sein eigenes Wesen darlegt, ein Theil von 



rV. Theil. Von der menschlichen Knechtschaft. 173 

Gottes oder der Natur unendlicher Macht, d. h. von ihrem 
Wesen (I. L. 34). Dies war das Erste. Wenn es femer 
möglich wäre, dass der Mensch keine Veränderungen zu 
erleiden brauchte, als solche, welche durch seine Natur 
allem erkannt werden können, so wurde folgen, dass er 
nicht untergehen könnte (IL L. 4, 6),« sondern dass er 
immer nothwendig existirte. Dieses müsste aber aus einer 
Ursache folgen, deren Macht Unendlich oder endlich wäre, 
nämlich entweder aus der blossen Macht des Menschen, 
der dann vermöchte, alle anderen Veränderungen durch 
fremde Körper von sich abzuhalten, oder aus der unend- 
lichen Macht der Natur, von der dann alles Einzelne so 
geleitet werden müsste, dass der Mensch keine anderen 
Veränderungen erlitte, als. die zu seiner Erhaltung dienten. 

Das Erste ist widersinnig (nach IV. L. 3, dessen Be- 
weis allgemein gilt und auf alle Einzeldinge anwendbar 
ist). Wenn es also möglich wäre, dass ein Mensch nur 
aus seiner Natur erkennbare Veränderungen erlitte, mithin, 
wie gezeigt, immer nothwendig existirte, so müsste dies 
aus der unendlichen Macht Gottes folgen, und folglich 
müsste aus der Nothwendigkeit der göttlichen Natur 
(I. L. 16), sofern sie durch die Vorstellung eines Menschen 
erregt aufgefasst wird, die Ordnung der ganzen Natur, 
sofern sie nach den Attributen der Ausdehnung imd des 
Denkens aufgefasst wird, daraus abgeleitet werden. Daraus 
ergäbe sich (IL L. 21), dass der Mensch unendlich wäre, 
was (nach dem ersten Theil dieses Beweises) wider- 
sinnig ist. Es ist deshalb unmöglich, dass der Mensch 
nur solche Veränderungen erleide, von denen er die zu- 
reichende Ursache ist. '^ 

Z. Hieraus ergiebt sich, dass der Mensch nothwendig 
immer den Leidenschaften ausgesetzt ist, der allgemeinen 
Ordnung der Natur folgt, ihr gehorcht und sich ihr fügt, 
soweit es die Natur der Dinge fordert, i^) 

L. 5. Die Kraft und der Zuwachs jeder Leiden- 
schaft und ihre Beharrlichkeit zil existiren wird nicht 
durch die Macht bestimmt, mit der wir streben^ in 
unserem Sein zu beharren, sonde^m durch die Macht 
der fremden Ursache im Vergleich mit unserer MachU 

B. Das Wesen der Leidenschaft kann nicht durch 
unser Wesen allein dargelegt werden (III. D. 1, 2), d. h. 



174 ^* TheiL Von der menschlichen Sjiechtschaft 

die Macht der Leidenschaft kann nicht bestimmt werden 
durch die Macht, mit der wir in unserem Sein zu ver- 
harren streben (IQ. L. 7), sondern sie muss noüiwendig 
bestimmt werden durch die Macht einer fremden Ursache, 
in Vergleich mit unserer Macht. ^*) 

L. 6. Die Krdft einer Leidenschaft oder eines 
Affektes kann des Mensehen übrige Handlungen oder 
Macht so übersteigen^ dass der Affekt hartnäckig an 
dem Mensclien haftet 

B. Die Kraft und der Zuwachs jeder Leidenschaft 
und ihre Beharrlichkeit zu sein wird durch die Macht 
einer fremden Ursache bestimmt, in Vergleich zu unserer 
Macht (IV. L. 5), deshalb kann sie die Macht des 
Menschen so übersteigen, dass u. s. w.^*) 

L. 7. Ein Affekt kann nur gehemmt oder caif- 
gehohen werden durch einen AffekU der entgegengesetzt 
und stärker* ist, als der zu hemmende, 

B. Der Affekt, auf die Seele bezogen, ist eine Vor- 
stellung, mit welcher die Seele eine gegen früher grössere 
oder geringere Kraft zu existiren bei ihrem Körper bejaht 
(III. Die allgemeine Definition der Affekte). Wenn also 
die Seele von einem Affekt erfasst ist, ist zugleich der 
Körper so erregt, dass seine Kraft zu handeln wächst 
oder abnimmt. Nun erhält diese Erregung des Körpers 
ihre Kraft, im Sein zu verharren, von ihrer Ursache; sie 
kann mithin nur von einer körperlichen Ursache gehemmt 
oder aufgehoben werden (II. L. 6), welche den Körper 
in einer entgegengesetzten oder stärkeren Weise erregt 
(HL L. 5 und IV. A.). Folglich wird die Seele von 
der Vorstellung einer Erregung erfasst, die starker und 
der früheren entgegengesetzt ist (II. L. 12); d. h. die 
Seele wird von einem stärkeren und dem früheren ent- 
gegengesetzten Affekt erfasst, welcher die Existenz des 
früheren ausschliessen und aufheben wird (III. Allgemeine 
Definition). Mithin kann ein Affekt nur durch einen 
entgegengesetzten und stärkeren Affekt gehoben oder 
gehemmt werden. 

Z. Der Affekt der Seele kann nur gehemmt oder 
gehoben werden durch die Vorstellung einer entgegen- 
gesetzten Erregung des Körpers, die zugleich stärker ist, 



IV. Theil. Von der menseliliehen Enechtschaffc. 175 

« 

als die gegenwärtige. Denn ein Affekt, unter dem wir 
leiden, kann nur durch einen stärkeren und entgegen- 
gesetzten Affekt gehemmt oder gehoben werden (IV. L. 6), 
d. L nur durch die Vorstellung einer körperlichen Erregung, 
die starker und jenem entgegengesetzt ist*^) 

lu 8. Die Kenntniss des Guten und Schlechten 
ist nur ein Affekt der Fröhlichkeit oder Traurigkeit, 
mfem wir uns dessen bewusst sind, 

B. Wir nennen das gut oder schlecht, was der Er- 
haltung unseres Seins nützt oder schadet (IV. D. 1, 2), 
d. h. was unsere Macht zu handeln mehrt oder mindert, 
unterstützt oder hemmt (III. L. 7). Sofern wir also be- 
merken, dass eine Sache uns mit Fröhlichkeit oder Traurig- 
keit erfüllt, nennen wir sie gut oder schlecht (III. L. 11 E. 
mit den Definitionen der Fröhlichkeit und Traurigkeit). Da- 
her ist die Kenntniss des Guten und Schlechten nur die 
Vorstellung der Fröhlichkeit oder Trauer, welche aus 
dem Affekte der Fröhlichkeit oder Trauer selbst noth- 
wendig folgt (II. L. 22). Diese Vorstellung ist aber in 
derselben Weise mit dem Affekt geeint, wie die Seele 
mit dem Körper (IL L. 21); d. h. diese Vorstellung 
miterscheidet sich von dem Affekt selbst (II. L. 21 E. III. 
Allgemeine Definition der Affekte) oder von der Vor- 
stellung des betreffenden Körper zu Standes in Wahrheit 
nur im Denken. Daher ist diese Kenntniss des Guten und 
Schlechten immer der Affekt selbst, sofern wir uns seiner 
bewusst sind.i*) 

L. 9. Ein Affekty dessen Ursache wir als gegen- 
wärtig und uns nahe vorstellen, ist stärker, als wenn 
icir uns diese Ursache nicht als gegenwärtig vorstellen. 

B. Die bildliche Vorstellung ist eine Vorstellung, 
in welcher die Seele einen Gegenstand als gegenwärtig 
betrachtet (IE. L. 17 E.), welcher aber doch mehr die 
Verfassung des menschlichen Körpers als die Natur der 
fremden Sache anzeigt (11. L. 16 Z. 2). Der Affekt ist 
also eine bildliche Vorstellung, insofern sie. die Verfas- 
sung des Körpers anzeigt (III. Allgemeine Definition). 
Aber die bildliche Vorstellung ist stärker, so lange wir 
uns nichts vorstellen, was die gegenwärtige Existenz der 
fremden Sache ausschliesst (II. L. 17). Deshalb wird 



176 IV« Theil. Von der menscliliclien Knechtschaft. 

auch ein Affekt, dessen Ursache wit für gegenwärtig und 
uns nahe vorstellen, in sich mächtiger oder stärker seic, 
als wenn wir nns vorsteDen, dass sie nicht gegenwärtig ist. 

E. Als ich oben (III. L. 18) sagte, dass wir aus 
dem Bilde einer kommenden oder vergangenen Sache zu 
demselben Affekt aufgeregt werden, als wenn die vor- 
gestellte Sache gegenwärtig wäre, so habe ich ausdrück- 
lich bemerkt, dass dies nur wahr sei, insofern wir blos 
auf das Bild der Sache Acht haben (denn dieses bleibt 
von gleicher Natur, mögen wir es uns vorgestellt haben 
oder nicht); aber ich habe nicht bestritten, dass es 
schwächer werde, wenn wir andere Dinge als gegen- 
wärtig betra<Jhten, welche die Gegenwart der zukünftigen 
Sache ausschliessen. Es ist dies damals nicht geschehen, 
weil ich über die Kräfte der Affekte erst in diesem 
vierten Theile handeln wollte. 

Z. Das Bild einer kommenden oder vergangenen 
Sache, d. h. einer Sache, welche wir mit Ausschluss der 
gegenwärtigen Zeit, in Beziehung auf die kommende oder 
vergangene Zeit betrachten, ist unter ^onst gleichen 
Umständen schwächer |ils das Bild einer gegenwärtigen 
Sache, und folglich wird auch ein Affekt für eine kom- 
mende oder vergangene Sache, unter sonst gleichen 
Umständen, gemässigter sein als ein Affekt för eine 
gegenwärtige Sache. ^^) 

L. 10. Pur eine kommende Sache, deren haldiges 
Dasein man annimmt^ wird m,an stärker e7*regt, als 
wenn man glaubt^ dass die Zeit ihreo* Existenz längei' 
von de9* Gegenwart absteht; und durch das Andenken an 
einen Gegenstand, den man für noch nicht lange ver- 
gangen hält, wird man ebenfalls stärker ef^egt, als 
wenn man ihn für länger vergangen hält, 

B. Denn so weit man den Gegenstand für bald kom- 
mend oder für nicht lange vergangen hält, stellt man 
damit etwas vor, was die Gegenwart des Gegenstandes 
weniger ausschliesst, als wenn man glaubt, dass die 
Zeit seiner Existenz länger von der Gegenwart absteht, 
oder ihn für schon lange vergangen hält (wie von selbst 
klar ist); deshalb wird man auch stärker für ihn erregt 
werden (IV. L. 9). 

E. Aus dem zu IV. D. 6 Bemerkten ergiebt sieh, 



rV. TheiL Von der menschlichen Knechtschaft. 177 

dass, wenn die Gegenstände von der Gegenwart durch 
einen längeren Zeitraum getrennt sind, als man sich diesen 
Mdlich vorstellen kann, sie uns nur gleich schwach be- 
rühren, wenn wir auch wissen, dass sie unter einander 
durch einen grossen Zeitraum getrennt sind.*''') 

L. 11. Der Affekt für einen als nothwendig vor- 
gestsllten Gegenstand wird unteo^ sonst gleiclien Um- 
ständen stärkei' sein als für einen möglichen oder zu- 
fälligen, d, 1u nicht nothwendigen Gegenstand, 

B. So weit man sich einen Gegenstand als nothwendig 
vorstellt, so weit bejaht mann dessen Existenz und umge- 
kehrt verneint man diese, so weit man sich ihn als nicht 
nothwendig vorstellt (I. L. 33. E.). Daher wird der Affekt 
für einen nothwendigen Gegenstand unter sonst gleichen 
Umständen (IV. L. 9) stärker sein als für einen nicht 
nothwendigen. **) 

L. 12. Der Affekt für einen Gegenstand, von 
dem man weiss, dass er geg^wärtig nicht existirt, 
und den man sich als möglich vorstellt, wird unier 
sonst gleichen Umständen stärker sein als für einen 
zufälligen Gegenstand, 

B. So weit man sich eine Sache als zufällig vorstellt, 
ist man von dem Bilde keiner andern Sache erregt, welche 
die Existenz jener setzte (IV. D. 3), vielmehr stellt man 
(nach der Annahme) etwas vor, was deren gegenwärtige 
Exitenz ausschliesst. So weit man sich aber die Sache 
als m Zukunft möglich vorstellt, so weit stellt man sich 
etwas vor, was ihre Existenz setzt (IV. D. 4), d. h. was 
die Hoffnung oder die Furcht nährt (III. L. 18). Deshalb 
wird der Affekt für einen möglichen Gegenstand heftiger sein. 

Z. Der Affekt für einen als gegenwärtig nicht existi- 
rend und als zufällig vorgestellten Gegenstand ist viel 
schwächer, als wenn man sich den Gegenstand als gegen- 
wärtig vorstellt. 

B. Der Affekt für einen als gegenwärtig existirend 
vorgestellten Gegenstand ist stärker, als wenn man ihn 
sich bloss als einen zukünftigen vorstellt (IV. L. 9. Z.), und 
ist heftiger, wenn man sich vorstellt, dass die kommende 
Zeit von der gegenwärtigen nicht weit absteht (IV. L. 10). 
Daher ist der Affekt für einen Gegenstand, dessen Zeit der 

Spinoia, Ethik. 12 



178 IV. Theil. Von der meBscblichen Knechtschaft. 

Existenz man von der Gegenwart für weit entfernt vor- 
stellt, viel schwächer, als wenn er als gegenwärtig vor- 
gestellt wird. Nichtsdestoweniger wird er stärker sein, 
als wenn man den Gregenstand als zufällig vorstellt. 
Deshalb ist der Affekt für einen zufälligen Gegenstand 
weit schwächer als für einen, den man sich als gegen- 
wärtig vorstellt. ^•) 

L. 13. Der Affekt für einen zufälligen Gegen- 
stand, von dem man weiss, dass er in der Gegenwart 
nicht existirt, ist, unter sonst gleichen umständen^ 
schwächer, als d&i^ Affekt für einen vergangenen 
Gegenstand, 

B. So weit man sich den Gegenstand als zuföllig vor- 
stellt, wird man durch das Bild keines anderen Gegen- 
standes erregt, welches seine Existenz setzt (IV. D. 3). 
Man stellt sich im Gegentheil (nach der Annahme) etwas 
vor, was dessen gegenwärtige Existenz ausschliesst. Wenn 
man sich aber denselben Gegenstand mit Beziehung auf 
eine vergangene Zeit vorstellt, so muss man sich insoweit 
etwas vorstellen, was ihn in das Gedächtniss bringt, oder 
was das Bild des Gegenstandes erweckt (II. L. l8. E.) 
und damit bewirkt, dass man den Gegenstand als einen 
gegenwärtigen betrachtet (II. L. 17. Z.). Daher wird der 
Affekt für einen zufälligen Gegenstand, von dem man weiss, 
dass er gegenwärtig nicht existirt, unter sonst gleichen 
Umständen schwächer sein, als der Affekt für einen ver- 
gangenen Gegenstand.^®) 

L. 14. Die wahre Kenntniss des Guten und 
Schlechten kann^ als wahre^ keinen Affekt hemineni 
sondern nur, sofern sie als Affekt aufgefasst wird, 

B. Der Affekt ist eine Vorstellung, durch welche die 
Seele eine Kraft ihres Körpers zu existiren bejaht, die 
grösser oder kleiaer ist, als vorher (III. Allgemeine Defi- 
nition). Dieses Positive kann durch die Gegenwart des 
Wahren nicht aufgehoben werden (IV. L. 1), und deshalb 
kann die wahre Kenntniss des Guten und Schlechten, als 
solche, keinen Affekt hemmen. Aber so weit sie Affekt 
ist (IV. L. 8), kann sie, wenn sie stärker als jener ist 
(IV. L. 7), ihn hemmen.«!) 



IV. Theil. Von der menscblichen Knechtschaft. 179 

L. 15. Die Begierde, welche aus der wahren 
Kemitniss des Guten und Schlechten entsprittgt, kann 
durch viele andere Begierden, die aus sich bekämpfen- 
den Affekien entspringen^ erstickt oder gehemmt werden. 

B. Ans der wahren Kenntniss des Guten und Schlechten, 
so weit sie Affekt ist (IV. L. 8), entspringt nothwendig 
eine Begierde (IV. B. 1), welche um so grösser ist, je 
grösser der Affekt ist, aus dem sie entsteht (III. L. 37). 
Weil aber diese Begierde (nach der Annahme) aus einem 
wahren Wissen entspringt, so erfolgt sie in uns, so weit 
wir handeln (III, L. 3), und muss also durch unser 
Wesen allein erkannt werden (III. B. 2), und folglich 
muss Kraft und Wachsthum in derselben durch die 
menschliche Macht allein bestimmt werden. Femer sind 
die Begierden, welche aus sich bekämpfenden Affekten 
entspringen, um so grösser, je heftiger diese Affekte 
sind; deren Kraft und Wachsthum muss also durch die 
Macht fremder Ursachen bestimmt werden (IV. L. 5), 
welche im Vergleich mit unserer Macht diese weit tiber- 
steigt (IV. L. 3). Baher können die Begierden, welche 
ans dergleichen Affekten entspringen, stärker sein, als 
jene, welche aus der wahren Kenntniss des Guten und 
Schlechten entspringt und sie mithin hemmen oder ersticken 
(IV. L. 7). «8) 

L. 16« Da^ Begehren, was aus der Kenntniss 
des Guten und Schlechten in Beziehung auf einen 
künftigen Gegenstand entspringt, kann leicht durch 
das Begehren nach Dingen, die in der Gegenwart 
angenehm sind, geJiemmt und ausgelöscht werden. 

B. Ber Affekt für einen zukünftigen Gegenstand ist 
schwächer, als für einen gegenwärtigen (IV. L. 9. Z.). 
Aber das aus der Erkenntniss des Guten und Schlechten 
entspringende Begehren kann, selbst wenn es sich auf 
gegenwärtige gute Binge bezieht, durch irgend ein un- 
besonnenes Begehren erstickt oder gehemmt werden (III. 
L. 15, dessen Beweis allgemein ist). Baher wird ein 
Begehren, was aus solcher Kenntniss für einen zukünf- 
tigen Gegenstand entspringt, um so leichter gehemmt 
oder getilgt werden können u. s. w. ^*) 

L, 17. Das Begehren aus der Erkenntniss des 

12* 




180 rV. Theil. Von der menschlichen Knechtschaft. 

Guten und Schleckten^ insoweit es einen zufalUgeti 
Gegenstand hetriffty wird noch viel leichter durch ein 
Begehren nach gegeiiwärtigen Dingen geliemmt wei'- 
den können, 

B. Der Beweis dieses Lehrsatzes wird anf dieselbe 
^Veise von der des vorgehenden aus IV. L. 12. Z. ge- 
führt. 

E. Damit glaube ich die Ursachen dargelegt zu 
haben, weshalb die Menschen mehr von ihren Meinungen 
als von der wahren Vernunft sich bestimmen lassen, und 
weshalb die Kenntniss des Guten und Schlechten die 
Seele unruhig macht und oft jeder Art von Lust den 
Platz räumt. Daher rührt jener Vers des Dichters: 
»Ich seh und bill'ge das Bessere, aber dem Schlechteren 
folge ich nach.« Dasselbe scheint auch der Prediger im 
Sinne gehabt zu haben, als er sagte: »Was das Wissen 
mehrt, mehrt den Schmerz.« Ich sage dies aber nicht des- 
halb, um zu folgern, dass das Nicht- Wissen besser sei, 
als das Wissen, oder dass der Verständige in Mässigung 
der Ailekte sich von dem Dummen nicht unterscheide 
sondern weil es nothwendig ist, dass man sowohl die 
Macht wie die Ohnmacht seiner Natur kenne, um bestimmen 
zu können, was die Vernunft in Mässigung der Affekte 
vermag und nicht vermag. Und in diesem vierten Theil 
habe ich nur von der Ohnmacht des Menschen handeln 
wollen; denn die Macht der Vernunft über die Affekte 
werde ich besonders behandeln.*'*) 

L. 18. DcLS ßeg ehren y was aus der Fröhlichkeit . 
entspringt, ist, bei sonst gleichen Umständen^ stärker, 
als das Begehren, was aus der Traurigkeit entspringt. 

B. Das Begehren ist das Wesen des Menschen 
selbst (IV. D. 1), d. h. das Streben des Menschen, in 
seinem Sein zu verharren (III. L. 7). Deshalb wird das 
Begehren, was aus der Fröhlichkeit entspringt, durch den 
Affekt der Fröhlichkeit selbst unterstützt oder vermehrt. 
(Man sehe die Definition der Fröhlichkeit in E. zu ül. 
L. 11). Dagegen wird das Begehren, was aus der Trau- 
rigkeit entspringt, durch den Affekt der Traurigkeit selbst 
vermindert oder gehemmt (III. L. 11. E.). Deshalb muss 
die Kraft des Begehrens, was aus der Fröhlichkeit selbst 



*—,..!. 



»'■'•t"V 



rv. Theil. Von der menschlichen Knechtschaft. 181 

entspringt, sowohl durch die Macht des Menschen, als 
durch die Macht der frennien Ursache bestimmt werden, 
aber die der Trauer nur durch die Macht des Menschen; 
deshalb wird jenes stärker als dieses sein. 85) 

E, Damit habe ich in Kürze die Ursachen der mensch- 
lichen Ohnmacht und Unbeständigkeit dargelegt und wes- 
halb die Menschen die Lehren der Vernunft nicht inne- 
halten. Ich habe nun noch zu zeigen, was das ist, was 
uns die Vernunft vorschreibt, und welche Affekte mit den 
Vorschriften der menschlichen Vernunft übereinstimmen 
und welche ihnen entgegen sind. Ehe ich jedoch dies 
in meiner ausführlichen geometrischen Weise darzulegen 
beginne, möchte ich zuvor noch die Vorschriften der 
Vernunft selbst hier kurz aufzeigen, damit meine Ansicht 
leichter gefasst werden kann. ' 

Da die Vernunft nichts gegen die Natur fordert, so 
fordert sie also selbst, dass ein Jeder sich liebe, seinen 
Nutzen, so weit er wahrhaft Nutzen ist, suche und Alles, 
was den Menschen zu einer grösseren Vollkommenheit 
wirklich führt, erstrebe; überhaupt, dass Jeder sein Sein, 
so viel er vermag, zu erhalten strebe. Dies ist sicher- 
lich so wahr als der Satz, dass das Ganze grösser 
ist, als sein Theil (III. L. 4). Da nun die Tugend nichts 
Anderes als ein Handeln nach den Gesetzen seiner 
eigenen Natur ist (IV. D. 8) und Jedermann nur nach den 
Gesetzen seiner eigenen Natur sein Sein zu erhalten 
strebt (III. L. 7), so ergiebt sich daraus erstens: Dass 
die Grundlage der Tugend in dem Streben besteht, 
sein Sein zu erhalten, und das Glück darin, dass der 
Mensch sein Sein erhalten kann. Es folgt zweitens: 
Dass man die Tugend um ihrer selbst willen zu erstreben 
hat und dass es nichts Vorzüglicheres oder uns Nütz- 
licheres giebt, dessentwegen man die Tugend begehren 
müsste. Endlich folgt drittens: Dass die Selbstmörder 
ihres Verstandes nicht mächtig sind, und dass sie von 
fremden Ursachen, welche ihrer Natur entgegengesetzt 
sind, überwunden werden. 

Femer folgt aus II. L. 4, dass es uns unmöglich ist, 
für die Erhaltung unseres Seins nicht ausserhalb unserer 
zu bedürfen und ohne allen Verkehr mit äusserlichen 
Gegenständen zu leben; auch wäre unser , Wissen, wenn 
man noch die Seele in Betracht nimmt, sicherlich unvoll- 



182 IV. Theü, Von der menschlichen Knechtsehaft. 

kommner, wenn die Seele allein wäre und nichts kennte, 
als sich selbst. Vielmehi* giebt es Vieles ausserhalb 
unser, was uns nützlich und deshalb zu erstreben ist. 
Von diesem kann man sich nichts Besseres vorstellen, 
als das, was mit unserer Natur ganz übereinstiinint. 
Wenn z. B. Zweie von derselben Natur sich gegenseitig 
verbinden, so stellen sie ein Einzelding dar, was noch 
einmal so stark ist, als jedes für sich. Es giebt des- 
halb für den Menschen nichts Nutzlicheres, als der 
Mensch. Ich sage, es können die Menschen sich nichts 
Besseres für die Erhaltung ihres Seins wünschen, als 
dass Alle mit Allen so übereinstimmen, dass die Seelen 
u^d Körper Aller gleichsam eine Seele und einen 
Körper bilden, Alle so viel als möglich ihr Sein zu 
erhalten suchen und Alle das für Alle Nützliche auf- 
suchen. Daraus ergiebt sich, dass Menschen, die von 
der Vernunft geleitet werden, d. h. die ihren Nutzen 
nach Anleitung der Vernunft suchen, nichts für sich er- 
streben, was sie nicht auch für die übrigen Menschen 
wünschten, dass folglich solche Menschen gerecht, treu 
und ehrlich sind. 

Dies sind die Gebote der Vernunft, welche ich hier 
in der Kürze darlegen wollte, ehe ich beginne, sie in 
ausführlicher Weise zu beweisen. Es ist dies geschehen, 
um, wo möglich, die Aufmerksamkeit derer für mich zu 
gewinnen, welche meinen, dass das Princip, wonach Jeder 
nur seinen Nutzen zu suchen brauche, die Grundlage 
der Gottlosigkeit sei, aber nicht die der Tugend und 
Frömmigkeit. Nachdem ich also kurz gezeigt habe, dass 
die Sache sich umgekehrt verhalte, gehe ich auf dem 
bisher betretenen Wege zu dem Beweise davon über. 2*) 

L. 19. Jeder begehrt oder verabscheut nothwendig 
nach den Gesetzen seiner Natur das, was er für gut 
oder schlecht beti'achtet 

B. Die Kenntniss des Guten und Schlechten ist der 
Affekt der Fröhlichkeit oder Traurigkeit selbst (IV. L. 8), 
insofern man sich desselben bewusst ist; deshalb begehrt 
nothwendig Jeder das, was er für gut hält, und verab- 
scheut, was er für schlecht hält (III. L. 28). Diese 
Begehren sind aber nur das Wesen und die Natur des 



lY. Theil. Von der menschlichen Knechtschaft 183 

Menschen selbst (IIL L. 9. E. und D. 1). Deshalb be- 
gehrt oder verabscheut Jeder u. s. w. *J) 

L. 20. Je mehr Jemand seilten Nutzen zu suchen 
d. k. sein Sein zu erhalten strebt und vermag, mit 
desto grösserer Tugend ist er begabt. Um,gekehrty so 
weit Jemand seilen Nutzen, d, h, die Erhaltung seines 
Seins vemaehlässigtj so weit ist er ohnmächtig, 

B. Die Tugend ist die menschliche Macht selbst, 
welche nur durch das Wesen des MenSchen bestimmt 
Tvird (lY. D. 8), d. h. welche nur durch das Streben, 
womit der Mensch in seinem Sein zu verharren strebt, be- 
stimmt wird (III. L. 7). Je mehr also Jemand sein Sein 
zu erhalten strebt und vermag, desto mehr ist er mit Tugend 
begabt, und also ist der, welcher sein Sein zu erhalten ver- 
absäumt, insoweit ohnmächtig (III. L. 4, 6). 

E. Nur der, welcher von fremden, seiner Natur wider- 
sprechenden Ursachen überwunden ist, versäumt seinen 
Nutzen zu suchen und sein Sein zu erhalten. Niemand, 
sage ich, verabscheut aus der Nothwendigkeit seiner 
Natur, sondern nur in Folge Zwanges durch fremde Ur- 
sachen das Essen oder nimmt sich das Leben, was auf 
viele Art geschehen kann. So tödtet sich Jemand, weil 
ein Anderer ihn zwingt, indem dieser seine Hand, mit 
der er zufällig ein Schwert ergriffen hatte, umdreht und 
ihn zwingt, das Schwert in sein Herz zu stossen; oder 
weil er, wie Seneca, durch den Befehl eines Tyrannen 
gezwungen wird, sich die Adern zu öffnen, d. h. weil er 
ein grösseres Uebel durch ein kleinerem zu vermeiden 
strebt; oder endlich, weil verborgene äussere Ursachen 
seine Einbildung so bestimmen und seinen Körper so 
erregen, dass dieser eine andere, der früheren entgegen- 
gesetzte Natur annimmt, deren Vorstellung in der Seele 
nicht möglich ist (III. L. 10). Dass aber der Mensch 
aus der Nothwendigkeit seiner eigenen Natur streben sollte, 
nicht zu sein oder sich in ein anderes Wesen zu ver- 
wandeln, ist eben so unmöglich, als wie, dass aus Nichts 
Etwas werde, und Jeder wird bei massigem Nachdenken 
dies einsehen. 2») 

L. 21. Niemand kann toünschen, glücklich zu sein, 
gilt zu handeln und gut zu leben, wenn er nicht zu- 



184 IV. Tbeil. Von der metischlichan Knechtschaft. 

•,h tWinacAf, zu »nin, zu handeln nnd leben, d. h. 
■.lieh zu exigtiren. 

I. Der £«wei8 dieses Lehrsatzes oder vielmehi die 
le selbst ist durch sich allein klar und erhellt 
i ana der Definition des Begehrens. Denn das Be- 
en, glücklich und gut zu leben, zn handeln, ist das 
ne Wesen des Meßschen (IT. D. 1), d. h. das 
ben, wodurch sich Jeder in seinem Sein zu erhalten 
t (UI. L.,7). Deshalb kann Niemand wflnschen 

Li, 22. Kidne Tugend kann vor dieser (nämlich 
dem Streben, sich selbst zu erlialten) gedaelit 
ien. 

B. Das Streben sich zn erhalten ist das Wesen jedes 
anstandes seihst (III. L. 7). Wenn also eine Togedd 
diesem Streben Torgeatellt werden könnte, so wörde 
eigene Wesen eines Gegenstandes eher als er selbst 
icbt (IV. D, 8), was (wie erhellt) widersinnig ist. 
lalb kann keine Tugend vor dieser n. s. w. 
Z. Das Bestreben sich zn erhalten ist die erste mid 
ige Grundlage der Tugenfl. Denn vor diesem Princip 
1 kein anderes vorgestellt werden (IV. L. 22), nnd 
e Tugend kann ohne dasselbe (IV. L. 21) gedacht 
ien. 3«) 

L. 23, So weit ein MeTiseh zu einer Handlung 
urck bestimmt wird, dass er unzweic/tende Vor- 
'■ungen hat, Irann man, nicht unbedingt sagen, dans 
(WS Tugend liandle, sondern nur, so weit er d'trck 
ts bestimmt wird, was «■ et-kennt. 
B. So weit ein Mensch zum Handeln dadurch be- 
imt wird, dass er unzureichende Vorstellungen hat, 
weit leidet er (III. L. l), d. h. er thut etwas, was 
seinem Wesen aliein nicht erkannt werden kann, d. h- 
aus seiner Tugend nicht folgt (IV. D. 8). So weit 
aber zur Handlung durch etwas bestimmt wird, was 
irkennt, so weit handelt er (III. L. l), d. h. er thut 
ts (III. D. 2), was durch sein Wesen allein anfge- 
t wild, oder was aus seiner Tagend allein hinreichend 
t (IV. D, 8). 81) 



laTT^ 



IV. Theil. Von der menschliclien Knechtschaft. 185 

L. 24, Unbedingt aus Tugend handeln ist nichts 
Anderes in wns^ als nach Jjeitung det^ Veimunft auj 
der Grundlage des Strehens nach dem. eigenen 
Nutzen handeln, leben wid sein Sein bewahren. {Diese 
drei bedeuten dasselbe,) 

B. Unbedingt aus Tugend handeln ist dasselbe, wie 
nach den Gesetzen der eigenen Natur handeln (IV. D. 8). 
Aber wir handeln nur, so weit wir erkennen (III. L. 3), 
deshalb ist aus Tugend handeln nichts anderes in uns, 
als nach Leitung der Vernunft handeln, leben und sein 
Sein bewahren, und zwar auf der Grundlage des Strebens 
nach seinem eigenen Nutzen (IV. L. 22. Z.) Ȋ). 

L. 25. Niemand strebt, sein Sein eines andeQ'en 
Gegenstandes icegen zu erhalten, 

B. Das Streben, wodurch jede Sache sich in ihrem 
Sein zu erhalten sucht, wird bloss durch das Wesen dieser 
Sache bestimmt (III. L. 7) und folgt nur aus ihm allein 
mit Nothwendigkeit, aber nicht aus dem Wesen einer 
fremden Sache (III. L. 6). Dieser Lehrsatz erhellt auch 
aus IV. L. 22. Z. Denn wenn der Mensch sein Sein 
wegen einer andern Sache zu erhalten strebte, so wäre 
diese Sache die erste Grundlage der Tugend (wie von 
selbst erhellt), und dies ist widersinnig (IV. L. 22. Z.). 
Deshalb strebt Niemand, sein Sein u. s. w,^) 

L. 26. Alles y was man av^ Vernunft erstrebt, 
ist mir die Erhenntniss , und die Seeie hält, so weit 
sie' sich ihrer Vetmurifi bedient, nur das zur Erkennt- 
niss Führende für nützlich. 

B. Das Streben sich zu erhalten ist nichts Anderes, 
als das Wesen des Gegenstandes (III. L. 7), der vennög^ 
seiner Existenz die Kraft hat, im Sein zu verharren und 
za thun, was aus seiner Natur nothwendig folgt (III. L. 9. 
E. D. vom Begehren). Das Wesen der Vernunft ist aber 
nichts Anderes als unsere Seele, sofern sie klar und 
deutlich erkennt (II. L. 40. E. 2). Deshalb geht Alles, 
was man aus Vernunft erstrebt, nur auf Erkenntniss 
(IL L. 40). 

Da fenier dieses Streben der Seele, wodurch sie, so 
weit sie vernünftig denkt, ihr Sein zu erhalten strebt 



N 



186 IV. TheU. Von der menso 



t (wie ebei 

dieses Streben nach Erkenotniss die erste und einzig« 
Grundlage der Tugend (IV. L. 22. Z.), nnd man streM 
nicht eines Zweckes wegen nach Erkenntniss (IV. L. 2b), 
vielmehr kann die Seele, so weit sie vernünftig »eriabri, 
nichts für sich gut halten, als das, was zur Erkenntiusj 
führt {IV. D. 1). '<) 

L. 27. Wir wissen mir von dem gewiss, datg 
es gut ist, was zw Erteiintnisi wirklieli führt, und 
niw von dem, dasa e» schlecht ist, was die Erkenntnise 
hindern kann. 

B. Die Seele verlangt, so weit sie ihre Vernunft ge- 
hraucht, nur zu erkennen und hält nichts für sich nQti- 
lich, als was zur Erkenntniss führt (IV. L. 26). Die 
Seele aber hat nur Gewiasheit von den Dingen, so weit 
aie zureichende Vorstellungen hat (III. L. 41. 43. E.)[ 
oder (was dasselhe ist II. L. 40. E.), insofern sie ihre 
Vernunft gebraucht 

Daher hält man nur das mit Qewissheit für gut, ms 
wahrhaft zur Erkenntniss führt, und umgekehrt das für 
schlecht, wa^ die Erkenntjiiss hindern kann. ^^) 

L. 28. JJas höchste Gut der Seele ist die Er- 
kenntniss Gottes, und die höchste Tugend der S*ele 
Gott erkennen. 

B. Das Höchste, was die Seele erkennen kann, ist 
Gott, d. h. (I. D. 6) das unbedingt unendliche Wesen, 
ohne das Nidits sein, noch vorgestellt werden kann (L 
L. 1.5); daher ist (IV. L. 26. 27) das höchste Nütz- 
liche nnd Gut (IV. D. 1) der Seele die Erkenntniss 
Gottes. Ferner handelt die Seele nur, so weit sie er- 
kennt (in. L. 1. 3), nnd nur dann kann man unbedingt 
von ihr sagen, dass sie aus Tugend handelt (IV. L. 23). 
Die unbedingte Tagend der Seele ist daher das Erkennen, 
das Höchste aber, was die Seele erkennen kann, ist Qott 
(wie bereits gezeigt worden), folglich ist die höchsie 
Tugend der Seele, Gott zu erkennen oder zu begreifen. ••) 

L. 29. Jeder Einzelyegenatand, dessen Natar 
von der unsrigen dwchaits verschieden ist, kann 
unsere Macht zu Jumdeln weder unterstützen noch 



IV. Theil. Von der menschlichen Knechtschaft. 187 

Jdndern, überhaupt karm nur derjenige Gegenstand 
fitr wrtB gut oder schlecht sein, der etwas mit uns ge- 
mevusam hat 

B. Die Macht eines jeden einzelnen Gegenstandes 
und folglich auch des Menschen (II. L. 10. Z.) , durch 
welche er existirt und wirkt, wird nur von einer andern 
einzelnen Sache bestimmt (I. L. 28), deren Natur durch 
dasselbe Attribut erkannt werden muss (II. L. 6), durch 
welches die menschliche Natur begriffen wird. Unsere 
Macht zu handeln, wie man sie auch vorstellen mag, 
kann daher nur von der Macht einer andern einzelnen 
Sache bestimmt, und folglich unterstützt oder gehemmt 
werden, welche mit uns etwas Gemeinsames hat, und 
nicht durch die Macht einer Sache, deren Natur von der 
unsrigen ganz verschieden ist. Weil wir aber gut und 
schlecht nur das nennen, was Ursache der Fröhlichkeit 
oder Traurigkeit ist (IV. L. 8), d. h. was unsere Macht 
zn handeln mehrt oder mindert, unterstützt oder hemmt 
(m. L. 11 E.), so kann eine Sache, die von unserer 
Natur durchaus verschieden ist, für uns weder gut noch 
schlecht sein.*'') 

L, 30» Kein Gegenstand kann durch das, was 
er mit unsefrer Natur gemeinsam hat, schlecht sein, 
vielmehr ist er , so weit er für uns schlecht ist, uns 
entgegengesetzt 

B. Wir nennen das schlecht, was Traurigkeit ver- 
ursacht (lY. L. 8), d. h. was unsere Macht zu handeln 
mindert oder hemmt (III. L. 11. E.). Wenn daher eine 
Sache durch das, was sie mit uns gemeinsam hat, für 
uns schlecht wäre, so könnte die Sache dieses selbst, 
was sie mit uns gemeinsam hat, vermindern oder hemmen; 
was widersinnig ist (III. L. 4). Keine Sache kann da- 
her durch das, was sie mit uns gemein hat, für uns 
schlecht sein, vielmehr ist sie nur insoweit schlecht, als 
sie unsere Macht zu handeln mindern oder hemmen kann 
(wie eben gezeigt worden), d. h. so weit sie uns ent- 
gegengesetzt ist (III. L. 5). »«) 

L, 31. So weit ein Gegenstand mit unse9*er Natur 
^übereinstimmt, ist er nothwendig gut 



1«8 IV. Theil. Von der ntenscUictien Knechtschaft. 

B. So weit ein Gegenstand mit nnserer Natur üter- 
!timmt, kann er nicht schlecht sein (IT, L. 30). Er 
'S also entweder ^t ctder gleichgültig sein. Im 
ten Falle nämlich, dass er weder gut noch schiedst 

fulgt aus seiner Natnr nichts, was der Erhaltmig 
erer Natur nützt (IV. A. 3), d. h. (nach der Aa- 
me) nichts, was der Erhaltong seiner eigenen Natur 
st. I'ieses ist aber widersinnig (III. L. 6). Er mnes 
I, so weit er mit unserer Natur Qbereiii stimmt, notb- 
idig gut sein. 
Z. Hterans crgiebt sich, dass je mehr ein Gegenstand 

unserer Natur Qbereinstimmt, er um so nfitzlicher 

besser für nns ist; und umgekehrt, je nützlicher ein 
'enstand für nns ist, nm so mehr stimmt er mit 
erer Natnr überein. Benn soweit er damit nicht 
reinstimmt, muss er von nnserer Natur verschieden 
r ihr entgegengesetzt sein. Ist Eretercs, so kann er 
er gnt noch schlecht sein (IV. L. 29); ist er ent- 
engesetzt, so ist er auch dem entgegengesetzt, was 

unserer Natur übereinstimmt, d. h. er ist dem Gnten 
fegengesetit, oder schlecht (IV. L. 30). Es kann da- 

nur das mit unserer Natur Ceberein stimmende gut. 
, und je mehr es damit übereinstimmt, desto nutz- 
er ist es, und umgekehrt. 88) 

L. 32. So weit die Menschet Heren Ijeidengeki^ttai 
•rw(y>-fen mnd, kann man nicht soffen , das» gie 

Natur übereinstimmen. 
B. V?enn man von Dingen sagt, dass sie von Natur 
-einstimmen, so meint man, dass sie in der Macht 
-einstimmen (HI. L. 7), aber nicht in der Ohnmacht 
■ Verneinung, und folglich anch nicht in einem lei- 
len Zustande (II. L. 3. E.). Mau kann daher tob 

Menschen, die den Leidenschaften unterworfen sind, 
it sagen, dass sie von Natur übereinstimmen. 
E. Der Satz erhellt auch ans sich selbst; denn wer 
;, dass weiss und schwarz nur darin übereinstinunen. 
i beide nicht roth sind, der bejaht unbedingt, dass 
IS und schwarz in Nichts übereinstimmen. Ebenso 
es, wenn Jemand sagt, dass ein Stein und ein Meuscli 

darin übereinstimmen, dass sie Beide endlich, ohn- 
htig sind, oder dass sie nicht durch die Nothwendig- 



IV. TheiL Von der meoschlichen Knechtschaft 189 

keit ihrer Natur eiistii-en, oder daas sie von der Macht 
fremder Ursachen ohne Schranke übertroffen wer' 
denn er bejaht damit, dass der Stein und der Me 
in Nichts Obere iDstimmen. Denn Dinge, die nur in 
Verneinung, oder in dem, was sie nicht haben, übei 
stimmen, stimmen in Wahrheit in Nichts überein. ** 

L, 33> Die Mensc/ten können von Natur 
■pon einander untersciieiden , so wnt sie von Äff ei 
welche Tieidenschaften sind, aufgeregt wm-dsn, uii' 
>o tneit ist anc/i ein und derselbe Men/ioh verändet 
und rmbeständiff. 

B. Die Natur oder das Wesen der Affekte '. 
nicht ans unserm Wesen und unserer Natur allein 
klärt werden (III. D. I. 2), sondern sie muss d 
die Macht, d. h. durch die Natur fremder Ursache 
Vergleichung mit unserer Natur bestimmt werden (III. ] 

Daher kommt es, dass es von jedem Affekt so 
Arten giebt, als Arten der Gegenstände sind, von d 
man erregt wird (III. L. 56), and dass die ^ens 
Ton ein und demselben Gegenstände verschieden ei 
werden (ni. L. 56) nnd insoweit sich von ü 
unterscheiden; endlich dass derselbe Mensch von i 
selben Gegenstande auf verschiedene Weise erre^ 
und insoweit veränderlich ist {III. L. 51). **) 

1. 34. So weit die Mensc/ien v<m Affekten 
faJist sind, welche Leidenacliaften sind, Können 
einander entgegengesetzt sein. 

B. Ein Mensch, i. B. Peter, kann Ursache sein, 
der Paul sich betrübt, weil er einem Gegenstande 
lieh ist, welchen Paul hassi (HI. L. 16), oder weil I 
«inen Gegenstand besitzt, weichen auch Paul liebt 
Ij, 32, E,}, oder aus andern Gründen. (Die erhebli 
sehe man III. L. 55. E.). So kann es kommen, 
Panl den Peter hasst (lU. D. 7), und folglieh' is 
leicht möglich, dass Peter den Paul wieder hasst 
L- 40. E.). Sie werden sieh also gegenseitig Uebles 
zufügen suchen (III, L. 39), d. h. sie werden eina 
entgegengesetzt sein (IV. L. 30.) Die Affekte der 1 
rigkeit sind aber immer leidende Zustände (III. L. 
Deshalb können Menschen, so weit sie von Affekten 



190 TV. Theil. Von der mensc 

facist sind, welche eine Leidenschaft enthalten, einander ent- 
gegengesetzt sein. / 

E. Ich habe gesagt, dass der Paul den Feter hasse, 
weil BT fiich vorstellt, dass jener das besitze, was er selbst 
auch liebt. Auf den ersten Blick scheint daraus it 
folgen, dass Beide, weil sie ein und dasselbe lieben nnd 
folglich, weil sie von Natur übereinstinimen , einander 
zum Schaden sind. Wäre dies richtig, so würden die_ 
l*hr8äzte IV, 30 a. 31 falsch sein. Untersucht man die' 
Sache jedoch nnparteiisch, so wird man Alles in Ueber- 
einstimmnng finden. Denn Faul und Feter sind sich ein- 
ander nicht lästig, so weit sie von Natur ühereinstinmieD, 
d. h. so weit jeder dasselbe liebt, sondern so weit sie 
von einander abweichen. Denn so weit Jeder dasselbe 
liebt, wird eines Jeden Liebe dadurch gesteigert (Ol. 
L. 31), d. h. so weit wird Jedee Fröhlichkeit dadurch 
gesteigert (III. D. 6). So weit sie also dasselbe lieben 
und von Natur übereinstimmen, sind sie weit entfernt, 
einander Ustig zn sein ; vielmehr ist die Ursache desseo 
nur, dass sie von Natur sich unterscheiden; denn wir 
haben angenommen, Feter habe die Vorstellung des g^ 
liebten Gegenstandes als eines, den ersterer in Besitz 
hat, Paul dagegen die Vorstellung des geliebten Gegen- 
standes als eines verlornen. Daher kommt es, dass dieser 
von Trauer und jener von Pröhlichkeit eifüllt ist, aod 
dass sie in so weit einander entgegen sind. Auf diese 
Weise kann man leicht zeigen, dass alle Ursachen des 
Hasses daher kommen, dass die Menschen von Natur sich 
unterscheiden, aber nicht von Ktwas, worin sie überein- 
stimmen. ^2) 

L. 35. So weit die Menschen nach der Leiiunif 
der Vffi'nitnft leben, insoweit alkin stimmen sie von 
Natur notltwendig immer über ein. 

B. So weit die Menschen von Affekten erfasst sind, 
welche ein Leiden sind, können sie von Natur verschieden 
sein (IV. L. 33) und einander entgegen (IV. L. 34). 
Aber von den Menschen kann man nur in sofern s^n, 
dass sie handeln, als sie nach der Leitung der Vernunft 
leben (III. L. 3), folglich muss Alles, was aus der mensch- 
lichen Natur, so weit sie von der Vernunft bestimmt 
wird, folgt, durch die menschliche Natnr allein, als Ihitr 



rV. Theil. Von der menschlichen Knechtschaft. 191 

nächsten Ursache, erkannt werden (III. D. 2). Weil 
aber Jeder nach den Gesetzen seiner Natur das begehrt, 
was er fiir gut, und das verabscheut, was er für schlecht 
hält (IV. L. 19), und weil Alles, was man nach dem 
Ausspruch der Vernunft für gut oder schlecht hält, noth- 
wendig gut oder schlecht ist (II. L. 41), so thun die 
Menschen in so weit, als sie nach der Vernunft leben, 
nothwendig das, was der menschlichen Natur, und folg- 
lich auch jedwedem einzelnen Menschen nothwendig gut 
ist, d. h. das, was mit der Natur eines jeden Menschen 
übereinstimmt (IV. L. 31. Z.). Polglich müssen auch die 
nach der Leitung der Vernunft lebenden Menschen noth- 
wendig unter sich immer übereinstimmen. 

Z. !♦ Nichts Einzelnes giebt es in der Natur, was 
dem Menschen nützlicher wäre, als ein Mensch, der nach 
der Vernunft lebt. Denn dem Menschen ist das am 
nützlichsten, was mit seiner Natur am meisten überein- 
stimmt (IV. L. 31. Z.), d. h. der Mensch (wie von selbst 
erhellt). Der Mensch handelt aber unbedingt nach den 
Gesetzen seiner Natur, wenn er nach Leitung der Ver- 
nunft lebt (ni. D. 2), und nur insoweit stimmt er 
mit der Natur des andern Menschen nothwendig über- 
ein (rV. L. 34). Es giebt also für den Menschen unter 
den Einzeldingen nichts Nützlicheres, als den Menschen. 
Z. 2. Je mehr ein Mensch nur seinen Nutzen sucht, 
desto mehr sind die Menschen einander gegenseitig 
nützlich. Denn je mehr ein Mensch seinen Nutzen sncht 
und sich zu erhalten strebt, desto tugendhafter ist er 
(IV. L. 20), oder, was dasselbe ist, desto mehr Macht 
bat er, nach den Gesetzen seiner Natur zu handeln (IV. 
B. 8), d. h. nach Leitung der Vernunft zu leben (IIL 
L. 3). Die Menschen stimmen aber dann am meisten 
überein, wenn sie nach der Vernunft leben (IV. L. 34), 
folglich werden sich die Menschen dann am nützlichsten 
sein, wenn ein Jeder am meisten seinen eigenen Nutzen 
sncht (IV. L. 35. Z. 1). 

E. Was ich hier dargelegt habe, wird auch täglich 
von der Erfahrung so oft und durch so viele schlagende 
Zeugnisse bestätigt, dass es hiernach ein Sprüchworfc 
geworden: Der Mensch ist dem Menschen ein Gott. Es 
geschieht jedoch selten, dass die Menschen nach der 
Vernunft leben, sondern es ist mit ihnen so bestellt, dass 



192 IV. Theil. Von der menschlichen Knechtschaft. 

sie meist neidisch und einander lästig sind. Dessen un- 
geachtet können sie 'kaum ein einsames Leben fahrcD; 
den Meisten gefällt deshalb die Definition sehr, dass der 
Mensch ein geselliges Thier sei. In Wahrheit verhält 
sich auch die Sache so, dass aus dem gemeinsamen Zq- 
sammenlehen den Menschen mehr Nutzen als Schaden 
entsteht. Mögen also die Satyriker , die menschlichen 
Dinge verspotten, so viel sie wollen, mögen die Theologen 
sie verwünschen und die Schwermüthigen das rohe und 
häurische Leben preisen, so viel sie können, und die 
Menschen verachten und die unvernünftigen Thiere be- 
wundern, so werden sie doch die Erfahrung machen, dass 
die Menschen durch gegenseitigen Beistand ihren Bedarf weit 
besser sich verschaffen und nur mit vereinten Kräften die 
ihnen überall drohenden Gefahren vermeiden können. Dabei 
will ich gar nicht erwähnen, dass es viel vorzüglicher 
und unserer Erkenntniss würdiger ist, die Handlungen 
der Menschen als die der unvernünftigen Thiere zu be- 
trachten. Doch hierüber an einem andern Orte ausführ- 
licher. 48) 

L. 36. Das höcliste Gut dei'e^'y welche der liigend 
folgen j ist Allen gemein nnd alle können sich dessen 
in gleicher Weise erfreuen, 

B. Tugendhaft handeln, ist nach der Leitung der 
Vernunft handeln (IV. L. 24), und alles, w^as wir nach 
der Vernunft zu thun streben, ist zu erkennen (IV. L. 26). 
Folglich ist das höchste Gut derer, welche der Tugend 
folgen, Gott zu erkennen (IV. L. 28), d. h. das Gut (ü. 
L. 47. E.), welches allen Menschen gemein ist und von 
allen Menschen, so weit sie gleicher Natur sind, in 
gleicher Weise besessen werden kann. 

E, Wenn aber Jemand früge, wie nun, wenn das 
höchste Gut derer, welche der Tugend folgen, nicht Allen 
gemein ist? Ob daraus nicht folge, wie oben (IV. L. 34), 
. dass die Menschen, welche der Vernunft folgen, d. L die 
Menschen , so weit sie von Natur^ übereinstimmen , ein- 
ander entgegen sein müssen? Diesem diene zur Antwort, 
dass es nicht durch Zufall, sondern aus der eigenen 
Natur der Vernunft kommt, dass des Menschen höchstes 
Gut ein Allen gemeinsames ist; weil es nämlich aus dem 
menschlichen Wesen, so weit es durch die Vernunft be- 



rv*. TheU. Von der menschlichen Knechtschaft. 193 

stimmt ist, abgeleitet wird, und weil der Mensch nicht 
sein und nicht begriffen werden könnte, wenn er nicht 
die Macht hätte, sich dieses höchsten Gntes zu erfreuen. 
Denn es gehört zum Wesen der menschlichen Seele (H. 
L. 47), eine zureichende Kenntniss von dem ewigen und 
unendlichen Wesen Gottes zu haben. 4^) 

L. 37. Das Gtit, was Jeder, welclier der Tugend 
folgt, für sich hegehrt, wünscht er auch den übrigen 
Menselien, und zwar um so mehr, je grösser seine 
ErJcenntniss Gottes ist, 

B. Die Menschen sind sich am nützlichsten, so weit 
sie nach der Vernunft leben (IV. L. 36. Z.), und deshalb 
werden wir unter Leitung der Vernunft nothwendig zu 
bewirken streben, dass die Menschen nach der Leitung 
der Vernunft leben (IV. L. 19). Das Gute aber, was 
Jeder, der nach Leitung der Vernunft lebt, d. h. welcher 
der Tugeiid folgt (IV. L. 24), für sich begehrt, ist zu 
erkennen (IV. L. 26). Deshalb wird Jeder, welcher der 
Tngend folgt, das Gut, was er begehrt, auch den TJebri- 
gen wünschen. 

Femer ist das Begehren in Beziehung auf die Seele 
ihr Wesen selbst (IV. D. 1); das Wesen der Seele be- 
steht aber im Erkennen (IL L. 11), welches die Kennt- 
niss Gottes einschliesst (IL L. 47), und ohne welche die 
Seele weder sein noch vorgestellt werden kann (I. L. 15). 
Eine je grössere Kenntniss Gottes daher das Wesen der 
Seele einschliesst, desto grösser wird das Begehren sein, 
mit welchem der, welcher der Tugend folgt, das Gut, 
was er für sich begehrt, auch Andern wünscht. 

B. 2. Ein anderer Beweis. Das Gut, was der 
Mensch verlangt oder liebt, wird er beharrlicher lieben, 
wenn er sieht, dass Andere dasselbe lieben (III. L. 31), 
imd er wird deshalb streben, dass auch Andere es lieben 
(HI. L. 31. Z.), und weil dies Gut Allen gemein ist 
(IV. L. 36) und Alle sich seiner erfreuen können, so wird er 
deshalb streben (aus demselben Grunde), dass Alle sich 
dessen erfreuen, und zwar um so mehr, je mehr er selbst 
dieses Gut geniesst (III. L. 37). 

E. 1. Wer aus blossem Affekt verlangt, dass die 
üebrigen das lieben, was er liebt, und dass die Uebrigen 
nach seiner Weise leben, handelt in blosser Aufwallung 

Spinoza, Ethik. 23 



194 IV. Tbeil. Von der menschlichen Knechtschaft. 

und ist deshalb widerwärtig, vorzüglich denen, die andere 
Neigungen haben, und die ebenfalls sich bestreben und 
mit derselben Aufwallung yerlangen, dass die üebrigen 
vielmehr nach ihrer Weise leben. Weil femer das 
höchste Gut, was die Menschen im Affekt begehren, oft 
der Art ist, dass nur Einer dessen theilhaftig werden 
kann, so kommt es, dass die, welche lieben, sich in ihrem 
Sinne nicht gleich bleiben, und dass sie, während sie mit 
Freude Löbliches von dem geliebten Gegenstande erzählen, 
dabei fOrchten, dass man ihnen glaube. 

Wer dagegen die Andern durch Vernunft zu leiten 
sucht, handelt nicht in der Hitze, sondern menschlich 
und sanft und bleibt sich in seinem Sinn am meisten 
gleich. Ferner rechne ich Alles, was wir wünschen und 
tiiun, wovon wir die Ursache sind, so weit wir die Yor- 
stelluug von Gott haben, oder so weit wir Gott kennen, 
zur Eeligion. Ferner nenne ich das Begehren wohlzu- 
thun, was daraus entspringt, dass wir nach der Leitung 
d^r Yemunft leben, Frömmigkeit. Bas Begehren endlich, 
von dem ein Mensch, der nach der Leitung der Ver- 
nunft lebt, erfüllt ist, sich Andere in Freundschaft zu 
verbinden, nenne ich Ehrbarkeit, und ehrbar das, was 
die Menschen loben, die nach der Vernunft leben, und 
umgekehrt das sündlich, was der freundschaftlichen Ver- 
bindung entgegen ist. Ausserdem habe ich auch gezeigt, 
welches die Grundlagen des Staats sind. 

Ferner ergiebt sich der Unterschied zwischen der 
wahren Tugend und der Ohnmacht leicht aus dem Obigen. 
Die wahre Tugend ist nämlich nur das Leben in Leitung 
der Vernunft; die Ohnmacht besteht daher nur darin, 
dass der Mensch von Dingen, die ausser ihm sind, sich 
führen lässt und von diesen bestimmt wird, das zu thun, 
was die gemeinsame Verfassung der äusserlichen Dinge 
fordert, und nicht das, was seine eigene Natur, für sich 
betrachtet, verlangt. Dies ist das, was ich in IV. L. 18. 
E. zu. beweisen versprochen habe, woraus erhellt, dass 
jenes Gesetz, die unvernünftigen Thiere nicht zu schlachten, 
mehr in einem eitlen Aberglauben und einem weibischen 
Mitleid, als in gesunder Vernunft begründet ist. Denn 
die Vernunft lehrt uns wohl, in Verfolgung unseres 
Nutzens freundschaftliche Bande mit den Menschen zu 
knüpfen, aber nicht mit den unvernünftigen Thieren, oder 



IV. Theil. Von der menschlichen Knechtschaft. 195 

mit Dingen, deren Natur von der menschlichen Natur 
verschieden ist; vielmehr lehrt die Vernunft, dass das- 
selbe Becht, was jene gegen uns haben, wir auch gegen 
sie haben. Ja, da eines Jeden Becht sich nach seiner 
Tugend oder Macht bestimmt, so haben die Menschen 
weit mehr ein Becht gegen die Thiere, als diese gegen 
die Menschen. 

Ich bestreite deshalb nicht die Empfindung bei den 
Thieren, aber ich bestreite, dass es deshalb nicht erlaubt 
sein soll, auf unsern Nutzen Bedacht zu nehmen, sich 
ihrer nach Belieben zu bedienen und sie so zu behandeln, 
wie es uns am Besten passt, indem sie ja in der Natur 
nicht mit uns übereinstinunen und ihre Affekte von den 
menschlichen von Natur verschieden sind (III. L. 57). 

Es bleibt noch übrig, dass ich erkläre, was Becht und 
was Unrecht ist, was Sünde und was Verdienst ist. Die 
folgende Erläuterung ist hierüber einzusehen. '^^) 

£• 2. Im Anhang zu Th. I. habe ich versprochen, 
zu erläutern, was Lob und Tadel, Verdienst und Sünde, 
Eecht und Unrecht sei. In Bezug auf Lob und Tadel 
ist es III. L. 29. E. geschehen; von den übrigen soll 
es hier geschehen. Vorher ist aber noch Einiges über 
den Natur- und bürgerlichen Zustand der Menschen zu 
sagen. 

Jeder existirt nach dem höchten Becht der Natur, 
und deshalb thut Jeder mit dem höchsten Becht der Natur 
das, was aus der Nothwendigkeit seiner Natur folgt, und 
deshalb beurtheilt Jeder mit dem höchsten Becht der 
Natur, was gut, was schlecht ist, und sorgt für 
seinen Nutzen nach seinem Sinne (IV. L. 19, 20) und 
rächt sich (III. L. 40. Z. 2) und strebt, das zu erhalten, 
was er liebt, und das zu zerstören, wass er hasst (III. 
L. 28). Lebten nun die Menschen nach Leitung der 
Vernunft, so würde Jeder von diesem seinem Bechte Ge- 
brauch machen, ohne irgend einen Schaden des Andern 
(IV. L. 35. Z.). Weil sie aber den Affekten unterworfen 
sind (IV. L. 4. Z.), welche die Macht oder Tugend des 
Menschen weit übersteigen (IV. L. 6), so werden sie oft 
nach entgegengesetzten Bichtungen gezogen (IV. L. 34) 
und sind sich einander entgegen (IV. L. 34), während 
sie doch gegenseitiger Hülfe bedürfen (IV. L. 35. E.). 

Damit also die Menschen in Eintracht leben und sich 

13* 



196 rV. Theil. Von der menschlichen Knechtschaft. 

einander zu Hülfe sein können, ist es nöthig, dass sie 
ihr natürliches Becht aufgeben und sich gegenseitig die 
Sicherheit gewähren, nichts thun zu wollen, was zu eines 
Andern Schaden gereichen könnte. Wie aber dies mög- 
lich ist, dass Menschen, die nothwendig den Afekten 
unterworfen (IV. L. 4. Z.) und unbeständig und ver- 
änderlich sind (rV. L. 33), sich gegenseitig Sicherheit 
gewähren und Wort halten können, erhellt aus IV. L. 7 
und III. L. 39; nämlich daraus, dass jeder Affekt nur 
durch einen stärkeren und entgegengesetzten gehemmt 
werden kann, und dass ein Jeder sich der Beschädigung 
Anderer enthält aus Furcht vor eigenem grösseren Schaden. 
Durch dieses' Gesetz kann die Gesellschaffc gesichert 
werden, sobald sie das Eecht sich aneignet, was ein 
Jeder hat, sich zu rächen und über gut und schlecht das 
ürtheil zu fallen. Sie muss daher die Macht haben, die 
gemeinsamen Segeln des Lebens vorzuschreiben und Gesetze 
zu geben und diese nicht durch Vemunftgründe, welche 
die Affekte zu hemmen nicht yermögen, sondern durch 
Drohungen zu befestigen (IV. L. 17. E.). Eine solche 
Gesellschaffe, die durch Gesetze und die Macht sich zu 
erhalten befestigt ist, heisst Staat, und diejenigen, welche 
durch dessen Becht geschützt sind, heissen Bürger. 

Hieraus ist leicht abzunehmen, dass es in dem Natur- 
zustand nichts giebt, was nach der Uebereinstimmung 
Aller gut oder schlecht ist; da in dem Naturzustände 
Jeder nur für seinen Nutzen sorgt und durch kein Ge- 
setz gebunden ist, einem Andern, als sich selbst, zu 
folgen. Im Naturzustand giebt es deshalb keine Sünde, 
wohl aber im bürgerlichen Zustande, wo durch allge- 
meine Uebereinstimmung bestimmt wird, was gut und 
was schlecht ist, und wo Jeder dem Staate zu gehorchen 
gehalten ist. Die Sünde ist daher nur ein Ungehorsam, 
welcher deshalb nur durch das Staatsgesetz bestraft 
wird, und umgekehrt gilt der Gehorsam den Bürgern als 
Verdienst, indem er dadurch für würdig erachtet wird, 
die Vortheile des Staates zu gemessen. 

Femer ist im Naturzustande Niemand nach allge- 
meiner Uebereinstimmung Eigenthümer einer Sache, und 
in der Natur giebt es nichts, was diesem oder jenem 
Menschen gehören könnte. Vielmehr gehört Alles Allen 
gemein, und man kann deshalb im Naturzustand auch keinen 



IV. Theil. Von der menschlichen Knechtschaft. 197 

Willen annehmen, Jemandem das Seinige zn geben oder 
einem das, was sein ist, zu nehmen, d. h. es geschieht 
nichts, was Eecht oder Unrecht genannt werden könnte; 
wohl aber im bürgerlichen Zustande, wo durch gemeinsame 
üebereinkunft festgestellt wird, was diesem oder was 
jenem gehören soll. 

Hieraus erhellt, dass das Eecht oder das Unrecht, die 
Sünde oder das Verdienst äusserliche Begriffe sind und 
kein Attribut, welche die Natur der Seele ausdrücken. 
Doch genug hiervon.'*^) 

L» 38. Was den menschlichen Körper so bestimmt, 
dass er auf mehrere Arten erregt werden kanii, oder 
was ihn befähigt^ fremde Körper auf mehrere Arten zu 
erregen, ist dem Menschen nützlich, und um so nütz- 
licher, je mehr der Körper dadurch befähigt wird, auf 
mehrere Weise erregt zu werden und andere Körper 
zu erregen. Umgekehrt ist das schädlich, was den 
Körper weniger fähig dazu macht 

B. Je mehr der Körper hierzu fähig gemacht wird, 
desto fähiger wird die Seele zum Auffassen (IL L. 14), folg- 
lich ist das, was den Körper in dieser Weise bestimmt und ihn 
hierzu befähigt, nothwendig gut oder nützlich (IV. L.26,27) 
und um so nützlicher, je mehr es den Körper dazu befähigen 
kann. Umgekehrt ist etwas schädlich (II. L. 14 u. IV. L. 26, 
27), wenn es den Körper hierzu weniger geschickt macht. '*''') 

L. 39. Was bewirkt, dass das Verhält7iiss von 
Bewegung und Ruhe, was unter den Theilen des 
menschlichen Körpers besteht, erhalten bleibt, ist gut, 
und umgekehrt ist das schlecht, was bewirkt, dass die 
Theile des menschlichen Körpers ein anderes gegen- 
seitiges VerJiältniss von Bewegung und Muhe annehmen, 

B. Der menschliche Körper bedarf, um zu bestehen, 
vieler anderer Körper (II. H. 4). Das aber, was das 
Wirkliche in dem menschlichen Körper ausmacht, besteht 
darin, dass seine Theile sich ihre Bewegung in einer festen 
Weise gegenseitig mittheilen (II. L. 13. Ln. 4. D.). Was 
also auf Erhaltung dieses Verhältnisses von Bewegung und 
ßuhe zwischen den Theilen des Körpers hinwirkt, das 
erhält das Sein des menschlichen Körpers und bewirkt 
folglich (II. H. 3 und 6), dass er auf viele Weise erregt 



198 rV. Theil. Von der menschliclien Enechtscliaft. 

werden und fremde Körper auf viele Weise erregen kann, 
und das ist deshalb gut (IV. L. 38). Was dagegen den 
Theilen des menschlichen Körpers ein anderes Verhältniss 
von Bewegung und Ruhe mittheilt, das bewirlrt, dass der 
menschliche Körper eine andere Wirklichkeit annimmt 
(n. L. 13. Ln. 4. D.), d. h. dass er zerstört wird und 
folglich unfähig gemacht wird (wie von selbst klar ist nnd 
am Schluss der Vorrede bemerkt worden ist), auf ver- 
schiedene Weise erregt zu werden, und deshalb ist es 
schlecht (IV. L. 38). 

E. Wie viel dies der Seele schaden oder nützen 
kann, wird im Theil V. erörtert werden. Hier ist nur 
zu bemerken, dass ich dann annehme, dass der Körper 
stirbt, wenn seine Theile so bestimmt werden, dass sie 
ein anderes Verhältniss von gegenseitiger Bewegung und 
Euhe bekommen. 

Denn ich wage es nicht zu bestreiten, dass der 
menschliche Körper mit Beibehaltung des Blutumlaufs 
und von Anderem, weshalb er für lebend gehalten wird, den- 
noch in eine andere, von seiner .völlig verschiedenen, Natur 
umgewandelt werden kann. Denn kein Grund nöthi^ 
mich, anzunehmen, dass der Körper nur sterbe, wenn er 
sich in einen Leichnam verwandelt; ja schon die Erfah- 
rung lehrt es anders. Denn es trifft sich mitunter, dass 
ein Mensch solche Veränderungen erleidet, dass ich ihn 
nicht wohl mehr für denselben halten würde. So habe 
ich von einem spanischen Dichter gehört, dass er von 
einer Krankheit befallen worden war, und obgleich er von 
ihr genass, doch die Erinnerung an sein früheres Leben 
so gänzlich verloren hatte, dass er die Erzählungen und 
Trauerspiele, welche er gemacht hatte, nicht mehr für 
die seinigen hielt, und dass Mancher ihn für ein grosses 
Kind hätte halten müssen, wenn er auch seine Mutter- 
sprache vergessen gehabt hätte. Und wenn dies unglaub- 
lich erscheint, was soll man von den kleinen Kindern 
sagen? Der erwachsene Mensch hält deren Natur von 
der seinigen so verschieden, dass man ihn nicht würde 
überreden können, dass er je ein Kind gewesen sei, wenn 
er nicht nach den Andern dasselbe auch von sich ver- 
muthete. Um indess den abergläubischen Leuten nicht 
Stoff zu neuen Fragen zu geben, wül ich lieber hier ab- 
brechen. -*•) 



lY. Theil. Von der mensehlichen Enechtsohafb. 199 

L. 40. Weis ztM* Vergesellschaftung des Mensehen 
ßthrt oder die Mensehen zu einem einträehtigen Leben 
bestmvmty ist nützlieh, und dagegen ist das sehlechtf 
was Ztmetraeht in den Staat einführt 

B. Denn das, was die Menschen einträchtig leben 
macht, bestimmt sie auch zu einem Leben nach Leitung 
der Vernunft (IV. L. 35> und ist deshalb gut (IV. L. 26, 
27), und umgekehrt ist (aus denselben Gründen) das 
schlecht, was Uneinigkeit erregt.-*») 

L. 41. Die Fröhliehheit ist nicht geradezu schlecht^ 
sondern gut; die Traurigkeit ist aber geradezu schleeht. 

B. Die Fröhlichkeit ist ein Affekt, welcher des Kör- 
pers Macht zu handeln yermehrt oder unterstützt (IV. L. 

II. E.); die Traurigkeit ist dagegen ein Affekt, welcher 
des Körpers Macht zu handeln mindert oder hemmt 
(IV. L. 38), folglich ist die Fröhlichkeit geradezu 
gut u. s. w.*<>) 

L, 42. Has Wohlbehagen kann kein Uebermaass 
haben, sondern ist immer gut; der Trübsinn ist dagegen 
immer schlecht 

B. Das Wohlbehagen (man sehe seine Definition 

III. L. 11. E.) ist eine Fröhlichkeit, welche in Bezug auf 
den Körper darin besteht, dass alle Theile des Körpers 
in gleicher Weise erregt sind, d. h. wo des Körpers 
Macht zu handeln vermehrt oder unterstützt wird (HI. L. 11), 
so dass alle Theile das gleiche Verhältniss gegenseitiger 
Bewegung und Euhe innehalten, daher ist das Wohlbe- 
hagen immer gut und kann kein Uebermaass haben 
(IV. L. 39). Aber der Trübsinn (man sehe dessen Defi- 
nition ni. L. 11. E.) ist eine Traurigkeit, welche in 
Bezug auf den Körper darin besteht, dass des Körpers 
Macht zu handeln unbedingt gemindert oder gehemmt 
wird; deshalb ist er immer schlecht (IV. L. 38). **) 

L. 43. Die Wollust kann ein Uebermcuiss hohen 
oder schlecht sein; der Schmerz aber kann insoweit 
gut sein, als die Wollast oder die Fröhlichkeit 
sehlecJU ist. 



200 IV. Theil. Von der menschlichen Knechtschaft. 

B. Die Wollust ist eine Fröhlichkeit, welche in Bezug 
auf den Körper darin besteht, dass einer oder einige 
seiner Theile vor den übrigen erregt werden (III. L. 11. E.). 
Die Macht dieses Affektes kann so gross werden, dass er 
die übrigen Thätigkeiten des Körpers unterdrückt (IV. L. 6) 
und ihm zäh anhaftet. So verhindert er die Fähigkeit 
des Körpers, auf mehrere Weise erregt zu werden 
und kann deshalb schlecht werden (IV. L. 38). Ferner 
kann der Schmerz, welcher die Traurigkeit ist, far sich 
betrachtet, nicht gut sein (IV. L. 41); da indess seine 
Kraft und sein Zuwachs durch die Macht einer fremden 
Ursache im Vergleich mit unserer bestimmt wird (IV. L. 5), 
so kann man von diesem Affekt sich unzählig viele Arten 
und Grade der Stärke vorstellen (IV. L. 3) und sich ihn 
auch so vorstellen, dass er die Wollust von dem IFeber- 
maasse zurückhält und somit hindert, dass der Körper 
unfähiger wird (nach dem ersten Theil dieses Lehrsatzes). 
Insoweit wird der Schmerz gut sein. *^) 

L, 44. Die Liebe und das Bege/ire^i können ein 
üehermaass haben* 

B. Die Liebe ist eine Fröhlichkeit, begleitet von der 
Vorstellung einer fremden Ursache (IV. D. 6). Die 
Wollust, begleitet von der Vorstellung einer fremden 
Ursache, ist also Liebe (III. L. 11. E.); folglich kann 
die Liebe ein Uebermaass haben (IV. L. 43). Femer ist 
das Begehren um so stärker, je stärker der Affekt ist, 
aus dem es entspringt (in. L. 37). So wie. nun ein 
Affekt die übrigen Thätigkeiten des Menschen unter- 
drücken kann (IV. L. 6), so kann auch das aus solchem 
Affekt entspringende Begehren die übrigen Begehren unter- 
drücken und deshalb dasselbe Uebermaass haben, was im 
vorgehenden Lehrsatze von der Wollust dargelegt wor- 
den ist. 

E. Das Wohlbehagen, das ich für gut erklärt habe, 
wird leichter vorgestellt als beobachtet. Denn die Affekte, 
von denen wir täglich erfasst werden, beziehen sich 
meistentheils auf einen Theil des Körpers, der vor den 
übrigen erregt wird. Deshalb haben die Affekte meist 
ein Uebermaass und halten die Seele in Betrachtung eines 
Gegenstandes so fest, dass sie an nichts Anderes denken 
kann. Wenn nun auch die Menschen mehreren Affekten 



IV. Theil. Von der menschlichen Knechtschaft 201 

ausgesetzt sind oder diejenigen Menschen selten sind, die 
immer nur von ein oder demselben Affekt erfasst werden, 
so giebt es doch Menschen, welchen ein und derselbe 
Affekt hartnäckig anhaftet. Denn man sieht manchmal 
die Menschen von einem Gegenstande so erregt, dass sie 
denselben tor sich zu haben glauben, obgleich er nicht 
gegenwärtig ist. Wenn dies einem wachenden Menschen 
begegnet, so hält man ihn für irr- oder wahnsinnig; ebenso 
werden die für wahnsinnig gehalten, welche von Liebe 
entbrannt sind und Tag und Nacht nur von der Geliebten 
oder Buhlerin träumen ; denn sie werden meist ausgelacht. 
Aber wenn der Geizige dagegen nur an Gewinn und Gold 
denkt und der Ehrsüchtige nur an Buhm, so werden 
diese nicht für wahnsinnig gehalten, weil sie gewöhnlich 
lästig sind und eher für hassenswerth erachtet werden. 
Jndess sind in Wahrheit Geiz, Ehrsucht, Wollust u. s. w. 
sämmtlich Arten des Wahnsinns, obgleich sie nicht zu 
den Krankheiten gezählt werden.**) 

L, 46. Der Hass kann niemals gut sein. 

B. Einen Menschen, den man hasst, sucht man zu 
vernichten (III. L. 39), d. h. man strebt nach etwas, 
was schlecht ist (III. L. 37), deshalb u. s. w. 

£. Man bemerke, dass ich unter Hass hier und im 
Folgenden nur den gegen die Menschen verstehe. 

Z. 1. Der Neid, der Spott, die Verachtung, der Zorn, 
die Eache und die übrigen zu dem Hass gehörenden oder 
aus ihm entspringenden Affekte sind schlecht. Dies er- 
hellt auch aus HI. L. 39 und IV. L. 37. 

Z, 2. Alles, was wir, von Hass errgt, begehren, ist 
schlecht und im Staate unrecht. Dies ergiebt sich auch 
aus in. L. 39 und aus der Definition von Schlecht und 
Unrecht in IV. L. 37. E. 

E. Zwischen Spott (den ich in Z. 1. schlecht genannt 
habe) und Lachen erkenne ich einen grossen Unterschied 
an. Denn das Lachen, wie der Scherz, ist reine Fröh- 
lichkeit, und ist deshalb, soweit sie nicht in das Ueber- 
maass geräth, gut (IV. L. 41). Nur der finstere und 
traurige Aberglaube kann die Fröhlichkeit verbieten. Denn 
weshalb ziemt es sich mehr, Hunger und Durst zu stillen, 
als den Trübsinn zu vertreiben? Dies ist meine Ansicht 
und meine Gesinnung. Kein höheres Wesen, und nur der 



202 IV. Theil. Von der mensehliclien Knechtschaft. 

Neidische erfrent sich an meiner Ohnmacht und meinem 
Schaden nnd rechnet die Thränen, das Schluchzen, die 
Furcht und ähnliche Zeichen eines ohnmächtigen Geistes 
für Tugend an. Im Gegentheil, je fröhlicher wir siDd, 
zu desto grosserer Vollkommenheit gehen wir über, d. L 
desto mehr müssen wir an der göttlichen Natur Theil 
nehmen. Ein weiser Mann gebraucht deshalb die Dinge 
und ergötzt sich an ihnen, so viel als möglich (nur nicht 
bis zum Ekel, denn dies ist kein Ergötzen mehr). Ein 
weiser Mann, sage ich, stärkt und erfreut sich dnrch 
massige und angenehme Speisen und Gekunke, ebenso an 
Wohlgerüchen, an der Schönheit kräftiger Pflanzen, an 
Schmuck, Musik, Eampfspielen, Theater und Aehnlichem, 
was Jeder ohne Nachtheil des Andern gemessen kann. 
Denn der menschliche Körper besteht aus vielen Theilen 
ungleicher Natur, welche fortwährend des neuen und 
wechselnden Unterhalts bedürfen, damit der ganze Körper 
zu Allem, was aus seiner Natur folgen kann, gleich ge- 
schickt sei, und damit folglich auch die Seele gleich ge- 
schickt sei, Mehreres zugleich zu erkennen. Diese Lebens- 
weise stimmt vortrefflich mit meinen Grundsätzen und 
mit der allgemeinen Sitte. Daher ist, wenn irgend eine, 
diese Lebensweise die beste und empfehlenswertheste, nnd 
ich brauche nicht deutlicher und ausführlicher darüber 
zu sprechen.**) 

L. 46. TVer in T^itang der Vernunft leht^ sirebtj 
so viel er kann, eines Andern Hass, Zorn, VerachU&ig 
u. s, w, gegen sich durch Liebe oder Edelmuth zu 
vergelten, 

B« Alle Affekte des Hasses sind schlecht (IV. L. 46. 
Z. 1). Wer daher nach der Vernunft lebt, wird die 
Affekte des Hasses, so viel er vermag, von sich abzuhalten 
suchen (IV. L. 19), und er wird folglich auch Andere 
von diesen Affekten abzuhalten suchen (IV. L. 37). Der 
Hass wird aber durch die Erwiderung desselben ver- 
grössert und kann umgekehrt durch Liebe getilgt werden 
(HI. L. 33), so dass der Hass sich in Liebe veiwandelt 
(in. L. 44). Folglich wird der, der nach der Vernunft 
lebt, eines Andern Hass u. s. w. mit Liebe auszugleichen 
suchen, d. h. mit Edelmuth (siehe dessen Definition 
III. L. 59. E.). 



rV. Thcil. Von der menschlichen Knechtschaft. 203 

E, Wer Beleidigungen mit Hass erwidert und dadurch 
rächen will, lebt wahrhaftig elend. Wer dagegen den 
Hass durch Liebe zu überwinden sucht, der kämpft fröh- 
lich und sicher; der widersteht ebenso leicht vielen, wie 
einem Menschen und bedarf der Hülfe des Glücks am 
wenigsten. Die aber, welche er besiegt, weichen ihm fröh- 
lich, und zwar nicht aus Mangel an Kraft, sondern aus 
Zniiahme derselben. Dies Alles folgt so klar aus den 
blossen Definitionen der Liebe und des Verstandes, dass 
ich es nicht einzeln zu beweisen brauche.**^) 

L. 47. Die Affekte der Hoffnung und Furcht 
können für sich nicht gut sein. 

B. Die Affekte der Hoffnung und Furcht sind nicht 
ohne Traurigkeit, denn die Furcht ist eine Traurigkeit 
(IV. D. 13), und Hoffnung giebt es nicht ohne Furcht 
(IV. D. 12, 13); deshalb können diese Affekte für sich 
nicht gut sein (TV. L. 41), sondern nur so weit, als sie 
das IJebermaass der Fröhlichkeit zn hemmen vermögen 
(IV. L. 43). 

E. Dazu kommt, dass diese Affekte einen Mangel der 
Erkenntniss und ein Unvermögen der Seele anzeigen. 
Deshalb sind auch die Zuversicht, die Verzweiflung, das 
Entzücken und die Gewissensbisse Zeichen eines ohnmäch- 
tigen Geistes. Denn wenngleich die Zuversicht und das 
Entzücken Affekte der Fröhlichkeit sind, so setzen sie 
doch voraus, dass ihnen eine Trauer vorausgegangen ist, 
nämlich eine Hoffnung oder Furcht. Je mehr man daher 
nach der Vernunft zu leben sucht, detso mehr wird man 
sich von der Hoffnung unabhängig und von der Furcht 
frei zu machen und dem Schicksal so weit als möglich 
zu gebieten und seine Handlungen nach der bestimmten 
Weisung der Vernunft einzurichten suchen, ^i»®) 

L. 48. Die Affekte der üeher Schätzung und der 
Geringschätzung sind immer schlecht 

B. Denn diese Affekte widerstreben der Vernunft 
(m. D. 21, 22) und sind also schlecht (IV. L, 26, 27). 

L. 49. Die Ueberschätzung macht den Menschen, 
welchen man überschätzt, leicht stolz, 

B. Wenn wir sehen, dass Jemand aus Liebe mehr. 



204 IV. Theil. Von der menschlichen Knechtschaft 

als recht ist, von uns hält, so werden wir leicht aufge- 
blasen (IIL L, 41. E.) oder von Freude erfüUt (IV. D. 29), 
und wir glauben leicht das Gute, was wir über uns 
sprechen hören (UI. L. 25); folglich werden wir aus 
Idebe leicht mehr, als recht ist, von uns halten, d. h. 
wir werden leicht stolz werden (IV. D. 27). *') 

L. 50. Das Mitleiden ist hei einem MenscJien, der 
nach der Vernunft lebt, für sich schlecht und xmnütz. 

B» Denn das Mitleiden ist eine Traurigkeit (in. D. 18) 
und deshalb an sich schlecht (IV. L. 41) ; das Gute aber, 
was aus ihm folgt, nämlich, dass man den bemitleideten 
Menschen von seinem Elend zu befreien sucht (III. L. 27. 
Z. 3), strebt man schon aus dem blossen Gebote der Ver- 
nunft zu thun (IV. L. 37). Auch kann man das, was 
man gewiss für gut hält, nur aus dem blossen Vernunft- 
Gebote thun (IV. L. 27). Daher ist das Mitleiden bei 
einem Menschen, der nach der Vernunft lebt, an sich 
schlecht und unnütz. 

Z^ Hieraus ergiebt sich, dass ein Mensch, welcher 
nach den Geboten der Vernunft lebt, so viel als möglich 
strebt, nicht vom Mitleiden erfasst zu werden. 

E. Wer erkannt hat, dass Alles aus der Nothweudig- 
keit der göttlichen Natur folgt und nach den ewigen 
Eegeln und Gesetzen der Natur geschieht, der wird für- 
wahr nichts finden, was Hass, Lachen oder Verachtung 
verdient; er wird auch Niemanden bemitleiden, sondern, 
so weit die menschliche Tugend es mit sich bringt, stre- 
ben, gut zu handeln, wie man sagt, und froh zu sein. 
Dazu kommt, dass der, welcher sich leicht vom Mitleiden 
erfassen lässt, oft etwas thut, was ihn später selbst reut; 
theils weil man im Affekt nichts thut, was man sicher 
als gut anerkennt, theils weil man leicht durch falsche 
Thränen getäuscht wird. Ich spreche hier nur von einem 
Menschen, der nach der Vernunft lebt; denn wer sich 
weder durch Vernunft noch durch Mitleiden bestimmen 
lässt, Andern zu helfen, wird mit Recht unmenschlich 
genannt; denn er scheint einem Menschen nicht ähnlich 
zu sein (III. L. 27). 5») 

L. 51» Das Wohlwollen loiderspricht nicht der 
Vemunfti sondern kann mit ihr ühereinstim,men und 
aus ihr entstellen. 



rv. TheiL Von der menschliclien Knechtschaft. 205 

B. Denn das Wohlwollen ist eine Liebe für den, 
welcher einem Andern wohlgethan hat (III. D. 19); man 
kann es daher anf die Seele beziehen, so weit sie als 
handelnd aufgefasst wird (EEI. L. 59), d. h. so weit sie 
erkennt, und folglich kann das Wohlwollen mit der Ver- 
nunft übereinstimmen u. s. w. (III. L. 3). 

Anderer Beweis. Wer nach der Vernunft lebt, wünscht 
das Gute, was er für sich verlangt, auch dem Andern 
(IV. L. 37); deshalb wird, wenn er sieht, dass Jemand 
einem Andern wohlthut, sein Streben wohlzuthun auch 
gesteigert, d. h. er wird fröhlich werden (III. L. 11) und 
2war begleitet von der Vorstellung dessen, der einem 
Andern wohlgethan hat (nach der Annahme), und deshalb 
wird er ihm wohlwollen (III. D. 19). 

E. Der Unwille, wie er von mir definirt worden 
(ni. D. 20.)^ ist nothwendig schlecht (TV. L. 45). Doch 
ist festzuhalten, dass, wenn die höchste Staats-Gewalt in 
der Absicht den Frieden zu sichern, einen Bürger straft, 
welcher einen andern verletzt hat, ich nicht annehme, dass 
sie auf diesen Bürger unwillig sei; denn sie straft nicht 
von Hass getrieben, um den Bürger zu verderben, sondern 
aus Eechtüchkeit.«») 

L. 52. Die Selbstzufriedenheit kann aus der Ym^- 
nunft entspringen und nur die daratis entspringende 
ist die höchste, welche es gehen kann. 

B. Die Selbstzufriedenheit ist eine Fröhlichkeit, welche 
daraus entspringt, dass der Mensch sich und seine Macht 
zu handeln betrachtet (III. D. 25). Aber des Menschen 
wahre Macht zu handeln oder Tugend ist die Vernunft 
selbst (ni. L. 3), welche der Mensch klar und bestimmt 
betrachtet (II. L. 40, 43); folglich entspringt die Selbst- 
zufriedenheit aus der Vernunft. Femer fasst der Mensch, 
während er sich selbst betrachtet, nur das klar und be- 
stimmt oder zureichend auf, was aus seiner Macht zu 
handeln folgt (III. D. 2), d. h. was aus seiner Macht zu 
erkennen folgt (III. L. 3). Folglich entspringt aus dieser 
Betrachtung allein die höchste Selbstzufriedenheit, welche 
möglich ist. 

E. Die Selbstzufriedenheit ist in Wahrheit das Höchste, 
was man erhoffen kann. Dann (wie IV. L. 25 gezeigt 
worden) erstrebt Niemand die Erhaltung seines Seins um 



206 ^* TheiL Von der menschlichen Enechtschaffc. 

eines Zwecks willen; und weil diese Selbstzufriedenheit 
mehi- und mehr durch Lob gesteigert und gestärkt wird 
(L. 55. Z.) und umgekehrt durch Tadel mehr und mehr 
gestört wird (III. L. 55. Z.), so gilt uns der Euhm als 
das Höchste, und deshalb kann man ein Leben in Schande 
kaum ertragen. 6®) 

L. 63. Die Nieder geschlagenlieii ist keine Tugend 
odefi' entspringt nicht aus der Vernunft 

B. Die Niedergeschlagenheit ist eine Traurigkeit, 
welche daraus entspringt, dass der Mensch seine Ohn- 
macht betrachtet (III. D. 26). So weit aber der Mensch 
sich selbst durch die wahre Vernunft erkennt, so weit 
gilt er als ein solcher, der sein Wesen erkennt, d. h. 
seine Macht (III. L. 7). Wenn daher ein Mensch bei 
Betrachtung seiner selbst eine Ohnmacht seiner bemerkt, 
so kommt dies nicht davon, dass er sich erkennt, sondern 
davon, dass seine Macht zu handeln gehemmt ist (III. L. 55). 
Wenn wir aber annehmen, dass ein Mensch seine Ohn- 
macht davon ableitet, dass er etwas Mächtigeres, als er 
selbst ist, erkennt, durch dessen Erkenntniss er seine 
eigene Macht zu handeln begrenzt, so haben wir damit 
nur vorgestellt, dass der Mensch sich selbst bestimmt er- 
kennt (IV. L. 26), was seine Macht zu handeln unterstützt. 
Deshalb entspiingt die Niedergeschlagenheit oder Trau- 
rigkeit, welche aus der Betrachtung der eigenen Ohnmacht 
hervorgeht, nicht aus einer wahren Betrachtung oder aus 
der Vernunft und ist auch keine Tugend, sondern ein 
leidender Zustand, ^i) 

L. 54. Die Reue ist keine Tugend oder entspringt 
nicht aus der Veimunft^ sondern d&i\ der eine Hand- 
lung bereut, ist zwiefach elend oder ohnmächtig. 

B. Der erste Theil dieses Lehrsatzes wird so bewiesen, 
wie der vorgehende Lehrsatz; der zweite Theil ergiebt 
sich aus der blossen Definition dieses Affektes (III. D. 27). 
Denn ein solcher Mensch lässt sich erst durch eine 
schlechte Begierde und dann durch Traurigkeit über- 
winden. 

£. Da die Menschen selten nach der Vernunft leben, 
so bringen diese beiden Affekte, nämlich die Niederge- 
schlagenheit und die Beue und neben ihnen auch die 



IV. Theil. Von der menschlichen Knechtschaft. 207 

Hoffnung und die Fnrcht mehr Nutzen als Schaden, und 
wenn mithin einmal gesündigt werden soll, so möge man 
mehr nach dieser Seite hin sündigen. Denn wenn die 
ihrer Vernunft nicht mächtigen Menschen alle gleich stolz 
wären, so würden sie sich keiner Sache schämen, und sie 
würden nichts fürchten und durch keine Bande gefesselt 
werden können. »Der Pöbel ist fürchterlich, wenn er 
nicht förchtet.« Man "darf sich daher nicht wundem, 
dass die Propheten, welche den Nutzen Aller und nicht 
Einzelner im Auge hatten, die Niedergeschlagenheit, Reue 
nnd Ehrfurcht so stark empfohlen haben. Und in W^ahr- 
heit können die Menschen, welche diesen Affekten unter- 
than sind, viel leichter als andere dahin gebracht werden, 
dass sie nach der Vernunft leben, d. h., dass sie frei 
sind und das Leben eines Seligen gemessen. ®^) 

L. 55. Der höchste Stolz und der höchste Klein- 
mut ist die höcliste Unkenntniss seiner selbst 

B. Dies erhellt aus III. D. 28, 29. 

L. 66« Der höchste Stolz und der höchste Klein- 
muth bezeichnet die grösste Ohnmacht der Seele, 

B. Die erste Grundlage der Tugend ist, sein Sein zu 
erhalten (IV. L. 22. Z.), und zwar nach Vorschrift der 
Vernunft (IV. L. 24). Wer also sich selbst nicht kennt, 
kennt die Grundlage aller Tugenden und folglich auch 
diese selbst nicht. Ferner ist das Handeln aus Tugend 
nur das Handeln nach Vorschrift der Vernunft (IV. L. 24), 
und wer nach Vorschrift der Vernunft handelt, muss sich 
nothwendig dessen bewusst sein (II. L. 43). Wer also 
sich selbst und folglich (wie eben gesagt worden) die 
Tagenden durchaus nicht kennt, der handeltt nicht aus 
Tugend, d. h. er ist geistig am ohnmächtigsten (IV. D. 8). 
Mithin ist der höchste Stolz oder der höchste Klein- 
mnth ein Zeichen der höchsten geistigen Ohnmacht 
(IV. L. 55). 

Z, Hieraus ergiebt sich, dass der Stolze und der 
Kriechende am meisten den Affekten unterworfen sind. 

E. Die Kriecherei kann indess leichter verbessert wer- 
den als der Stolz, da dieser ein Affekt der Fröhlichkeit, 
jener aber einer der Trauer ist; der Stolz ist deshalb 
stärker als die Selbsterniedrigung (IV. L. 18). «*) 



208 rV. Theil. Von der menschlichen Knechtschaft. 

L. 67. Der Stolze liebt die Gegenwart de9* Schma- 
rotzer Und Schmeichler^ aber hasst die der Edel- 
müthigen, 

B. Stolz ist eine Fröhlichkeit, welche daher kommt, 
dass der Mensch mehr als recht ist von sich hält (in. D. 
28 und 6), welche Meinung der Stolze möglichst zu stei- 
gern sucht (ni. L. 13. E.). Deshalb wird er die Gegen- 
wart der Schmarotzer und Schmeichler lieben (deren 
Definition ich, als allbekannt, weggelassen habe) und wird 
die der Edelsinnigen fliehen, die von ihm, was recht ist. 
denken. 

E. Es wäre zu lang, wollte ich hier alle Uebel des 
Stolzes aufzahlen, da die Stolzen allen Affekten unter- 
worfen sind und am meisten denen der Liebe und des 
Mitleidens. Indess darf hier nicht verschwiegen werden, 
dass auch derjenige stolz genannt wird, welcher die 
übrigen für geringer, als recht ist, hält. In diesem Sinne 
ist der Stolz eine Fröhlichkeit, welche aus der falschen 
Meinung entspringt, dass ein Mensch sich über die andern 
erhebt. Die Selbsterniedrigung, als das Gegentheil dieses 
Stolzes, ist die Traurigkeit, welche aus der falschen Mei- 
nung entspringt, dass ein Mensch sich für niedriger als 
die andern hält. Bei dieser Annahme begreift man leicht, 
dass der Stolze nothwendig neidisch ist (III. L. 35. E.) 
und zugleich die hassen wird, welche wegen ihrer Tugen- 
den gerühmt werden, und dass er diesen seinen Hass 
nicht leicht durch Liebe oder Wohlthaten wird besiegen 
lassen (III. L. 41. E.) und sich nur an der Gegenwart 
derer erfreuen wird, die seinem ohnmächtigen Geiste den 
Willen thun und aus einem Dummen einen Verrückten 
machen. Die Selbsterniedrigung, obgleich dem Stolze 
entgegengesetzt, ist doch dem Stolze am nächsten. Denn 
da die Traurigkeit des Ersten daraus entspringt, dass er 
seine Ohnmacht nach der Andern Macht oder Tugend 
beurtheilt, so wird seine Traurigkeit erleichtert, d. h. er 
wird fröUich werden, wenn sein Vorstellen sich mit der 
Betrachtung der Fehler Anderer beschäftigt. Daher kommt 
das Sprichwort: »Trost für die Unglücklichen ist's, Ge- 
nossen des Unglücks zu haben.« Umgekehrt wird er 
desto mehr betrübt, je mehr er unter Andern zu stehen 
glaubt; deshalb sind die Kriechenden am meisten zum 



IV. Theil. Von der menschlichen Knechtschaft. 209 

Neid geneigt ; auch suchen sie am meisten das Thun des 
Menschen zu beobachten, mehr, um zu verleumden, als 
zu bessern; ebenso loben sie nur die Erniedrigung und 
rühmen sich ihrer, aber so, dass sie immer den. Schein 
der Niedrigkeit bewahren. 

Dies Alles folgt aus diesem Affekte so nothwendig, als 
aus der Natur des Dreiecks, dass seine drei Winkel 
gleich zwei rechten sind. Ich habe schon gesagt, dass 
ich diese Affekte schlechte nenne, insofern ich bloss 
auf den Nutzen des Menschen Rücksicht nehme. Aber 
die Naturgesetze nehmen auf die allgemeine Ordnung der 
Natur, von der der Mensch nur ein Theil ist, Rücksicht. Ich 
habe dies im Vorbeigehen hier bemerken wollen, damit 
nicht Jemand meine, ich wollte hier nur die Fehler und 
Verrücktheiten der Menschen erzählen und nicht die Natur 
und die Eigenschaften der Dinge darlegen. Denn, wie 
ich in der Vorrede zum dritten Theil gesagt habe, be- 
trachte ich die menschlichen Affekte und deren Eigen- 
schaften ganz wie natürliche Gegenstände. Und sicherlich 
sind die menschlichen Affekte die Zeichen der Macht oder 
Kunst, wenn nicht der Menschen, doch der Natur nicht 
minder, als vieles Andere, was man bewundert, und an 
dessen Betrachtung man sich erfreut. Doch fahre ich 
fort, von den Affekten das aufzuzählen, was den Menschen 
nützt und, was ihnen schadet. ®^) 

L. 68. Der Ruhm widerstrebt nicht dei' Vemunftj 
sondern kann aus ihr entspringen, 

B. Dies ergiebt sich aus III. D. 30 und aus der 
Definition des Ehrbaren IV. L. 37. E. 1. 

E. Der sogenannte eitle Ruhm ist die Selbstzufrieden- 
heit, welche bloss von der Meinung der Menge genährt 
wird und, wenn diese aufhört, selbst aufhört. Sie ist das 
höchste Gut (IV. L. 52. E.), was jeder liebt. Daher 
kömmt es, dass, wer seinen Ruhm auf die Meinung der 
Menge stützt, in täglicher Sorge sich müht, arbeitet und 
versucht, seinen Ruhm zu erhalten. Denn die Menge ist 
unbeständig und veränderlich, lässt sch&ell nach, wenn 
der Ruf sich nicht erhält; ja, da Alle nach dem Beifall 
der Menge streben, so drängt Einer leicht den Ruf des 
Andern zurück. Daraus entspringt, weil es sich nach 
ihrer Schätzung um das höchste Gut handelt, ein unge- 

Spinoza, Ethik. ^^ 



210 IV. Theil. Von der menschlicfaeu Knechtschaft. 

heurer Eifer, einander auf jede Weise zu unterdrücken, 
nnd wer endlich als Sieger hervorgeht, rühmt sich mehr 
dessen, dass er den Andern geschadet, als dass er sich 
g^ützt habe. Daher ist dieser Eahm oder diese Sell)st- 
Zufriedenheit in Wahrheit eitel, weil sie keine ist 

Was über die Scham zu sagen ist, lässt sich leicht 
aus dem abnehmen, was ich über das Mitleid oder die 
Beue gesagt habe. Ich füge nur das hinzu, dass das 
Erbarmen, wie die Scham, zwar keine Tugend, aber doch 
gut ist, insofern sie erkennen lässt, dass dem Menschen, 
der von Scham überlaufen wird, das Streben, rechtlich zu 
leben, innewohnt; ebenso wie der Schmerz insoweit für 
' gut gilt, als er anzeigt, dass der verletzte Theil noch 
nicht verfault ist. Wenngleich also ein Mensch, der sich 
einer Handlung schämt, in Wahrheit traurig ist, so ist 
er doch besser als der Unverschämte, welcher gar keinen 
Willen, ehrbar zu leben, hat.**) 

Dies ist es, was ich über die Affekte der Fröhlichkeit 
und Traurigkeit bemerken wollte. Was die Begierden 
anlangt, so sind sie gut oder schlecht, je nachdem sie 
aus guten oder schlechten Affekten entspringen. Doch 
sind sie in Wahrheit blind, so weit sie aus Affekten in 
uns erzeugt werden, welche ein Leiden sind (wie leicht 
aus dem zu IV. L. 44. E. Gesagten zu entnehmen ist). 
Sie hätten keinen Nutzen, wenn die Menschen leicht dahin 
gebracht werden könnten, bloss nach den Geboten der 
Vernunft zu leben, wie ich jetzt mit Wenigem zeigen will. 

L. 59. Zu allen Handlung en^ zu welcJien wir aus 
einem ein T^eiden enthaltenden Affekt bestimmt werden, 
können wir, auch ohne solchen, durch die Vemunjt 
bestimmt werden, 

B. Aus der Vernunft handeln ist nichts Anderes 
(III. L. 3. D. 2), als das thun, was aus der Nothwendig- 
keit unserer Natur an sich folgt. Aber die Traurigkeit 
ist so weit schlecht, als sie diese Macht zu handeln min- 
dert oder henmit (IV. L. 41), mithin können wir durch 
diesen Affekt zu keiner Handlung bestimmt werden, die 
wir nicht vornehmen könnten, wenn die Vernunft uns 
leitete. Femer ist die Fröhlichkeit nur insoweit schlecht, 
als sie die Fähigkeit des Menschen znm Handeln hin- 
dert (IV. L. 41, 43), und auch insoweit können wir zu 



lY. Theil. Von der menschlicben Eneditschaft. 211 

keiner HandluBg bestimmt werden, die wir nicht auch in 
Leitung der Vernunft vornehmen könnten. 

So weit endlich die Fröhlichkeit gut ist, stimmt sie 
mit der Vernunft überein (denn sie besteht in einer Ver- 
mehrung oder Unterstützung der Macht des Menschen zu 
handeln), und sie ist nur ein Leiden, so weit des Men- 
schen Macht zu handeln nicht so weit gesteigert wird, 
dass er sich und seine Handlungen zureichend, begreift 
(in. L. 3. E.). Wenn daher der durch Fröhlichkeit er- 
regte Mensch zu solcher Vollkommenheit gebracht würde, 
dass er sich und seine Handlungen zureichend begriffe, 
so wäre er zu denselben Handlungen, zu denen er jetzt 
durch die, ein Leiden enthaltenden Affekte bestimmt wird, 
beföhigt, ja noch mehr als jetzt. Alle Affekte fallen aber 
unter die Fröhlichkeit, Traurigkeit oder das Begehren 
(in. D. 4), und das Begehren ist nur das Streben zu 
handeln selbst (III. D. 1). Deshalb kann man zu allen 
Handlungen, zu welchen ein leidender Affekt bestimmt, 
auch ohce solchen durch die blosse Vernunft bestimmt 
werden. 

Ein anderer Beweis. Jede Handlung gut inso- 
weit als schlecht, als sie aus dem Hass oder einem andern 
schlechten Affekt entspringt (IV. L. 45. Z. 1). Keine 
Handlung aber ist an sich gut oder schlecht (IV. Vor- 
rede), sondern dieselbe Handlung ist bald gut, bald 
schlecht. Folglich kann man zu einer Handlung, die 
jetzt schlecht ist, oder die aus einem schlechten Affekt 
entspringt, durch die Vernunft bestimmt werden (IV. L. 19). 

E, Ein Beispiel wird dies deutlicher machen. Die 
Handlung des Prügeins, physisch betrachtet und nur so 
aufgefasst, dass der Mensch seinen Arm hebt, die Hand 
schliesst, den ganzen Arm mit Kraft rückwärts bewegt, 
ist eine Tugend, welche sich aus dem Bau des mensch- 
lichen Körpers erklärt. Wenn also ein Mensch aus Zorn 
oder Hass die Hand schliesst oder den Arm bewegt, so 
geschieht es, wie ich in Th. II. gezeigt habe, weil die- 
selbe Handlung mit mehreren Vorstellungen von Dingen 
verknüpft werden kann. Man kann daher sowohl durch 
verworrene bildliche Vorstellungen der Dinge, wie durch 
klare und bestimmte zu einer und derselben Handlung 
bestimmt werden. Es erhellt also, dass das Begehren, 
was aus leidenden Affekten entspringt, überflüssig wäre, 

14* 



212 rV. Theil. Von der menschlichen Knechtschaft. 

wenn die Menschen durch die Vernunft sich führen 
Hessen. ®®) 

Wir wollen nun sehen, weshalb die Begierde, welche 
aus einem leidenden Affekt entspringt, von mir blind ge- 
nannt worden ist. 

L. 60. Ein Begehren, was aus einer Fröhlich- 
keit oder Traiimgkeit entspringt^ welche nur auf 
einen ode?' einige, nicht aber mvf alle 2 heile d^s Kör- 
pers sich bezieht, hat keinen Nutzen für den ganzen 
MenscJwn, 

B. Man nehme z. B. an, dass der Theil A. des Kör- 
pers durch die Kraft einer fremden Ursache so verstärkt 
wird, dass er den andern überlegen ist (IV. L. 6), so 
wird dieser Theil nicht streben, seine Kraft zu verliei'en, 
damit die übrigen Theile des Körpers in ihrer Verrich- 
tung bleiben ; denn er müsste dann eine Kraft oder Macht 
haben, seine Kräfte zu verlieren, was widersinnig ist (HL 
L. 6). Jener Theil und folglich auch die Seele werden 
also streben, diesen Zustand zu erhalten (III. L. 7, 12), 
und deshalb nimmt das aus einem solchen Affekt der 
Fröhlichkeit entspringende Begehren keine Eücksicht auf 
das Ganze. Nimmt man umgekehrt an, dass der Theil 
A. so gehemmt wird, dass die übrigen ihm überlegen 
sind, so ergeben die gleichen Schlussfolgerungen, dass 
auch das aus der Traurigkeit entspringende Begehren 
keine Eücksicht auf das (ranze nimmt. 

E. Da mithin die Fröhlichkeit sich meistentheils nur 
auf einen Theil des Körpers bezieht (IV. L. 44. E.), so 
strebt man meistentheils, sein Sein zu erhalten, ohne Eück- 
sicht auf den ganzen Gesundheitszustand. Dazu kommt, 
dass die Begierden, von denen man am meisten erfasst 
wird (rV. L. 9. Z.), nur Eücksicht auf die Gegenwart 
und nicht auf die Zukunft nehmen.®'') 

L. 61. Ein Begehren, was aus der Ve^munft ent- 
springt, kann kein Uebermaass haben, 

B« Das Begehren an sich und unbedingt betrachtet 
(III. D. 1) ist das Wesen des Menschen selbst, so weit 
es aufgefasst wird als irgeödwie zu einem Handeln be- 
stimmt. Deshalb ist das Begehren, welches aus der 
Vernunft entspringt, d. h. welches in uns erzeugt wird, 



IV. TheiL Von der menschlich«!! Knechtschaft, f" 

während wir handeln (III, L. 3), des Menschen Wi 
oder Natur selbst, insoweit sie vorgestellt wird als 
stimmt, das zu thnn, was durch das blosse Wesen 
Menschen zureichend begriffen wird (III. D. 2). W 
daher dieses Begehren ein üebermaass haben konnte, 
~ kannte die menBchliche Natur, für sich betrachtet, : 
seibat tbers oh reiten, oder sie könnte mehr als aie ki 
TOS ein offenbarer Widerspruch ist. Mithin kann 
solches Begehren kein Üebermaass haben. "") 

L. 62. So weit die Seele einen Gegenstand n 
dar VornchTift der Verftunit aujfaaat, low'rf aie gL 
»refft, -mag die Vorateünng die ein^K kommew. 
oder eines vergangaum, oder eines gegenwärtigen Get, 
ftandes sem. 

B. Alles, was die Seele unter Leitung der Terrn 
auf^t, geschieht unter ein und derselben Bezieh 
anf die Ewigkeit oder Noth wendigkeit (II. L. 44. Z. 
und hat die gleiche Gewissheit (II. L. 43. E.). 1 
also die Vorstellung die einer kommenden, oder e 
veigangenen, oder einer gegenwärtigen Sache sein, ho 
fasst die Seele die Sache immer mit derselben St 
wendigkeit und hat dieselbe Gewissheit, und die Vors 
lang wird gleich wahr sein, mag sie die einer kommen 
Sache sein, oder einer vergangenen, oder einer geg 
wärtigen (II. L. 41); d. h. sie wird immer die Eif 
Schäften einer zureichenden Vorstellung haben (II. D. 
So weit also die Seele einen Gegenstand nach der A 
Schrift der Vernunft auflasst, wird aie gleich erregt, i 
die Vorstellung die einer kommenden, vergangenen c 
gegenwärtigen sein. 

E. Wenn wir eine zureichende Kenntniss über 
Dauer der Dinge hätten und vermöchten, die Zeit il 
Existenz durch die , Vernunft zu bestimmen, so wüi 
wir die kommenden und die gegenwärtigen Dinge 
demselben Affekt betrachten, und die Seele würde 
Gute, was sie sich als zukünftig vorstellt, ebenso wie 
gegenwärtiges begehren. Sie würde dann ein gering 
gegenwärtiges Gut nothwendig einem grösseren znküi 
gen Gnte nachsetzen und das gegenwärtige Gute, sol 
es die Ursache eines grösseren zukünftigen Uebels 
nicht begehren, wie ich gleich zeigen werde. AI 



214 IV. Theil. Von der menscblich^i Knechtschaft. 

wir können über die Daner der Dinge nnr eine sehr un- 
zureichende Eenntniss erlangen (IE. L. 31), und wir be- 
stimmen die Zeit der Existenz der Dinge lediglich nach 
dem bildlichen Vorstellen (11. L. 44. E.), welches von 
dem Bilde einer gegenwärtigen und einer znkönftigen 
Sache nicht gleieh erregt wird. 

Daher kommt es, dass unsere wahre Kenntniss des 
Guten und Schlechten nur abstract oder universal ist, 
und dass dies IJrtheil, was wir über die Ordnung und 
ursachliche Verknüpfung der Dinge fallen, um das für 
die Gegenwart Gute und Schlechte zu bestimmen, mehr 
Einbildung als Wirklichkeit ist. Man darf sich daher 
nicht wundem, dass ein Begehren, was aus der Kenntniss 
des Guten und Sohlechten, so weit es das Zukünftige be- 
trifft, entspringt, leicht durch ein Begehren nach Dingen 
gehemmt werden kann, welche in der Gregenwart ange- 
nehm sind (IV. L. 18).«») 

L. 63. Wer durch die FurM sich bestimmen lässt 
und das Gute tfiut, um das Schlechte zu vermeideny 
/tändelt nicht in heitung der Vernwift 

B. Alle Affekte, welche sich auf die Seele, sofern 
sie handelt, d. h. welche sich auf die Vernunft beziehen 
(in. L. 3), sind nur Affekte der Fröhlichkeit und des 
Begehrens (III. L. 49). Wer sich also von der Furcht 
bestimmen lässt (EH. D. 13) und das Gute nur ans 
Scheu vor dem Uebel thut, der wird nicht von der Ver- 
nunft geleitet. 

E. Frömmler, welche mehr verstehen, die Laster zu 
tadeln, als die Tugenden zu lehren, und welche die Men- 
schen nicht durch die. Vernunft leiten, sondern in Furcht 
erhalten wollen, damit sie mehr das Schlechte fliehen, als 
die Tugend lieben, haben nichts Anderes im Sinne, als 
dass die Anderen ebenso elend werden wie sie selbst; 
man kaim sich daher nicht wundem, wenn sie den Men- 
schen meist lästig und verhasst sind. 

Z. Bei dem aus der Vernunft entspringenden Begehren 
sucht man das Gute geradezu und flieht das üebel nur 
mittelbar. 

B. Denn das aus der Vernunft kommende Begehren 
kann nur aus dem Affekt der Fröhlichkeit, welche kein 
Leiden ist, entstehen (III. L. 59), d. h. aus einer Froh- 



IV. Theil. Von der menschlichen Knechtschaft. 215 

lichkeit, welche kein Uebermaass haben kann (IV. L. 61) 
und nicht aus einer Traurigkeit. Femer entspringt dieses 
Begehren aus der Eenntniss des Guten und nicht des 
Schlechten (IV. L. 8); folglich erstrebt man in Leitung 
der Vernunft das Gute geradezu und flieht nur deshalb 
das Uebel. 

E. Ich will diesen Zusatz durch das Beispiel eines 
Kranken und Gesunden erläutern. Der Kranke nimmt 
das, was er verabscheut, aus Furcht vor dem Tode ein; 
der Gesunde freut sich aber der Speise und geniesst des- 
halb sein Leben mehr, als wenn er den Tod fürchtete 
und ihn geradezu vermeiden wollte. Ebenso wird ein 
Eichter, welcher nicht aus Hass oder Zorn, sondern aus 
Liebe für das öffentliche Wohl einen Schuldigen zum 
Tode verurtheilt, nur von der Vernunft bestimmt.''^) 

L. 64. Die Kenntnüs des Sehleehten ist eine 
unzureieliende Kenniniss. 

B. Die Kenntniss des Schlechten ist die Traurigkeit 
selbst (IV. L. 8), welche sich ihrer bewusst ist. Die 
Traurigkeit ist aber ein Uebergang zu einer geringeren 
Vollkommenheit (III. D. 3), welche daher durch das 
Wesen der Menschen nicht erkannt werden kann (IIL 
L. 6, 7), und deshalb ist sie ein Leiden (III. D. 2), wel- 
ches von unzureichenden Vorstellungen abhängt (IIL 
L. 3), und deshalb ist ihre Kenntniss, d. h. die des 
Schlechten (II. L. 29), eine unzureichende. 

Z. Hieraus erhellt, dass wenn die menschliche Seele 
nur zureichende Vorstellungen hätte, sie den Begriff des 
Schlecten nicht bilden wurde. '5'^) 

L. 65. Von zwei Gütern wird das grössere und 
von zwei Uebeln das kleinei'e in Mehrung der Ver- 
nunft verfolgt. 

B: Ein Gut, was uns an dem Genuss eines grösseren 
kiadert, ist in Wahrheit ein Uebel. Denn schlecht und 
gut wird (wie IV. Vorrede gezeigt worden) von den 
Dingen, sofern sie mit einander verglichen werden, aus- 
gesagt. Ebenso ist das geringere Uebel in Wahrheit ein 
öat (aus gleichem Grunde). Deshalb werden wir, wenn 
wir der Vernunft folgen (IV. L. 64. Z.), nur das 



216 IV. Theil. Von der menschlichen Knechtschaft. 

grössere Gut und das, geringere Uebel begehren oder ver- 
folgen. 

Z. Wir werden ein geringeres Uebel um eines grösseren 
Gutes willen in Führung der Vernunft verfolgen und ein 
geringeres Gut, wenn es die Ursache eines grösseren 
Uebels ist, bei Seite lassen. Denn das hier als das klei- 
nere bezeichnete Uebel ist in Wahrheit ein- Gut, und da- 
gegen das Gut ein Uebel; wir werden daher jenes be- 
gehren und dieses bei Seite lassen (IV. L. 64. Z.). ^) 

L. 66. In Leitiing der Vernunft wird man das 
grösse^'e zukünftiga Ghit einem kleineren gegenwärtigen 
vo7'ziehenj und ebenso ein kleineres gegenwärtiges Uebelj 
was die zukünftige Ursache eines Gutes ist, 

B. Wenn die Seele die zureichende Kenntniss einer 
zukünftigen Sache haben könnte, so würde sie von der- 
selben ebenso wie von einer gegenwärtigen en'egt werden 
(IV. L. 62); beachtet man hier nur die Vernunft, wie 
hier vorausgesetzt worden ist, so bleibt es sich gleich, 
ob ein grösseres Gut oder Uebel als zukünftig oder als 
gegenwärtig aufgefasst wird, und deshalb wird man ein 
zukünftig grösseres Gut mehr als ein kleineres gegen- 
wärtiges begehren u. s. w. 

Z. Ein kleineres gegenwärtiges Uebel, was die Ursache 
eines grösseren zukünftigen Gutes ist, werden wir, der 
Vernunft folgend, begehren und ein geringeres gegen- 
wärtiges Gut, was die Ursache eines grösseren kommen- 
den Uebels ist, bei Seite lassen. Dieser Z. verhält sich 
zu L. 66 wie der Z. zu L. 65. 

E. Wenn man dies mit dem vergleicht, was ich in 
diesem Theil IV. bis zu L. IS über die Kräfte der Affekte 
dargelegt habe, so kann man leicht sehen, wodurch sich 
ein Mensch, der sich nur vom Affekte und von der Mei- 
nung leiten lässt, von dem unterscheidet, welchen die 
Vernunft leitet. Denn Jener will und verabscheut und 
thut das, was er am wenigsten kennt; dieser aber folgt 
nur sich selbst und thut nur das, was er als das Wich- 
tigste im Leben erkannt hat, und was er deshalb am 
meisten begehrt. Jenen nenne ich deshalb einen Sclaven, 
und diesen nenne ich einen Freien. Ueber dessen Geist 
und Lebensweise will ich noch Einiges bemerken. '*) 



IV. Theil. Von der menschlichen Knechtschaft. 217 

L« 67. Dei* freie Mensel v denkt an nichts wenig ei' 
ah an den 2od^ und seine Weis/ieit besteht im Nach- 
denken über das Leben und nicht über den Jod. 

B. Der freie Mensch, d. h. der nur nach den Geboten 
der Vernunft lebt, wird von der Todesfurcht nicht be- 
stimmt (IV. L. 63), sondern er begehrt geradezu das 
Gute (IV. L. 63. Z.), d. h. er will handeln, leben und 
sein Dasein erhalten auf der Grundlage der Verfolgung 
seines eigenen Nutzens (IV. L. 24). Er denkt daher am 
wenigsten an den Tod, vielmehr ist seine Weisheit ein 
Nachdenken über das Leben. ''^) 

L. 68. Wenn die Menschen frei geboren xcürden, 
so vyurden sie keine Begriffne von Gut und Schlecht 
bildenj so lange sie frei bUeben. 

B. Ich habe den frei genannt, welcher bloss von der 
Vernunft geleitet wird; wer daher frei geboren wird und 
bleibt, hat daher nur zureichende Vorstellungen und mithin 
keinen Begriff von- Schlecht (IV. L. 64. Z.), und folglich 
auch nicht von Gut, da dies Wechselbegriffe sind. 

£. Es erhellt aus IV. L. 4, dass die Voraussetzung 
dieses Lehrsatzes eine falsche ist und nur angenommen 
werden kann, wenn man bloss auf die menschliche Natur, 
oder vielmehr auf Gott Acht hat, nicht sofern er unend- 
lich ist, sondern sofern er bloss die Ursache ist, warum 
der Mensch existirt. Dieses und Anderes, was ich hier 
dargelegt habe, scheint schon von Moses in jener Ge- 
schichte vom ersten Menschen angedeutet zu sein. In 
dieser wird nämlich keine andere Macht Gottes angenom- 
men, als die, wodurch er den Menschen geschaffen hat, 
d. h. die Macht, welche nur für den Nutzen des Menschen 
gesorgt hat. Deshalb sagt die Erzählung, dass Gott den 
freien Menschen verboten habe, von dem Baume der Er- 
kenntniss des Guten und Schlechten zu essen, und dass, 
sobald er davon esse, er mehr den Tod fürchten als zu leben 
wünschen würde. Femer, dass, als der Mann das Weib 
fand, welches mit seiner Natur ganz übereinstimmte, er 
erkannte, dass es in der Natur Nichts gäbe, was ihm 
nützlicher als dieses sein könnte; als er aber später glaubte, 
dass die unvernünftigen Thiere ihm ähnlich seien, habe er 
sofort deren Affekte nachzuahmen begonnen (III. L. 27) 



218 IV. TheiL Von der menschlichen Knechtschaft. 

und seine Freiheit verloren, welche die Erz- Väter später 
wiedergewonnen habra, geföhrt vom (reiste Christi, d. h. 
geführt von der Vorstellung Gottes, welche allein es be- 
dingt, dass der Mensch frei ist, und das Gute, was er 
für sich begehrt, auch für andere Menschen begehrt, wie 
ich oben gezeigt habe (TV. L. 37). '*) 

L. 69. Die laugend des freien Mense/i-en zeigt sieh 
gleich gross in Vermeidtmg, wie in Ueberwindung der 
Gefa/tren, 

B. Die Affekte können nur gehemmt und aufgehokn 
werden durch einen entgegengesetzten und stärkeren Affekt 
(IV. L. 9). Die Tollkühnheit und die Furcht sind 
Affekte, die man sich als gleich gross (IV. L. 5, 3) vor- 
stellen kann. Es ist daher eine gleich grosse Tagend 
oder Stärke der Seele nothwendig, um die Tollkühnheit, 
wie die Furcht zu hemmen (in. L. 59. E.), d. h. der 
freie Mensch vermeidet die Gefahren mit derselben Tagend, 
mit welcher er sie zu überwinden sucht (TV. D. 40, 41). 

Z. Dem freien Menschen wird deshalb die zeitige 
Flucht für eine ebenso grosse Herzhaftigkeit wie der 
Kampf angerechnet, oder der freie Mensch wählt mit 
derselben Herzhaftigkeit oder Geistesgegenwart den Kampf 
wie die Flucht. 

E. Was die Herzhaftigkeit ist und ich darnnter 
verstehe, habe ich III. L. 59. E. erklärt. Unter Gefahr 
verstehe ich aber Alles, was die Ursache eines üebels, 
also der Traurigkeit, des Hasses, der Uneinigkeit u. s. w., 
sein kann. '5^*) 

L. 70, Der freie Mensch, welcher unter Unwissen- 
den lebt, sucht so viel als möglich deren WohÜhcUen 
zu vermeiden, 

B. Jeder beurtheilt nach seinem Verstände, was gut 
ist (III. L. 39. E.). Deshalb wird der Unwissende, wel- 
cher einem Andern eine Wohlthat erwiesen hat, diese 
nach seiner Meinung abschätzen und sich betrüben, wenn 
er sieht, dass der Empfänger sie geringer schätzt 
(ni. L. 42). Aber ein freier Mensch sucht die Uehrigen 
durch Freundschaft sich zu verbinden (IV. L. 37) und 
ihnen keine Wohlthaten wieder zu erweisen, welche Jene 
nach ihren Affekten für gleich gross halten, sondern sich 



IV. Theil. Von der menschlichen Knechtschaft. 219 

und die Andern nach der freien Bestimmung der Ver- 
nunft za leiten and nur das zu thun, was er als das 
Höchste erkannt hat. Daher wird der freie Mensch, um 
nicht bei den Unwissenden in Hass zu gerathen und um 
nur der Vernunft, aber nicht ihren Begierden zu folgen, 
so viel als möglich deren Wohlthaten vermeiden. 

E. Ich spreche: »so viel als möglich.« Denn wenn 
die Menschen auch unwissend sind, so sind sie doch 
Menschen, welche in der Noth menschliche Hülfe ge- 
währen können, über die eö nichts Besseres giebt. Daher 
ist es nöthig, Wohlthaten von ihnen anzunehmen und folg- 
lich auch, ihnen nach ihrem Sinne dankbar zu sein. Es 
kommt hinzu, dass auch bei Vermeidung der Wohlthaten 
Vorsicht nothwendig ist, üamit es nicht scheine, als ver- 
achte . man sie, oder scheute aus Geiz die Wieder- Ver- 
geltung, so dass, während wir ihren Hass zu vermeiden 
suchen, wir gerade dadurch sie beleidigen. Es ist deshalb 
bei Vermeidung der Wohlthaten Eücksicht auf das Nütz- 
liche und den Anstand zu nehmen. '^'7) 

L^ 71« Ntir die freien Menaclien sind die dank- 
barsten gegen einander. 

B. Nur die freien Menschen sind einander die nütz- 
lichsten und sind durch die Bande der Freundschaft am 
stärksten mit einander verbunden (IV. L. 35. Z. 1) und 
streben mit gleichem Liebeseifer, einander wohlznthun 
(IV. L. 37). Daher sind nur die freien Menschen die 
dankbarsten gegen einander (III. D. 34). ^ 

E. Die gefällige Gesinnung, welche Menschen für ein- 
ander haben, welche von der blinden Begierde geführt 
werden, ist meistentheils mehr Handel und Köder als 
Dankbarkeit. Ferner ist die Undankbarkeit kein Affekt; 
doch ist sie hässlich, weil sie meistens anzeigt, dass der 
Mensch zu sehr von Hass, Zorn, Stolz oder Geiz erfüllt 
ist. Denn wer aus Dummheit die Geschenke nicht .er- 
widern kann, ist nicht undankbar, und noch weniger der, 
welcher sich durch die Geschenke einer Buhlerin nicht 
zum Diener ihrer Lüste machen lässt, oder durch die des 
Diebes zum Hehler seiner Diebstahle oder durch ähnliche 
Dinge. Denn dies zeigt vielmehr von Standhaftigkeit der 
Sinnesart, die sich durch keine Geschenke zu seinem oder 
dem allgemeinen Verderben verführen lässt.'*) 



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220 rV. Theil. Von der menschlichen Knechtschaft. 

L. 72, Der freie Mensch handelt niemals m böser 
Ahsichty sondern ininner ehrlich, 

B. Wenn ein freier Mensch als solcher etwas in böser 
Absicht thäte, so müsste er es als Gebot der Vernunft 
thun (denn nur insoweit gilt er uns als frei). Mithin 
wäre das Handeln ans böser Absicht eine Tugend 
(IV. L. 24), nnd folglich wäre es für Jeden klüger, zur 
Erhaltung seines Seins aus böser Absicht zu handeh 
(IV. L. 24), d. h. die Menschen thäten klüger, nur in 
Worten einig zu sein, in der Sache aber Gegner, was 
widersinnig ist (IV. L. 31. Z.); deshalb wird ein freier 
Mensch u. s. w. 

E. Wenn man die Frage stellt, ob nicht, wenn ein 
Mensch sich durch Treulosigkeit ron einer gegenwärtigen 
Todesgefahr befreien könne, die Vernunft zur Erhaltung 
seines Daseins fordere, dass er treulos werde, so kann 
man in derselben Weise antworten, dass, wenn die Ver- 
nunft dies rathe, sie es dann auch allen Menschen rathe; 
folglich die Vernunft den Menschen überhaupt rathe, nur 
in böser Absicht den Vertrag auf Verbindung ihrer Kräfte 
und den Besitz gemeinen Rechtes abzuschüessen, d. h. 
in Wahrheit einen Vertrag dahin, kein gemeines Recht 
zu haben, was widersinnig ist.''^^) 

L. 73. Ein Mensch, der von der Vernunft geleitet 
wird, ist mehr frei in einem. Staate^ wo er nach ge* 
meinsamem Beschlüsse lehtj als in der Einsamkeit, wo 
er sich allein gehorcht. 

B. Ein von der Vernunft geleiteter Mensch wird nicht 
durch die Furcht zum Gehorsam bestimmt (IV. L. 63). 
sondern so weit er nach dem Gebote der Vernunft sein 
Dasein zu erhalten strebt, d. h. so weit er frei zu leben 
strebt (IV. L. 66. E.), wünscht er die Weise eines ge- 
meinschaftlichen Lebens und Nutzens einzuhalten (IV. L. 37) 
und folglich (wie IV. L. 37. E. 2 gezeigt worden) nach 
dem gemeinsamen Beschlüsse des Staats zu leben. Der 
von der Vernunft geleitete Mensch sucht deshalb, um 
freier zu leben, die gemeinen Rechte des Staats einzu- 
halten. 

E. Dies und Aehnliches, was ich über die wahre Frei- 
heit des Menschen dargelegt habe, bezieht sich auf die 



■^ii^:'- 



IV. Theil. Von der menschlichen Knechtschaft. 221 

Seelenstärke, d. h. auf die Geistesgegenwart und den Edel- 
muth (HI. L. 59. E.). Ich halte es aber nicht für 
nöthig, alle Eigenschaften der Seelenstarke hier besonders 
darzulegen, und noch weniger, dass der tapfere Mann 
Niemanden hasst, beneidet, über Niemand sich erzürnt 
oder unwillig wird, Niemanden verachtet und noch weniger 
stolz ist. Denn dies Alles, was zu dem wahren Leben 
und der Eeligion gehört, ist leicht aus IV. L. 37, 46 
ahzukiten, indem der Hass durch die Liebe besiegt wer- 
den soll, und Jeder, der nach der Vernunft lebt, das 
Gute, was er für sich erstrebt, auch für die Andern 
wünscht. Hierzu kommt, was ich IV. L. 50. E. und 
anderwärts bemerkt habe, nämlich, dass ein seelenstarker 
Mann vorzüglich das bedenkt, dass Alles aus der Noth- 
wendigkeit der göttlichen Natur folgt. Er weiss deshalb, 
dass Alles, was er für lästig und übel hält, so wie 
Alles, was als gottlos, abscheulich, ungerecht und schänd- 
lich erscheint, nur davon kommt, dass er die Dinge selbst 
verstört, verstümmelt und verworren auffasst. Deshalb 
strebt er vor Allem, die Dinge, wie sie in sich sind, zu 
begreifen und die Hindernisse der Erkenntniss zu ent- 
fernen, wie den Hass, den Neid, den Zorn, den Spott, den 
Stolz und Anderes dergleichen, was ich früher behandelt 
habe. Deshalb sucht er, wie gesagt, so viel er vermag, 
gut zu handeln und fröhlich zu sein. Wie weit aber die 
menschliche Tugend reicht, um dies zu erlangen, und was 
sie vermag, werde ich im folgenden Theile darlegen. ^ 

Anhang. 

Das, was ich in diesem Theile über die rechte Weise 
zu leben dargelegt habe, ist nicht so geordnet, dass man 
es mit einem Blick übersehen könnte, sondern es ist zer- 
streut von mir begründet worden, je nachdem ich nämlich 
das Eine leichter aus dem Andern ableiten konnte. Ich 
will es daher hier noch einmal zusammenfassen und in 
Hauptsätzen zusammenstallen. 

S. 1. Alle unsere Bestrebungen oder Begierden folgen 
so aus der Nothwendigkeit unserer Natur, dass sie ent- 
weder aus ihr allein, als ihrer nächsten Ursache, erkannt 
werden können, oder sofern wir ein Theil der Natur sind, 



222 rV. TheiL Von der menschlichen Enec](iechaft. 

welche für sich und ohne die übrigen Einzeldinge nicht 
zureichend begriffen werden kann. 

S. 2« Die Begehren, welche aus unserer Natur so 
folgen, dass sie aus ihr allein erkannt werden könuneo, 
sind die auf die Seele sieb beziehenden, so weit diese 
als aus zureichenden Vorstellungen bestehend yorgestellt 
wird. Die übrigen Begehren treffen die Seele nur, soweit 
sie sich die Dinge unzureichend vorstellt; die Kraft und 
das Wachsthum dieser Begehren kann nicht ^urch die 
menschliche Macht, sondern muss durch die der fremden 
Dinge bestimmt werden. Deshalb heissen jene Begehren 
mit Eecht Handlungen, und diese leidende Zustände; 
jene sind immer ein Zeichen unserer Macht, diese da- 
gegen unserer Ohnmacht und mangelhaften Kenntniss. 

S. 8. Unsere Handlungen, d. h. jene Begehren, welche 
durch die Macht oder Vernunft des Menschen bestimmt 
werden, sind immer gut; die übrigen können gut oder 
schlecht sein. 

S. 4. Es ist deshalb im Leben das Nützlichste, den 
Verstand oder die Vernunft so viel als möglich zu ver- 
vollkommnen; darin allein besteht des Menschen höchstes 
Glück oder seine Seligkeit. Denn die Seligkeit ist die 
Seelenruhe, welche aus der anschaulichen Erkenntniss 
Gottes entspringt. Die Vervollkommnung unseres Ver- 
standes besteht aber auch nur in der Erkenntniss Gottes, 
seiner Attribute und seiner Handlungen, welche aus seiner 
Natur mit Nothwendigkeit folgen. Deshalb ist das höchste 
Ziel eines von der Vernunft geleiteten Menschen, d. h. 
sein stärkstes Begehren, wodurch er alle andere zu 
massigen strebt, sich und Alles, was seiner Erkenntniss 
erreichbar ist, zureichend zu begreifen. 

S. 5. Es giebt daher kein vernünftiges Leben ohne 
Erkenntniss, und die Dinge sind nur insoweit gut, als 
sie den Menschen helfen, das Leben seiner Seele zu ge- 
niessen, was in der Erkenntniss besteht. Was dagegen 
den Menschen hindert, die Vernunft zu vervollkommnen 
und ein vernünftiges Leben zu fuhren, dies allein ist das 
Uebel. «1) 

S. 6. Weil aber Alles, dessen wirkende Ursache der 
Mensch ist, nothwendig gut ist, so kann dem Menschen 
das Uebel nur von äusseren Ursachen kommen, nämlich 
80 weit er ein Theil der ganzen Natur ist, deren Gesetzen 



IV. Theil. Von der menschlichen Knechtschaft. 223 

die menschliche Natur zu gehorchen und auf beinahe 
unzählige Arten ihr sich anzubequemen genöthigt ist. 

S« 7* Es ist unmöglich, dass der Mensch nicht ein 
Theil der Natur ist und der gemeinsamen Ordnung nicht . 
zu folgen braucht; vielmehr wird, wenn er mit solchen 
Wesen verkehrt, welche mit seiner Natur übereinstimmen, . 
gerade dadurch die Macht des Menschen gesteigert und 
unterstützt. Ist der Mensch aber unter Wesen, welche 
mit seiner Natur sehr wenig übereinstimmen^ so wird er 
kaum ohne grosse Veränderung seiner selbst sich ihnen 
anbequemen können.*^ 

S. 8. Alles, was wir in der Natur für ein Uebel 
halten, d. h. was uns hindern kann, zu existiren und ein 
vernünftiges Leben zu führen, das dürfen wir von uns 
abhalten, und zwar auf die V\reise, welche als die sicherste 
erscheint; was wir dagegen für gut und nützlich halten, 
um unser Dasein zu erhalten und ein vernünftiges Leben 
zu gemessen, das dürfen wir in Besitz nehmen und auf 
alle Weise gebrauchen. XJeberhaupt ist nach dem 
höchsten Eecht der Natur Jedem das zu thun erlaubt, 
was nach seiner Meinung zu seinem Nutzen beiträgt. 

S. 9. Nichts kann mehr mit der Natur eines Dinges 
übereinstimmen, als die andern Einzeldinge derselben 
Art; deshalb giebt es für den Menschen (nach S. 7) 
nichts Nützlicheres zur Erhaltung seines Daseins und für 
den Genuss eines vernünftigen Lebens als ein der Ver- 
nunft folgender Mensch. Da wir femer unter den Ein- 
zeldingen Nichts kennen, was besser wäre als ein von 
der Vernunft geleiteter Mensch, so kann man durch Nichts 
mehr z^gon, wie viel man an Kraft und Einsicht ver- 
mag, als durch Erziehung der Menschen auf solche Art, 
dass sie zuletzt nach den\ eigenen Gebot der Vernunft 
leben. ««) 

S. 10. So weit die Menschen von Neid oder einem 
andern Affekt des Hasses gegen einander erfüUt sind, 
insoweit sind sie einander entgegen und folglich um so 
mehr zu fürchten, als sie mehr wie die andern Einzel- 
wesen der Natur vermögen. 

S. 11. Die Gemüther werden jedoch nicht durch die 
Waffen, sondern durch Liebe und Edelmuth gewonnen. 

S. 12. Den Menschen ist es besonders nützlich, in 
Sitten sich an einander zu schliessen und die Bande 



224 rV. Theil. Von der menschlichen Knechtschaft. 

zwischen sich zu knüpfen, durch welche sie am bestea 
aus Allen nur Einen machen und unbedingt das zu 
thun, was zur Befestigung der Freundschaften beiträgt. 

S. 13. Doch dazu gehört Kunst und Wachsamkeit; 
denn die Menschen sind veränderlich (denn die, welche 
nach der Vorschrift der Vernunft leben, sind selten) und 
doch meist neidisch und mehr zur Rache als zum Mitleid 
geneigt. 

Es ist deshalb eine besondere Kraft des Gemüths 
nothwendig. um Jeden nach seiner Sinnesart zu ertragen 
und sich vor Nachahmung seiner Affekte zu hüten. Wer 
aber dagegen versteht, die Menschen zu verkleinem und 
mehr ihre Laster zu schelten, als die Tugenden zu lehren 
und das Gemüth der Menschen nicht zu stärken, sondern 
zu brechen, der ist sich und Andern zur Last. Deshalb 
haben Viele aus zu grosser Ungeduld ihres Gemüths und 
falschem religiösen Eifer lieber unter den wilden Thieren 
als unter den Menschen leben wollen; so wie die Knaben 
und Jünglinge, welche das Schelten der Eltern nicht mit 
Gleichmuth ertragen können, zu den Soldaten gehen und 
die Lasten des &ieges und die Herrschaft der Tyrannei 
dem häuslichen Frieden und den väterlichen Ermahnungen 
vorziehen und lieber jede Last sich auflegen lassen, nur 
um sich an den Eltern zu rächen.*'*) 

S. 14. Obgleich daher die Menschen Alles m6ist nach 
ihren Neigungen einrichten, so ergeben sich doch aus 
deren gemeinsamem Vereine viel mehr Vortheile als Nach- 
theile. Deshalb ist es besser, ihre Unbilden mit Gleich- 
muth zu ertragen und mit Eifer dem nachzugehen, was 
der Eintracht und der Schliessung der Freun48chaften 
dient. 

S. 15. Was die Eintracht erzeugt, ist das, was znr 
Gerechtigkeit, Billigkeit und Ehrlichkeit gehört. Denn 
die Menschen werden nicht bloss durch das Ungerechte 
und das Unbillige verletzt, sondern auch durch das Häss- 
liche und dadurch, dass man die herrschenden Sitten des 
Landes verachtet. Zur Gewinnung ihrer Liebe ist aber 
das vor Allem nöthig, was sich auf Eeligion und Fröm- 
migkeit bezieht. Man sehe hierüber TV. L. 37. E. 1, 2 
und L. 46. E. und L. 73. E. 

S. 16. Es pflegt ausserdem der Frieden meist ans 
der Furcht hervorzugehen, aber ohne Verlass. Man 



IV. Theil. Von der menschlichen Knechtschaft. 225 

rechne hinzu, dass die Furcht aus der Ohnmacht der 
Seele entspringt und deshalb nicht zum Gebrauch der 
Vernunft gehört, so wenig wie das Mitleiden, wenngleich 
es den Schein der Frömmigkeit annehmen sollte. 

S. 17. Die Menschen werden ausserdem durch Frei- 
gebigkeit gewonnen, vorzüglich Jene, welche keine Ge- 
legenheit haben, sich ihren Lebensunterhalt zu erwerben. 
Jedoch übersteigt es weit die Kräfte und den Nutzen 
eines Privatmannes, jedem Bedürftigen zu helfen; denn 
der ßeichthum eines Einzelnen ist viel zu unzureichend, 
um dies zu bestreiten. Ausserdem ist eines Menschen 
geistige Fähigkeit zu beschränkt, um Alle sich in Freund- 
schaft verbinden zu können. Deshalb liegt die Sorge für 
die Armen der ganzen Gesellschaft ob und zielt nur auf 
den allgemeinen Nutzen ab. **) 

S. 18* Ganz anders muss aber die Fürsorge sein in 
Empfang von Wohlthaten und Erstattung des Dankes, 
worüber IV. L. 70. E. und L. 71. E. nachzusehen sind. 

S. 19. Die buhlerische Liebe, d. h. die Wollust, 
welche aus der äusseren Gestalt entspringt und über- 
haupt alle Liebe, welche eine andere Ursache als die 
Freiheit der Seele hat, geht leicht in Hass über, wofern 
sie nicht, was schlimmer ist, eine Art Wahnsinn ist und 
dann mehr durch Streit als durch Einigkeit gesteigert 
wird (III. L. 31. Z.). 

§• 20. Was die Ehe anlangt, so ist sicher, dass sie 
mit der Vernunft sich verträgt, wenn die Geschlechtslust 
nicht bloss aus der äusseren Gestalt, sondern auch aus 
dem Streben, Kinder zu erzeugen und weise zu erziehen, 
entspringt, und wenn ausserdem die Liebe Beider, d. h. 
des Mannes und der Frau, nicht bloss das Aeussere, 
sondern vorzüglich die Freiheit der Seele zur Quelle 
hat. «6) 

S. 21. Ausserdem erzeugt Schmeichelei den Frieden, 
aber durch das hässliche Vergehen der Knechtschaft oder 
durch Treulosigkeit ; denn Niemand lässt sich mehr durch 
Schmeichelei bethören, als die Stolzen, welche die Ersten 
sein wollen, aber nicht sind. 

S. 22. Der Selbsterniedrigung wohnt eine falsche 
Art von Frömmigkeit und Keligion inne; und obgleich 
sie das Gegentheil des Stolzes ist, so steht doch der sich 
Wegwerfende dem Stolzen am nächsten (IV. L. 67. E.). 

Spinoza, Ethik. 15 



226 ^- Thefl. Von der menscbfichen Knechtschaft 

S. 2S. Es nützt übrigens die Schaam der Eintracht 
nur in solchen Dingen, die nicht yerhehlt werden können. 
üebrigens gehört die Schaam, als eine Art der Traurig- 
keit, nicht znm Gebiete der Yemnnft. 

8« ^. Die übrigen anf And^e gerichteten Affekte 
der Traurigkeit sind das gerade Gegentheil der Gerechtig- 
keit, Billigkeit, Ehrlichkeit, Frömmigkeit nnd Beligiosität 
nnd obgleich der Unwille den Schein der Billigkeit an 
sich trägt, so lebt man doch da ohne Gesetz, wo Jeder 
über fremde Handlungen richten und sich oder einem 
Andern selbst Becht yerschaffen kann. 

S» 25. Die Bescheidenheit, d. h. das Bestreben, den 
Menschen zu gefallen, gehört, wenn sie sich nach der 
Vemnnft bestimmt, znr Frömmigkeit (IV. L. 37. E.). 
Entspringt sie aber aus einem Affekte, so ist sie ein 
Ehrgeiz oder Begehren, welches durch den falschen 
Schein der Frömmigkeit gewöhnlich Streit nnd Aufruhr 
unter den Menschen erregt Denn wer seine Neben- 
menschen durch Bath oder That zu unterstützen strebt. 
damit sie des höchsten Gutes sich erfreuen, der wird 
vorzüglich suchen, sich ihre Liebe zu erwerben, aber 
nicht sie zur Bewunderung zu verleiten, so dass seine 
Lehre von ihm den Namen erhalte, und durchaus keinen 
Grund zum Neid geben. 

In der geselligen Unterhaltung wird er sich hüten, 
die Fehler der Menschen zu hinterbringen, und über die 
menschliche Schwäche wird er nur sparsam sprechen, 
aber reichlich über menschliche Tugend oder Macht und 
über die Mittel, durch welche man es erreichen kann, 
dass die Menschen somit nicht aus Furcht oder Abschen, 
sondern nur aus dem Affekt der Fröhlichkeit nach den 
Vorschriften der Vernunft, als solcher, zu leben sich be- 
mühen. *''') 

S. 26« Ausser den Menschen kenne ich kein Einzel- 
ding in der Natur, an dessen Seele man sich erfreuen 
und es durch Freundschaft und eine Art des Umganges 
sich verbinden könnte. Daher fordert die Vernunft un- 
seres Nutzens wegen nicht, irgend etwas neben den Men- 
schen in der Natur zu erhalten; sondern sie lehrt uns, 
je nachdem es der Bedarf verlangt, es zu erhalten, zu 
zerstören oder auf irgend eine Weise unserem Gebrauch 
anzupassen. 



IV. Theil. Von der menschlichen Knechtschaft. 227 

S. 27« Der Nutzen, den man von fremden Sachen 
zieht, ist ausser der Erfahrung und Kenntniss, welche 
wir aus deren Beobachtung und Umgestaltung gewinnen, 
vorzüglich die Erhaltung unseres Körpers, und aus diesem 
Grunde sind vorzuglich jene Dinge nützlich, welche den 
Körper so erhalten und ernähren können, dass alle seine 
Theile ihre Verrichtungen richtig vollziehen können. Denn 
je mehr der menschliche Körper fähig ist, auf viele Arten 
erregt zu werden, desto fähiger ist der Mensch zum 
Denken (IV. L. 38. 39). Von solchen Dingen scheint 
es aber nur sehr wenige in der Natur zu geben, deshalb 
muss man zur richtigen Ernährung des Körpers von 
vielerlei Nahrungsmitteln Gebrauch machen. Denn der 
menschliche Körper besteht aus sehr vielen Theilen ver- 
schiedener Natur, welche fortwährend der mannigfachen 
Ernährung bedürfen, damit der Körper zu Allem, was 
aus seiner Natur folgen kann, gleich geschickt sei, und 
damit folglich die Seele gleich geschickt sei. Verschiedenes 
zu begreifen. 

S, 28. Zur Erlangung dessen würden kaum die Kräfte 
des Einzelnen hinreichen, wenn die Menschen sich nicht 
gegenseitig unterstützten. Aber die bündigste Darstel- 
lung von Allem hat erst das Geld gebracht; deshalb 
pflegt sein Bild den Sinn der Menge am meisten zu be- 
schäftigen; denn sie können kaum eine Art von Fröhlich- 
keit sich denken, wo nicht die Vorstellung des Geldes, 
als Ursache, dabei ist. 

S^ 201 Zu einem Fehler wird dies aber nur bei 
denen, welche nicht aus Bedürfniss und der Nothwendig- 
keiten wegen das Geld suchen, sondern weil sie die Künste 
des Spiels gelernt haben, mit denen sie sich in die Höhe 
bringen. Im TJebrigen sorgen sie aus Gewohnheit für 
ihren Körper, aber nur knapp, weil sie so viel von ihren 
Gütern zu verlieren meinen, als sie auf Erhaltung ihres 
Körpers verwenden. Wer indess den wahren Nutzen des 
Geldes kennt und das Maass des Reichthums nach dem 
Bedarf' abmisst, der lebt mit Wenigem zufrieden. »8) 

S. 80. Da nun das gut ist, was die Theile des Kör- 
pers in ihren Verrichtungen unterstützt, und da die Fröh- 
lichkeit darin besteht, dasa sie die Macht des Menschen, 
rücksichtlicb seiner Seele und seines Körpers, unter- 
stützt und mehrt, so ist Alles gut, was fröhlich macht. 

15* 



228 rV. Theil. Von der mensclilicheii Knechtschaft 

Da iudess die Dinge nicht zu dem Zweck thätig sind, um 
uns fröhlich zu machen, oder deren Macht zu wirken nicht 
durch unsern Nutzen geregelt wird, und endlich, weil die 
Fröhlichkeit sich meist nur auf einen Theil des Körpers 
hauptsächlich bezieht, so haben die Affekte der FröMcli- 
keit (wenn nicht Vernunft und Wachsamkeit dabei ist) 
und folglich die aus ihnen entspringenden Begehreu 
meist ein üebermaass. Dazu kommt, dass man im Affekte 
zunächst das Angenehme der Gegenwart im Auge hat 
und das Zukünftige nicht mit gleicher Gemüthsrube 
abzuschätzen vermag (III. L. 44. E, L. 60. E.). 

S. 31. Der Aberglaube erklärt dagegen das für gut, 
was Traurigkeit bringt, und das für schlecht, was Fröh- 
lichkeit bringt. Indess, wie schon erwähnt (IV. L. 45. 
E.), erfreut sich nur der Neidische an meiner Ohnmacht 
und meinem Schaden. Denn je fröhlicher wir sind, desto 
vollkommener werden wir und nehmen mehr an der gött- 
lichen Natur Theil, und die Fröhlichkeit, welche von der 
wahren Vernunft nach unserm Nutzen gemässigt wird, 
kann niemals schlecht sein. Wer dagegen aus Furcht 
das Gute thi^t, um das Schlechte zu vermeiden, handelt 
nicht vernünftig. 

S. 32. Die menschliche Macht ist meist sehr be- 
schränkt und wird von der Macht der äusseren Ursachen 
weit übertroffen ; wir haben daher keine unbedingte Macht, 
die äusseren Dinge nach unserem Bedarf einzurichten. 
Demnach werden wir die Nachtheile, welche dem ent- 
gegen uns treffen, mit Gleichmuth ertragen, wenn wir 
uns bewusst sind, dass wir unsere Pflicht erfüllt haben, 
und dass unsere Macht nicht so weit gereicht hat, um 
dies vermeiden zu können, und dass wir ein Theil der 
ganzen Natur sind, deren Ordnung wir folgen. 

Wenn wir dies klar und deutlich erkennen, so wird 
der Theil von uns, der die Erkenntniss bildet, d. h. der 
bessere Theil in uns, damit sich beruhigen und in dieser 
Kühe zu beharren streben. Denn mit dieser Erkenntniss 
können wir nur das Nothwendige verlangen und nur in dem 
Wahren uns unbedingt zufrieden geben. So weit wir 
also dies richtig einsehen, so weit stimmt das Streben 
unseres besseren Theiles mit der Ordnung der ganzen 
Natur überein.»») »») 



V. Theil. Von der menschlichen Freiheit. 229 



Fünfter Theil. 

Ueber die Macht der Verstandes oder 
über die menschliche Freiheit. 



^V o r r e d e. 

Ich komme nun endlich zu dem andern Theile der 
Ethik, welcher die Weise oder den Weg betrifft, der zur 
Freiheit führt. In diesem Theile werde ich also die 
Macht der Vernunft untersuchen und zeigen, was diese 
Vernunft über die Affekte vermag und ferner, was die 
Freiheit der Seele oder die Seeligkeit ist. Es wird sich 
daraus ergeben, um wie viel der Weise mächtiger ist, 
als der Unwissende. In welcher Weise aber und auf 
welchem Wege die Erkenntniss vervoUkommt werde^ und 
mit welcher Kunst der Körper zu pflegen sei, damit er 
das Seinige recht verrichte, gehört nicht hierher, sondern 
letzteres zur Medizin und ersteres zur Logik. 

Ich werde also, wie erwähnt, hier nur von der Macht 
der Seele oder Vernunft handeln, und ich werde vor 
Allem zeigen, wie gross und welcher Art ihre Gewalt 
über die Affekte ist, um sie zu hemmen oder zu massigen. 
Denn ich habe schon oben dargelegt, dass wir keine un- 
bedingte Herrschaft über die Affekte haben. Die Stoiker 
meinten zwar, dass sie lediglich von unserem Willen ab- 
hängig seien, und dass wir sie unbedingt beherrschen 
könnten; indess wurden sie durch die entgegengesetzte 
Erfahrung, aber nicht durch ihre Prinzipien genöthigt, 
einzugestehen, dass nicht wenig Uebung und Eifer zur 
Mässigung der Affekte erforderlich sei. Es hat dies 
Jemand durch das Beispiel zweier Hunde (wenn ich mich 
recht entsinne), eines Haushundes und eines Jagdhundes 



230 V. Theil. Von der menscbliclien Freiheit. 

zu zeigen versucht, indem er es durch Uebung endlich dahin 
bringen konnte, dass der Haushund zu jagen sich ge- 
wöhnte und der Jagdhund der Verfolgung der Hasen 
sich enthielt. 

Dieser Ansicht istCartesius sehr zugethan; denn er 
nimmt an, dass der Geist oder die Seele vorzugsweise 
mit einem Grehirntheile, welcher die Zirbeldrüse heisst, 
verbunden sei, durch deren Hülfe die Seele alle im Kör- 
per erweckten BewegTingen und äussern G^egenstände 
wahrnimmt, und welche die Seele durch ihr blosses Wollen 
beliebig bewegen könne. Diese Eichel soll nach seiner 
Annahme so in der Mitte des Gehirns schweben, dass sie 
durch den leisesten Hauch der Lebensgeister bewegt wer- 
den könne. Endlich nimmt er an, dass diese Eichel auf 
so verschiedene Weise in der Mitte des Gehirns schwe- 
bend erhalten werde, als die Lebensgeister auf sie an- 
dringen, und dass ebenso viel verschiedene Spuren in sie 
eingedrückt werden, als verschiedene Gegenstande die 
Lebensgeister gegen die Eichel anstossen. Daher komme 
es, dass wenn die Eichel später von dem Willen der Seele, 
der sie verschieden bewege, auf diese oder jene Weise 
schwebend erhalten werde, auf der sie einmal von den 
Lebensgeistern erhalten worden, als diese so oder so 
erregi wurden , dass diese Eichel die Lebensgeister 
ebenso fortstösst und bestimmt, wie sie früher von der 
ähnlichen Schwebung derselben zurückgestossen worden 
sind. Er nimmt ausserdem an, dass jedes Wollen der 
Seele mit einer bestimmten Bewegung der Eichel von 
Natur verbunden sei. Wenn z. B. Jemand die Absicht 
habe, einen entfernten Gegenstand zu betrachten, so be- 
wirke dieses Wollen, dass der Augenstern sich erweitere. 
Wenn er aber nur an die Erweiterung des Augensterns 
denke, so nütze ihm ein solches Wollen dazu nichts, weil 
die Natur die Bewegung der Eichel, welche dient, die 
Lebensgeister gegen den Sehnerven zu treiben, um den 
Augenstern entsprechend zu erweitem oder zu verengen, 
nicht mit dem Wollen dieser Erweiterung oder Verengerung 
verbunden habe, sondern nur mit dem Wollen entfernte 
oder nahe Gegenstände anzuschauen. Endlich nimmt er 
an, dass zwar jede Bewegung dieser Eichel mit einzelnen 
Gedanken von Anfang unseres Lebens ab von Natur ver- 
knüpft zu sein scheine, indess könne sie auch durch 



V, TheiL Von der menschlichen Freiheit. 231 

üebnng mit andern rerbanden werden, wie er Art. 50. 
Tb. I. von den Leidenschaften der Seele zu beweisen sucht. 

Hieraus folgert Cartesiue, dasa keine Seele so ohn- 
mächtig Bei, um nicht bei richtiger Leitung die unbedingte 
Herrschaft über ihre Ijeiden Schäften erwerben zu kfinnen. 
Denn diese sind nach seiner Definition lÄuffassunj 
Empfindungen oder Bewegungen der Seele, die t 
eie inabesondere beziehen, und welche dnrch ein« 
gung der Lebensgeister hervorgebracht, erhalten u 
stärkt werden.! (Man sehe Art. 27. Th. I. TJe 
Leidenschafton.) Da man nun mit jedem Wolli 
Bewegung der Eichel und folglich auch der Leben 
verbinden kOnne und diese Bestimmung unseres 
bloss von unserer Macht abhänge, so könne m 
vollständige Herrschaft über die Leidenschaften ge 
wenn man seinen Willen nach festen und g 
Urtheilen bestimme , nach denen man die Hani 
^iues Lebens einrichten wolle, und mit diesen C 
die Erregung der Leidenschaften verbinde, welc 
baben woUe. 

Dies ist (so viel ich aus seinen Worten entneh 
Meännog dieses berühmten Mannes. Ich würdt 
glauben, dass sie von einem so grossen Manne hi 
wenn sie weniger scharfsinnig wäre. In Wahrhe 
ich mich nicht genug wundem, dasa ein Philoso] 
als Grundsatz aufgestellt hat, Alles nur aus Pr 
at)zuleiten, die dnrch sich selbst klar seien, und i 
klar und bestimmt Eingesehene zu behaupten, i 
so oft die Scholastiker getadelt hat, dass sie dunkl 
durch verborgene Qualitäten erklären wollen, eine 
these aufstellt, die dunkler ist, als alle dunkeln 
täten. Was versteht er, frage ich, nnter: Verbind 
Seele und des Körpers? Welche klare und bestimra 
Stellung hat er von der engsten Einigung des 1 
mit einem Theilchen eines ausgedehnten Gegena 
Ich wünschte wohl, dass er diese Einigung dui 
nächste Ursache erklärt hätte. Aber Cartesins hat 
and Efirper so von einander geschieden, dass et 
für deren Einheit noch für die Seele selbst irge 
einzelne Ureache angeben konnte und genöthigt w 
die Ursache des ganzen Universums, d. h. au 
zurück ZQgehen. 



t2 V. TheiL Ton der meuBchlichen Freiheit. 

Dann mOchte ich wohl wissen, wie viel Qrade tos 
igat\g die Seele jener Zirbeldräse niittheilen, und mit 
her Kraft sie sie schwebend erhalten kann? Denn ich 
. keine Eenntniss, ob di^se Eichel langsamer oder 
eller von der Seele bewegt wird, als von den Lehens- 
^rn, and ob die Bewegung der Leidenschaften, die 

an feste ürtheile eng geknüpft hat, nicht wieder 
ti körperliche Ursachen abgetrennt werden kann. Denn 
US würde folgen, dass, wenn auch die Seele sich vor- 
mmen hätte, den Gefahren entgegen zu gehen nnd 
diesem Wollen den Affekt der Kühnheit verbunden 
), dennoch die Eichel dnrch den Anblick der Oefahr 
chwebend gestellt werden könnte, dass die Seele nur 
lie Flucht denkeo könnte. Da es kein Veihältnisa des 
lens zur Bewegung giebt, so ist auch keine Ver- 
ihung zwischen der Macht oder den Kräften der Seele 

des Körpers möglich, und folglich können die Eräfl« 
m nie nach den Kräften jener bestimmt werden. 
1 nehme man, dass diese Eichel in keiner solchen 
) in der Mitte des Gehirns angetroffen wird, dass si« 
licht und so mannichfach herum bewegt werden könnte, 

dass nicht alle Nerven bis in diese Höhlung dts 
ms sich erstrecken, 
ch lasse endlich Alles bei Seite, was Cartesius vou 

WiUen und dessen Freiheit behauptet, da ich dessen 
ahrheit genügend dargethan habe. Wenn sonach die 
lit der Seele, wie oben gezeigt worden, nur durch 
Erkenntniss bestimmt wird, so werden die HOlfs- 
)l gegen die Affekte, welche Alle wohl, wie ich 
be, an sich erfahren, aber nicht genau beobachten 

bestimmt erkennen, nur aus der Erkenntniss der 
) zu entnehmen sein, und ich werde daraus Alles. 
ihre Seeligkeii betrifft, ableiten. *) 



L. 1. Wenn in demselben Subjekt zwei entgegengesetrte 
ilungen erweckt werden, so muss nothwendig ent- 
>r in beiden Handlungen oder in einer eine Verün- 
ng eintreten, bis sie aufhören," entgegengesetzt in 

l. 2. Die Macht der Wirkung wird durch die Macht 



V. Theil. Von der menschlichen Freiheit. 233 

ihrer Ursache bestimmt, so wfeit ihr Wesen durch das 
Wesen ihrer Ursache erklärt oder bestimmt wird. *) 
Dieses Axiom erhellt aus III. L. 7. 

L. !• So wie die Gedanken und die Vorstellungen 
der Dinge sich in der Seele ordnen und verknüpfen, 
genau so ordnen und verknüpfen sich die körperUcJien 
Erregungen oder Bilder der Dinge im Körper, 

B. Die Ordnung und Verknüpfung der Vorstellungen 
ist dieselbe (II. L. 7.), wie die Ordnung und Verknüpfung 
der Dinge, und umgekehrt ist die Ordnung und Ver- 
knüpfung der Dinge dieselbe (II. L. 6. Z. u. L. 7), wie 
die Ordnung und Verknüpfung der Vorstellungen. So 
wie daher die Ordnung und Verknüpfung der Vorstel- 
lungen in der Seele nach der Ordnung und Verknüpfung 
der Zustände im Körper erfolgt (II. L. 18.), so umgekehrt 
ordnen und verknüpfen sich die Zustände des Körpers 
wie die Gedanken und Vorstellungen der Dinge in der 
Seele (IIL L. 2.). *) 

L. 2« Wenn man die JEh'regung der Seele oder 
den Affekt von der Vorstellung der äusseren Ursache 
trennt und mit andern Gedanken verbindet, so werden 
die Liebe oder det* Hass gegen die äusse9*e Ursache, 
80 wie die Schwankungen der Seele, welche aus diesen 
Affekten entspringen, beseitigt werden, 

B. Denn dass, was das Eigenthümliche der Liebe oder 
des Hasses ausmacht, ist die Fröhlichkeit oder Traurig- 
keit, begleitet von der Vorstellung einer äussern Ursache 
(in. D. 6. 7.); wird also diese Vorstellung beseitigt, so 
hört auch die Liebe und der Hass auf, und diese Affekte 
mit ihren Folgen werden beseitigt. ^) 

Lt 3. Der Affekt, welcher ein Leiden ist, hört auf, 
ein solches zu sein, sobald man seine klare und be- 
stimmte Vorstellung bildet, 

B. Der Affekt, welcher ein Leiden ist, ist eine verr 
worrene Vorstellung (III. Allgemeine Definition). Wenn 
man sich also von diesem Affekt selbst eine klare und 
bestimmte Vorstellung bildet, so wird diese Vorstellung 
von dem auf die Seele allein bezogenen Affekt nur im 



234 V. Theil. Von der menscUidieD Freiheit 

Denken unterschieden (11. L. 22. E.), mithin hOrt der 
Affekt auf, ein Leiden za sein (III. L. 3.). 

Z. £in Affekt Ist also am so mehr in unserer Gewall, 
nnd die Seele leidet um so weniger von ihm, je bekannter 
; ist.«) 

4. Es ffielit keiru) Erre^mg des Köf^fvs, von 
ir nicht eine klare und bestimmte Vorgteümg 

könmm. 
Das Allem Gemeine kann nicht anders als u- 
id vorgestellt werden (111. L. 38.). Daher giebl 
ne Erregung des Körpers (11. L. 12. Ln. 2. hinter 

E.), von der mau nicht eine klare und bestimmt« 
Hang bilden kann. 

Hieraue ergiebt sich, dass man von jedem Affekt 
ine bestimmte und klare Vorstellung bilden kann, 
der Affekt ist die Vorstellung einer Erregui^ d«8 
'S (III. Allgemeine Definition), welche deshalb (nädi 

3.) eine klare und bestimmte Vorstellung ein- 
sen mnss. ^) 

Da 68 Nichts giebt, aus dem nicht eine Wirknng 
EH. L. 36.), und da man Alles, was aus einet zo- 
iden Vorstellung in uns folgt, klar und dentlici 
it (III. L. 40.), so ergiebt sich, dass Jeder die 

hat, sich und seine Affekte, wenn auch nicht nn- 
t, doch zum Theil klar uni deutlich zu erkennen 
alglich zu bewirken, dass er von ihnen weniger 
Man hat daher vor Allem seine Anstrengungen 
zu richten, dass man jeden Affekt, so viel als mög;- 
lar und bestimmt erkenne, damit die Seele von dem 
1 aus zu dem Denken dessen geführt werde, was 
utlich und bestimmt einsieht und worin sie sich 
nmen beruhigt; femer, dass der Affekt von der 
llung der äusseren Ursache sich ablöse und mit 
i Gedanken sich verbinde. Dann werden nicht nnr 

Hass u. s. w.' verschwinden (V. L. 2.), sondern es 
i auch die Gelüste oder Begehren daraus dann nicht 

Oebermaass gerathen (IV L. 62,). 
nn man muss vor Allem festhalten, dass es ein 
asaelbe Begehren ist, wonach der Mensch sowohl 
mdelnd wie als leidend gilt. So habe ich z. fi. 
t, dass die menschliche Natur so besch^en ia(, 



V. Theil. Von der menschlichen Freiheit 235 

dass Jeder will, die Andern sollen nach seinem Sinne 
leben (III. L. 31. E.). Dieses Begehren ist bei einem 
nicht von der Vernunft geleiteten Menschen ein Leiden, was 
Ehrgeiz heisst und vom Stolz nicht weit entfernt ist; 
dagegen ist es bei einem den Geboten der Vernunft nach- 
lebenden Menschen eine Thätigkeit oder Tugend, welche 
Frömmigkeit genannt wird (IV. L. 37. E. 1. mit dem 
zweiten Beweis). In dieser Weise sind alle Verlangen 
oder Begierden nur in soweit ein Leiden, als sie aus 
unzureichenden Vorstellungen entspringen, und sie ge- 
hören zur Tugend, sobald sie von zureichenden Vorstel- 
lungen erweckt oder erzeugt werden. Denn alle Begier- 
den,' welche uns zum Handeln bestimmen, ^können sowohl 
von zureichenden wie unzureichenden Vorstellungen ent- 
springen (IV. L. 69.). Un4 (um zum Ausgang zurück- 
zukehren) 80 kann kein besseres, von unserer Macht ab- 
hangiges Mittel gegen die Affekte erdacht werden, als 
das, was in ihrer wahren Erkenntniss enthalten ist. Denn 
es giebt in der Seele keine andere Macht, als zu denken 
und zureichende Vorstellungen zu bilden, wie oben (lU. L. 3) 
gezeigt worden. 8) 

L. 5. I)er Affekt für einen Gegenstand, den man 
einfach vorstellt und nicht als einen nothwendigen 
oder mögliclien odei* zufälligen Gegenstand vo^'stellt, 
ist bei gleielien sonstigen Umständen von allen der 
stärkste, 

B. Der Affekt für einen Gegenstand, den man für frei 
hält, ist grösser als der für einen nothwendigeu Gegen- 
stand (III. L, 49.) und daher auch grösser als für den, 
welchen man als einen möglichen oder zufälligen vorstellt 
(IV. L. 11.). Aber eine Sache als frei vorstellen kann 
nichts Anderes sein, als sie sich einfach vorstellen, ohne 
dass man Ursachen, von denen sie zum Handeln bestimmt 
worden, kennt (II. L. 35. E.). Mithin ist ein Affekt für 
einen Gegenstand, den man einfach sich vorstellt, unter 
sonst gleichen Umständen grösser als für einen noth- 
wendigen, möglichen oder zufälligen Gegenstand, mithin 
der grösste von allen. ®) 

L. 6. So weit die Seele alle Dinge als nothwen- 
dige erke^mt, so weit hat die Seele eine grössere M(zeht 
aber die Affekte oder leidet weniger von ihnen. 



236 V- Theil. Von der menschlichen Freiheit 

B. Die Seele erkennt, dass allo Dinge nothwendig 
aind (I. L. 29.) und durch die unendliche Verknüpfung 
der Ursachen zur Eiistenz und Thätigkeit bestimmt wer- 
den (I. L. 28.). folglich bewirkt sie dadurch, dasa sie 
Ton- den Affekten, welche die Biege erwecken, weniger 
(III. L. 18.) und weniger für sie erregt wird. 
Je mehr diese Erkenntnlss, dass nämlich die Dinge 
indig sind, sich auf die Einzeldinge, die man 
mter und lebhafter vorstellt, sich ausdehnt, desto 
r wird dadurch diese Macht der Seele über die Affekt«, 
ilbst die Erfahrung bezeugt. Denn man sieht Tran- 
; Aber ein verlorenes Gut sich massigen, sobald der 
h, der es verloren hat, bedenkt, dass es auf keine 
hätte erhalten werden können. So sieiit man auch 
liemand die kleinen Kinder bedauert, dass sie nictit 
sprechen und VernunftschlflsBe machen können und 
le Jahre gleichsam bewusstlos verleben. Wenn aber 
listen Menschen als erwachsen und nur hie und da 
als Kind geboren würde, dann würde Jeder die 
■ bedauern, weil er dann die Kindheit nicht als eine 
iche und nothwendige Sache, sondern als einen Fehler 
i''erstoss der Natur betrachten wörde. In dieser 
könnte ich noch hei vielem Andern das Gleiche 
jen.««) 

7. IHe Affekte, welelif. aus der Vernunft eiü- 
•en odm- erweckt werften, sind, WMm auf die Zeä 
ieht gtmommen vÄTd, stärker- als die, welche steh 
limeldinffe bezielien, die man ah abwesend be- 
et. 

Eine abwesende Sache betrachtet man nicht mit 
.fTekte, mit dem man sie bildlich vorstellt, sondern 
isa der Körper auch durch einen andern Affekt 

ist. welcher die Existenz dieser Sache ausschliesst 

27.). Deshalb ist ein Affekt bezüglich einer als 
ind erachteten Sache nicht der Art, daas er die 
n Handinngen des Menschen und seine Macht über- 
(IV. L. 6.), sondern vielmehr der Art, dass er von 
ffekten, welche die Existenz der äussern Ursache 
Affektes ausschliessen , in gewisser Art gehemmt 
1 kann (IV. L. 9.). Ein aus der Vernunft entsprin- 

Affekt bezieht sich aber nothwendig auf die ge- 



V. Theil. Von der menschlichen Freiheit. 237 

meinsamen Eigenschaften der Dinge (II. L. 40. E. 2.), 
die man immer als gegenwärtig betrachtet (denn es kann 
Nichts geben, was ihre gegenwärtige Existenz ausschlösse), 
und die man immer anf dieselbe Weise bildlich vorstellt 
(IL L. 38). Beshalb bleibt ein solcher Affekt immer der- 
selbe und folglich werden die Affekte (V. A. 1.), die ihm 
entgegen sind, oder die von ihren äussern Ursachen nicht 
unterstützt werden, sich ihm mehr und mehr anbequemen 
müssen, bis sie nicht mehr entgegengesetzt sind, und in- 
soweit ist der aus der Vernunft entspringende Affekt der 
mächtigere. ^^) 

L. 8. Von je mehr zugleich zusammentretenden 
Ursaclien ein Affekt erregt wird, desto stärker* ist er. 

B. Mehr Ursachen vermögen mehr als wenigere 
(III. L. 7.), deshalb wird ein Affekt, von je mehr Ursachen 
er zugleich erweckt wird, desto stärker sein (IV. L. 5.). 

L. 9. Ein Affekt^ der aus vielen und. verschiedenen 
Ursachen entspringt , die die Seele mit dem, Affekt 
zugleich betrachtet^ ist weniger schädlich, und man lei- 
det weniger von ihm, und man wird für die einzelne^i 
Ursachen desselben weniger erregt als von einem anderen 
ebenso starken Affekt, der nur auf eine oder wenige9*e 
Ursachen sich bezieht. 

B. Ein Aftekt ist nur insoweit schlecht oder schädlich, 
als die Seele von ihm am Denken gehindert wird (IV. L. 
26. 27.). Mithin ist ein Affekt, durch welchen die Seele 
zur Betrachtung mehrerer Gegenstände auf einmal be- 
stimmt wird, weniger schädlich, als ein anderer, gleich 
starker Affekt, welcher die Seele nur durch die Kraft 
eines oder weniger Gegenstände so in der Betrachtung 
festhält, dass sie an andere Dinge nicht denken kann. 
Dies war das Erste. Da ferner das Wesen der Seele, 
d. h. ihre Macht (III. L. 7.), im blossen Denken besteht 
(III. L. 11.), so wird die Seele durch einen Affekt, der sie 
zur Betrachtung von Mehrerem bestimmt, weniger leiden, 
als durch einen gleich grossen Affekt, welcher die Seele 
mit der Betrachtung eines oder weniger Gegenstände be- 
schäftigt. Dies war das Zweite. Endlich ist dieser Affekt, 
sofern er auf mehrere äussere Ursachen bezogen wird, 
auch für jede einzelne schwächer (III. L. 18.). 12) 



238 V. TbeiL Ton dar menBchlichen Freiheit. 

L. 10. So lange wir nickt von Affekten e>f<mt 

sind, die unserer Natur entgegen gind, so lange haben 

" xht, die Erregungen des Körpers nach der 

des Verstandes zu ordnen und ai ver- 

äkte, die nnaerer Nafur entgegen sind, d. L 
t sind (IV. Ii. 30), Bind insoweit scliecht, 

Seele an dem Erkennen hindern (IV. L. 37). 
'ir also nicht von Affekten erfasst sind, die 
tur entgegen sind, so lange wird die Entß 
vomit sie die Dinge zu erkennen strebt, niclt 
V, L. 26), und so lange hat sie also die 
e und bestimmte Vorstellungen zu bilden and 
r andern abinleiteu (II. L. 40. E. 2, L. 47. B.}, 
ge werden wir folglich die Macht haben (V. 

Erregungen des EOrpers nach der Ordnsi^ 

des zu ordnen und zA verknüpfen. 

■ch diese Macht, die Erregungen des Körpera 

ordnen und zu verknüpfen, kann mau be- 

la man nicht leicht durch schlechte Affekte 

Denn es gehört eine grössere Eraft dazu 

die nach der Ordnung des Verstandes ge- 
id verknüpften Affekte zu hemmen , als di« 
tn und schwankenden. Daa Beate also, was 
:ann, so lange man nicht die vollkommene Er- 
Biner Affekte hat, ist, die rechte Weise in 

die festen Grundsätze des Lebens sich vot- 
e in das Gedächtniss einzuprägen und sie anf 
n im Leben oft vorkommenden Dinge fort- 
anwenden, damit unsere Einbildungskraft weit- 
en erregt werde, und sie uns immer zur Hand 
abe ich z. B. als Lebensregel aufgestellt (IV. 

dass man den Hass durch Liebe und Edel- 
[en und nicht durch Erwiderung des Haases 
>lle. Damit man aber diese Vorschrift d» 
mer gegenwärtig habe, wo es uöthig ist, mnss 
' gewöhnlichen Schadenzufilgungen der Uen- 
in und häußg erwägen, wie und 'auf welchem 
m besten durch Edelmuth fem gehalten wer- 
ird man das Bild der Beschädiguug mit der 

dieser Eegel verknüpfen, und sie wird uns 



V. Theü. Von der menschlichen Freiheit. 239 

immer gegenwärtig sein, wenn uns ein Schaden zugefügt 
wird (II L. 18). 

Wenn man nun auch die Eücksicht auf den wahren 
Nutzen und das Gute sich gegenwärtig hält, welches 
aus der gegenseitigen Freundschaft und gemeinsamen 
Geselligkeit entspringt, und femer, dass aus der rechten 
Lebensweise die höchste Seelenruhe entspringt (lY. L. 62), 
und dass die Menschen, wie Alles, aus der natürlichen 
Nothwendigkeit handeln, so wird das Unrecht oder der 
Hass, der aus ihm zu entspringen pflegt, den geringsten 
Theil unseres Vorstellens einnehmen und leicht über- 
wunden werden. 

Wenn auch der Zorn, der aus den grössten Beleidi- 
gungen zu entspringen pflegt, sich nicht so leicht über- 
windet, so wird er doch überwunden werden, obgleich 
nicht ohne Schwankungen des Gemüths, und zwar in 
kürzerer Zeit, als wenn man dies nicht so vorbedacht 
gehabt hätte, wie aus V. L. 6, 7, 8 erhellt. 

Ebenso muss man über die Entschlossenheit denken, 
um die Furcht abzulegen. Man muss sich nämlich die 
gewöhnlichen Gefahren des Lebens aufzählen und häufig 
vorstellen, wie sie durch Geistesgegenwart und Tapfer- 
keit am Besten vermieden und überwunden werden können. 
Aber besonders muss man bei Ordnung seiner Gedanken 
und Vorstellungen immer Acht haben auf das, was in 
jeder Sache das Gute ist und so sich immer durclr den 
Affekt der Fröhlichkeit zum Handeln bestimmen. Z. B. 
wenn Jemand bemerkt, dass er zu sehr dem Euhme 
nachstrebt, so muss er über dessen rechten Nutzen nach- 
denken, und zu welchem Ende ihm nachzustreben sei, und 
durch welche Mittel er erworben werden könne: aber 
nicht über den Missbrauch und die Eitelkeit des Ruhmes 
Uiid über die Unbeständigkeit der Menschen und Anderes 
dergleichen, woran Niemand als der Seelenkranke denkt. 
Denn durch solche Gedanken betrüben sich die Ehr- 
geizigen am meisten, sobald sie an der Erlangung der 
erstrebten Ehren verzweifeln und weise scheinen wollen, 
während sie Zorn ausspeien. Diejenigen sind deshalb 
sicherlich am geizigsten nach Ruhm, welche das meiste 
Geschrei über dessen Missbrauch und die Eitelkeit der 
Welt erheben. Auch ist dies keine Eigenthümlichkeit 
der Ehrgeizigen, sondern Allen gemeinsam, welchen das 



240 V. Theil. Von der menschliclien Freiheit. 

Glück widrig ist, und die schwach von Geist aind. Denn 

selbst der arme Geizige hört nicht auf, Aber den Miss- 

brauch des Geldes und die Laster der Beichen zu schwaüen, 

womit er nur sich selbst betrübt und Andern zeigt, dase 

er nicht bloss seine' Armnth, sondern auch den Beichthnm 

Indem mit Missmnth erträgt. So denken auch die, 

le von der Geliebten schlecht empfangen worden 

nur an die ünbeetändigkeit und den trügerischen 

der Franen und an die übrigen überall besprochenen 

jr der Franen; dies Alles wird aber sofort von ihnen 

!ssen, wenn sie von der Geliebten wieder angenommeu 

en. Wer also seine Affekte und Begierden durch 

blosse Liebe der Freiheit massigen will, wird mög- 

t streben, die Tugenden und deren Ursache zu er- 

en und die Seele mit der Freude zu erfiillon, welc^ 

deren Erkenntniss entspringt, keineswegs aber die 

chlichen Laster betrachten und die Uenschen scbelten 

eich an einem falschen Bild der Freiheit ergötzen. 

dies fleissig beachtet und ausübt, (denn es ist nichl 

er) wird sicherlich in kurzer Zeit seine Handlungen 

t nach den Geboten der Vernunft einrichten können. >'| 

1, 11. Je mehr idn ßild auf mehrerti Gef/fii- 
de xich bezieJd, desto limifige}- kommt ta, oder 
) öftej- beateht es, und d«äto meler erfüllt es dU 

t. Denn je grösser die Zahl der Gegenstände ist. 
welche ein Bild oder Ätfekt sich bezieht, desto meli 
eben giebt es, von welchen es erregt und gesteigert 
en kann, welche die Seele sämnitlich (nach der An- 
te) in dem Affekte zugleich betrachtet. Deshalb 
der Affekt nm so häufiger kommen oder um Be 
bestehen und die Seele mehr erfüllen (V. L. 8). **l 

j. 12. THe ßilder der GejjenständH verbaidm 
leichter mit Bildern, welche sich auf Gegenstände 

then, welche man klm' und dmitUch einsieht, ah 

andei-n. 

). Die klar und bestimmt erkannten Gegenstände 
entweder die gemeinsamen Eigenschaften der Din^, 
was aus ihnen abgeleitet wird (IL L. 40. E. 3), 
folglich werden sie häufiger in uns erweckt (V. 



V. Theil. Von der menschlichen Freiheit. 241 

L. 11); es kann daher leichter geschehen, dass wir 
andere Gegenstände eher mit diesen als mit andern zu- 
gleich betrachten, und folglich leichter mit diesen als 
mit andern verbinden (11. L. 18). i*) 

t. 13. Je gvösaev die Zahl der Bilder ist, mit 
denen ein andere» Bild verbunden ist, desto häufigem* 
besteht das letztere, 

B. Denn wenn ein Bild mit vielen andern verbunden 
ist, so giebt es auch mehr Ursachen (IV. L. 18), von 
denen es erweckt werden kann. ^•) 

L. 14, THe Seele kann es bewirken, dass alle 
Erreffungen des Körpers oder Bilder der Dinge auf 
die Vorstellung Gottes bezogen werden. 

B. Es giebt keine Erregung des Körpers, von wel- 
cher die Seele nicht eine einigermassen klare und be- 
stimmte Vorstellung sich bilden könnte (V. L. 4), folg- 
lich kann sie bewirken (I. L. 15), dass alle auf die 
Vorstellung Gottes sich beziehen, i'^) 

L. 15. Wer sieh und seine Affekte klar und be- 
stimmt erkennt j liebt Gott, und zwar um so meh*, 
je mehr er sich und seine Affekte erkennt 

B« Wer sich und seine Affekte klar und deutlich 
erkennt, ist fröhlich (HI. L. 53), und zwar begleitet 
von der Vorstellung Gottes (V. L. 14), folglich liebt er 
Gott (III. D. 6), und zwar aus demselben Grunde um so 
mehr, je mehr er sich und seine Affekte erkennt. 

L, 16. Diese Liebe zu Gott muss die Seele am 
meisten erfüllen, 

B. Denn diese Liebe ist mit allen Erregungen des 
Körpers verbunden (V. L. 14), wird durch sie alle ge- 
steigert (V. L. 15) und muss daher (V. L. 11) die Seele 
am meisten erfüllen, i*) 

L. 17, Gott ist frei von allen leidenden Zu- 
standen und wird durch keinen Affekt der FVöhUch- 
keit oder der Traurigkeit erregt, 

B. Alle auf Gott bezogenen Vorstellungen sind wahr 
(II. L. 32), d. h. sie sind zureichend (11. D. 4), und 

Spinoza, EthÜE. 16 



242 V. Theil. Von der menBchlichen Freiheit. 

folglich ist Gott frei von leidenden Znstanden (in. Allg. 
Definition der Affekte). Femer kann Gott weder zn einer 
grösseren, noch zn einer geringeren Vollkommenheit über- 
gehen (I. L- 20. Z. 2), folglich von keinem Affekt der 
Fröhlichkeit oder Traner erfasst werden (IV. D. 2.. 3). 

Z. Gott liebt im eigentlichen Sinne I^iemand nnd 
hasst Niemand. Denn Gott wird dnrch keinen Affekt 
der Fröhlichkeit oder Traurigkeit erregt (V. L. 17), 
und folglich liebt nnd hasst er Niemand QU D. 6. 7). i*) 

L. 18. Niemand kann Gott Juiasen, 

B. Die Vorstellung Gottes in uns ist zureichend und 
vollkommen (II. L. 46, 47), folglich sind wir bei Be- 
trachtung Gottes handelnd (HI. L. 3), und folglieh kann 
es keine Traurigkeit, begleitet von der Vorstellung Gottes, 
geben (in. L. 59), d. h. Niemand kann Gott hassen 
(m. D. 7). 

Z. Die Liebe zu Gott kann sich nicht in Hass ver- 
wandeln. 

E. Man kann einwenden, dass, da wir Gott als die 
Ursache aller Dinge erkennen, damit Gott auch als die 
Ursache der Traurigkeit ansehen. Hierauf erwidere ich, 
dass, so weit man die Ursache der Traurigkeit erkennt, 
diese so weit aufhört, ein Leiden zu sein (V. L. 3), d. h. 
so weit hört sie auf, eine Traurigkeit zu sein (lH L. 59), 
mithin sind wir, so weit wir Gott als Ursache der Traurig- 
keit erkennen, fröhlich. *•) 

L. 19. Wer Gott liebt y kann nickt woUefiy dass 
Gott ihn wiederliebe. 

B. V^enn ein Mensch dies wollte, so wünschte er 
(V. L. 17. Z.), dass Gott, den er liebt, nicht Gott wäre, 
xmd folglich wünschte er sich zu betrüben (HI. L. 19), 
was widersinnig ist (III. L. 28). Folglich kann, wer 
Gott liebt u. s. w. *i) 

L. 20. Diese Liebe zu Gott kann weder durch 
den Affekt des Neides ^ noch den der Eifersucht ver- 
unreinigt werden, sondern wird um so mshr genäJirtj 
je mehr Menschen durch dasselbe Band der Liehe 
mit Gott verbunden angenommefii werden» 

B. Diese Liebe zu Gott ist das höchste Gut, was 



T. Theil. Von der menschlichen Freiheit. 243 

wir nach dem Gebot der Vernunft erstreben können (IV. 
L. 28), und sie ist allen Menschen gemeinsam (IV. L. 36), 
und wir wünschen, dass sich Alle ihrer erfreuen (IV. 
L. 37), folglich kann sie durch den Affekt des Neides 
nicht befleckt werden (IIL D. 23) und auch nicht durch 
den Affekt der Eifersucht (V. L. 18 u. III. L. 35. E.), 
sondern muss um so mehr gesteigert werden (III. L. 31), 
als mehr Menschen nach unserer Meinung sich ihrer er- 
freuen. 

£• Man kann auf dieselbe Weise zeigen, dass es 
keinen Affekt giebt, welcher dieser Liebe geradezu ent- 
gegen ist, und" von dem diese Liebe zerstört werden 
könnte. Daher kann man schliessen, dass diese Liebe 
zu Gott von allen Affekten der beständigste ist, und dass 
sie, so weit sie sich auf den Körper bezieht, nur mit dem 
Körper zugleich zerstört werden kann. Von welcher 
Natur aber diese Liebe ist, wenn sie bloss auf die Seele 
bezogen wird, werden wir später sehen. *i) 

Damit habe ich alle Mittel gegen die Affekte dar- 
gelegt, d. h. Alles, was die Seele, für sich betrachtet, 
gegen die Affekte vermag. Es erhellt daraus, dass die 
Macht der Seele über die Affekte besteht: 1) in der Er- 
kenntniss dieser Affekte (V. L. 4. E.); 2) darin, dass 
die Seele den Affekt von der Vorstellung einer äussern 
Ursache, die man sich verworren vorstellt, trennt (V. 
L. 4. L. 2. E.); 3) in dem Zeiträume, in welchem die 
Affekte für Gegenstände, die man erkennt, jene Affekte 
überwinden, welche sich auf verworren und verstümmelt 
vorgestellte Gegenstände beziehen (V. L. 7); 4) in der 
Menge der Ursachen, durch welche jene Affekte genährt 
werden, die sich auf gemeinsame Eigenschaften der Dinge 
oder auf Gott beziehen (V. L. 9. 11); 5) endlich in der 
Ordnung, mit welcher die Seele ihre Affekte ordnen 
und gegenseitig verknüpfen kann (V. L. 10. E. L. 12. 
13. 14). 82) 

Damit indess diese Macht der Seele über die Affekte 
besser erkannt werde, ist festzuhalten, dass man die 
Affekte stark nennt, wenn man den Affekt des einen Men- 
schen mit dem eines andern vergleicht, und wenn man ^ 
sieht, dass der eine mehr davon erfasst ist, als der 
andere, oder wenn man die mehreren Affekte desselben 
Menschen mit einander vergleicht und ihm von dem einen 

16* 



244 V. Theil. Von der menschlichen Freiheit. 

Affekt mehr als von dem andern erregt und bewegt 
siebt. Denn die Kraft jedes Affektes bestimmt sich nach 
der Macht der fremden Ursache im Verhältniss zn der 
unsrigen. Die Macht der Seele wird aber bloss durch 
die Erkenntniss bestimmt, und ihre Ohnmacht oder ihr 
Leiden dagegen durch den blossen Mangel der Erkennt- 
niss, d. h. diese Ohnmacht wird nach dem gemessen, 
weshalb die Yorstellungen unzureichend heissen. Darans 
ergiebt sich, dass jene Seele am meisten leidet, deren 
grössten Theil unzureichende Vorstellungen ausmachen, 
so dass sie mehr an dem, was sie leidet, als an dem, 
was sie thut, erkannt wird. Dagegen ist diejenige Seele 
hauptsächlich thätig,^ deren grösseren Theil zureichende 
Vorstellungen erfüllen, so dass, wenn auch beiden Seelen 
gleich viel unzureichende Vorstellungen innewohnen, die 
letztere doch mehr durch jene Vorstellungen, welche der 
menschlichen Tugend zugehören, als durch die, welche 
von der menschlichen Ohnmacht zeugen, sich unterscheidet. 

Man muss femer bedenken, dass die Sorgen und das 
Unglück ihren Ursprung hauptsächlich aus der zu grossen 
Liebe für einen Gegenstand ableiten, welcher vielen Ver- 
änderungen ausgesetzt ist, und dessen wir niemals mächtig 
sein können. Denn Jeder ist nur in Sorge und Angst 
um der Dinge willen, die er liebt, und die Beschädi- 
gungen, Verdächtigungen, Feindschaften u. s. w. kommen 
nur aus der Liebe zu Dingen, deren Niemand in Wahr- 
heit mächtig sein kann. 

Hieraus kann man leicht abnehmen, was die klare 
und bestimmte Erkenntniss über die Affekte vermag, und 
insbesondere jene dritte Art der Erkenntniss (11. L. 47. 
E.), deren Grundlage die Erkenntniss Gottes selbst ist. 
Wenn auch diese Erkenntniss die Affekte, so weit sie 
ein Leiden sind, nicht unbedingt beseitigt (V. L. 3. 
L. 4. E.), so bewirkt sie doch, dass sie den kleinsten 
Theil der Seele ausmachen (V. L. 14). Femer erzeugt 
diese Erkenntniss die Liebe zu dem unveränderlichen und 
ewigen Gegenstande (V. L. 15), dessen wir in Wahrheit 
mächtig sind (II. L. 45), und deshalb kann sie dorch 
die Fehler, mit welchen die gemeine Liebe behaftet ist, 
nicht verunreinigt werden , sondern sie muss immer mehr 
zunehmen (V. L. 15), den grössten Theil der Seele er- 



V. Theil. Von der menschlichen Freiheit. 245 

füllen (V. L. 16) und sie in weiter Ausdehnung er- 
regen. ^) 

Damit habe ich das beendet, was das gegenwärtige 
Leben angeht. Denn man wird leicht bemerken, dass, 
wie ich im Beginn dieser Erläuterung gesagt, ich mit 
diesem Wenigen alle Mittel gegen die Affekte erschöpft 
habe, sobald man beachtet, was in dieser Erläuterung 
und bei den Definitionen der Seele und ihrer Affekte 
und endlich zu III. L. 1. 3. gesagt worden ist. Es ist 
daher nun Zeit, dass ich zu dem übergehe, was die Dauer 
der Seele, ohne Beziehung auf den Körper, betrifft. 

L. 21. Die Seele kann nur während der Dauer 
i/ires Körpers sich etwas bildlich vorstellen und der 
vergangenen Dinge erinnern, 

B. Die Seele drückt nur während des Bestehens 
ihres Körpers die wirkliche Existenz^ ihres Körpers aus 
und fasst nur während dem die Erregungen ihres Körpers 
als wirkliche auf (11. L. 8. Z.) ; folglich stellt sie keinen 
Körper als wirklich existirend vor (II. L. 26), als nur 
während der Dauer ihres Körpers, und folglich kann sie 
sich auch nichts bildlich vorstellen (II. L. 17. E.), noch 
an Vergangenes sich erinnern, als nur während ihr Kör- 
per besteht (H. L. 18. E.). «*) 

L. 22« In Gott giebt es jedoch nothwendig eine 
Vorstellung^ welche das Wesen dieses undjenes mensch- 
lichen Körpers unter der Form der Ewigkeit aus- 
drückt. 

B. Gott ist nicht bloss die Ursache von der Existenz 
dieses und jenes menschlichen Körpers, sondern auch von 
dessen Wesenheit (I. L. 25). Diese muss deshalb durch 
die Wesenheit Gottes nothwendig begriffen werden (I. 
A. .4), und zwar mit einer gewissen ewigen Nothwendig- 
keit (I. L. 16), und diese Vorstellung muss nothwendig 
in Gott sein (II. L. 3). 

L. 23« Die menschliche Seele kann nicht durch- 
aus mit dem Körper zerstört werden , sondam es bleibt 
von ihr etwas y was ewig ist. 



246 V. Theil. Von der menschlichen Freiheit. 

■ 

B. In Grott giebt es nothwendig einen Begriff oder 
eine Vorstellung, welche das Wesen des menschliclien 
Körpers ausdrückt (V. L. 22), welche Vorstellung des- 
halb mit Nothwendigkeit etwas ist, was zum Wesen der 
menschlichen Seele gehört (II. L. 13). Aber man theilt 
der menschlichen Seele nur eine durch die Zeit l)e- 
stimmbare Dauer zu, so weit sie die wirkliche Existenz 
ihres Körpers, welche durch Dauer bezeichnet und zeit- 
lich bestimmt werden kann, ausdrückt, d. h. man ertheilt 
der Seele (in. L. 8. Z.) nur Dauer während der Dauer 
ihres Körpers. Da indessen doch dasjenige etwas ist, 
was mit einer gewissen ewigen Nothwendigkeit durch die 
eigene Wesenheit Gottes vorgestellt wird (V. L. 22), so 
wird dieses Etwas, was zum Wesen der Seele gehört, 
nothwendig ewig sein. 

E. Es ist, wie gesagt, diese Vorstellung, welche das 
Wesen des Körpers in der Form der Ewigkeit ausdrückt, 
ein bestimmter Zustand des Denkens, welcher zur Wesen- 
heit der Seele gehört, und welcher nothwendig ewig ist. 
Es ist indess unmöglich, dass wir eine Erinnerung von 
unserem Dasein vor dem Körper haben, da es im Körper 
keine Spuren davon geben, und die Ewigkeit weder durch 
die Zeit definirt, noch irgend ein Verhältniss mit der 
Zeit haben kann. Dessenungeachtet fühlen und er- 
fahren wir, dass wir ewig sind. Denn die Seele weiss 
ebenso die Dinge, welche sie im Erkennen sich vorstellt, 
als die, welche sie im Gledächtniss hat. Denn die Augen 
der Seele, durch welche sie die Dinge sieht und beobachtet, 
sind die Begründungen. 

Obgleich wir uns daher nicht erinnern, vor dem Kör- 
per existirt zu haben, so wissen wir doch, dass unsere 
Seele, insoweit sie das Wesen des Körpers in der Form 
der Ewigkeit enthält, ewig ist, und dass diese ihre 
Existenz durch die Zeit nicht erklärt und durch die 
Dauer nicht erläutert werden kann. Man kann deshalb 
von der Seele nur insoweit sagen, dass sie dauert, und 
ihre Existenz kann nur insoweit durch eine gewisse Zeit 
ausgedrückt werden, als sie die wirkliche Existenz des 
Körpers enthält, und als sie insoweit allein die Macht 
hat, die Existenz der Dinge durch die Zeit zu messen 
und sie als Dauer aufzufassen. ^^) 



V. Theil. Von der menschlichen Freiheit. 247 

L. 24. Je mehr man die einzelnen Dinge er- 
kennt, desto mehr erkennt man Gott. 

B. Dies erhellt aus I. L. 25. Z. 

L. 25« Das höchste Streben der Seele und die 
höchste lugend ist, die Dinge in der dritten Art des 
Wissens zu erkennen, 

B. Die dritte Art des Wissens schreitet von der zu- 
reichenden Vorstellung einiger Attribute Gottes zur zu- 
reichenden Kenntniss des Wesens der Dinge fort (II. 
L. 40. E. 2). Je mehr man die Dinge so erkennt, desto 
mehr erkennt man Gott (V. L. 24), und deshalb ist die 
höchste Tugend der Seele (IV. L. 28), d. h. die Macht 
oder Natur der Seele (IV. D. 8), oder ihr höchstes Be- 
streben (in. L. 7), die Dinge in der dritten Art des 
Wissens zu erkennen. 

L, 26. Je fähiger die Seele zwr Erkenntniss der 
Dinge in dieser dritten Art des Wissens ist, desto 
mehr strebt sie, die Dinge in dieser Art des Wissens 
zu erkenneil, 

B. Dies erhellt von selbst; denn so weit man sich 
die Seele vorstellt als fähig, die Dinge in dieser dritten 
Art des Wissens zu erkennen, insoweit stellt man sich 
dieselbe auch vor als bestimmt zu dieser Erkenntniss; 
folglich begehrt die Seele sie um so mehr (III. D. 1), 
je fähiger sie dazu ist. ^*) 

L. 27. Aus dieser 'dritten Art des Wissens ent- 
springt die höchste mögliclie Seelenruhe, 

B. Die höchste Tugend der Seele ist, Gott erkennen 
(IV. L. 28) oder in der dritten Art des Wissens ein- 
zusehen (V. L. 25). Diese Tugend wird um so grösser, 
je mehr die Seele in dieser Wissensart die Dinge erkennt 
(V. L. 24); mithin erreicht der, welcher die Dinge in 
dieser Wissensart erfasst, die höchste menschliche Voll- 
kommenheit und wird folglich von der höchsten Eröh- 
lichkeit erfüllt (III. D. 2), und zwar begleitet von den 
Vorstellungen seiner und seiner Tugend (Ö. L. 43). Mit- 
hin entspringt aus dieser Art der Erkenntniss die höchste 
Seelenruhe, die möglich ist (HI. D. 25).«'') 



248 ^' Theü. Von der menschlichen Freiheit. 

L« 28. DcLs Strebefi oder Bekehren , die Dinge 
in dieser dritten Art des Wissens zu erkennen , kam 
nicht aus der ersten Art des Wissens entspringen, 
aber wohl aus der zweiten Art 

B. Dieser Lehrsatz ist durch sich selbst klar. Denn 
was man klar und bestimmt erkennt, das erkennt man ent- 
weder durch sich oder durch ein Anderes, welches durch 
sich vorgestellt wird, d. h. die Vorstellungen, welche in 
uns klar und bestimmt sind, oder welche zur dritten Art 
des Wissens gehören (IL L. 40. E. 2), können nicht aus 
verstümmelten oder verworrenen Vorstellungen hervor- 
gehen, welche zur ersten Art des Wissens gehören (E 
L 40. E. 2), sondern nur aus zureichenden Vorstellungen, 
d. h. aus der zweiten und dritten Art des Wissens (H. 
L. 40. E. 2), und deshalb kann das Streben nach £r- 
kenntniss in der dritten Art des Wissens nicht aus der 
ersten, wohl aber aus der zweiten Art des Wissens ent- 
springen (in. D. 1).W) 

L. 29« Alles y was die Seele in der Form der 
Evoigkeit erkennt, erkennt sie nicht dadurch, dass sie die 
gegenwärtige wvrkUeJie Existenz des Körpers e7*/a8stj 
sonde^'n dadurch, dass sie das Wesen des Körpers in 
der Form der Ewigkeit erfasst 

B. So weit die Seele die gegenwärtige Existenz ihres 
Körpers erfasst, insoweit stellt sie auch eine Dauer vor, 
welche nach der Zeit gemessen werden kann, und inso- 
weit hat sie nur die Macht, die Dinge mit Beziehung 
auf die Zeit vorzustellen (IL L. 26. V. L. 21). Aber 
die Ewigkeit kann durch die zeitliche Dauer nicht er- 
klart werden (I. D. 8), mithin hat die Seele insoweit 
nicht die Macht, die Dinge in der Form der Ewigkeit 
zu erfassen, sondern sie hat diese Macht, weil es zur 
Natur der Vernunft gehört, die Dinge in der Form der 
Ewigkeit zu erfassen (11. L. 44. Z. 2), und weil es zur 
Natur, der Seele gehört, das Wesen des Körpers in der 
Form der Ewigkeit zu erfassen (V. L. 23) und ausser 
diesen Beiden nichts weiter zu dem Wesen der Seele 
gehört (IL L. 13). Mithin gehört diese Macht, die 
Dinge in der Form der Ewigkeit aufzufassen, nur inso- 



V. Theil. Von der menschlichen Freiheit. 249 

weit zur Seele, als sie das Wesen des Körpers in der 
Form der Ewigkeit auffasst. 

E. Die Dinge werden von uns in zwiefacher Weise 
als wirkliche aufgefasst, entweder insoweit wir sie uns 
vorstellen mit Beziehung auf eine bestimmte Zeit und 
Art, oder als in Gott enthalten und aus der Nothwendig- 
keit seiner göttlichen Natur folgend. Die auf diese 
zweite Art als wahr und wirklich aufgefassten Dinge 
werden in der Form der Ewigkeit aufgefasst, und ihre 
Vorstellungen enthalten das unendliche und ewige Wesen 
Gottes, wie II. L. 45. und E. daselbst gezeigt wor- 
den ist. 8») 

L. 30. So weit unsere Seele sich und den Kör- 
per in der Form der JEvrigkeit kennt j insoweit hat 
sie nothwendig die Erkenntniss Gottes und weiss, dass 
sie in Gott ist und durch Gott vorgestellt vnrd, 

B. Die Ewigkeit ist Gottes Wesen selbst, so weit 
dieses die nothwendige Existenz einschliesst (I. D. 8). 
Daher ist die Erkenntniss der Dinge in der Form der 
Ewigkeit die Erkenntniss derselben, so weit sie durch 
das Wesen Gottes als seiende Dinge aufgefasst werden, 
d. h. so weit sie durch das Wesen Gottes die Existenz 
enthalten. Daher hat unsere Seele, so weit sie sich und 
den Körper in der Foim der Ewigkeit auffasst, noth- 
wendig die Erkenntniss Gottes und weiss u. s. w. *•) 

L« 31t Die dritte Art des Wissens ist bedingt 
von der Seele, als der wirklichen Ursache y insoferß^ 
als die Seele selbst ewig ist. 

B. Die Seele erfasst in der Form der Ewigkeit 
nichts, sofern sie nicht das Wesen ihres Körpers in der 
Form der Ewigkeit erfasst (V. L. 29), d. h. nur inso- 
weit sie ewig ist (V. L. 21. 23). So weit sie aber ewig 
ist (V. L. 30), hat sie die Erkenntniss Gottes, welche 
nothwendig zureichend ist (II. L. 46); mithin ist die 
Seele, soweit sie ewig ist, zur Erkenntniss von Allem 
geschickt, was durch diese gegebene Erkenntniss erlangt 
werden kann (II. L. 40), d. h. zur Erkenntniss der Dinge 
in der dritten Art des Wissens (II. L. 40. E. 2), und 
deshalb ist die Seele, so weit sie ewig ist, hiervon die 
zureichende oder wirkliche Ursache (III. D. 1). 



250 V. Theil. Von der menschlichen Freiheit. 

E. Je mehr also Jemand in dieser Axt der Erkeimt- 
niss stark ist, desto besser kennt er sich und Gott, d. h. 
desto vollkommener nnd glücklicher ist er, wie ans dem 
Folgenden noch deutlicher hervorgehen wird. Wenngleich 
wir also gewiss sind, dass die Seele ewig ist, so weit 
sie Dinge in der Form der Ewigkeit auffasst, so wollen 
wir doch, um das Darzulegende fassbarer und vorstand- 
licher zu machen , die Seele so betrachten , wie es 
bisher geschehen ist, als ob sie einen Anfang im Sein 
hätte und einen Anfang in der Erkenntniss der Dinge 
unter der Form der Ewigkeit. Es wird dies ohne Gefahr 
eines Irrthums geschehen können, sofern wir sorgfaltig 
Acht haben, nur aus klaren Vordersätzen Schlüsse zu 
ziehen. *^) 

L. 32. Was man in der dritten Art des Wissens 
erkennt, da/i*an erfreut man sich, und zwar begleitet 
von der Vorstellung Gottes j als Ursache. 

B. Aus dieser Art der Erkenntniss entsteht die höchste 
mögliche Seelenruhe oder Fröhlichkeit (III. D. 25), nnd 
zwar begleitet von der Vorstellung seiner (V. L. 27) 
und mithin auch begleitet von der Vorstellung Gottes, 
als Ursache (V. L. 30). 

Z. Aus der dritten Art des Wissens entsteht noth- 
wendig die geistige Liebe zu Gott. Denn aus dieser Art 
der Erkenntniss entsteht eine Fröhlichkeit, begleitet von 
der Vorstellung Gottes , als Ursache (V. L. 31) , d. h. 
die Liebe zu Gott (III. D. 6), nicht insofern wir ihn als 
gegenwärtig bildlich vorstellen (V. L. 29), sondern sofern 
wir Gott als ewig seiend erkennen (V. L. 29), und dies 
ist es, was ich die geistige Liebe zu Gott nenn«. 

L« 33. Die geistige Liehe zu Gott, welche aus 
der dritten Art des Wissens entsteht, ist ewig. 

B. Denn die dritte Art des Wissens ist ewig (Y. 
L. 31. u. I. A. 3). Folglich ist die Liebe, welche aus 
ihr entspringt, auch nothwendig ewig (I. A. 3). 

E. Obgleich diese Liebe zu Gott keinen Anfang hat 
(V. L. 33), so hat sie doch alle Vollkommenheiten der 
Liebe ebenso, als wenn sie entstanden wäre, wie V. L. 
32. Z. angenommen worden ist. Es ist hier kein Unter- 
schied, ausser, dass die Seele dieselben Vollkommenheiten, 



V. Theil. Von der menschlichen Freiheit. 251 

welche wir dort als hinzutretend angenommen haben, von 
Ewigkeit gehabt hat, und zwar begleitet von der Vor- 
stellimg Gottes, als ewiger Ursache. Wenn die Fröhlich- 
keit in dem IJebergange zu einer grösseren Vollkommen- 
heit besteht, so muss die Seligkeit sicherlich darin be- 
steben, dass die Seele mit der Vollkommenheit selbst 
begabt ist.**) 

L. 34« Die Seele ist nur^ so lange der Körper 
besteht, denjenigen Affekten unterworfen , welcJie ein 
Leiden entlialten. 

B. Die Einbildung ist ein Vorstellen, wobei die Seele 
den Gegenstand als gegenwärtig betrachtet (II. L. 17. E.), 
welche Vorstellung aber mehr den gegenwärtigen Zu- 
stand des menschlichen Körpers, als die Natur des 
fremden Körpers angiebt (II. L. 16. Z. 2). Daher ist 
der Affekt eine bildliche Vorstellung, soweit sie den 
gegenwärtigen Zustand des eigenen Körpers darstellt 
(in. Allg. Definition), und folglich ist die Seele nur 
während der Dauer ihres Körpers den Affekten, welche 
ein Leiden enhalten, ausgesetzt. 

Z. Hieraus ergiebt sich, dass keine andere Liebe, ausser 
der geistigen, ewig ist. 

E. Wenn man auf die gewöhnliche Meinung der 
Menschen Acht hat, so sieht man, dass sie zwar der 
Ewigkeit ihrer Seele sich bewusst sind, aber diese Ewig- 
keit mit der zeitlichen Dauer verwechseln und sie in das 
hildliche Vorstellen oder in das Gedächtniss verlegen. 
Was ihrer Meinung zufolge nach dem Tode bleibt. **) 

L. 35. Gott liebt sich selbst mit einer wnend- 
Ueken geistigen Liebe, 

B* Gott ist unbedingt unendlich (I. D. 6), d. h. 
Gottes Natur erfreut sich einer unendlichen Vollkommen- 
heit (II. D. 6), und zwar begleitet von der Vorstellung 
seiner (II. L. 3), d. h. von der Vorstellung seiner, als 
Ursache (I. L. 11. u. A. 1), und dies ist, was in V. 
L. 32. Z. die geistige Liebe genannt worden ist. '^) 

L, 36. Die geistige Liebe der Seele zni Gott ist 
Gottes eigene Triebe, durch welc/ie Gott sich selbst 
Uebt; nicht so weit er unendlich ist, sondern so weit 



252 V. Theil. Von der menschlichen Freiheit. 

er durch das in der Form der Ewigkeit erfoBste We^en 
der menschlicJien Seele dargelegt werden kann, d. h. 
die geistige Liebe der Seele zu Gott ist ein llieilder 
tmendlichen Liebe, womit Gott sich selbst liebt 

B. Diese Liebe der Seele gehört zn den Handinngen 
derselben (Y. L. 32. Z. u. in. L. 3.) und ist eine Hand- 
lung, wodurch die Seele sich selbst betrachtet, unter Be- 
gleitung der Vorstellung Gottes als Ursache (V. L. 32. 
Z.), d. h. eine Handlung, wodurch Gott, insoweit er 
durch die menschliche Seele dargelegt werden kann, sich 
selbst betrachtet (I. L. 25. Z. u. 11. L. 11. Z.), unter 
Begleitung der Vorstellung seiner. Mithin ist diese 
Liebe der Seele (V. L. 3ö) ein Theil der unendlichen 
Liebe, mit der Gott sich selbst liebt. 

Z. Hieraus ergiebt sich, dass Gott, insofern er sich 
selbst liebt, die Menschen liebt, und folglich, dass die 
Liebe Gottes zu den Menschen und die geistige Liebe 
der Seele zu Gott ein und dasselbe sind.**) 

£. Hieraus kann man deutlich erkennen, worin unser 
Heil oder unsere Seligkeit oder Freiheit besteht, nämlich 
in der beharrlichen und ewigen Liebe zu Gott oder in 
der Liebe Gottes zu den Menschen. Und diese Liebe 
oder Seligkeit wird in den heiligen Schriften nicht mit 
Unrecht Buhm genannt; denn mag diese Liebe auf Gott 
oder auf die Seele bezogen werden, so kann sie mit Itecht 
die Euhe der Seele genannt werden, welche sich in Wahr- 
heit von dem Euhme nicht unterscheidet (III. D. 25. 30), 
Denn so weit sie auf Gott bezogen wird, ist es die Pröhr 
lichkeit (V. L. 35) (wenn es noch gestattet ist, dieses 
Wort zu gebrauchen), unter Begleitung der Vorstellung 
Gottes, und dasselbe gilt, wenn diese Fröhlichkeit auf 
die Seele bezogen wird (V. L. 27). Weil femer das 
Wesen unserer Seele nur in der Erkenntniss besteht, 
deren Prinzip und Grundlage Gott ist (I. L. 15. u. TL 
L. 47. E.), so wird pun dadurch verständlich, wie und 
auf welche Weise unsere Seele nach ihrer Wesenheit 
und Existenz aus der göttlichen Natur folgt und fort- 
während von Gott abhängt. Ich habe dieses hier er- 
wähnen wollen, um an diesem Beispiel zu zeigen, wie 
viel jene Kenntniss der Einzeldinge, welche ich die intui- 
tive oder die dritte Art des Wissens genannt habe (II. 



V. Theil. Von der menschKchen Freiheit. 253 

Xi. 40. E. 2), vermag und die Erkenntniss des Allge- 
meinen überwiegt, welche ich die zweite Art des Wissens 
genannt habe. Denn obgleich ich im I. Theil überhaupt 
gezeigt habe, dass Alles und mithin auch die mensch- 
liclie Seele, von Gott nach Wesenheit und Existenz ab- 
liäiigig ist, so ist doch jener Beweis, obgleich er richtig 
und über allen Zweifel erhaben ist, doch für unseren 
Verstand nicht so überzeugend, als wenn dies aus der 
eigenen Wesenheit jeder einzelnen Sache, welche von 
Gott abhängig erklärt worden, gefolgert wird.'*) 

L. 37. Es gieht in der Natur nichts, was dieser 
geistigen Liebe entgegen ist oder sie aufheben könnte. 

B. Die geistige Liebe folgt nothwendig aus der 
Natur der Seele, sofern sie als eine ewige Wahrheit 
durch die Natur Gottes aufgefasst wird (V. L. 33. 29). 
Wenn es also einen Gegensatz gegen diese Liebe gäbe, 
so wäre dies ein Gegensatz gegen das Wahre, und mit- 
hin bewirkte das, was diese Liebe aufzuheben vermöchte, 
dass das Wahre falsch würde, was (wie von selbst klar 
ist^ widersinnig ist. Es giebt deshalb nichts in der 
Natur u. s. w.*'') 

E. Das Axiom im Th. IV. bezieht sich auf die Ein- 
zeldinge, sofern sie in Bezug auf eine bestimmte Zeit 
und Ort aufgefasst werden, worüber, wie ich glaube, 
Niemand zweifeln wird. 

L. 38. Je mehr Dinge die Seele auf die zweite 
und dritte Art des Wissens erkennt, desto weniger 
leidet sie von Affekten, die schlecht sind, und fürchtet 
desto weniger den Tod, 

B. Das Wesen der Seele besteht in der Erkennt- 
niss (IL L. 11); je mehr Dinge daher die Seele in der 
zweiten und dritten Art des Wissens erkennt, ein um 
so grösserer Theil von ihr erhält sich bleibend (V. L. 
29. 35), und folglich wird ein um so grösserer Theil 
nicht von Affekten erregt (V. L. 37), die unserer Natur 
zuwider sind, d. h. welche schlecht sind (IV. L. 30). 
Je mehr Dinge deshalb die Seele auf die zweite und 
dritte Art des Wissens erkennt, desto grösser ist ihr 
Theil, welcher unverletzt bleibt und deshalb weniger von 
den Affekten leidet. 



254 V. TheQ. Von der menschlichen Freiheit. 

£• Hiennit yersteht man das in lY. L. 39. E. Be- 
rührte, was ich in diesem Theile zn erklaren versprochen 
habe, nämlich, dass der Tod um so weniger schädlich 
ist, je grösser die klare und bestimmte Erkenntniss der 
Seele ist, und folglich, je mehr die Seele Gott liebt. 
Weil femer (V. L. 27) aus der dritten Art des Wissens 
die höchste mögliche Seelenruhe entspringt, so folgt, dass 
die menschliche Seele von solcher Art sein kann, dass 
das, was von ihr mit dem Körper untergeht (V. L. 21), 
im Vergleich zu dem, was von ihr bleibt, von kemer 
Erheblichkeit ist. Doch hierüber bald ausführlicher. •*) 

L. 39. Wer einen Körper hat, der zu Vielem 
geschickt iatj hat. eine Seele, deren grösster Theil 
ewig ist. 

B. Wer einen Körper hat, der geschickt ist, Vieles 
zu thun, wird von schlechten Affekten am wenigsten er- 
fasst (IV. L. 38), d. h. von Affekten, die unserer Natur 
zuwider sind (IV. L. 30), und er hat deshalb die Macht 
(V. L. 10), die Erregungen des Körpers zu ordnen und 
zu verbinden nach der Ordnung im Verstände, und mithin 
zu bewirken (V. L. 14), dass alle Erregungen des Kör- 
pers auf die Vorstellung Gottes bezogen werden, wodurch 
er von einer Liebe gegen Gott erfasst werden wird (V. 
L. 15), welche den grössten Theil der Seele einnehmen 
oder ausmachen muss (V. L. 16). Mithin hat er eine 
Seele, deren grösster Theil ewig ist (V. L. 33).' 

E. Weil der menschliche Körper zu sehr Vielem 
geschickt ist , so kann er unzweifelhaft von solcher Natur 
sein, dass er auf eine Seele sich bezieht, welche eine 
grosse Kenntniss ihrer und Gottes hat, und deren grösster 
oder vorzüglichster Theil ewig ist, so dass sie mithin den 
Tod nicht fürchtet. Damit indess dies deutlicher er- 
kannt werde, ist hier zu bemerken, dass wir in einer 
steten Veränderung leben, und je nachdem wir uns in 
das Bessere oder SchlechtiBre verwandeln, dadurch glück- 
lich oder unglücklich heissen. Denn wer von einem 
Kinde oder Knaben in eine Leiche sich verwandelt hat, 
heisst unglücklich, und umgekehrt wird es dem Glück 
zugeschrieben, wenn man die ganze Lebenszeit mit ge- 
sunder Seele in gesundem Körper hat verleben können. 
Und in Wahrheit hat, wer einen Körper wie ein Kind 



V. Theil. Von der menschlichen Freiheit. 255 

hat oder wie ein Knabe, der unr zn Wenigem geschickt 
ist, und hauptsächlich von äusseren Ursachen abhängig 
ist, eine Seele, die, für sich betrachtet, weder von sich, 
noch von Gott, noch von den Dingen etwas weiss; wer 
dagegen einen Körper hat, der zu Vielem geschickt ist, 
hat eine Seele, welche , für sich betrachtet, viel von sich, 
von Gott und den Dingen weiss. Wir müssen daher in 
diesem Leben vorzüglich darauf bedacht sein, dass der 
Körper der Kindheit, so weit seine Natur es gestattet 
und es ihm zuträglich ist, sich in einen andern ver- 
wandle, der zu Vielem geschickt ist, und der auf eine 
Seele sich beziehe, welche ihrer und Gottes und der Dinge 
am meisten bewusst ist; und zwar so, dass Alles, was 
zu ihrer Erinnerung oder ihrem bildlichen Vorstellen ge- 
hört, im Vergleich zu ihrer Erkenntniss, kaum von 
Erheblichkeit ist, wie ich bereits V. L. 38. E. gesagt 
habe. »») 

L, 40. Je mehr Vollkommenheit ein Ding he- 
sitzt, um so mehr handelt es, und um so weniger leidet 
es, und umgekehrt, je mehr es handelt, desto voll- 
kommener ist es, 

B* Je vollkommener ein Gegenstand ist, desto mehr 
Bealität hat er (II. A. 6), und folglich handelt er um so 
mehr und leidet um so weniger (III L. 3. E.); dieser 
Beweis gilt auch in umgekehrter Ordnung, und daraus 
folgt umgekehrt, dass ein Ding um so vollkommener ist, 
je mehr es handelt. 

Z, Hieraus ergiebt sich, dass der Theil der Seele, 
welcher sich erhält, mag er so gross sein, wie er will, 
besser als der übrige ist. Denn der ewige Theil der 
Seele ist der Verstand (V. L. 23. 29), durch den allein 
wir als handelnd gelten (III. L. 3); das aber, was, wie 
gezeigt, untergeht, ist das bildliche Vorstellen (V. L. 21), 
durch das allein wir leidend sind (HI. L. 3. und AUg. 
Definition), und deshalb ist jener, mag er so gross sein, 
wie er will, der vollkommnere. **•) 

£• Das ist es, was ich über die Seele, insofern sie 
ohne Beziehung auf die Existenz des Körpers aufgefasst 
wü:d, habe darlegen wollen. Es ergiebt sich daraus, so wie 
ans I. L. 21 und Anderem, dass unsere Seele, als erkennende, 



256 V« Theil. Von der menschlichen Freiheit. 

ein ewiger Zustand des Denkens ist, welcher dnrch einen 
andern ewigen Zustand des Denkens bestimmt wird; dieser 
wird wieder von einem andern bestimmt und so fort ohne 
Ende; so dass alle zugleich den ewigen und unendlichen 
Verstand Gottes ausmachen.*^) 

L. 41« Wenn wir auch nicht vmasteni dctss 
ivnsere Seele ewig ist, so würden wir doch die FVöm- 
migkeit und die Religion und überhaupt Alles ^ was 
sich nach der Darlegung in 21i, IV. auf die Seelen- 
starke und den Edelsinn bezieht, für das Höcliste 
halten. 

B. Die erste und einzige Grundlage der Tugend 
oder der richtigen Lebensweise ist die Sorge für seinen 
Nutzen (IV. L. 22. Z. L. 24). Um aber das zu be- 
stimmen , was die Vernunft für nützlich erklart, haben 
wir keine Bücksicht auf die Ewigkeit der Seele ge- 
nommen, die wir erst in diesem fünften Theil kennen ge- 
lernt haben. Obgleich wir also damals nicht wussten, 
dass die Seele ewig ist, so haben wir doch das für das 
Höchste geschätzt, was, wie gezeigt, sich auf die Seelen- 
stärke und den. Edelsinn bezog. Wenn wir daher 
jetzt diese Ewigkeit auch nicht wüssten, so würden wir 
doch diese Vorschriften der Vernunft für die höchsten 
halten. 

£. Die gewöhnliche Ansicht der Menge scheint eine 
andere zu sein. Denn die Meisten scheinen sich nur in- 
soweit für frei zu halten, als sie ihren Lüsten nachgehen 
dürfen, und sie meinen insoweit ihre Selbstständigkeit 
zu verlieren, als sie gehalten sind, nach den Vorschriften 
des göttlichen Gesetzes zu leben. Sie halten deshalb 
die Frömmigkeit und die Eeligion und Alles, was sich 
auf die Geistesstärke bezieht, für lästig und hoffen davon 
nach dem Tode frei zu werden und den Preis dieser 
Knechtschaft, d. h. dieser ihrer Frömmigkeit und Beli- 
gion, zu empfangen. 

Sie werden auch nicht bloss durch diese Hof&iung, 
sondern auch und vorzüglich durch die Furcht, nämlich 
dass sie nach dem Tode nicht mit schrecklichen Martern 
gestraft werden, bestimmt, dass sie nach der Vorschrift 
des göttlichen Gesetzes leben, so weit ihre Schwächlich- 
keit und ihre ohnmächtige Seele es vermag. Wohnte 



V. Theil. Von der menschlichen Freiheit. 257 

nicht diese Hoffnung und diese Furcht in den Menschen, 
und glaubten sie, die Seele ginge mit dem Körper untei-, 
und es stände den Elenden, mit der Last der Frömmig- 
keit Beladenen nicht ein längeres Leben bevor, so wür- 
den sie auf ihren eigenen Sinn zurück gehen und lieber 
wollen, dass Alles nach der Lust gr^i^ge, und dass sie 
lieber dem Glück als sich selbst unterthan wären. Solches 
scheint mir ebenso widersinnig, als wenn Jemand, weil 
er weiss, dass er durch gute Nahrungsmittel seinen Leib 
nicht in alle Ewigkeit erhalten kann, sich lieber mit Gift 
und tödtlichen Sachen sättigen wollte, oder weil er sieht, 
dass die Seele nicht ewig oder unsterblich ist, lieber ver- 
rückt sein und ohne Verstand leben wollte. Dieses ist 
so widersinnig, dass es kaum eine Erörterung verdient. **) 

L, 42* Die Seligkeit ist nickt der Ijohn der 
Tilgend, sondern die Tugend selbst y und man erfreut 
sich ihrer nicht j weil man die Ij&ste im Zawne hälty 
sondern weil man sich ihrer erfreut, kann man die 
Tjüste im Zaum /lalten, 

B. Die Seligkeit besteht in der Liebe zu Gott (V. 
L. 36. E.), welche Liebe aus der dritten Art des Wissens 
entspringt (V. L. 32, Z.), und deshalb muss diese Liebe 
(in. L. 59. u. 3j auf die Seele, so weit sie handelt, be- 
zogen werden, und so weit ist sie die Tugend selbst (IV. 
D. 8). Dies ist das Erste. 

Femer erkennt die Seele um so mehr, je mehr sie 
sich dieser göttlichen Liebe oder Seligkeit erfreut (V. 
L. 32), d. h. um so grössere Macht hat sie über die 
Affekte (V. L. 3. Z.), und desto weniger leidet sie von 
Affekten, die schlecht sind (V. L. 38). Folglich hat die 
Seele dadurch, dass sie sich dieser göttlichen Liebe oder 
Seligkeit erfreut, die Macht zur Hemmung der Lüste, 
weil die menschliche Macht über die Affekte nur in der 
Erkenntniss enthalten ist. Niemand geniesst deshalb die 
Seligkeit, weil er die Affekte gehemmt hat, sondern um- 
gekehrt, die Kraft, diese Affekte zu hemmen, entspringt 
aus der Seligkeit selbst.-**) 

£• Hiermit ist das beendet, was ich rücksichtlich der 
Macht der Seele über die Affekte und über die Freiheit 
der Seele habe darlegen wollen. Hieraus erhellt, wie 
viel der Weise den Unwissenden überwiegt und mächtiger 

Spinoxa, Ethilr. ^' 17 



258 V. Theil. Von der menschliclien Freiheit. 

als dieser ist, der nur von den Lüsten getrieben wird. 
Denn der Unwissende wird nicht allein von äusseren Ur- 
sachen auf viele Weise getrieben und erreicht nie die 
wahre Seelenruhe, sondern er lebt auch in Unkenntniss 
von sich, von Gott und von den Dingen, und so wie sein 
Leiden aufhört, hört auch sein Dasein auf; während da- 
gegen der Weise, als solcher, kaum eine Erregung in 
seinem Geiste empfindet, sondern in der gewissermassen 
nothwendigen Erkenntniss seiner, Gottes und der Dinge 
niemals aufhört, zu sein, mid immer der wahren Seelenruhe 
geniesst. Wenn auch der Weg, welchen ich, als dahin 
führend, aufgezeichnet habe, sehr schwierig erscheint, so 
kann er doch aufgefunden werden. Und allerdings mag 
er beschwerlich sein, weil er so selten gefunden wird. 
Denn wie wäre es möglich, dass, wenn das Heil bei der 
Hand wäre und ohne grosse Mühe gefunden werden 
könnte, dass es von Allen fast vernachlässigt würde? 
Indess ist alles Erhabene ebenso schwer, wie selten.**^) 

Ende der Ethik. ^«) 



Druck Ton Gebrfider Granert in Berlin. 



Philosophische Bibliothek 

oder 

Sammlung 

der 

Hauptwerke der Philosophie 

alter und neuer Zeit. 



Herausgegeben y beziehungsweise übersetzt, erläutert 
und mit Lebensbesehreibungen versehen 

von 

J. H. Y. Elrchmann. 



Fünfter Band. 
Erläuterungen zu Benedict von Spinoza's Ethik. 



•O- <>o0=rr0«O^)«ö«=«W^= 0»- 



Berlin^ 1869. 



Verlag von L. Hei mann. 

Wilhdlms- Strasse No. 91. 



Erläuterungen 



zu 



Benedict von Spinoza's 

Ethik 



von 



J. H. y. Slrchmann. 



-* ^>«0=»€5::@)cS5C=fl6ocJs ofl*. 



Berlin, 1869. 

Verlag von L. Heimann. 

Wilhelms > Strasse No. 91. 



Das Recht der üehenetzung tcird vorbehalten. 



Vorwort. 



Bei jedem philosophischen Werke besteht ein Zusammen- 
hang mit den Systemen seiner Zeit und der Vorzeit. 
Durch die Aufdeckung dieses Zusammenhanges wird un- 
zweifelhaft das Verständniss desselben gefördert; allein 
bei grösseren, systematischen Werken tritt die Bedeutung 
dieses Zusammenhanges zurück. Hier ist das Verständ- 
niss vor Allem aus ihnen selbst abzuleiten, und solche 
Werke haben das Eecht und die Macht, sich selbst zu 
erklären und zu ergänzen. ^Dies gilt vorzugsweise von 
der Ethik Spinoza's. Es ist deshalb schon in der 
Vorrede zu derselben dem Leser empfohlen worden, trotz 
der Schwierigkeiten des Anfangs in dem Studium des 
Werkes selbst auszuhalten und nicht zu schnell nach 
fremden Hülfsmitteln zu greifen. Deshalb schliessen sich 
auch die hier gegebenen Erläuterungen unmittelbar den 
emzelnen Definitionen und Sätzen des Werkes an, ohne 
eine, in das Geschichtliche und Dogmatische der damali- 
gen Philosophie eingehende Einleitung voranzuschicken. 

Das davon zum Verständniss einzelner Lehrsätze Un- 
entbehrliche ist bei diesen bemerkt; im Uebrigen wirkt 
dergleichen Einleitung eher schädlich als nützlich, da sie, 
anstatt zu dem Werke hinzuzufuhren, von demselben ab- 
führt und den Eifer des Lesers erkaltet, ehe er noch zur* 
Sache selbst gelangt. 

Da die Begriffe und die Methode in Spinoza^s Ethik 
dem Vorstellen der Gegenwart fem liegen, so haben die 
Erläuterungen hier mehr als sonst in das Einzelne ein- 
gehn müssen, und es müsste aus demselben Grunde sich 
eine fortlaufende Kritik damit verbinden, da nur durch 
Gegenüberstellung entgegengesetzter Ansichten der Sinn 
von Spinoza's Sätzen voll dargelegt werden kann. 

Eine solche Kritik kann einen dreifachen Standpunkt 
einnehmen. Sie kann sich formal oder inamanent halten, 
indem sie die Prinzipien oder die Methode des Werkes 



VI Vorwort. 

gelten lässt und nur prüft, ob die Ausführung danach 
folgerichtig und erschöpfend geschehen ist. Die Kritik 
kann aber auch eine materiale werden, wenn sie sich 
auf die Y^ahrheit dieser Prinzipien richtet und unter- 
sucht, ob die benutzten Mittel und Methoden geeignet 
sind, die Wahrheit zu erreichen. Die Kritik wird endlich 
spekulativ, wenn sie den gewöhnlichen Begriff der 
Wahrheit aufgiebt und diese selbst in das Werden nnd 
die Entwickelung hineinzieht. Einer solchen Kritik gilt 
schon jede logische Kategorie als wahr in Bezug auf die 
ihr vorgehenden und als unwahr in Bezug auf die ihr 
nachfolgenden Begriffe. Diese Auffassung überträgt sie 
auf die im Lauf der Zeit hervorgetretenen philosophischen 
Systeme; sie gelten ihr nur als ein Moment in der Ent- 
wickelung der Wahrheit selbst, die ihr ein Werdendes ist. 

Diese spekulative Kritik ist hier nicht geübt woilüen, 
weil nach realistischer Auffassung die Wahrheit, als die 
Uebereinstimmung des Wissens mit dem Sein, ewig nnd 
unveränderlich ist. Das, was wird und fortschreitet, ist 
nicht die Wahrheit, sondern das menschlicheWissen 
um die Wahrheit. Deshalb kann die Wahrheit nie fidsch 
und das Falsche nie wahr werden. Deshalb ist das, was 
heute die Ethik Spinoza's Falsches enthält, schon zu 
seiner Zeit falsch gewesen, und die Kritik kann höchstens 
darlegen, welche Umstände Spinoza zu diesem Falschen 
verleitet haben. Auch hat solches Falsche nur in so fern 
einen Werth für die Gregenwart, als es zeigt, auf welchem 
Wege die Wahrheit nicht erreicht werden kann. 

Es bleibt somit nur die formale und materiale Kritik 
als berechtigt, und diese ist in den nachstehenden Er- 
läuterungen geübt worden. Die formale ruht auf dem 
Fundamentalsatz vom Nichtsein des sich Widersprechen- 
den, und ihr Verfahren ist deshalb weniger bestritten. 
Die materiale Kritik bedarf dagegen noch eines Prinzips 
für die G^ewinnung des Seienden oder des Inhaltes. 
Hier gehn die Systeme weit auseinander, und ein Beweis 
für solche Prinzipien ist Unmöglich {E. 69). Die ma- 
teriale Kritik hat daher ihren unmittelbaren Werth nur 
für den, der ihre Prinzipien anerkennt; indess hat sie 
selbst für ihre Gegner einen mittelbaren Werth, da sie 
jedenfalls den Gesichtskreis erweitert. 

Spinoza^s Ethik hat bereits zahlreiche Beurtheilungen 



Vorwort. VII 

gefunden. Abgesehn von frühern Schriften sind der- 
gleichen von Jacobi, Herbart, Sigwart, Erdmann, 
Trendelenburg und Kuno Fischer geliefert worden, 
und k^zlich hat Dr. B. Avenarius eine verdienstliche 
Arbeit über die verschiedenen Phasen des Fantheismus 
innerhalb Spinoza's selbst geliefert. 

Jene Beurtheilungen beruhn zum grössten Theile auf 
den Prinzipien des Idealismus, nur Jacobi hat das Ge- 
fühl (Glauben) und Herbart realistische Auffassungen 
dabei zu Grttüde gelegt. Dagegen ist eine Kritik der 
Ethik im Sinne des reinen Eealismus noch nicht vor- 
handen. Ind^m eine solche hier geboten wird, kann sie 
vielleicht auch für die Gegner des Eealismus von Interesse 
sein, da kein philosophisches Werk so wie die Ethik 
Spinoza's geeignet ist, die Grundsätze des Eealismus 
durch Gegenüberstellung klar zu machen. 

Kein Werk lehrt so wie diese Ethik, dass das Den- 
ken für sich, trotz aller Schärfe und Konsequenz unfähig 
ist, das Seiende oder die Wahrheit zu erreichen. Je 
strenger es Spinoza versucht, desto mehr schwindet ihm 
der Inhalt unter den Händen; es bleibt ihm zuletzt nur 
ein künstliches Netz leerer Beziehungen, die dem Spiel 
des Denkens allerdings keinen Widerstand leisten, aber 
von dem Seienden keine Kunde geben. 

Diese Verwechslung der Beziehungsformen des Denkens 
mit den aus dem Wahrgenommenen abgeleiteten Begriffen des 
Seienden bestand schon bei den Scholastikern und bildet 
das charakteristische Kennzeichen der scholastischen 
Philosophie. Statt das Seiende auf dem mühsamen 
Wege der Beobachtung zu erforschen, trieb man das 
Spiel mit den Beziehungsformen bis in die feinsten Sub- 
tilitäten, ohne zu bemerken, dass man damit dem Seien- 
den um keinen Schritt näher kam. 

Auch Spinoza ist noch ganz in diesem Irrthum be- 
fangen, wie der erste Theil seiner Ethik zeigt, und selbst 
da, wo er in den späteren Theilen die Beobachtung des 
Seienden zu Hilfe nimmt, werden die Ergebnisse durch 
jene Ueberschätzung der leeren Beziehungen getrübt und 
entstellt. Indem ^e Erläuterungen vorzugsweise diesen 
Punkt im Auge behalten, war es möglich, Aufschlüsse zu 
bieten und Irrthümer auf ihre Quelle zurückzuführen, wie 
dies bisher noch nicht hat geschehen können. 



VIII Erklärung der Abkürznngen. 

Um Wiederholungen und eine zn breite Darstellung 
zu vermeiden, ist in den Erlänterungen für wichtigere 
Begriffe anf die Lehre vom Wissen Bezug genommen 
worden, welche als Einleitung in das Studium philoso- 
phischer Werke in B. I. der Philosophischen Bibliothek 
vorausgeschickt worden ist. 

Berlin, im Februar 1869. 



V. Kirchmann 



Erklärung der Abkärsuiigeii. 

D. bedeutet Definition. 

E. „ Erläuterung. 

A. „ Axiom. 
L. „ Lehrsatz. 
Z. „ Zusatz. 
Ln. „ Lehnsatz. 
H. ^ Heischesatz. 
S. „ Satz. 
Erkl. „ Erklärung. 

B. I. „ den ersten Band derPhilosophischenBibliothel. 

{E. 23) „ Seite 23 der Einleitung in das Studium phi- 
losophischer Werke im B. I. der Philosophi- 
schen Bibliothek. 

(Kr. 467) „ Seite 467 der Kritik der reinen Vernunft von 

Kant B. IL der Philosophischen Bibliothek. 

S. 104. , Seite 104 dieser Erläuterungen. 

Die Ziffern vor jeder Erläuterung beziehn sich auf die ihnen 
correspondirenden Ziffern der Ethik Spinoza's im IV. Band 
der Philosphischen Bibliothek. 

Aesthetik L 103 bedeutet Seite 103, Theil I. der Aesthetik 
auf realistischer Grundlage von J. H. v. Kirchmann. 
Berlin. 1868. 

Philosophie des Wissens 375 bedeutet Seite 375 der Philo- 
sophie des Wissens von J. H. v. Kirchmann. Berlin. 1864. 



V 



Erster Theil. 

Von Gott. 



1. Die DeberSOlirUt. Spiuoza hat sein Werk Ethik 
genannt; allein der Inhalt ergiebt, dafis er ein beson-^ 
deres Prinzip des Sittlichen neben dem Prinzip des 
Nutzens nnd der Selbsterhaltung nicht anerkennt. Spi* 
noza's Ethik kann deshalb nicht als eine solche im ge- 
wöhnlichen Sinne gelten (JE. 9. 95), sie ist mehr eine 
Philosophie der Natur und der Seele (E. 95). Der. erste 
Theil: »Von Gott« enthält die Philosophie der Natur; 
der zweite Theil: »Von der Seele« enthält die Philosophie 
des Wissens (JE, 95); der dritte Theil: »Von den 
Affekten« enthält die Philosophie der seienden Zu- 
stände der Seele, d. h. der (xefühle und Begehrungen 
(K 7); der vierte Theil: »Von der menschlichen Knecht- 
schaft« enthält die Lehre von dem Wider s^t reit der 
Gefühle und Begehren und von der Klugheit; der 
fünfte Theil: »Von der menschlichen Freiheit« enthält 
die Lehre von der Macht des Denkens über die Ge- 
fühle. Indess wird diese Eintheilung von Spinoza nicht 
streng innegehalten; so enthält der fünfte Theil auch die 
Lehre von der Unsterblichkeit der Seele^ Ebenso ist 
Spinoza durch seine geometrische Beweismethode an einer 
übersichtlichen Eintheilung und Folgeordnung des Inhalts 
gehindert. Er springt oft plötzlich von einem Gegen- 
stande weit ab, nur um in einem Lehrsatze die Unter- 
lagen zu dem Beweise eines späteren, 4er dem Gedanken- 
gange sich erst wieder anschliesst, zu gewinnen. 

2« D. L Der Ausdruck: Ur&ache seiner enthält 
in seinem Wortsinn einen Widerspruch; denn Etwas ka^n 

drl&ateraiigeii za Spinoza's Ethik. 1 



2 I. TheiL 2. (D. 1.) 

nicht zugleich Ursache und Wirkung dieser Ursache 
sein, d. h. es kann nicht sein vor seinem Sein, und es 
kann sich nicht erzeugen, ehe es existiri Man könnte 
deshalh meinen, dass mit diesem Worte nur das TJr- 
sachlose, das Nicht-Erzeugte bezeichnet werden 
solle ; allein der Ausdruck will mehr sagen als hlos eine 
solche Verneinung. Die idealistische Philosophie hat 
später den Begriff der Entwickelung daraus gebildet, 
wo dier Wirkung zwar sich von der Ursache unterscheidet, 
aber dabei doch mit der Ursache nur em und dasselbe 
bleibt, so dass das Ding durch seine Entwickelung nur 
seine eigne Natur offenbart und durch diese Entwicke- 
lung nicht zu einem Anderm wird. Dieser Begriff, den 
erst Hegel vollständig ausgebildet hat, ist bei Spinoza 
nur erst im Keime vorhanden. Spinoza nimmt jedoch in 
der Definition, die er hier von der »Ursache seiner« giebt, 
diesen Gedanken noch nicht auf, sondern giebt diesem 
Worte hier zunächst die ganz andere Bedeutung, wonach 
es nur die Untrennbarkeit des Wesens von der 
Existenz bezeichnet. Anselm von Canterbnry 
hatte zuerst behauptet, dass aus dem blossen Begriffe Gottes 
auch seine Existenz folge; Cartesius hatte diesen Satz, 
den man als den ontologischen Beweis Gottes be- 
zeichnet, aufgenommen, gebilligt und zu verstärken ge- 
sucht. Von Cartesius ist dieser Satz auf Spinoza über- 
gegangen, der ihn allgemein von jeder Substanz behaup- 
tet, indess mittelbar dann ebenfalls auf Gott beschränkt, 
weil nach Spinoza es keine Substanz ausser Gott giebt. 
Kant hat später die Nichtigkeit dieses Beweises dar- 
gelegt; und wenn auch Hegel wieder darauf zurück- 
gegangen ist, so erkennt die neuere Philosophie doch 
allgemein an, dass aus der blossen Vorstellung eines 
Gegenstandes in der menschlichen Seele nicht auf das 
Dasein desselben ausserhalb derselben geschlossen werden 
könne {E, 11). So selbstverständlich dies der Gegenwart 
selbst für den Gottesbegriff erscheint, so war doch zu 
Spinoza's Zeit die Philosophie noch zu sehr von den reli- 
giösen Vorstellungen durchzogen und getränkt, als dass 
die Ableitung des Seins Gottes aus seinem Begriffe 
der Philosophie nicht als etwas durchaus Natürliches nnd 
Zulässiges hätte gelten sollen. So ist denn auch Spinoza 
von der Wahrheit dieses Satzes durchdrungen und daher 



L Theü. 2. (D. 1.) 3 

erklärt es sich, dass er denselben in naiver Weise als 
Definition bietet, wahrend es doch vor Allem darauf 
angekommen wäre, die Wahrheit dieses Satzes zu be- 
weisen. 

Spinoza spricht in D. 1 vom Wesen (Essentta), ohne 
dessen Begriff näher zu entwickeln. In II. D. 2 giebt 
er zwar eine Definition vom Wesen; allein sie ist durch- 
aus formal, da sie nur die Untrennbarkeit des Wesens 
und der Sache aussagt, womit über die eigne Natur oder 
den Inhalt des Wesens kein Aufschluss gegeben ist 

Dennoch bildet der Begriff des Wesens einen 
der wichtigsten in de): Ethik Spinoza*s; ja, er ist be- 
deutender als der der Substanz; er zieht sich durch 
alle Theile der Ethik, während der der Substanz in dem 
3., 4. und 5. Theile nur selten hervortritt. Dieser Be- 
griff des Wesens ist von Spinoza aus der scholastischen 
Philosophie übernommen. Es wäre falsch, das Wesen 
als mit Begriff im heutigen Sinne identisch zu nehmen; 
unter Letzterem versteht man gewöhnlich eine nur vor- 
gestellte oder eine Mehreren gemeinsame Be- 
stimmung {E. 20); Spinoza unterscheidet aber die no- 
twnes universales und transscendentales sehr bestimmt 
von der Essentia und nimmt diese als ein Seiendes, 
was auch für eine einzelne Sache gilt, wie aus 11. L. 37 
und Y. L. 22 erhellt. Am besten erklärt das Wesen 
sich aus dem von Spinoza aufgestellten Gegensatz des 
bildlichen Yorstellens und des Erkennens im 
menschlichen Denken. Das Wesen kann nicht durch 
jenes, sondern nur durch dieses erfasst werden; es ist 
deshalb eine »ewige Wahrheit«, welche zwar Existenz 
hat, aber dennoch ausserhalb der Zeit steht, so 
dass eine zeitliche Dauer, ein Anfang oder Ende von dem 
Wesen jedes Dinges, das in Gott als eine ewige Wahr- 
heit ist, nicht ausgesagt werden kann. Man sehe hier- 
üher die Vorrede zu Th. IV. Allerdings ist auch damit 
kein Inhalt für den Begriff des Wesens gewonnen. 
Mher betrachtet erklärt sich dies daraus, dass das 
Wesen zu den Beziehungsformen gehört {E, 50), welche, 
da sie kein Bild des Seienden sind, deshalb auch keinen 
Inhalt haben, vielmehr sich beliebig jedem Inhalt an- 
fügen lassen. Es giebt deshalb auch kein Wesen ohne 
etwas Unwesentliches, und man wird dem Begriffe, den 

1* 



4 L TheiL 3. 4. (D. 2. 3.) 

Spinoza mit Wesen verbindet, am nächsten kommen, 
wenn man von dem einzelnen Gegenstande sein ITnwesent- 
licbes entfernt^ als welches Spinoza die zeitliche und von 
etwas Anderm verursachte Existenz desselben ansieht 

3. D» 2. Diese Definition des Endlichen und Un- 
endlichen ist sehwankend und dunkel. Die Grenze 
versteht man gewöhnlich nur von raumlich oder zeitlich 
Ausgedehntem; man sieht deshalb nicht ein^ wie ein Ge- 
danke ali solcher den andern begrenzen soll;; ja, wäre 
dies der Fall, so könnte es überhaupt keinen Gedanken 
des Unendlichen, geben, was gegen* Spinoza wäre. Spinoza 
kam zu dieser Auffassung dadurch, dass er die Grenze 
nur als Beziehung fasste, d. h. als Verneinung. Damit 
hangt sein Satz zusammen, dass alle Bestimmung (deter- 
minatio) eine Yemeinung sei (E. 35). So aufgefasst ist 
nämlich ein, Aaderes gleicher Art nothwendig, wenn 
für das Erste eine Grenze entstehen soll. Allein die 
Grenze kann auch bejahend oder seiend au^efasst 
werden, welche Auffassung gewöhnlich mit der Vor- 
stellung des Bestimmten sich verbindet (^. 35). Dann 
ist zur Endlichkeit des Einen gar nicht das Dasein eines 
Andern gleicher Art nothwendig. Dies zeigt sich am 
deutlichsten bei den Qualitäten und Gestalten, 
welche mit der Grösse nichts. zu thun haben. So würde 
das Eoth endlich oder bestimmt bleiben, wenn es aucli 
keine andere Farben daneben gäbe; eben so würde das 
Dreieck endlich bleiben, wenn es auch keine andere Ge- 
stalten daneben gäbe. 

4. Hs 3. Die Substanz hat man für den wichtigsten 
Begriff in- der Philosophie Spinoza's erklärt. Indess 
macht Spinoza nur in dem ersten Theile einen häufigen 
Gebrauch davon, und selbst da wird dieser Begriff ebenso 
oft von der Ursächlichkeit verdrängt oder mit ihr ver- 
mischt. Eür das Verständniss der Ethik sind die Begriffe 
dos Handelns und der Freiheit, welche später folgen, 
viel wichtiger. Was die hier gegebene Definition der 
Substanz anlangt, so wird der Leser sagen, dass er sich 
bei diesem »In sich sein« nichts denken könne. Und 
in Wahrheit hat Spinoza durch diese Definition auch nur 
bestätigt, was im Band I. der Philosophischen Bibliothek 



I. TheiL 6. (D. 4.) 6 

(E. 47) ansgefüliTt worden ist, daes nämlich die Snbstans 
nicht der Begriff eines Seienden ist, sondern eine 1)10680 
Beziehung des Denkens. Nur deslbalb kiann man cricli 
darunter Nichts bildlich Torstellen, und nur deshalb kann. 
umgekehrt Alles und Jedes unter diese Vorstellung bezogen 
werden; man kann jede Sache in sich beträchten, aber 
auch auf Anderes bezieh en. — Der Begriff der Substanz, 
ähnelt dem Begriffe des Dinges mit seinen Eigenschaften 
und wird oft damit verwechselt. Weil man die Eigefö^ 
Schäften, das Bothe, das Harte, das Schwere nicht für 
sich allein wahraimmt, sondern immer in Verbindung mit 
Anderem, so gelten diese Eigenschaften als das tJnseB)st- 
ständige, was einem Anderen, dem Selbstdtändigen , in- 
härirt. Dies Letztere wurde damit die Materie, der 
Stoff und, als Beziehung, die Substanz. Substanz be* 
deutet deshalb das Selbstständige, das Beharrende, 
das keines Anderen zu seinem Sein Bedtüiftige^, während 
das Accidenz (Zustand, Modus) das ist, was nicht für 
sich bestehen kann. Wenn Spinoza weiter sagt: dass die 
Vorstellung der Substanz keiner anderen Vorstellung 
bedarf, so nimmt Spinoisa da.bei die Substanz als daB 
allen Dingen Gemeinsume, ohne das sie nicht vor- 
gestellt werden können. Die Mangel dieses G-edankens 
werden später dargelegt werden; hier ist nur zu erwäh- 
nen, dass diese Selbstständigkeit der Substanz mit ihrer 
Natur, als blosser Beziehungsform, fortwährend in Wider* 
Spruch geräth und Spinoza in grosse Schwierigkeiten ver- 
wickelt. Denn so wenig die Accidenzen ohne die Substanz 
bestehen können, so wenig kann es die Substanz für sich, 
ohne jene. Beide Begriffe sind die untrennbaren Stücke 
derselben Beziehungsform. 

Spinoza ist nur deshalb hier dunkel und unverständ- 
lich, weil er eben die Natur der Substanz, als einer 
blossen Beziehungsform, verkennt, und sie zu einem Seien* 
den gegen ihre Natur umwandeln will. 

5. D. 4. Der Begriff des Attributs hat viele An* 
griffe gegen Spinoza veranlasst, und man hat die mannig- 
fachsten Versuche gemacht, ihn zu rechtfertigen. Sind 
die Substanz und. die Accidenzen nur eine Beziehungs- 
form des Denkens, so kann allerdings kein drittes zwischen 
sie eingeschoben werden ; so wenig wie zwisdien Ursache 



6 L TheiL 6. (D. 5.) 

und Wirkung. Allein da diese Beziehungsfonn am 
Natur nach leer, d. h. ohne einen seienden Inhalt ist, 
Spinoza sie aber doch als ein Seiendes nimmt und be- 
hauptet, so war er zu dieser unnatürlichen Aushülfe ge- 
zwungen, und die Attribute büden bei Spinoza den 
seienden Inhalt, der der Substanz als solcher fehlt. 
Später wird die Ausdehnung und das Denken von Spinoza 
als dieser Inhalt eingefahrt. Die hier gegebene Definition 
des Attributs als »Wesen der Substanz c ist ebenso dunkel 
wie die vorgehende, weil das Wesen ebenfalls nur eine 
Beziehungsform isi(E. 50), und weil, da man dann das 
Unwesentliche auf die Accidenzen beziehen muss, för das 
Wesen nur die Substanz übrig bleibt, mithin der Unter- 
schied der Attribute von der Substanz selbst im Denken 
nicht festzuhalten ist. 

6. D. 5. Spinoza bezeichnet das Correlat der Substanz 
in seiner Ethik nicht mit dem gebräuchlicheren Wort 
Accidenz, sondern mit dem Wort Modus, was hier 
mit Zustand übersetzt worden ist. Der Modus um- 
fasst nicht blos die Eigenschaften, sondern auch die zeit- 
lich wechselnden Zustände. Aus dem 4ten von Spmoza s 
Briefen erhellt übrigens, dass er unter Modus dasselbe 
wie unter Accidenz versteht. 

Die hier gegebene Definition des »Zustandes« ist 
nur die umgekehrte der Substanz und so inhaltleer, wie 
diese. Dies bestätigt, dass es sich bei beiden um eine 
blosse Beziehungsform handelt, aber nicht um ein Seiendes; 
sonst hätten bejahende und seiende Bestimmungen von 
denselben ausgesagt werden können. 

In seinem 2ten Briefe giebt Spinoza ein Beispiel und 
sagt: »Die Ausdehnung ist ein Attribut; sie wird för 
»sich vorgestellt; aber nicht ihre Bewegung. Denn diese 
»wird in einem andern vorgestellt und ihr Begriff ent- 
»hält die Ausdehnung.« Dieses Beispiel zeigt, dass 
Spinoza Substanz und Zustand mit dem Allgemeinen und 
Besonderen verwechselt. Wenn auch in dem Besonderen 
das darin mit enthaltene Allgemeine nicht entbehrt werden 
kann, wie z. B. in dem Manne nicht der Mensch, so ist 
doch das, was das Allgemeine besondert, ein Neues, m 
dem Allgemeinen nicht Enthaltenes, und insofern sind 
beide Bestimmungen von emander unabhängig und können 



L Theü. 7. S. 9. (D. 6. 7. 8.) 7 

sogar die Stellen wechseln; so ist Gold ein Besonderes 
des Gelben und Gelb ein Besonderes des Goldes. In der 
Beziehungsform der Substanz und ihrer Zustände sind 
dagegen Beide untrennbar, und Keines kann ohne das 
Andere gedacht werden. 

7. D. 6. Spinoza giebt hier die Definition Gottes, 
als eine zunächst von ihm gebildete, deren Wahrheit erst 
später bewiesen werden soll. Diese Definition bietet für 
das Yerständniss dieselben Schwierigkeiten, wie die vor- 
gehenden. Der Grund ist, dass Spinoza blosse Be- 
ziehangsformen des Denkens gewaltsam in Begriffe des 
Seienden umwandeln wiU. Alles Seiende kann, auch selbst 
in seinem Begriffe, bildlich vorgestellt werden (E. 19), 
und selbst die Begriffe sind nur durch das in ihnen ent- 
haltene Wahrnehmbare oder Bildliche verständlich. Indem 
nun Spinoza dem Leser diese bildliche Ergänzung auch 
bei den Beziehungen zumuthet, und dieses doch in Folge 
ihrer Natur unmöglich ist, so entspringt daraus die 
Dunkelheit imd Unverständlichkeit der hier vorgetragenen 
Definitionen; denn auch die Definition Gottes ist, wie man 
leicht bemerken wird, aus lauter Beziehungen zusanmien- 
gesetzt, welche kein Seiendes bezeichnen. 

8. D» ?• Spinoza kennt keine Willkür, sondern nur 
Nothwendigkeit. Die Freiheit ist bei ihm nur eine 
Art der Kothwendigkeit, nämlich die, welche aus der 
eignen Natur des Gegenstandes folgt. So weit Jemand 
aus der Nothwendigkeit seiner eignen Natur handelt, 
handelt er nach Spinoza frei; unfrei, so weit diese Noth- 
wendigkeit von aussen kommt. Spinoza kommt auf diesen 
Punkt spILter ausführlicher zurück. Hegel hat genau den- 
selben Begriff der Freiheit von Spinoza übernommen. 

9. D. &• Die Ewigkeit ist bei Spinoza die zeit- 
lose Existenz. In E. 2 zu I. L. 33 sa^ Spinoza: »Da 
es in dem Ewigen kein Wenn und kein Vor und kein 
Nach giebt.« Dieser Begriff wird nur dann fassbar, 
wenn man die Zeit aus irgend einem Vorgestellten ganz 
abtrennt und entfernt. So geschieht es z. B. in den 
Lehrsätzen und Begriffen der meisten Wissenschaften; 
z. B. in der Logik, Geometrie, Moral u. s. w. Die Lehr- 
sätze dieser Wissenschaften enthalten keine Zeitbestim- 



8 I. TbeiL M. (A. 1) 

mwag m sidi nad gelten deskalb «Is ewige Walffheüen. 
Die Scholastiker and Spinoza geben diesen ewigen Wsäir- 
heiten eine besondere Existenz, und damit erreklien sie 
dwi Begriff ekier Existenz ausserhalb der Zeit, oder 
einer Ewigkeit ohne Zeitablaof. Dieser Begnff ist bei 
Spinoza sehr wichtig; denn diese ewigen, zeitlosen Wahr- 
heiten oder Gesetze büden nach Spinoza die Substaaz 
Gottes, während alles zeitliche Bestehn nnd Vergehn und 
alles Einzelne und Endliche zu Gottes Zuständen gehört. 
Indess beruht diese zeitlose Ewigkeit doch nur auf 
einem Abtrennen der Zeit innerhalb des Denkens; dass 
auch im Sein eine solche Abtrennung ausfuhrbar sei oder 
bestehe, ist damit nicht im Mindesten bewiesen (E. 19). 
Die Begriffe des Seienden bestehen nicht aussei^alb der 
einzelnen Dinge, sondern innerhalb derselben ; sie existiren 
also in eben so viel Exemplaren als diese, und dasselbe 
gilt von den seienden Verbindungen der Be^iffe oder 
von den Gesetzen. Deshalb ist ein solches Bestehen der 
Begriffe und Gesetze des Seienden, als ewiger Wahrheiten 
in der Perm der Substanz, gegentiber den einzelne Din- 
gen, als Zuständen jener, im Sein nicht vorhanden, und 
deshalb besteht eine JBwigkeit ohne Zeitablauf nur im tren- 
nenden Denken, nicht aber im Sein ; sie ist ein ens ima- 
gmarium in Spini^a's Sprache» für dessen WiiftlielÜLeit 
al]^ Anhalt fehlt. 

10. A« 1- Die vorstehend von Spinoza aufgestellten 
acht Definitionen sind als solche zu nehmen, welche 
Spinoza 2.unächst willkürlich .aufgestellt hat, und bei denen 
er den Beweis des Daseins von Gegenständen, welche 
ihnen entsprechen, sich nodi vorbehält. 

Es folgen nun die Axiome und die Lehrsätize. 
Beide unterscheiden sich von den Definitionen dadurch, 
dass sie die Wahrheit oder das Sein des von Ihnen Aus- 
gesagten behaupten, was in den Definitionen dahin ge- 
stellt bleibt. Bei den Axiomen wird diese Wahrheit 
als selbstverständlich oder unbeweisbar angenommen; 
wenn dagegen ein Satz si(^ nicht von selbstt versteht, so 
bildet er einen Lehrsatz, der daher for seine Wahrheit 
eines Beweises bed»rf. 

Alle besonderen Wissenschaften müssen von Axiomen 
ausgehen :{E. 92j; und Spinoza hat diese Me^ode, ke- 



I. Thefl. 11. 12. (A. 1. 2. 3.) 9 

beso&dere in Nacbahmtmg der Geometrie, hier anfgpenom* 
men; allein er verkennt dabei den unterschied der Phtlo* 
sopMe von den besonderen Wissenschaften. Während 
letetere zn solchen Annahmen nnd YoranssetzHugen wohl 
berechtigt sind, ist die Philosophie, als die höchste und 
allgemeiiiste Wissenschaft, dazu nicht berechtigt; sie miiss 
sich anf die letzten Fundamentsätze beschränken nnd 
darf Yon da aus nur in Lehrsätzen mit Beweisen weiter- 
gehen. Indem Spinoza dies verabsäumt, steht seine Phi- 
losophie nidit höher als jede Erfahrungswissenschaft und 
hat an seinen, aus der Erfahrung aufgerafften Axiomen 
eine höchst unsichere und anfechtbare Unterlage. 

U. A. 1 lUltf 2. Die Axiome 1 und 2 wiederholen 
nur die vorher gegebenen Definitionen der Substanz und 
der Zustände, und da sie sich nicht in seienden Be- 
dtimmungen, sondern in Beziehungen bewegt haben, 
so bieten auch diese zwei Axiome nur Tautologien. Jede 
Beziehung hat allemal zwei Begriffe (z. B. Wesen und 
Unwesentlich, Ursache und Wirkung, Substanz und Acci- 
denz); da die Beziehungen nun an sich ohne InhaH 
sind und für jedes Seiende angewendet werden können, 
80 erhellt, dass man von jedem Gegenstände sagen kann, 
er nmss, als Beziehung genommen, entweder das «ine 
oder das andere sein, z. B. entweder Ursache oder Wir- 
kung, entweder gleii^h oder ungleich, entweder Substanz 
oder Zustand. Allein da diese Beziehungen für sich ohne 
InhaH sind, so erhellt auch, dass dergleichen Sätze in 
der Erkenntniss der Dinge, die auf den Inhalt geht, 
nicht im Mindesten weiter führen. Ebendasselbe gilt von 
dem pomphaften Satze der späteren Wolf fischen Philo- 
sophie, dass von zwei oontradictorisch einander entgegen- 
gesetzten Prädikaten jeder Sache eines Ton beiden zu- 
kommen müsse. Auch dieser Satz ist, wie diese beiden 
Anomen des Spinoza, nur ein Spiel mit Beziehungs- 
formen, und nur wenn man, wie Spinoza, diese Bezi^ungs- 
formen mit den Begriffen des Spenden verwechselt, kann 
man meinen, damit in der Erkenntniss der Dinge vor- 
zuschreiten. 

12. A. 9. Ganz dasselbe gilt für dies dritte Axiom. 
Ursache und Wirkung sind untrennbar; aber sie sind 



10 L Thea 13. (A. 4.) 

eine blosse Beziehungsform im Denken» welche yom dem 
Sein der Dinge nichä aussagt (E. 41). 

13« A. 4* Dieses Axiom geht viel weiter als Axiom 3. 
Es bildet ein Qanptfandament zu den spätem Beweisen 
Spinoza's. Nach Spinoza kennt man die Wirkung, wenn 
man die Ursache kennt, und umgekehrt ist die Kenntniss 
der Wirkung ohne Kenntniss ihrer Ursache unmöglich. 
Soll dies nicht eine leere Tautologie mit A. 3 sein, so 
muss dieses A. 4 von den einzelnen Gegenständen 
gelten; man müsste also' danach, wenn man die Wanne 
an sich kennte, auch alle Wirkungen derselben kennen. 
In diesem Sinne ist aber A. 4 entschieden unwahr. Die 
Wirkungen der Einzelnen Dinge können nur durch. Be- 
obachtung festgestellt werden, und es kann ein Gegen- 
stand für sich, in seinem seienden Inhalte, nach seinen 
Bestandtheilen und Eigenschaften genau gekannt sein^ 
ohne dass man im Mindesten deshalb weiss, welche Wir- 
kungen sich jnit ihm verbinden. Es ist gerade die Auf- 
gabe der Naturwissenschaft, diese unbekannten Wirkungen 
der bekannten Ursachen zu entdecken, während, wenn der 
Satz Spinoza's richtig wäre, diese Wirkungen schon ans 
der Ursache allein logisch abgeleitet werden könnten. 

Spinoza nimmt zur Bechtfertig^ng seiner Ansicht eine 
Gemeinsamkeit zwischen Ursache und Wirkung an 
(I. L. 3). In seinem 4ten Briefe sagt er: »Wenn in der 
»Wirkung nichts Gemeinsames mit der Ursache wäre, so 
»würde die Wirkung Alles, was sie hat, von Nichts 
»haben.« Also ist nach Spinoza die Wirkung, so weit 
sie Wirkung ist, mit der Ursache jdentisch ; ein Satz, 
den auch Hegel von Spinoza übernommen hat. Es er- 
hellt indess, dass mit dieser Identität beider ihr Unter- 
schied und somit die ganze Beziehungsform yerschwindet. 
Ursache und Wirkung müsssen deshalb yerschieden sein, 
und eben deshalb ist das Werden der Wirkung, wie 
Spinoza richtig bemerkt, als seiender Vorgang, ein 
Werden aus Nichts, und das Werden der Wirkung aus 
der von ihr y^schiedenen Ursache ist eben nur ein Zu- 
satz des Denkens, d. h. eine blosse Beziehung (E, 40). 
Weil Spinoza dieses Werden aus Etwas für einen seien- 
den Vorgang nahm, und dieser Vorgang ihm bei dem 
Unterschied der Ursache von der Wirkung widersprechend 



I. TheiL 14. (A. 5.) 11 

erschien,' war er genöthigt, ein Gemeinsames (Commune) 
zwischen beiden anzunehmen, was Spinoza nicht näher 
bezeichnet, was aber nur ein Identisches sein kann. Nur 
dadurch wurde es Spinoza möglich, zu behaupten, dass 
die Eenntniss der Wirkung von der Eenntniss der Ur-- 
Sache abhänge, und dass in jener diese enthalten sei. 
Haben beide ein Gemeinsames (Identisches im Inhalte), 
so wfirde sich dißs allerdings Ton selbst verstehen. 

Diese falsche Auffassung wird dadurch bei Spinoza 
befestigt, dass er Ursache und Wirkung fortwährend mit 
Erkenntni$0grund und Folge gleich stellt, ja, verwechselt 
{E, 46). Die Conclusion beim Schluss entiiält allerdings 
nur eine W^iederholung des Obersatzes für einen beson- 
deren Fally und die Folge und der Beweis ruhen da auf der 
Identität. Allein das Seiende ist, wenn es als Wirkung 
gefasst wird, niemals identisch mit seiner Ursache. Die 
Lehrsätze in der Geometrie sind alles nur Folgen, aber 
nicht Wirkungen der vorgehenden Lehrsätze; denn 
sie wiederholen einfach diese Sätze fär besondere Fälle 
und Gestalten, bei denen die Hülfsconstruktionen der 
Beweise darlegen, dass die früheren Gestalten in den 
späteren enthalten sind, und deshalb das von jenen Be- 
wiesene auch von diesen gelten muss {E, 79). Indem 
Spinoza diese Identität in der Geometrie als Ursächlich- 
keit auffasst, kommt es, dass er zwischen Ursache und 
Wirkung dieselbe Gemeinsamkeit oder Identität behaup- 
tet, wie sie zwischen Grund und Folge besteht. Dieser 
fundamentale Xrrthum zieht sich durch alle seine Be- 
weise und genügt allein, ihre GüRigkeit zu erschüttern. 
Es ist ein Grundgedanke Spinoza's, die Welt mit ihren 
endlosen Dingen nur als eine logische Folge aus dem 
Wesen Gottes zu behandeln, welches Wesen er deshalb 
mit einer Definition vergleicht, aus der die einzelnen 
Dinge, ähnlich wie Lehrsätze, sich ableiten. 

14. A» 5. Dieses Axiom wird durch die vorstehende 
Erläuterung verständlich werden, so weit es bei der Un- 
klarheit der hier von Spinoza benutzten Begriffe möglich 
ist. Man kann einen Begriff und seinen Gegenstand in 
Theile, Eigenschaften oder Elemente zulegen, und was 
dann von diesen Trennstücken an sich gilt, gilt von ihnen 
auch in ihrer Verbindung mit Anderem. So gelten die 



12 I. TheiL M. 19. (A. 6. 7.) 

Lehrsätze des Dreiedces auch im Ijreise, so wcät im 
Kreise Dreiecke wieder auftreten. Issofem mag man M 
der Definition eines Gegenstandes sagen, die Vorsteilim- 
gen des Gegenstandes schliessen die Vorstellung seiner 
'Merkmale oder einzelner Bestimmungen ein. Allein 
Spinoza dehnt diesen Satz auf die Ursachen nnd Wir- 
kungen aus; hier ist er entschieden fklsch; die Vor- 
stellung der geffthlten W&rme schliesst z. B. niclrt die 
Vorstdlung der vergrösserten räumlichen Ausdehnung 
des Warmen ein; hier ist keine Gemeinsamkeit oder 
Identität; die Verbindung beider im Sein kann- nur durch 
Wahrnehmung festgestellt werden. Dennoch benutzt 
Spinoza später die fehlende Gemeinsamkeit zwischen ver- 
schiedenen Dingen zum Beweise, dass das eine nicht die 
Ursache des anderen sein könne. Ueberhaupt ist das 
Erkennen des einen durch ein u,n der es ein falscher 
Begriff. Jedes Seiende kann nur durch sicli selbst er- 
kannt werden; nur wenn Vorstellungen identisch sind, 
und nur so weit sie identisch sind, kann, wie bei dem 
logischen Schlüsse, das eine zur Erkenntniss des anderen 
benutzt werden. 

IS. A. 6. Dieses Axiom ist kein Axiom, sondern die 
alte Definition der Wahrheit. Da indess nach Spinoza 
zwiscben dem Gedanken und den Körpern gar keine Oe- 
meinschaft und kern Einfiuss besteht, so gilt diese Defi- 
nition der Wahrheit dem Spinoza nur als oine äusser- 
liche, und es wird sp|ter in der zureichenden (adäq^ua- 
fcen) Vorstellung ein ganz anderer Begriff der Wahrheit 
auftreten (II. D. 4). 

iS. A. 7. Dieses Axiom ist nur die Wiederholung 
der D. 1 in verneinender Form, und hat der ontologische 
Beweis keine Wahrheit, so hat au<* dieses Axiom keine 
Wahrheit. Es ist dieser Schluss vom Wissen auf das 
Sein bei Spinoza um so auffallender, als bÜde^ axK den 
verscMedenen Attributen des Denkens und der 'Ausdeh- 
nung beruhen und diese Attribute nacb Spinoza in gar 
keinem Einflüsse auf einander stehen. Spinoza konnte 
nur dadurch zu diesen Sätzen gelangen, dass hm ihm das 
Sein in seiner wahren, auf der Wahrnehmung beruhen- 
den Bedeutung (E. '66) fehlt. Bei Spinoza gflft das Sein 



L TbeiL 17. lt. (&.• 1. 2.) 13 

ebenso xou dem Gedanken wie von dem Körperlichan. 
Beides sind Attribute, die ein Sein enthalten, Ist dies 
der Fall, so hatte dies consequent festgehalten werden 
sollen^ und es hätte das Sein nicht wieder von dem Den- 
ken abgesondert werden sollen, und. Vorgänge und Zu- 
stande innerhalb des Denkens hätten nicht als Beweise 
für das Sein derselben von Spinoza benutzt wearden 
dürfen. Diese Unklarheit und Yerworrmheit in dem Be- 
griffe des Seins zieht sich durch das ganze System und 
ist von hier auch in die Philosophie Hegers über- 
gegangen. 

17. Lt 1. Mit L. 1 beginnen die Lehrsätze, welche 
sich nicht von selbst verstehen und deshalb von Spinoza 
mit Beweise versäbuen werden. Das Vor {prior) in L. 1 
ist zweideutig; ea kann ein Vor der Zeit nach oder dem 
Grunde nach bedeuten. In der Geometrie gehen die 
froheren Lehrsätze den spätem vor, im Sinne der Gründe, 
aber nicht der Zeit. Was Spinoza hier meint, bleibt un- 
gewiss. Aus dem Beweise, der sich blos auf die D. 3 
und 5 stützt, scheint zu folgen, dass Spinoz» kein zeit- 
liches Vor meint, sondern nur das Vor, welches der 
Substanz vermöge ihrer Selbstständigkeit gegenüber dem 
Accidenz zukommt. Allein dann enthielte dieser L. 1 
durchaus nichts Neues; das Vor wäre dann identisch 
mit dem In sich, und doch wird von diesem Vor in 
I. L. 5 ein höchst wichtiger Gebrauch gemacht. Diese 
Unklarheit ist die Folge der bereits gerügten Vermischung 
der Begriffe des Seienden mit den Beziehungsformen. 
Wäre die Substanz ein Seiendes, so Hesse es sich recht- 
fertigen, dass man sie von ihren Zuständen trennte, diesen 
voranstellte und unabhängig von ihnen machte; allein in 
Wahrheit ist die Substanz nur Beziehung und deshalb so 
wenig von ihren Accidenzen trennbar, wie die Ursache 
von ihrer Wirkung. 

18. L. 2. In diesem L. 2 kehrt die Zweideutigkeit 
des Wortes Gemein (commune) wieder. Man kann 
Spmoza entgegenhalten, dass er sich in diesem L. selbst 
widerspreche; denn indem die verschiedenen Attribute 
doch sämmtlich Attribute sind, haben sie eben damit ein 
Gemeinfiames,. so wie zwei Menschen in dem Begriffe des 



14 I. TheiL 19. 90. 91. (L. 3. 4. 5.) 

Menschen ihr C^meinsame^ haben , was zugleich ein 
Seiendes ist (E. 18). Spinoza ist jedoch in dieser Be- 
ziehung durchaus Nominalist; er erkennt kein Seüi solcher 
universalen Begriffe an; sie sind für ihn als NotionM 
transscendentales und unwersalea nur Erdichtungen des 
bildlichen Vorstellens ohne Wahrheit und Sein, wie er 
in n. L. 40 £. 1 näher ausfahrt. Dagegen hat das 
mehreren Gegenstanden Gemeinsame {Commune) bei 
Spinoza Wirklichkeit und Mdet die Essentia der Dinge. 
Dieses (remeinsame ist für Spinoza deshalb mehr als ein 
blos Begrifflich-Gleiches; es hat vielmehr die Natur eines 
Theiles oder Elementes oder einer Eigenschaft {E. 13. 14), 
und so kann Spinoza den L.' 2 festhalten, wonach ver- 
schiedene Attribute nichts unter sich gemein haben. 
Indess bleibt dieser, für die Philosophie des Sp. überaus 
wichtige Begriff des Gemeinsamen dennoch dunkel; eine 
Folge davon, dass Sp. die Natur und die Besondenmgen 
des Denkens nur sehr oberflächlich untersucht hat; das 
Nähere folgt zu ü. L. 40. * 

19. L. 3. Dieser Lehrsatz ist nur die Wiederholung 
der A. 4 und 5. Er enthält nichts Neues; dennoch tritt 
das Unwahre desselben erst in dieser Fassung deutlich 
hervor, wenn nicht die Begriffe von Ursache und Wirkung 
in einem Sinne genonmien werden, der von dem gewöhn- 
lichen völlig abweicht und den Sp. selbst nicht fest- 
halten kann. 

20. L. 4. Auch dieser Lehrsatz wiederholt nur die 
in dem Beweise angezogenen Definitionen uitd Axiome. 
Sonderbar ist dabei das Einschiebsel: »ausser der Er- 
kenntniss« (extra intelleetum). Wenn die Substanzen 
und Zustände Alles umfassen, so muss auch die Er- 
kenntniss oder der Yerstand des Menschen zu einem von 
beiden gehören; es ist dies auch nach Sp's. späteren 
Ausfahrungen der Fall,, und man sieht deshalb nicht, 
wie hier die Erkenntniss ausserhalb der Substanzen und 
Zustände gestellt werden kaim. 

21. L. 5. Erst in diesem L. 5 tritt ein Neues auf, 
was die bisherigen D. und A. nicht enthalten. In diesem 
Lehrsatz wird die Mehrheit der Substanzen gleichen Attri- 
buts geläugnet. Dies scheint auf den ersten Blick sehr 



I. Theo. n. iL. 5.) 1& 

sonderbar und wird nur yerständlich, wenn man bedenkt^ 
dass Sp. das Yereinzeltsein nach Ort and Zeit zn den 
Zuständen der Substanz rechnet. Ist dies der Fall, 
so müssen allerdings alle Körper nach Beiseitelassnng^ 
ihrer Zustände in eine unterschiedslose Substanz des Aus- 
gedehnten zusammen fallen, und Aehnliches mnss dann 
för die einzelnen Menschenseelen, als denkenden Wesen, 
gelten. Nun lässt sieh wohl eine solche Abtrennung des^ 
Ortes und der Zeit an jedem Seienden im Denken aus- 
führen, und darauf beruht auch die Einheit des Begriffes 
gegenüber der Vielheit setner Exemplare. Allem was im 
Denken ausführbar ist, ist es noch nicht im Sein (E, IB); 
deshalb findet im Sein ein solches Zusammensinken des 
Einzelnen in eine Substanz nicht statt; die Abtrennung- 
des Ortes und der Zeit ist hier unmöglich, und deshalb 
wird aus den Vielen auch nie die eine Substanz. 

Alle späteren Systeme haben deshalb diese von Sp. 
gesetzte Einheit der Substanz wieder Yerlassen. Leib- 
nitz machte jede Monade zu einer Substanz; aber da er 
Eaum und Zeit nur als Verhältnisse (Beziehungen) nahm, 
so konnte er sie nicht mehr durch die Verschiedenheit 
des Ortes und der Zeit unterscheiden {prvieipium in- 
diseemibilium) und er mussto deshalb den Unterschied der 
Monaden in ihre Vorstellungen legen. Kant hielt auch 
die Vielheit der Substanzen fest;" da ihm aber Raum und 
Zeit nur Formen der menschlichen Sinnlichkeit waren, 
so verschwand auch bei ihm die Möglichkeit, die Dinge 
an sich zu unterscheiden, und er war genöthigt, alle 
unterschiede des Wahrgenommenen nur als Erscheinung- 
zu nehmen. Dasselbe that Schopenhauer; die Vielheit 
der Seelen gegenüber dem einen Willen gehört bei ihm 
zur Erscheinung, d. h. zu dem Nicht-Seienden. 

Sp. konnte diese Wendung nicht nehmen; weil die^ 
Accidenzen oder Zustände bei ihm ein Seiendes und Wirk- 
liches, wie die Attribute und Substauieen sind, so blieb- 
ihm nur übrig, die Vielheit zu den Zuständen zu rech- 
nen. Hegel hält auch an der Einheit der Idee fest; 
allein er findet das Sein derselben in den vielen mangel- 
haften Exemplaren, welche erst in ihrer Gesammtheit die 
Idee darstellen; die Einheit der Idee im Sein geht da- 
durch verloren. Für Sp. war diese Einheit der Substanz 
das Höchste, und deshalb schiebt er die Vielheit in dier 



le I. Thefl.- 22. 2ii 24. (L. 6. 7. 8.) 

Zuatände derselben. 8p. thut so dem Sein Gewak an^ 
urahrend Hegel dem Denken Gewalt anthut. 

Was nun den Beweis anlangt, den Sp. för diesen 
Lehrsatz beibringt, so liegt seine Kraft in dem Y or (prior) 
des L. 1, und der Beweis gelingt nur scheinbar dmreh 
die Zweideutigkeit dieses Vor. Bezeichnet es nur das 
Yor der Ursache oder der Substanz dem Werthe naeh, 
so kann man dieses Yor zugeben; aber ein solches Yor 
bleibt untrennbar von seinem Nach (der Wirkung, 
dem Zustande), und kann deshalb zu dem Beweise des 
L. 5 nicht benutzt werden. Nur wenn man das Yor als 
ein zeitliches Yor nimmt, kann man die Zustande bei 
Seite lassen; nur dann k£um die Substanz sein ohne ihre 
Zustande, nur dann ist der Beweis richtig. Dieses zeit- 
liphe Yor ist aber in L. 1 nicht bewiesen und nach der 
Natur aller Beziehuagsfbrmen überhaupt bei ihnen un- 
möglich; deshalbrfftUt'^uch der hier gegebene Beweis. 

22. L. 6. Der Inhalt des Beweises dieses L. 6 liegt 
in den Definitionen der Ursache und des Gemein- 
samen in A. 4 und 5. Nach Sp. haben Ursache und 
Wirkung ein Gemeinsames; wo ein solches fehlt, ist des- 
halb eine Ursächlichkeit nicht möglich. Diesen Grund be- 
nutzt Sp. in beiden von ihm gegebenen Beweisen; sie sind 
deshalb nicht unterschieden, wie Sp. meint. 

Das Irrthümliche dieser Auffassung ist oben in No. 13" 
und 18 dargelegt. 

23« L* 7« Man kann Sp. zugeben, dass die Substanz 
nicht hervorgebracht werden kann ; dann folgt doch nicht, 
dass sie etistiren muss; es bleibt das dritte, daas sie 
nicht existirt, weil sie eben nicht hervorgebracht werden 
kann. Man sieht also, dass in dem Beweise schon die 
Existenz vorausgesetzt ist, die erst bewiesen werden soU. 
Aber freilich war für Sp. die Substanz ein so Gewisses 
und Klares, dass ihre Existenz sich ihm von selbst ver» 
stand und er deren Erschleichung in diesem Beweise 
nicht bemerkte. 

24. L. 8* Hier benutzt Sp. den in D. 2 gegebenen 
Begriff des Endlichen und Unendlichen zum Beweis der 
Unendlichkeit der Substanz. Dieser Beweis ist logisch 
richtig; sein Mangel liegt nur in der Unwahrheit jener 



I. Theü. 24. (L. 8.) . 17 

Definition, die dabei als Prämisse benntzt wird. Wird die 
Grenze blos als Beziehung (Nicht dieses) genommen, 
so ist ein Zweites gleicher Natur zur Grenze und End-. 
lichkeit nothwendig, und der Beweis Sp's. ist richtig. Aber 
die Grenze oder Bestimmtheit ist auch ein Seiendes, 
wie in No. 3 dargelegt worden; insoweit ist die End- 
lichkeit nicht durch ein Zweites gleicher Natur bedingt 
und der Beweis falsch. Da es sich hier nun um das Sein 
der Substanz handelt, so ist es unzulässig, die Bezie- 
hungsformen des Denkens zu dem Beweise zu benutzen. 
In E. 1 wird das Unendliche als das Bejahende er- 
klärt und das Endliche nur als die theilweise Yerneinung 
jenes anerkannt. Es ist dies ein Hauptsatz der Philo- 
sophie Sp's. Diese Ansicht herrscht schon bei Plato; 
Sp. hat sie aus der scholastischen Philosophie übernommen 
und Hegel hat sie weiter zu entwickeln gesucht. Es 
hängt diese Auifassung des Unendlichen mit der Ver- 
wechslung der Beziehungsformen zusammen. Indem man 
deren Natur verkannte und sie als ein Seiendes nahm, 
war es leicht, das Unendliche als das wahrhaft oder 
allein Seiende zu behaupten. In Wahrheit ist aber alles 
wahrgenommene und alles vorgestellte Sein ein bestimmtes 
und somit ein Endliches ; weder da& Unendliche der Quan- 
tität noch der Qualität kann wahrgenommen oder auch 
nur seiend vorgestellt werden, wie in der Einleitung 
(E. 35) näher auseinandergesetzt worden ist. Das Un- 
endliche ist deshalb nur Beziehung, d. h. Yerneinung 
der Bestimmtheit, welche das Ursprüngliche ist. Bei der 
Grösse wird das Unendliche damit ein Grosses ohne Ende 
und bei der Qualität ein Seiendes mit allen Qualitäten, 
d. h. ohne irgend eine bestimmte Qualität. Da nun das 
Grössere und das Qualitätenreichere dem gewöhn- 
lichen Vorstellen leicht als das Höhere und Bessere gilt, 
so war es natürlich, dass man dieses Unendliche über 
das Endliche im Werthe stellte ; insbesondere war es das 
Ewige, das Unveränderliche, das Alle-Bealität-in-sich- 
Befassende, das Unbedingfte, was sich nun als das Höchste 
darstellte und damit zur Aufgabe der Philosophie wurde. 
In der Verblendung über den Werth dieses Absoluten 
übersah man, dass es für das menschliche Wissen nur 
aus Negationen entsprungen war,' und dass sein Dasein 
daher weder bejahend vorgestellt, noch für seine Wahr- 

Erläuternngeu zu Spinoza^s Ethik. 2 



18 I. TheiL 25. (E. 2 m L. 8.) 

» 
heit irgend eine GewäJhr beigebracht werden kann. Die 
Beligion kam diesem Spiel mit dem Absoluten unter- 
stützend zu Hülfe, und so wurde das Absolute, oder 
Unendliche, oder die Substanz oder die Idee das 
Ziel und der wichtigste Gegenstand der meisten philoso- 
phischen Systeme. Erst Kant bemerkte das Bedenkliche 
dieses Begriffes; indem er ausführt, dass die Kategorien 
ohne einen sinnlichen Stoff zu keiner Erkenntniss hin- 
reichen, hat er damit die Ahnung, dass diese Kategorien 
nur Beziehungsformen des Denkens sind, und dass das 
Seiende nicht durch das Denken, sondern nur durch das 
Wahrnehmen der Seele zugeführt werden kann. Kant 
fehlte nur in der Begründung dieses Satzes, und die Auf- 
gabe der Philosophie ist nicht, wie bei Hegel geschieht, 
zu Spinoza zurückzukehren, sondern den Gedanken Kant's 
bis zu seiner vollen Reinheit und Wahrheit fortzubilden. 
So lange die Philosophie mit dem Unendlichen beginnt 
oder diesem nachjagt, so lange verwandelt sie das 
Seiende in blosse Beziehungsformendes Denkens, und so 
lange spinnt sie sich in ein Netz leerer Gedankenfaden 
ein, wo sich vielleicht behaglich wohnen lässt, aber was 
dem Inwohner den Blick in die seiende Welt versperrt. 
Hiemach ist also vielmehr das Umgekehrte von der 
Erläuterung zu L. 8 die Wahrheit. Das Unendliche ist 
nur im Denken und auch da nur als Verneinung. Das 
Bestimmte, das Endliche ist das Seiende, das Bejahende 
und das Erste; nur wenn die Bestimmtheit, die Grenze 
in ihm verneint wird, kann die Vorstellung des Unend- 
lichen im Denken sich entwickeln. Deshalb wird auch das 
Unendliche in allen Sprachen nur durch verneinende Worte 
bezeichnet; selbst das Absolute hat in dem abschere^ 
ablösen, loslösen von der Bedingung, das Nicht in sicL 

25« B. 2 S511 L« 8. In dieser Erläuterung sucht 
zwar Sp. den L. 7 näher zu begründen, indess bleibt es 
im Grunde bei den vorgehenden Definitionen und Aus- 
führungen, nur in andern Wendungen. Alles dreht sich 
darum, dass, weil mit dem Begriffe der Substanz die 
Existenz als untrennbar verbunden gedacht werde, des- 
halb dieses vorgestellte Sein auch Wirklichkeit 
haben müsse. Diese Meinung hat die Philosophie Jahr- 
hunderte lang beherrscht, bis Kant den Irrthum aufzeigte. 



I. TheiL 26. 27. (L. 9. L, 10 B. E.) 19 

In dem zweiten Theile der Erläaterung wird an- 
erkannt, dass aus der Definition (Vorstellung) einer Sache 
die Anzahl ihrer daseienden Exemplare nicht folgt; dass 
mithin für diese Anzahl eine besondere Ursache vorhanden 
sein müsse. Man erwartet nun, dass Sp. zeigen werde, dass 
aber bei der Substanz das Dasein aus der Definition allein 
folge. Statt dessen dreht Sp. den Beweis um, indem er 
sagt: »Da es aber zur Natur der Substanz gehört, zu 
»existuren, so muss ihre Definition die Existenz ein- 
»schliessen, und folglich kann man aus ihrer Definition 
»die Existenz folgern.« Dies ist ein Schluss im Cirkel, 
so offenbar, dass man staunt, wie dem Sp. dies entgehen 
konnte. 

26« L« 9. In diesem Lehrsatz tritt der Begriff der 
Bealität zum ersten Male auf; er spielt bei Sp., wie in 
der scholastischen Philosophie, eine wichtige Solle. Den- 
noch giebt Sp. keine Definition davon. Er sagt nur: 
»Bealität oder Sein.» Allein das reine Sein hat keine 
GAde, keine Unterschiede; es ist überall Em- und Das- 
selbe (E, 66). <Es muss deshalb unter Eealität der In- 
halt des Seienden (die Qualitäten) verstanden werden, 
aber nicht der Inhalt der Zustande, sondern nur der In- 
halt der Attribute. Die Attribute ersetzen, wie früher 
unter No. ö erwähnt ist, den Inhalt, der in der Substanz 
als solcher fehlt; sie geben damit der Substanz gleich- 
sam die ßealität. In den Zuständen wird diese Bealität 
nicht vermehrt ; so vermehrt eine grössere Zahl der Men- 
schen* nicht die Bealität der Attribute, aus denen 4iese 
Menschen bestehen; so vermehren die Besonderungen des 
Denkens, wie das Vorstellen, die Erinnerujig, die Phan- 
tasie, das Wollen u. s. w., nicht die Eealität des Attributs 
des Denkens; dagegen vermehrt sich die Bealität einer 
Substanz, wenn sie zu dem Attribute der Ausdehnung 
noch das Attribut des Denkens erhält. In diesem Sinne 
ist der L. 9 zu nehmen. Wenn D. 4 als Beweis des- 
selben angeführt ist, so ist dies eine Täuschung; denn in 
dieser D. ist von Eealität keine Bede. 

27. L, 10 B. E. Auch der L. 10 dreht sich in 
leeren Beziehungen, und sein Beweis ist ungenügend. 
Weil die Attribute das Wesen der Substanz sind, so 

2* 



20 I. TheiL 28. {L. 11 B.) 

mnss das »in sich« und »durch sich«, was von der Snhstanz 
gilt, nach Sp. auch Ton den Attributen gelten. Allein 
bei einer Mehrheit der Attribute ist dieser Schluss zweifel- 
haft und logisch unzureichend. 

Widitiger ist das in der Erläuterung berührte Be- 
denken. Man kann Sp. zugeben, dass eine Substanz 
mehrere Attribute haben könne, allein es entstehen die 
Fragen: 1) Was bildet in solchem Falle das Band dieser 
Attribute, wodurch sie nur eine Substanz sind? 2) Wie 
kann man dann diese Attribute yon den Zustanden unter- 
scheiden? Auf beide Fragen fehlt bei Sp. die Antwort. 
Für die Zustande (Modi) folgt daraus, dass sie der 
einen Substanz inhäriren, ihre Einheit; gilt dieses 
Inhäriren auch für die Attribute, so werden sie allerdings 
dadurch eine Einheit, aber sie sinken dann durch dieses 
Inhäriren zu blossen Modis herab; will man aber dieses 
Inhäriren bei den Attributen nicht gelten lassen, so fehlt 
far sie das einende Band, und man sieht nicht ein, weshalb 
sie nur eine Substanz bilden. Aus diesem Dilemma kann 
Sp. nicht dadurch herauskommen, dass er diese Attribute 
für das Wesen der Substanz erklärt, denn dies berührt 
die Frage nach der Einheit nicht. Wesen ist selbst 
eine Beziehung, so leer wie jede andere; jedes Ding, jede 
Eigenschaft kann wesentlich oder unwesentlich sein, je 
nach dem Andern, auf das es bezogen wb-d (E. 50). 

28. L« 11 B. Da Sp. in L. 7 bereits die Existenz 
jeder Substanz bewiesen hat, so konnte es bei Lehrsatz 11 
nur darauf ankommen, zu beweisen, dass auch eine*V er- 
bindun g unendlich vieler Attribute zu einer Substanz, 
wie sie in Gottes Definition von Sp. gesetzt ist, existirt 
Das Existiren der Substanzen mit verschiedenen Attri- 
buten kann man Sp. zugeben; allein weshalb sollen alle 
diese Attribute in eine Substanz zusammenfliessen und 
nur als eine Substanz existiren? Dies hatte Sp. hier zu 
beweisen. Allein gerade diesen Beweis bleibt Sp. schuldig; 
er stützt den Lehrsatz 11 nur auf L. 7; aber dieser be- 
weist nur das Sein der Substanzen überhaupt, aber nicht 
das Sein einer Substanz mit allen Attributen. Dieser 
Mangel erklärt sich nur historisch. Das Dasein Gottes 
war bei Juden und Christen im 17. Jahrhundert noch so 
unerschüttert, dass man glauben konnte, es sei von dem 



I Theü. 29. 30. (B. 2 und B. 3, E. zu L. 11.) 21 

Begriffe untrennbar. Man konnte sich Gott nur als 
existirend denken. Bei Sp. ist dieser Satz, wie der Satz 
des Widerspruchs, ein Fundamentalsatz des Denkens, an 
dessen Wahrheit gar nicht gezweifelt werden kann. Des- 
halb bemerkt Sp. die Lücken in seinen Beweisen nicht. 
Jedem frommen Christen begegnet dasselbe noch heute; 
der religiöse Glaube, welcher auf der Autorität und den 
Gefühlen ruht, kann vermöge der in ihm enthaltenen 
Gewissheit leicht verleiten, diese Gewissheit oder per- 
sönliche Ueberzeugung mit der Wahrheit zu verwechseln, 
die doch nur aus den Fundamentalsätzen des Erkennens 
hervorgehen kann (JB. 65). 

29. B. 2 ZQ L. 11. Dieser zweite Beweis für das 
Dasein Gottes beruht darauf, dass auch jedes Nichtdasein 
seine Ursache haben müsse ; da nun eine Ursache für das 
Nichtdasein Gottes unmöglich sei, so bleibe nur sein Da- 
sein übrig. Das Nichts, wird hier wie ein Etwas oder 
Seiendes behandelt; deshalb wird es ohne Ursache nicht 
zugelassen. Es ist dies der höchste Grad von Verkennung 
der Beziehungsformen und ein warnendes Beispiel, bis 
wohin deren Verwechslung mit dem Seienden fahren 
kann. Im Nicht-sein liegt von selbst die fehlende 
Existenz, und es ist mithin verrückt, noch eine Ursache 
dafür zn verlangen. Uebrigens bleibt der Kern dieses 
indirekten Beweises derselbe, wie beim direkten Beweise; 
der Widerspruch, der als Widerlegung der Gegner dienen 
soll, entsteht erst, wenn mit der Substanz die Existenz 
als verbunden angenommen wird; allein dies ist gerade 
das zu beweisende Thema. 

30. B. 3 B. ZQ L. 11. Dieser dritte Beweis ent- 
hält den ontologischen Beweis Anselm's. Die wirk- 
liche Existenz gilt dabei als eine höhere Vollkommen- 
heit gegenüber der blos vorgestellten Existenz; Sp. 
nennt jenes Vermögen, dieses Unvermögen. Ein höchst 
vollkommenes (un'endliches) Wesen muss deshalb nach 
diesem Beweise auch das wirkliche Existiren an sich 
haben, da dies zur höchsten Vollkommenheit gehört. Die 
Sophistik dieses Satzes liegt darin, dass das wirkliche 
Sein als ein blosses Mehr des vorgestellten Seins be- 
handelt wird, während Beides der Art nach völlig ver- 



22 I. Theü. 31—34. (L. 12. L. 18 B., Z. u. E.) 

schieden und gar nicht vergleichbar ist. Jede noch so 
grosse Vollkommenheit im Sein kann anch in das Y er- 
st eilen aufgenommen werden; der Inhalt ist immer in 
beiden gleich vollkommen. Das, was sie unterscheidet, 
ist die Form des Seins und des Wissens, in welche dieser 
Inhalt gefasst ist. Yon diesen Formen ist die eine kein 
Mehr oder Weniger der andern, sondern sie sind reine 
Gegensätze und nur unterschieden. Selbst die höchste 
Steigerung des Inhaltes ändert nicht die Natur der 
Wissensform, in der er vorgestellt wird, und gestattet 
keinen Sshluss auf das Dasein dieses Inhaltes. 

31. Li 12. Man muss auch hier festhalten, dass nach 
L. 5 das Yertheiltsein der einen Substanz in verschiede- 
nen Orten und Zeiten nur zu den Zuständen der Sub- 
stanz gehört, also keine Theilung der Substanz selbst 
darsteUt. Dasselbe gilt von den verschiedenen Eigen- 
schaften. Daraus folgt schon, dass nach dem von Sp. 
aufgestellten Begriffe der Substanz eine Theilung* der- 
selben nur dann vorhanden wäre, wenn die Theilungr nach 
den verscdiedenen Attributen erfolgte. Die Unmöglich- 
keit einer solchen Theilung stützt Sp. nur auf L. 6, wo- 
nach keine Substanz von einer anderen hervorgebracht 
werden kann. Indess ist T heilen durchaus ein Anderes, 
wieHervorbringen; Sp. nennt es auch hier eonstttuere, 
während er es dort (L. 6) producei^e nennt. Selbst wenn 
L. 6 wahr wäre, würde er mithin hier nicht als Beweis- 
grund benutzt werden können. 

32. L. 13 B. Dieser L. soll die Dntheilbarkait 
Gottes beweisen; der Beweis ist logisch richtig, wenn 
L. 11, der dabei als Prämisse dient, wahr ist, was 
aber nach dem Obigen nicht der Fall ist. 

33. Zi ZQ L. 13. Man halte fest, dass das Yer- 
einzeltsein in Eaum und Zeit oder das Dasein in ver- 
schiedenen von einander getrennten Körpern nach Sp. 
nicht die körperliche Substanz als solche trifft, sondern 
nur ihre Zustände; dann wird das Yerständniss dieses 
Zusatzes keine Schwierigkeit haben. 

34. E. Zn L. 13. Auch dieser Beweis gilt nur far 
die Theilung der Substanz in gleichartige Theile, wo 



I. Theü. 35. 36. 37, (L. U B. Z. 2. L. 15 B.) 23 

jeder Theil dieselben Attribute enthält , aber nicht für die 
Theilung nach Attributen , wo jeder Theil ein anderes 
Attribut enthält. Hier würde kein Theil -die Unendlich- 
keit des andern beschränken, weil vorschiedene Attribute 
nach Sp. einander nicht beschränken. 

35. Li 14 B. Wenn Gott alle möglichen Attribute 
in sich vereinigt, so folgt nach dem Eröhern allerdings, 
dass neben ihm keine Substanz bestehen kann. Der 
zweite Theil des Lehrsatzes folgt daraus, dass im Sinne 
Sp's. die Vorstellung einer Substanz, ohne dass sie existirt, 
nicht möglich ist. 

36. Z. 2 Za L. 14. Wenngleich Gott nach Sp. 
unendlich viele Attribute in sich enthält, so hat doch 
die menschliche Seele nur die Vorstellung von zweien, 
welche Sp. später als Ausdehnung und Denken be- 
zeichnet (II. L. 1 und 2). Man erkennt darin leicht den 
Inhalt der Sinnes- und der Selbst- Wahrnehmung, so dass 
in dieser Beziehung Sp. mit der Auffassung des Bealis- 
mus (E, 9 No. 13) zusammentrifft. Hierauf beruht der Z. 2. 

37. L« 15 B. Der Beweis dieses Lehrsatzes ist lo- 
gisch richtig; seine materiale Wahrheit hängt aber von 
der der Prämissen ab und deren Mängel sind früher dar- 
gelegt. Abgesehen hiervon, liegt der Kern des in L. lö 
ausgesprochenen Gedankens in dem: »In Gott«. Es 
fr^ sich, wie ist dieses In vorzustellen? Für die Attri- 
bute ist bereits oben gezeigt, dass das einende Band, 
dieses In, fehlt. Für die Zustände liegt es in derlnhä- 
renz, womit sie einer Substanz anhaften. Aber auch 
diese Inhärenz giebt keine bildliche Vorstellung, son- 
dern bezeichnet nur eine Beziehungsform des Denkens 
(jB. 47). Insbesondere darf darunter nicht die Verbin- 
dung verstanden werden, in der die Eigenschaften und 
Zustände der seienden Dinge «u einem Gegenstande 
durch Aneinander und Ineinander geeint sind; denn 
nach Sp. inhäriren auch die einzelnen -Körper und Seelen 
trotz ihrer räumlichen und zeitlichen Trennung und 
Selbstständigkeit der göttlichen Substanz. Wie daher 
unter diesen umständen das In Gott als ein Seiendes 
vorgestellt werden soll, bleibt unerklärt, und doch ist für 
Sp. dies nöthig, weil er dieses Inhäriren als ein Seien- 



24 .1. Theo., 37. (L. 15 B,) \ 

des und nicht als eine blosse Beziehung des Benkens 
darstellt. Jede bildliche, ein Sein, eine Kraft n. s. w. 
bezeichnende Vorstellung, wie die Einheit des Ortes in 
Baum und Zeit, die Verbindung durch Kraft u. s. w., 
muss von diesem In abgehalten werden. Gescbieht dies, so 
bleibt für dieses In nur eine Beziehungseinheit (J5. 52), 
und der L. verliert f&r das Seiende seine Gültigkeit 

Wenn dessenungeachtet dieses „*Ey xai nav'* als der 
Gipfel aller Weisheit so oft gerühmt und gepriesen wor- 
den ist, so erklärt sich dies nur daraas, dass man eben 
dieser Einheit bildliche Vorstellungen und seiende 
Einheitsformen {E, 26) unterschob, oder dass man sich 
an dem Klange der Worte erfreute, ohne sich um den 
Sinn derselben zu kümmern. Die angebliche Ueberwin- 
dung des Dualismus durch Spinoza ist deshalb eine Täu- 
schung; es kommt immer auf die Einheit an, welche 
die Gegensätze heben soll. Verschwinden dürfen die 
Unterschiede dabei nicht, wenn nicht die Einheit zur 
todten Einerleiheit herabsinken soll; bleiben mithin 
die Unterschiede, so kommt es auf die Natur des sie 
einenden Bandes an, und hier bietet Sp. nichts weiter, 
als die längst bekannten Beziehungsformen der Substan- 
tialität und Causalität, bei denen er noch den Fehler be- 
geht, sie als Einheiten zu nehmen, die im Sein bestehen, 
während sie doch nur im Denken gelten« 

Die Leerheit dieser Spinozistischen Einheit ergiebt 
sich auch daraus, dass damit für die Erkenntniss der 
seienden Welt, ihres Inhaltes und Beichthums und ihrer 
Stellung zu dem seienden Gott nicht das Mindeste ab- 
geleitet werden kann. Es bleibt immer bei dem leeren In. 

Da nicht blos die Attribute, sondern auch die Zu- 
stände zur Substanz gehören (D. 4. 5), so entJiält dieser 
Lehrsatz die Identität von Gott und der Welt oder den 
Pantheismus in seiner strengsten Bedeutung. Es ist des- 
halb der von Hegel angeregte Streit, ob Sp. den Atheis- 
mus oder den Akosmismus lehre, ein blosser Wortstreit. 
Inwieweit Sp. dennoch Gott und die Welt wieder unter- 
scheidet, wird sich später ergeben. Im Allgemeinen ist 
klar, dass der Gott Sp*s. sich gänzlich von dem Gott der 
jüdischen und christlichen Beligion unterscheidet; die 
Beibehaltung des blossen Wortes: Gott kann deshalb 
hier gar nichts entscheiden. Wenn der Gott der.Beligio- 



L Theä 38. (E. za L. 15.) 25 

nen aus Elementen des Wahrgenommenen durch die im 
Dienste der Gefühle stehenden Phantasie gebildet worden 
ist, so ist umgekehrt der Gott Sp^s. das Gebilde eines 
reinen , in lanter Beziehnngsformen sich bewegenden Den- 
kens. Wenn der Gott der Religionen des Beweises seiner 
Wahrheit entbehrt, so hat er doch wenigstens die bild- 
liche Yorstellbarkeit für sich ; der Gott Sp*s. ist aber als 
seiender nicht einmal vorstellbar) weil er aus lauter 
Beziehnngsformen besteht. Aus diesem Grunde kann er, 
selbst philosophisch betrachtet, noch weniger Anspruch 
auf Dasein machen, wie der Gott der Beligionen. 

38« B. SQ L. 15a Diese Erläuterung ist nur wich- 
tig für Sp's. Begriff der Substanz. Er erkennt eine 
körperliche Substanz an, leugnet aber ihre Theilbar- 
keit. Dies widerspricht der gewöhnlichen Vorstellung 
Yon Körper und Baum; insbesondere kann die Theilbar- 
keit von letzterem nicht abgehalten werden. Wie unter* 
scheidet sich also die körperliche Substanz von den Kör- 
pern und von dem Baume? Sp. setzt den Unterschied 
in die Art des menschlichen Auffassens, je nachdem die 
Grosse bildlich vorgestellt oder mit dem Verstände er- 
fasst werde. Allein wie bei der Grösse (dem Baume) ein 
solcher Unterschied im Auffassen möglich sein soll, bleibt 
unverständlich; dasKäumliche muss auch der Verstand 
in seiner Vorstellung behalten, wenn nicht der Begriff 
verschwinden soll, und dann ist die Theilbarkeit zugleich 
gegeben. Auch das Beispiel mit dem Wasser ist dunkel. 

Vorher hat Sp. die Untheilbarkeit der körperlichen 
Substanz darauf gestützt, dass es kein Vacuum giebt; 
»deshalb können die Theile der körperlichen Substanz 
»nicht real von einander unterschieden werden«; »alle 
»Theile müssen zusammentreffen«; »deshalb lassen sich 
»die. Theile nur zuständlich (modaliter), aber nicht 
»wirklich (realiter) unterscheiden«. Hiemach erhellt, 
dass Sp. sich die körperliche Substanz als die eine un- 
endliche und erfüllte Ausdehnung des Baumes vorstellt, 
welche in der Wirklichkeit nicht getheilt werden kann, 
weil die Stetigkeit des Baumes und seiner Erfüllung im 
Mangel eines Leeren nie unterbrochen werden kann. Alles, 
was dem bildlichen Vorstellen als solche Unterbrechung 
gilt, bezieht sich nur auf die Eigenschaften der den 



26 I. Theü. 39. (L. 16 B.) 

Baum erfüllenden Materie und gehört deshalb nur zu den 
Zuständen der einen, stetigen unendlichen ErföUmig, 
oder des Attributs der Ausdehnung. Solche Theilung 
oder Trennung ist keine Theilung der Substanz selbst. 
Dies wird der Sinn des Satzes sein. Was die E. sonst 
noch enthält, besteht in Widerlegung religiöser Vorstel- 
lungen und ist Yon keinem philosophischen Interesse. 

39. Li 16 B. Bis hier ist Grott oder die unendliche 
Substanz nur als ein Seiendes, Buhendes, Unbewegtes 
von Sp. dargelegt worden; es hat sich nur um die Exi- 
stenz, Unendlichkeit, Ursprünglichkeit, Einzigkeit, ün- 
theilbarkeit der Substanz oder Grottes gehandelt Es 
fragt sich nun, wie kommt die Bewegung in diese 
Substanz, und widerspricht die Veränderung nicht der 
Unendlichkeit und Ewigkeit der Substanz? Gehört das 
Werden, die Bewegung und Veränderung zur Substanz 
als solcher oder .zu ihren Zuständen? Diese iVagen sind 
för das System Sp's. von der höchsten Bedeutung; sie 
schliessen die Frage ein, wie das Endliche aus dem Un- 
endlichen sich ableitet. 

Sp. hat indess die volle Bedeutung dieser Fragen 
nicht erfasst; vielmehr gilt ihm die Existenz des End- 
lichen, der einzelnen Dinge schon auf Grund der Wahr- 
nehmung als gegeben und erwiesen ; sie war ihm für die 
menschliche Erkenntniss gewissermaassen das Erste, und 
die Aufgabe war umgekehrt, aus diesem Endlichen oder 
in demselben das Unendliche zu finden und zu erkennen. 
Dies erreicht Sp. durch die Aufstellung und Entwicke- 
lung seines Begriffes der Substanz und Gottes. Das 
Unendliche glaubte er ebenso deutlich und sicher in dem 
Verstände gegeben, und so verschwand für Sp. die Noth- 
wendigkeit, das Eine aus dem Andern abzuleiten. Sie 
waren beide da; es kam nun darauf an, ihre Verbmdung 
oder Einh^t aufzufinden. Dazu dienen Sp. die Bezie- 
hungen der Substantialität und Oausalität. Indem er das 
Unendliche zur Ursache und Substanz des Endlichen 
macht, wird das Endliche die Wirkung und der Zustand, 
und die Ableitung ist so nachträglich gefunden. Dass 
Sp. sich dabei in blossen Beziehungen des Denkens be- 
wegt, dass er zunächst von dem Dasein beider, des End- 
lichen und des Unendlichen, ausgeht und erst uachträg- 



I. Th«iL 30. (L. 16 B.) 27 

lieh die Beziehung zwischen sie einführt, blieb Sp. ver- 
borgen. Die Natur des Denkens war zu seiner Zeit noch 
zu wenig untersucht. 

In dem B. tritt hier zuerst es deutlich auf, dass Sp. 
den Erkenntnissgrund und die Ursache mit ein- 
ander verwechselt und identificirt (E. 46). Deshalb ge- 
braucht Sp. das Wort: Folgen (aeqtd), obgleich es sich 
eigentlich um das Entstehen, Werden der Einzeldinge 
handelt. Weil aus der Definition eines Gegenstandes 
Vieles folgt, so entsteht nach Sp. aus dem G-egen- 
stande dies Viele. Allein die Folgen liegen nur inner- 
halb des Denkens und sind mit der Definition oder dem 
Erkenntnissgrunde zugleich; die Wirkungen gehören 
aber dem Sein an und entstehen zeitlich erst nach 
ihrer Ursache {E, 46). 

Diese Verwechslung von Ursache und Erkenntniss- 
grund wird bei Sp. zur Identität von beiden und bildet 
in dieser Identität einen Grundgedanken seines Systems, 
der überall hervortritt. Diese Identität von Grund und 
Ursache, die dem gewöhnlichen Vorstellen so widerstrebt, 
hat sich bei Sp. dadurch gebildet, dass er die Zeit aus 
dem Wesen Gottes und der Dinge ausschloss. Damit 
war der Unterschied zwischen Ursache und Grund er- 
schüttert. 

Es ist für das Verständniss der Ethik Sp's. v4n Wichtig- 
keit, diese Identität von Ursache und Grund sich immer 
gegenwärtig zu halten. Sp. behandelt Gott und die Welt 
ganz wie eine geometrische Figur. So werden in der 
Geometrie z. B. aus der Definition des Kreises oder aus 
einer einzelnen wesentlichen Eigenschaft- desselben (gleiche 
Entfernung aller Punkte des Umrings vom Mittelpunkt) 
alle weitem Lehrsätze, welche für den Kreis gelten, ab- 
geleitet, und diese weitem Lehrsätze, wie z. B. von der 
Natur der Tangente, von der doppelten Grösse des Centri- 
wtnkels, erscheinen als etwas Neues, was nicht in der 
Definition des Kreises enthalten ist und doch mit Noth- 
wendigkeit aus derselben folgt. Allein in Wahrheit 
enthalten diese Lehrsätze nichts Neues, sondem nur 
Wiederholungen früherer Lehrsätze von dem Dreieck, 
und der Schein des Neuen entspringt nur daraus, dass 
die Gestalten des Dreieckes verhüllt (implieite) in der 
Gestalt des Kreises enthalten sind, und das Enthaltensein 



28 I* TheiL 39. (L. 16 B.) 

jener in diesem nicht sofort Jedem in die Angen föllt, 
sondern erst mittel^ der Hülfsconstmktionen anschaulich 
{explicite) gemacht wird. 

Diese Verhältnisse überträgt nun Sp. auf Gott. Gott 
ist ihm gleichsam der Kreis in seinem Wesen oder in 
seiner Definition, aus dem die einzelnen Dinge, wie die 
besonderen Lehrsätze ans dem Kreise, mit Nothwendigkeit 
folgen. Die einzelnen Dinge sind deshalb bereits ihrem 
Wesen nach (wie Lehrsätze) in dem Wesen oder der 
Definition Gottes enthalten, and so wie bei dem Kreise 
keine Zeitlichkeit in Bezng auf die besonderen Lehrsatze 
Statt hat, so anch nicht zwischen dem Wesen Gottes 
nnd dem Wesen der besonderen Dinge. 

Dieses ist die Auffassung Sp's., und nur wenn man 
diese festhält, kann man seine Ethik Terstehen. Der 
Mangel dieser Auffassung ist, dass die Wirkungen in der 
Natur sich zu ihren Ursachen keineswegs so verhalten, 
wie die besonderen Lehrsätze in der Geometrie zu den 
Definitionen der Gmndg^stalt, sondern dass hier 1) eine 
zeitliche Folge Statt hat, und dass 2) die besondere 
Wirkung nicht aus der besonderen Ursache für sich durch 
blosse Betrachtung oder Zerlegung dieser abgeleitet, son- 
dern nur aus der Beobachtung entnommen werden kann. 
Deshalb ist es unzulässig, jene Verhältnisse der Geometrie * 
auf das Varhältniss Gottes und das Eintreten der ein- 
zelnen Dinge zu übertragen. Sp. fühlte sehr wohl, dass 
hier das zeitliche Entstehen des Einzelnen einen Unter- 
schied macht; um dieses Hemmniss zu beseitigen, benutzt 
er den Begriff des Wesens der Dinge im Unterschiede 
von ihrer Existenz. Dadurch kommt das Wesen der 
Einzeldinge ausserhalb der Zeit; nur die Existenz fallt 
bei den endlichen Dingen in die Zeit, und dadurch ist 
Sp. im Stande, das Wesen der endlichen Dinge, als Ton 
Ewigkeit in dem Wesen Gottes enthalten, darzulegen 
und die Uebereinstimmung mit jenen mathematischen Be- 
griffen zu erreichen. 

Dieser Auffassung Sp*s. steht indess entgegen, dass ans 
der Trennbarkeit eines Gegenstandes in sein Wesen 
und seine zeitliche Existenz innerhalb des Denkens 
nicht folgt, dass diese Trennung auch im Sein möglich 
und wirklich ist; vielmehr lehrt die Erfahrung, so weit 
diese reicht, das Gegentheil. 



I. TheiL 40. 41. (Z. 1. 2. 3 m L. 16. L. 17 B. Z. 1. 2.) 29 

40» Z. li 2w 3 Sil L. 16« Die wirksame Ursache 
(causa effidma) ist nur ein Pleonasmus; es wird damit 
das bezeichnet, was man jetzt nnter Ursache überhaupt 
versteht. Bei den Scholastikern und noch zu Sp's. Zeit 
unterschied man nach dem Vorgänge des Aristoteles 
Yon der causa effißtena die causa finalisy welche man 
jetzt Zweck nennt. Man glaubte, der Zweck habe eine 
eigne erzeugende Kraft, wodurch er sich aus der blossen 
Yorstellung zur Wirklichkeit umsetze, eine Ansicht, die 
auch in der modernen Philosophie vonTrendelenburg und 
Anderen festgehalten wird. Allein der Zweck ist ohne 
Wollen unmöglich und wenn dieses Wollen zu der Vor- 
stellung hinzutritt, so fällt es genau unter den Begriff 
der Ursache oder Causa ef/ieiens. 

Für Sp. hat es keine Schwierigkeit, die unendliche Beihe 
der Ursachen abzubrechen und in Gott die erste yr- 
Sache zu setzen« Es ist dies aber eine Gewaltsamkeit gegen 
den Begriff der Ursächlichkeit, wie Kant in seinen Anti- 
nomien gezeigt hat 

41. L. 17 B. Z« 1« 2. Dieser Lehrsatz mit seinen 
Zusätzen folgt unzweifelhaft aus den von Sp. angezogenen 
Prämissen. Keu ist dabei nur der Begriff des Han- 
delns. Bis hier hat Sp. nur von den Folgen {sequi) 
der Natur Gottes gesprochen. Die Definition des Han- 
delns und Leidens giebt Sp. erst Theil III. D. 2. Im 
gewöhnlichen Sinne ist Handeln und Folgen durchaus 
yerschieden; jenes besteht innerhalb des Seins 9 dieses 
innerhalb des Denkens; jenes geht von dem Wollen der 
Seele aus und hat einen zeitlichen Anfang; die Folgen 
(z. B. eines Lehrsatzes) sind vom Wollen ganz unabhän- 
gig und haben kein zeitliches Entstehen, weil die Z^it 
von dem Lehrsatze abgetrennt ist Sp. kann diesen Be- 
griff des Handelns nicht beibehalten, nachdem er die 
Ursache und den Erkenntnissgrund als dasselbe gesetzt 
hat. Wenn bei ihm alles Werden aus dem Wesen 
Gottes, wie die Lehrsätze aus den Definitionen der geo- 
metrischen Figuren, folgt, so muss auch das menschlidie 
Handln sich in ein bloss logisches Folgen aus dem zeit- 
losen Wesen Gottes umwandeln. Damit fällt natürlich 
auch die Wahlfreiheit hinweg. 

Es ist wichtig, dass man diesen Spinozistischen Be- 



30 I. TheiL 42« (£. za L. 17.) 

griff des Handelns festhalte; man mnss jederzeit ^e lo- 
gische Folge darunter verstehen und darf sich dBrdi 
den gewohnlichen Sinn dieses Wortes hierin nicht iiren 
lassen. 

42. B. ZU Lt 17i In dieser Erläuterung wird das 
hier unter No. 40 und 41 Bemerkte bestätigt; die Bei- 
spiele für die Natur Gottes sind hier sämmtiich aus der 
Geometrie entnommen, und Sp. sagt ausdrücklich: »dass 
»Alles, wie bei dem Dreieck, aus der Natur Gottes her- 
»vorgegangen ist oder immer folgt.« Das Hervor- 
gehen enthalt den Zeitverlauf, das Folgen nicht; diesen 
wichtigen Unterschied überspringt Sp. als unwesentUcL 
Die Allmacht Gottes liegt für Sp. nicht in der Ver- 
wirklichung eines WoUens, sondern in der reinen logi- 
schen Folge des Besonderen aus der Substanz od«r 
dem Wesen Gottes. Es ist daher auch nur conseqaent, 
wenn Sp. das menschliche Wollen aus der Natur Gottes 
ganz entfernt. Gott ist nur der Inbegriff der unendlich 
vielen Attribute, aus denen in geometrischer Weise die 
Folgen, d. h. das Besondere, sich von selbst und mit Noth- 
wendigkeit ergeben. 

Die Schwierigkeit ist nur, wie, wenn nach Sp. die 
zeitliche Folge und das WoUen in Gott nicht vorhanden 
ist, dieses dennoch in seinen Zuständen sich einfinden 
kann; denn die einzelnen Dinge und insbesondere die 
einzelnen Menschen sind nur Zustände von Gott, also 
Theile von Gott. 

Dies ist der Widerspruch, welcher dem System Sp's. 
anhaftet. Zuerst identificirt Sp. Gott mit der Welt, 
Alles ist nnr in Gott; dann trennt er Gott wieder ym 
der Welt, und nicht blos im Denken, sondern auch im 
Sein und der Art nach; deshalb der spätere Gregensatz 
von Natura naiurans und Natura naiurataj wo die 
Einheit nur noch im Worte besteht. 

Damit hängt zusammen, dass Sp. in dem zweiten Ab- 
satz der E. die Ursache von ihrer Wirkung als unter- 
schieden behauptet, während er I. A. 4. 5 und L. 3 aus- 
drücklich die Gemeinsamkeit beider behauptet hat. Diese 
Verwirrung ist nicht aufzuklären, ja, sie ist dem Systeme 
unentbehrlich. 



L Theil. 43. 44. (L. 18 B. L. 19 B. E.) 31 

43« L« 18 B« Die moderne Philosophie ist stolz 
darauf, Gott als die in wohnen de oder immanente 
Ursache der Welt erkannt zu haben. Nach den Religio- 
nen ist Grott zwar auch die Ursache (der Schöpfer) der 
Welt, aber diese ist ausserhalb Gottes und nur sein 
Werk; na€h der Auffassung Sp's. ist dagegen diese Ur- 
sächlichkeit Gottes eine inVrohnende; die Wirkung ist 
nicht ausserhalb Gottes. Untersucht man diesen Begriff 
der immanenten Ursache naher, so ist sein Unterschied 
von der äussern Ursache schwer festzuhalten. Ein räum- 
liches Drinsein der Ursache ist offenbar nicht gemeint; 
Tielmehr folgt aus dem Gegensatz der Causa trafisiens, dass 
die Wirkung bei der Causa tmmanens nichts Fremdes 
d. h. nichts Anderes als die Ursache ist; dass die Ur- 
sache, wie Hegel sagt, in ihrer Wirkung bei sieh selbst 
bleibt. Die Causa immanens iot daher nur ein anderes 
Wort für die Causa sui und der in dieser enthaltene 
Widerspruch ist schon «oben (S. 2) dargelegt worden. 

Sp. denkt bei der Causa immanens an die Substanz 
und ihre Modi; er nimmt die Modi als Wirkungen und 
da diese in der Substanz sind, so ist die Substanz eine 
inwohnende Ursache. Dies ist die schon gerügte Ver- 
mischung der Ursächlichkeit mit den Substantialität, die 
bei Sp. fortwährend hervortritt; in keinem Falle ist damit 
ein neuer Begriff gewonnen. 

44. L« 19 B. B. Uni er ewig ist hier nicht ein 
nnendlicher Zeitverlauf zu verstehen, sondern eine Exi- 
stenz ausserhalb der Zeit, wo mithin weder Entstehen 
noch Vergehen noch Dauer möglich ist, welche Begriffe 
den Zeitablauf voraussetzen. Sp. stellt diesem das Sein ent- 
gegen, was mit dem Begriff oder der Definition zugleich 
gegeben ist. Der Beweis in Sp's, Prinzipien des Car- 
tesius lautet dahin: »Gott ist das vollkommenste' We- 
isen und daraus folgt seine Existenz. Wollte man ihm 
»nur eine beschränkte Existenz zutheilen, so würde Gott, 
»als der höchste Verstand, diese Schranken erkennen; 
>also würde Gott jenseit dieser Schranken sich, d. h. das 
»vollkommenste Wesen, als nicht existirend erkennen, 
»was widersinnig ist.« * — Man sieht, dass dieser Beweis 
sich im Kreise dreht; zuerst wird ein Beweis versprochen, 
dass mit der Vollkommenheit die Ewigkeit verbunden ist, 



32 I. Theil. 45. 46. 47. (L. 20 Z. 1. 2. L. 21 B. L. 22 B.) 

und nachher wird dieser Beweis dadurch geführt, dass 
die Vollkommenheit sich mit der Endlichkeit nicht yertrage. 

45« L« 20 Z. 1, 2, Es wird hier von Sp., wie 
später von Hegel, der Begriff des Identischen yer- 
falscht. Das Identische ist ohne allen Unterschied; 
das Eine und dasselbe o^r Identische ist nur eis 
Beziehungsbegriff; im Sein ist das Identische nicht, son- 
dern jede Sache einfach das, was sie ist (E, 37). Hier 
wird aber neben der Identität noch der Unterschied fest- 
gehalten; Wesen und Existenz sollen identisch seis; 
offenbar aber sind sie auch unterschieden, und Sp. lässt 
diesen Unterschied nicht fallen. Sp. hätte daher richtiger 
sagen müssen: Wesen und Dasein sind bei Gott un- 
trennbar verbunden; das Eine mag selbst als die 
logische Folge des Andern gelten, deshalb sind sie aber 
noch nicht identisch. 

46. L« 21 B« Das Yerständniss des Beweises dieses 
Lehrsatzes hat seine grossen Schwierigkeiten. Man kann 
sich zunächst über die Umständlichkeit dieses Beweises 
wundern, da in dem Begriffe der logischen Folge ohne 
weiteres liegt, dass die Folge untrennbar von der Prä- 
misse ist, und mithin, wenn diese ewig oder ausserzeitlich 
ist, es auch die Folge sein muss; wie es z. B. mit den 
aus der Gestalt des Dreiecks abgeleiteten geometrischen 
Lehrsätzen der Fall ist. Man begreift also nicht, wes- 
halb Sp. nicht einfach diese Natur der Folge zum Beweis 
benutzt. 

Sodann ist der Beweis deshalb dunkel, weil das Wort: 
»Vorstellung Gottes« (idea dei) zweideutig ist; es kann 
eine Vorstellung von Gott, wo Gott den Gegenstand 
bildet, bezeichnen; es kann auch eine Vorstellung be- 
zeichnen, die Gott als Subjekt zugehört. Hier ist es in 
beiderlei Sinn zu nehmen, also so, dass damit Gottes eig^e 
Vorstellung von sich zu verstehen ist. Nur dann ist der 
Beweis verständlich. 

47. L. 22 B. Dieser Satz so wie L. 23 hat den 

Auslegern viel Schwierigkeiten gemacht. Ei^ wird hier 
der Begriff einer »Modification« des Attributs ein- 
geführt, und es bleibt zweifelhaft, ob darunter dasselbe 



L Theil. 47. (L. 22 B.) 33 

wie unter Modus (Zustand) zu verstehen ist. Nach 
L 23 muss man dies annehmen; sonach führt hier Sp. 
«inen Unterschied in den Zuständen ein, wonach einige 
ewig und anendlich sind, wie die Attribute, andere ^- 
gegen endlich. und vergänglich (L. "24). Da nun beide 
Arten ihre Ursache in Gott haben oder aus ihm folgen, 
fio bleibt dieser Unterschied unerklärlich; denn wenn die 
Ewigkeit der ersten Art auf ihr Folgen aus Gott ge- 
stutzt wird, so müssten auch die Zustände der zweiten 
Art ewig sein, da sie ja auch aus Gott folgen. Sp. hilft 
sich hier, wie sich später ergeben wird (L. 28), mit der 
Unterscheidung unmittelbarer und mittelbarer Folgen. 
Bei den endlichen und veränderlichen Zuständen ist nur 
die ganze Beihe derselben zusammengenommen die 
anmittelbare Folge Gott-es; die einzelnen Dinge sind aber 
nur die unmittelbaren Folgen eines anderen Einzeldinges. 
Hier ist also nur die Totalität aller endlichen Zustände 
eine ewige (zeitlose) Folge aus Gott. Dagegen sind die 
Zustande der ersten Art an sich selbst ewig. 

Es entsteht nun die Frage: welche Zustände gehören 
hierher? Sp. hat dies hier ganz unerörtert gelassen, 
obgleich die Frage für sein System von der höchsten 
Wichtigkeit ist. In dem 65sten Briefe fragt ein Freund 
nach solchen Beispielen, und zwar 1) nach Beispielen von 
dem, was Gott unmittelbar hervorgebracht hat, und 2) von 
dem, was durch eine unendliche Modüication von ihm 
hervorgebracht wird. Sp. nennt in seiner Antwort 
(Brief 66) als Beispiele der ersten Art im Denken den 
unbedingt unendlichen Verstand und in der Ausdehnung 
die Bewegung und Buhe; als Beispiel der zweiten Art: die 
Gestalt des gaqzen Universums, welche immer dieselbe 
bleibt, obgleich sie in unendlich vielen Zuständen wechselt 
— Dies wird indess dem Leser schwerlich genügen. 
Diese Unklarheit ist die unvermeidliche Folge davon, dass 
Sp. die Attribute zwischen Substanz und ihren Zuständen 
eingeschoben hat. Indem dadurch ein Inhalt, also ge- 
wisse Eigenschaften, in die Substanz selbst kommen, 
konnte Sp. nur das Allgemeinste davon zulassen, damit 
es durch diese Allgemeinheit sich in allem Wechsel 
der Zustände erhielt und somit der Ewigkeit der Substanz 
nicht widerstritt. Als solches schien dem Sp. nur das 
Oeistige und das Körperliche zu passen, und indem er 

Erliaternngen zu Spinoza's Ethik. 3 



34 I. Theil. 48. (L. 23 B.) 

dies Denken und Ausdehnung nennt (freilicli gegen 
den natürlichen Sprachgebrauch) , wurden dies die' zwei 
dem Menschen erkennbaren Attribute Gottes. Allein die 
Betrachtung ergab bald, dass noch andere AUgeüfein- 
heiten aus dem Endlichen ausgetrennt werden können, 
welche eben so, wie jene zwei, sich bei allem Wechsel 
«rhalten, z. B. das Vorstellen im Greistigen und die Be- 
wegung im Körperlichen. Da nun Sp. sich nicht ent- 
scMiessen konnte, diese Allgemeinheiten mit als Attribute 
in die Substanz aufzunehmen, weil ihre grosse ZaM 
offenbar die Einheit seiner Substanz gefährdet hatte, so 
blieb ihm nichts übrig, als sie zu den Zustanden zu 
rechnen. Da sie nun aber hier wegen ihrer beharrlichen, 
durch allen Wechsel sich hindurchziehenden Natur nicht 
mit in die causale Eeihe der endlichen Zustände gestellt 
werden konnten, so musste Sp. sie zu unendlichen Modi- 
ficationen machen, die unmittelbar aus den Attributen 
Gottes folgen und deshalb an der Natur der Attiibute 
Theil nehmen. 

Hier tritt das Willkürliche des Systems deutlich her- 
vor. Es sind dies die unvermeidlichen Folgen des fal- 
schen Prinzips, wonach reine Beziehungsformen des Den- 
kens als seiende Bestimmungen gelten sollen, ein Mangel, 
der den fundamentalen Irrthum von Sp's. System bildet 
und ihn überall in Schwierigkeiten verwickelt. Sp. ge- 
räth dadurch hier in das unlösbare Dilemma: Entweder 
ist Gott reine Substanz und reine Ursache (Beziehung), 
dann fällt aller Inhalt, alle Bestimmtheit in die Zustände 
und Wirkungen, also ausserhalb Gottes ; Gott ist dann 
für sich völlig leer; oder soll Gott auch einen Inhalt 
haben, so kann dieser nur durch begriffliches Trennen 
{E. 16) aus den Zustanden und dem Endlichen entnom- 
men werden, und es verschwindet dann die Grenze zwischen 
Attribut und Modus; beide fliessen in einander über; ihr 
Unterschied liegt nur im Denken, und eine Selbstständig- 
keit der Attribute in Gott vor ihren Zuständen (L. 1) 
ist unmöglich und führt zu demselben Fehler, den Plato 
mit der Selbstständigkeit seiner Ideen begangen hat. 

48. L. 23 B« Das hier zu Bemerkende ist zu L. 22 
erwähnt. Auch diese beiden Alternativen des Lehrsatzes 23 
beziehen 'si«h auf die von Sp. in seinem 66sten Briefe 



I. Theil. 49. (L. 24 B. Z.) 35 

gegebenen Beispiele. Kuno Fischer (Geschichte der 
neuern Philosophie Band I.) will unter den »unendlichen 
Modificationen eines Attributs Grottes« nur den »continuir- 
lichen und endlosen Zusammenhang aller zu diesem Attri- 
but gehörenden endlichen Dinge oder Zustände« ver- 
stehen. Allein dem widersprechen die von Sp. gegebenen 
Beispiele. Sp. unterscheidet diese unendlichen Modifica- 
tionen der Art nach; ein und dasselbe Attribut kann 
viele solche unendlichen Modificationen haben, z. B. das 
Denken Tiat das unendliche Vorstellen, das unendliche 
Begehren u. s. w. Diese Vielheit wäre unmöglich, wenn 
Fischer Kecht hätte; dann könnte in der Totalität alles 
Endlichen immer nur eine unendliche Modification für 
jedes Attribut bestehen. 

49. L. 24 B. Z. Das Wesen der Einzeldinge ist 
hier von Sp. als ein Selbstständiges und Ursprüngliches 
behandelt, als wenn es auch abgesondert von der 
Existenz dieser Dinge wahrgenommen oder in irgend 
einer Weise für sich erfasst werden könnte. Wäre 
dies richtig, so hätte der Lehrsatz 24 eine synthetische 
l^atur. Allein in Wahrheit ist das Daseiende einzelner 
Dinge das Erste, was der Mensch wahrnimmt, und erst 
aus dieser Wahrnehmung wird durch trennendes Denken 
das Wesen desselben im Sinne Sp's. gewonnen, indem die 
vereinzelte in einer bestimmten Stelle des Eaumes und 
der Zeit stattfindende Existenz von dem sonstigen Inhalte 
abgetrennt und entfernt wird. Bei dieser Entstehung des 
Begriffes Wesen ist der Lehrsatz 24 nur analytisch und 
gilt nur innerhalb des Denkens, da eine Existenz des 
Wesens für sich nie angenommen und nachgewiesen wer- 
den kann. 

Dieser ganze Gedankengang himmt seinen Anfang von 
der religiösen Vorstellung Gottes. Diese ist von Jugend 
auf als untrennbar von der Existenz in Schule und Kirche 
eingeprägt worden, so dass zuletzt es für unzweifelhaft 
gilt, dass Gott nicht anders als existirend vorgestellt 
werden kann. Diese durch die Erziehung und Gewohn- 
heit bewirkte feste Verbindung gilt dann als angeboren, 
als der Seele von Natur innewohnend, und Cartesius 
benutzt nun umgekehrt diese Vorstellung als Beweis für 
das Dasein Gottes. Nachdem so in der Vorstellung 



36 I- TheiL 50. (L. 25 B. E. Z.) 

Gottes eine Yorstellang vorlag, in welcher Wissen odei 
Wesen nnd Sein als untrennbar gelten, so war man ge- 
nöthigt, für die endlichen Dinge ein Wesen anzmieb- 
men, was die Existenz nicht einschliesst. 

Nachdem diese Gedankenbildung vollendet war, drehte 
man sie um, nahm ihr Ende für den Anfang und konnte 
nun, wie hier geschieht, beweisen, dass das Wesen der 
endlichen Dinge die Existenz nicht einschliesst. Es ist 
also hier im Grunde nur ein Spiel des Denkens mit sich 
selbst vorhanden, und wenn man das Sein wieder in An- 
fang und Fortdauer spaltet, so ist klar, dass, nachdem 
der Begriff des Wesens in der vorbezeichneten Art ge- 
bildet worden war, Gott die Ursache von dem Anfang 
und der Fortdauer der Existenz des Endlichen sein moss, 
obgleich dies Letztere ein Luxus ist, da nach III. L. 8 B. 
diese Fortdauer sich von selbst versteht 

50. L. 25 B. B. Z. Auch hier ist der wahre 6^ 
dankengang der umgekehrte gewesen. Der Begriff Gottes, 
als die unendliche, Alles in sich enthaltende Substanz, ist 
erst durch trennendes und beziehendes Denken (E. 16. 35) 
aus der Vorstellung der einzelnen Dinge abgeleitet wor- 
den; hier wbd er aber als das Ursprüngliche vorgestellt; 
da ist es ganz natürlich, dass man aus diesem Begriffe 
Gottes das ableiten kann, was man zuvor in denselben 
hineingelegt hat. 

In dem Z. wird endlich bestimmt ausgesprochen, dass 
alles einzelne Seiende, also auch der einzelne Mensch, nur 
ein Zustand Gottes ist. Ein solcher Satz ist leicht hin- 
gestellt, aber schwer zu einem fassbaren Gedanken zu er- 
heben. Zunächst widerspricht es dem Selbstbewusstsein, 
dass das Ich, gleichsam wie eine Eigenschaft, einem 
Andern nur anhängen (inhäriren) soll; man hat von sol- 
cher Inhärenz weder eine innere Erfahrung, noch die 
Fähigkeit, sie sich bildlich vorzustellen.' Sodann folgt 
aus diesem Z., dass, wenn alle Menschen nur Zustande 
Gottes sind, Gott mit sich selbst Krieg fahrt ; ein Zustand 
in Gott mordet den andern; ein Zustand weiss, was der 
andere nicht weiss; ein Zustand kann sprechen, der an- 
dere nur brüllen ; ein Zustand in Frankreich versteht den 
sprechenden Zustand aus Deutschland nicht. Wie dies 
möglich sein soll, wenn dabei Gott , als die Substanz all 



I. Theü. 51. 52. 53. (L. 26 B. L. 27 B. L. 28 B. E.) 37 

dieser Zustände, ein einiges und einzelnes Wesen ist, was 
deshall) alle seine Zustände mit einem Bewusstsein durch- 
dringt, ist unbegreiflich und hätte jedenfalls von Sp. 
näher entwickelt werden sollen. Statt dessen wird immer 
nur das »In Gott sein« wiederholt. 

51. L. 26 B. [Der Begriff des Wirkens (operari) 
wird hier als ein neuer eingeführt, ohne dass er näher 
hestimmt. wird. Er ist nicht identisch mit handeln 
(agere), sondern weiter; er umfasst alles Hervorgehen 
der Wirkungen aus den Ursachen, selbst aus partiellen, 
während das agere nur von solchen Ursachen gilt, die 
für sich allein die Wirkung zur Folge haben. 

Der Inhalt des L. ist übrigens rein analytisch aus 
dem Goitesbegriff des L. lö abgeleitet; deshalb ist der 
Beweis so leicht. 

52. L. 27 B. Der Beweis dieses L. gelingt nur 
dadurch, dass Sp. das Aufhören einer Wirksamkeit 
wieder als etwas Positives nimmt, was dann natürlich 
seine besondere Ursache verlangt, die nur in Gott ent- 
halten sein kann. Allein das Aufhören zu wirken 
ist ein blosses Nichtsein, ein Nichts, und es ist schon 
oben gezeigt worden, wie unzulässig und verkehrt es ist, 
das Nichts als ein Etwas zu behandeln und noch eine 
Ursache für das Nichts zu fordern. 

53. L. 28 B. E. Das Yerständniss dieses L. ist 
bereits bei L. 21 vorbereitet worden. Die Schwäche des 
Beweises ist leicht zu erkennen. Unzweifelhaft kann 
Alles, was aus der unendlichen Natur Gottes (logisch) 
folgfc, nur ebenso unendlich und zeitlos sein, wie Gott 
selbst. Die Consequenz dieses Satzes ffthrt also zur 
Unmöglichkeit der endlichen Dinge. Deshalb haben auch 
Plato und die Indischen Philosophen diese unendlichen 
Dinge nur für Schein (für die Maja) erklärt; allein Sp. 
mochte sich dazu nicht entschliessen ; für ihn sind die 
endlichen Dinge wirklich, und so musste daher sein Be- 
weis die sonderbare Wendung erhalten, dass, da aus 
Gottes Natur, als unendlicher, nur Unendliches hervor- 
gehen kann, das Endliche aber doch auch da ist und 
Grott auch die Ursache von ihnen seih muss, dieses End- 
liche aus Gott folge, »insofern er in gewisser Weise er- 



38 I- TheiL 64. 55. (L. 29 B. £. L. 30 B.) 

• 

reg^ angesehen wirdc (quatenus aUquo modo aßectm 
eonsideratm*) , oder »insofern er mit einem Znstand be- 
haftet ist, der endlich ist« (quatenus modificatus est 
modißcatione, q^iae finita est). Dies ist aber, wie Jeder 
erkennt y keine Ableitnng des Endlichen ans dem Unend- 
lichen, sondern ein leeres Spiel mit Worten. 

üebrigens folgt hieraus noch nicht der causale Zn- 
sammenhang des Endlichen nnter sich; Sp. hat dafdr 
keine andere Erklärung, als: Es mnss so sein. 

Ans diesem cansalen Znsammenhang des Einzelnen 
folgt, dass Gott nur mittelbar als die Ursache der 
späteren (xlieder in der Beihe des Endlichen gelten kann, 
indem er nnr das erste Glied unmittelbar zu bewirken 
hatte, die andern folgten aus diesem. Diese Unterschei- 
dung von Mittelbar und Unmittelbar ist far die Ursäch- 
lichkeit an sich ohne Bedeutung; deshalb kann Sp. sie 
in der E. zu 2) wieder aufheben. 

54. L. 29 B. B. Dieser Lehrsatz ist bereits in den 
vorgehenden Lehrsätzen enthalten und deshalb rein ana- 
lytisch aus ihnen abzuleiten; er enthält nichts Neues und 
ist nicht synthetisch im Sinne Kaufs. Der Beweis ist 
deshalb leicht zu fuhren. 

In der E. berührt Sp. die scholastischen Begriffe der 
Natura naturans und Natura naiurata; Sp. setzt 
erstere für identisch mit seiner Substanz und ihren Attri- 
buten; die Zustände der Substanz sind dann die n<xtura 
naturata. Sp. macht von diesen Ausdrücken keinen 
weitern Gebrauch. Die Entstehung dieser sonderbaren 
Ausdrücke wird nur verständlich durch das in der scho- 
lastischen Philosophie herrschende Bestreben, einmal die 
Einheit Gottes und der Welt zu en-eichen und dann 
Gott von der Welt auch unterschieden zu halten. 
Gott, als Ursache der Welt aufgefasst, ist von ihr unter- 
schieden; allein da Ursache und Wirkung untrennbar 
sind, so sind beide damit auch wieder Eines. Indem 
man diesen Unterschied und diese Einheit in ein Wort zu 
fassen sich bestrebte, erfand man jene barbarischen Aus- 
drücke. 

55. L. 30 B. Sp. springt hier von den bisherigen 
ontologischen Betrachtungen ab und spritjht in L. 30 und 31 



I. Theil. 56. 57. (L. 31 B. E. L. 32 B. Z. 1. 2.) 39 

von dem Verstände. Sp. unterscheidet den Verstand 
(intellectua) vom Benken (cogita/rej; jener ist nur ein 
Zustand des Denkens, welches letztere zu den Attributen 
Grottes gehört und neben dem Verstand auch das Be- 
gehren, Wollen, die Liebe u. s. w. als Zustände enthält. 
Diese Eintheilung fällt mit dem Bd. I (E. 6) auf- 
gestellten Unterschied der wissenden und seienden 
Zustände der Seele zusammen. Der Verstand ist das 
Wissen der Seele; er theilt sich nach Sp. in das bild- 
liche Vorstellen (imaginari) und Erkennen (intelligere). 
Für die gewöhnliche Auffassung ist L. 30 selbstver- 
ständlich; das Wissen erhält seinen Inhalt nur von den 
seienden Gegenständen, und diese sind nach Sp. nur 
Gott und seine Zustände. Allein für Sp. hatte der Lehr- 
satz seine Schwierigkeit, weil nach Sp. zwischen dem 
Attribut der Ausdehnung und dem des Denkens keine 
Gemeinsamkeit und kein Einfluss besteht. Deshalb bleibt 
auch der hier gegebene Beweis, der sich auf A. 6 stützt, 
mangelhaft; der Vahre Beweis folgt erst später und liegt 
darin, dass die verschiedenen Attribute in Wahrheit nur 
eines sind. 

56. L. 31 B. E. Es ist festzuhalten, dass nach 
diesem Lehrsatze selbst der unendliche Verstand nicht 
zur Substanz und nicht zu den Attributen Gottes gehört, 
sondern zu seinen Zuständen, und zwar zu den unend- 
lichen Modificationen der Attribute (L. 21). Daraus 
folgt, dass in Gott, als Substanz, überhaupt kein Wissen, 
selbst kein unendliches Wissen besteht, sondern blos eine 
unendliche Cogitatio. Wie diese ohne Wissen zu fassen 
ist, ist allerdings schwer begreiflich. Diese Schwierig- 
keit entspringt aus der Vermischung der wissenden und 
seienden Zustände der Seele, welche Sp. in die eine 
Cogitatio zusammenpresst. 

57. L. 32 B. Z, 1. 2. Unter: Wille (voluntas) 
versteht Sp. hier nicht das, was gewönlich damit bezeich- 
net wird; in E. zu L. 48 II. sagt er ausdrücklich, dass 
er unter Wille nicht das Begehren verstehe, sondern die 
Fähigkeit zu bejahen und zu verneinen ; Sp. rechnet des- 
halb auch consequent den Willen zu dem Verstand, in- 
dem er Wille und Verstand für ein und dasselbe er- 



40 I. TheiL 58 -M. (L. 33 B. E. 1 u.» 

klart (Z. zu L. 49 U.). Dieser eigentMmliche Begrif 
des Willens, den Sp. von Cartesins übernommen hat, 
muss also anch hier festgehalten werden. Indess würde 
der L. 32 seine Gültigkeit behalten, auch wenn man hier 
unter Willen das Begehren verstände, und es ist sogar 
möglich, dass Sp. selbst das Wort hier in diesem natär- 
liehen Sinne gebraucht hat. 

Die Frage der eigentlichen Willensfreiheit wird erst 
später zur Erörterung kommen. Hier wird sie sehr kurz 
erledigt. Da es nach Sp. nur Substanzen und Zustände 
giebt, so fallt der endliche wie der unendliche Wille 
unter die Zustande, und da das Gesetz der Causalität far 
die Beihe der Zustande allgemein nach Sp. gilt, so fallt 
natürlich auch der Wille darunter. Dieser Beweis dreht 
sich im Kreise, weil die allgemeine Causalität, welche 
seinen Obersatz bildet, selbst eine blosse Yoraussetzungr 
ist. So wie Sp. in Gott, als Substanz, keinen Verstand 
zulässt, so auch keinen Willen. Beide gehören nur. zu 
den Zuständen der Substanz. Deshalb ist es ganz con- 
sequent, wenn Sp. die Bewegung in Gott nur als ein 
Folgen (sequi) behandelt, und nicht als ein Handeln^ 
da das letztere in seiner natürlichen Bedeutung das Wollen 
einschliesst. 

58. L. 33 B. Indem die Entwickelung und Bewe- 
gung in Gott nur die Natur von logischen Folgen aus 
dem Erkenntnissgrunde hat, ist dieser Lehrsatz von selbst 
klar. Die Dinge, als die Folgen, können keine anderen 
sein, als sie sind, sonst wären sie keine Folgen; so wie 
die aus der Natur des Dreiecks sich ergebenden beson- 
deren Lehrsätze keine andern sein können, als sie sind, 
und jede kleine Veränderung in einem dieser Lehrsätze 
auch die Natur des Dreickes selbst aufheben würde^ 

59. B. 1 ZU L. 33. Wenn in der Natur die^Noth- 
wendigkeit allgemein gilt, wie Sp. behauptet, so kaim es 
in ihr keinen Zufall geben, und Sp. verlegt dann ganz 
richtig den Zufall nur in das Wissen; das Zufallige ist 
nur das Nicht- Wissen der an sich vorhandenen Ursache 
und Nothwendigkeit (E, 62). 

60. B. 2 ZU L. 33. Sp. kämpft hier gegen die re- 
ligiöse Lehre, welche bei Gott an der Freiheit seines 



L TheiL 01. (L. 34 B.) 41 

Willens festhält. Die Aasfahrxiiig ist nicht besonders geist- 
reich und dreht sich im Grunde immer im Kreise. Wenn 
alle Entwickelung in Gott die Natur der logischen Fol- 
gen hat, wie Sp. behauptet, so ist damit allerdings keine 
Freiheit der Wahl verträglich. Allein die erste Frage 
bleibt: Ob die Entwickelung und das Handeln in Gott 
diese Natur hat. Das ganze System Sp*s. beruht aller-r 
dings auf diesem Gedanken, allein dieser selbst bleibt 
eine Voraussetzung, für die ein wirklicher Beweis nicht 
beigebracht ist. Ebenso leer ist der Grund, den Sp. aus 
der Yollkommenheit entnimmt. Vollkommenheit ist selbst 
ein Beziehungsbegriff, der sich nach dem Maasstabe be- 
stimmt. Wird diese Vollkommenheit mit Sp. rein in die 
logische Consequenz und Folgerichtigkeit gelegt, so ist 
die Freiheit^ der Wahl allerdings das Unvollkommene; 
wird aber diese fessellose Freiheit als das Höchste gesetzt, 
so dreht sich das Drtheil um. 

Im gewöhnlichen Vorstellen wird die Freiheit höher 
gestellt als die« Nothwendigkeit. Sp. und später Hegel 
suchen diese Meinung dadurch zu versöhnen, dass sie die 
innere, aus sich selbst bestimmte Nothwendigkeit als 
Freiheit behaupten, den Zwang als das Niedere und diesen 
als Zwang nur dann anerkennen, wenn der Zwang von 
aussen kommt. 

Allein Zwang bleibt Zwang, mag er herkommen, woher 
er will; und der religiöse Glaube stösst auch den innem 
Zwang, als das Unvollkommene, von Gott zurück. Es 
handelt sich hier um eine der höchsten Fragen der Phi- 
losophie, zu deren eingehender Behandlung hier der Baum 
gebricht. Die in dieser. Frage von Kant angeregten 
Antinomien lassen sich nur lösen, wenn im Sinne des 
Realismus die Begriffe des Seienden von den Beziehungs- 
formen und Wissensarien des Denkens unterschieden 
werden (JE. 31). Das Nähere hierüber ist in des Ver- 
fassers Unsterblichkeit (S. 104) und Aesthetik (I. 
S. 121j ausgeführt. 

61. La 34 B. Wenn Gott kein Wollen hat, sa ist 
sein Handeln nur ein logisches Folgen aus der Natur 
seines Wesens, und deshalb die Macht Gottes (Potentia) 
nur dieses Folgen. Da nun die Folgen in der Definition 
und den Prämissen schon enthalten sind, so ist auch die 



42 I. TheU. 62—64. (L. 35 B. L. 36 B. Anliang zu Th. L) 

Macht Gottes durch ' sein Wesen von selbst gegeben und 
bestimmt, und insofern nennt sie 8p. ein und dasselbe. 

An sich ist der Begriff der Identität hier ebenso ge- 
missbraucht, wie in L, 20. 

62. L« 35 B. Wenn die Macht Gottes nur ein lo- 
gisches Folgen ist, so ist unzweifelhaft alles Einzelne in 
diesen Folgen nothwendig. Auch hier yennengt Sp. das 
zeitliche Folgen in der Form von Wirkungen und das 
zeitlose Folgen der Conclusionen aus den Prämissen mit 
einander. 

63i Li 36 Bn Bisher hatte Sp. nur den Satz aus- 
gesprochen: Alles muss eine Ursache haben. Jetzt fügt 
er den Satz hinzu: Alles muss eine Wirkung haben. 
Diese Sätze sind nicht identisch. So wie der Beweis für 
den ersten Satz bei Sp. nur scheinbar geführt ist, so 
bleibt auch der Beweis für den zweiten Satz nur ein 
Schein. Er ruht auf L. 16, der selbst schon eine An- 
wendung dieses Satzes auf Gott ist; der Beweis dreht 
sich also im Kreise. 

Auch hier ist Sp. durch die Geometrie irre geführt 
worden. Weil da aus einer einfachen Definition (z. B. 
des Dreiecks, des Kreises) so viel Lehrsätze scheinbar im 
Wege der logischen Folgen abgeleitet werden, so meint 
Sp., aus jeder Definition in jedem Gebiet müssten in ähn- 
licher Weise sich Folgen ableiten lassen, und da Folgen 
und Wirkungen bei Sp. zusammenfallen, so entstand der 
Lehrsatz, dass jede Sache eine Wirkung haben müsse. 

Dergleichen Sätze sind übrigens für die Erkenntniss 
völlig leer, da es dem Wissen nicht auf diese allgemei- 
nen Sätze, sondern darauf ankommt, welche besondern 
Bestimmungen mit andern regelmässig verbunden sind. 
Die einzelnen bestimmten Gesetze verlangt man zn 
wissen; die Causalität im Allgemeinen hilft nicht weiter. 

64. AnhaDg zu Tbeil I. Li diesem Anhange be- 
kämpft Sp. die Anwendung des Zweck -Begriff es auf 
Gott und die Natur. Diese Beseitigung des Zweckes aus 
den Naturerscheinungen gilt auch in der modernen Natur- 
wissenschaft. Bei dieser jist sie die Folge von der Be- 
seitigung aller göttlichen Thätigkeit aus der Natur. Der 



I. TheiL (Anhang zu Theü I.) 43 

Zweck ist ohne ein Wissen und Wollen unmöglich; 
wenn mithin ein wissender und wollender Schöpfer und 
Erhalter von der Natur ferngehalten wird, so fallen auch 
die Zwecke in ihr hinweg. Das grosse Bedenken gegen 
diese Auffassung, welches in der überaus zweckmässigen 
Einrichtung der Organismen, z. B. des menschlichen 
Auges, Itegt, hat seit der Theorie Darwin 's von der 
Entstehung der Arten und der natürlichen Züchtung sehr 
an seiner Kraft yerloren. 

Für Sp. war die Beseitigung des Zweckes nicht so 
leicht, da er den Begriff Gottes beibehielt. Wenn indess 
Grott bei Sp. weder einen Verstand noch einen Willen 
hat, sondern Alles in seinen Zustanden sich blos nach 
Art der logischen Folgen entwickelt, so musste auch bei 
einem solchen Gott der Zweck verschwinden. 

Dies ist es, was Sp. im ersten und zweiten Theil 
dieses Anhanges ausführt. Man vergleiche damit die 
Vorrede zum IV. Theil. Es bleibt dabei nur auffallend, 
wie in dem menschlichen Denken und Wollen der Zweck 
sich einfinden kann, wenn er in Gott und der Natur ganz 
fehlt. Sp. muss diese menschlichen Zwecke als Zustände 
(rottes nehmen, und es zeigt sich hier, dass das System 
eine Ausbildung von Zustanden zulassen muss, welche mit 
ihrem Attribut nichts gemein haben. 

Im dritten Theile dieses Anhanges kommt Sp. auf den 
Einwand, dass sich mit der von ihm behaupteten Voll- 
kommenheit der jetzigen Welt das Schlechte, Verwor- 
rene, Hässliche in derselben nicht vertrage. Hier blieb 
Sp. keine andere Wendung übrig, als diesen Begriffen 
des Schlechten u. s. w. die Wahrheit oder Eealität ab- 
zusprechen; es sind nach Sp. nur Beziehungsbegriffe, 
welche vom Standpunkte der menschlichen Empfindung 
und Xenntniss ausgehen, aber für eine Auffassung der 
Welt als Ganzes keine Wahrheit haben. Sp. sagt des- 
halb am Schluss: »Die Vollkommenheit der Dinge ist 
»nur nach deren Natur und Macht zu schätzen, und sie 
»sind nicht, deshalb mehr oder weniger vollkommen, weil 
»sie den Sinn eines Menschen ergötzen oder verletzen 
»und seiner Natur entsprechen oder nicht.« 

Für viele dieser Begriffe wird man leicht beistimmen; 
allein mit dieser Auffassung verlieren auch die sitt- 
lichen und ästhetischen Grundbegriffe des Guten 



44 L Theil. (Schlnssbetrachtnng znm L TfaeiL) 

und des Schönen ihre Wahrheit und Bealitat. Bas Böse 
nnd das Hässliche besteht dann nicht in der Welt, es 
ist nur ein Schein, der seinen Gmnd in der Schwäche 
der menschlichen Erkenntniss hat. Selbst der Mutter- 
mord Nero's ist dann in Wahrheit nichts' Böses, und 
Sp. scheut sich in dem 36sten Briefe nicht, dies zuzu- 
geben. Die weitere Erörterung dieser Fragen, geschieht 
erst in dem III. und IV. Theüe der Ethik. 

SoUassbetraclitang 211m I. Thell. Hier am 

Schlüsse des ersten Theiles der Ethik ergiebt ein Eück- 
blick auf denselben, dass man seinen Inhalt von der Be- 
weisführung unterscheiden muss. Sp. legt auf die geo- 
metrische Begründung seiner Sätze zwar grossen Werth 
und glaubt damit dieselbe Gewissheit, wie sie in der 
Mathematik besteht, erreicht zu haben. Die späteren 
Systeme zeigen indess, dass er dieses Ziel nicht erreicht 
hat. Auch war die Schwäche dieser Beweise leicht auf- 
zudecken. Allein trotz der Mängel in der Beweisführung 
hat der Inhalt der Sätze eine ausgedehnte Anerkennnng 
sich erworben. Die Philosophie Schelling's und He- 
geTs ruht in ihren wichtigsten Sätzen auf diesen Gedanken 
Spinoza's. 

Indem Sp. den Begriff Gottes beibehält und die Welt 
in ihm aufgehen lässt, gewinnt seine Philosophie eine 
Erhabenheit, eine Einheit und scheinbare Oonsequenz, 
welche sowohl dem religiösen Bedürfniss des Herzens wie 
den kalten Forderungen des Verstandes Genüge leistet. 
Die Philosophie Sp's. hat deshalb vorzugsweise bei jenem 
Theil der Gebildeten Eingang gefunden, deren geistige 
Entwickelung über die Lehren der Eeligion hinaus ge- 
schritten ist, aber deren Abhängigkeitsgefühl, um mit 
Schleiermacher zu reden, noch so stark geblieben ist, 
dass sie Gott nicht entbehren mögen. Sp. gehörte selbst 
zu diesen Charakteren. 

Lässt man dieses Gefühl bei Seite, welches in den 
Glauben, aber nicht in die Wissenschall und Philosophie 
gehört, so behält allerdings das System auch dann noch 
den Reiz der Einheit und Oonsequenz; allein nur für den- 
jenigen, der den wichtigen Unterschied zwischen den Be- 
griffen des Seienden und den blossen Beziehungs- 
formen des Denkens sich nicht klar macht. Sp. he- 



L TheiL (Schlnssbetrachtimg zum I. TheiL) 45 

wegt sich in diesem I. Theile beinahe nur innerhalb 
dieser letztem. Er theilt damit das Geschick der gan-. 
zen scholastischen Philosophie. Da diese Beziehnngs« 
formen nur dem Denken angehören, so sind sie dem Phi- 
losophen das Höchste, das Bekannteste, das -am leichtesten 
zu Handhabende. Um den Inhalt des Seienden in das 
Wissen überzuführen, braucht es ausdauernder und müh- 
samer Beol^achtungen und Yersuche; allein mit jenen Be- 
ziehungsformen des Unendlichen, der Substanzialitat, der 
Ursächlichkeit, der Vollkommenheit u. s. w. kann man, 
ohne die Augen zu öffnen, ein ganzes Netz von Gedan- 
ken zu einem System ausspinnen, was um so harmoni- 
scher sich gestaltet, je weniger es von dem Seienden 
Notiz nimmt. 

Erst wenn man damit an das Seiende herantritt, offen- 
bart sich seine Leere. Diese L^ere in den meisten 
Sätzen dieses I. Theils ist bereits dargelegt worden; sie 
kommt nur von dieser Natur der Beziehungen. Die 
Consequenz ist hier kein Verdienst, wo das Sein keinen 
Widerstand leisten kann. Auch die Einheit und die 
Beseitigung des Dualismus ist nur scheinbar. Die beiden 
Attribute der Ausdehnung und des Denkens yerlegen 
den Dualismus sogar in Gott selbst; der Gegensatz von 
Gott und Welt bleibt als Unterschied der Substanz und 
ihrer Zustande. Sp. behauptet nun zwar zugleich deren 
Einheit; allein diese Einheit ist entweder ein Widerspruch 
oder die blosse Beziehungseinheit, wie sie zwischen Ur- 
sache und Wirkung besteht und schon in dem religiösen 
Glauben enthalten ist. Auch die Immanenz Gottes 
fuhrt nicht weiter als zur Causa suiy d. h. zum Wider- 
spruch Auch die Einheit der Substanz und ihrer Zu- 
stande ist. nur eine Beziehung, die über die Einheit im 
Sein keinen Aufschluss giebt. Indem Sp. diese Einheit 
als eine seiende nimmt, geräth vielmehr seine Lehre in 
ein Schwanken und Schaukeln. Bald wird Gott von der 
Welt unterschieden, bald ist die Welt, als Modus der 
Substanz, wieder eins mit Gott; bald ist die Substanz das 
Gegentheil des Modus, bald sind beide nur Eins. Je 
nachdem es passt, wird bald der Unterschied, bald die 
Einheit betont, und der Leser sucht vergebens nach 
Festigkeit; das System kann sie vermöge der neckenden 



46 n. Theil. 1. 2. (Die üeberschrift, D. 1.) 

und irreführenden Natur der blossen Beziehungsformen 
trotz aller Subtilitaten und Anstrengungen Sp^s. nicht 
gewähren. 



Zweiter Theil* 

Ueber die Natur und den Ursprung 

der Seele. 



1. Die üeberSChrlft. Das Wort Mens ist hier 
mit Seele und nicht mit Geist übersetzt worden, da 
Geist nur den wissenden Theil der Seele bezeichnet 
(E. 65), während hier unter Mens auch die Gefühle und 
Begehren der Seele von Sp. mit befasst werden. 

• 

2i D. !• Nachdem Sp. zuvor bei sich ans den wahr- 
genommenen einzelnen Körper- und Seelenzuständen das 
Allgemeine der Körperlichkeit (Ausdehnung) und des 
Geistigen (Denken) durch begriffliches Trennen- gewonnen 
hat, dreht er das Verhältniss um und macht dieso Körper- 
lichkeit und dieses Denken zu dem Ursprunglichen und 
zu Attributen Gottes, welche vor ihren Zuständen sind 
(I. L.' 1); damit werden die einzelnen Körper- und Seelen- 
zustände das Spätere und zu Zuständen jener Attribute. 
Diese psychologische Entstehung des Systems liegt deut- 
lich vor; um so weniger ist ein Beweis vorhanden, dass 
die TJmkehrung dieses Gedankenganges dem Sein enir 
spricht und die Wahrheit enthält. 

Die von Sp. gegebene Definition des Körpers bleibt 
dabei höchst mangelhaft; Zustand ist nur eine Be- 
ziehungsform ohne Inhalt; von seienden Bestimmungen 
wird nur die Ausdehnung genannt; diese hat aber auch 
der leere Baum; im Körper sind weit mehr' Bestimmun- 
gen enthalten, insbesondere die Undurchdringlichkeit, die 
Gestalt und Bewegung, welche erst zusammen sein Wesen 



n. TheiL 3. 4. 5. (D. 2. D. 3 E. D. 4 E.) 47 

aasmachen. Sp. kann diese Bestimmungen nicht anfneh* 
men^ weil sie in dem Attribute nicht enthalten sind; so 
bleiht er auf das Leerste, auf die blosse Ausdehnung, 
beschränkt. 

Die nähere Darlegung, wie ein einzelner undurch- 
dringlicher und erfahrungsmässig für sich bestehender 
Körper, z. B. ein Stein, ein Stück Metall, als blosser Zu- 
stand eines allgemeinen Körpers vorgestellt und gefasst 
werden kann, bleibt bei Sp. aus. I)er Begriff der Acci- 
denzen hat an den Eigenschaften (Farbe, Gestalt etc.) 
eines Körpers einen Anhalt; aber bei Körpern, die für sich 
bestehen, fehlt dieser Anhalt; um so nöthiger wäre des- 
halb die Erläuterung dieses sogenannten Zustande^ 
gewesen. 

3i D. 2« Die Mängel dieser Definition von Wesen 
sind bereits zu I. D. 1 dargelegt worden. Man vergleiche 
n.»L. 37. 

4. D. 3 B. Auch die Definition der Vorstellung 
(idea) ist mangelhaft. Auffassung (conceptus) ist nur 
ein anderes Wort; die behauptete Thätigkeit der Seele 
dabei ist nicht überall vorhanden; insbesondere fehlt sie 
bei den Wahrnehmungs- Vorstellungen (£J, 3). Aller- 
dings kann das Wissen nicht definirt werden, aber dann 
sollte seine Definition aueh nicht versucht werden. Idea 
ist nicht mit Begriff, sondern mit Vorstellung Über- 
setzt worden, da Sp. auch die imaginationes oder bild- 
lichen Vorstellungen zu den Ideen rechnet. 

5. D. 4 E« Die zureichende Vorstellung {idea 
adaequaia) bildet einen höchst wichtigen Begriff im 
System Sp^s., den man sich geläufig machen muss, zumal 
er gänzlich von dem abweicht, was man gewöhnlich unter 
wahrer Vorstellung versteht. Nach der gewöhnlichen 
Auffassung wird der Inhalt einer Vorstellung lediglich 
durch ihren Gregenstand bedingt und ist davon abhängig* 
Allein nach dem System Sp's. besteht kein Einfiuss, keine 
Verbindung zwischen den Körpern und ihren Vorstellun- 
gen. Beide laufen nur parallel neben einander her, ohne 
dass Eines das Andere bestimmt (ü. L. 7). Wenn des-^ 
lialb auch die Vorstellung mit dein Gegenstande überein- 
stimmt, so ist dies doch nur eine äusserliche Beziehung, 



48 IL TheiL 6. 7. (D. 5 E. D. 6.) 

welche das innere Wesen der Vorstellung nicht trifft. 
Die Definition des Zureichenden bleibt nun hier ganz 
formal; erst aas in. D. 1 kann man ersehen, dass dar- 
unter eine solche Yorstellong zu verstehen ist, welche 
die alleinige und nicht blos partielle Ursache der aus ihr 
folgenden oder von ihr bewirkten Vorstellungen ist. Auch 
hier hat die Creometrie das Vorbild abgegeben. So ist 
für Sp. die Vorstellung des Kreises, als einer vom Mittel- 
punkt überall gleicl^ weit abstehenden Linie, eine zu- 
reichende {(idaequcUe) Vorstellung, weil aus ihr allein 
alle die besonderen, für den Kreis geltenden Lehrsatze 
abgeleitet werden können. Dieses Ableiten nimmt Sp. 
als die Gewinnung eines neuen Inhaltes. 

In Anwendung dieser Methode glaubt Sp. aus den 
obersten Prinzipien seiner Ethik die Erkenntniss Gottes 
Tind der Welt durch reine Folgerungen gewinnen zu 
können. Dies ist der grosse In1;hum Sp's., der sich 
bei Hegel in der dialektischen Entwickelung fortsetzt. 
Die logische Folgerung kann vielmehr nie zu einem 
Neuen führen, sondern bleibt innerhalb der Identität. 
Hierauf oder auf dem Nichtsein des Widerspruchs beruht 
ihre Beweiskraft {E, 46). 

Dies gilt auch für die Geometrie. Wenn scheinbar 
aus der Definition einer Gestalt, z. B. des Kreises, ein 
Neues abgeleitet wird, so geschieht es doch in Wahrheit 
nur durch die Beobachtung, dass im Kreise sich Drei- 
ecke einfügen, mithin die für diese geltenden Lehrsätze 
auch innerhalb der neuen Gestalt des Kreises gelten 
(E, 79). 

6. D. 5 B« Dauer bezeichnet die Existenz inner- 
halb der Zdit, während die Ewigkeit die Existenz ausser- 
halb der Zeit nach Sp. bezeichnet. Man vergleiche 111. 
L. 4 bis 10. 

7. D. 6i Auch hier wird der natürliche Sinn der 
Woi*te verlassen; nach diesem ist Eealität eine seiende 
Bestimmung (Eigenschaft, Geschehen), Vollkommenheit da- 
gegen eine durch einen Zweck bestimmte Beziehungs- 
form, also nur innerhalb des Denkens, wie Sp. im An- 
hange zu Theil I. selbst ausgeführt hat. Ausserdem 
missbraucht Sp. auch hier die Identität und nimmt 6e- 



n. Theü. 8. 0. 10. (D. 7. A. 1. 2. 3.) 49 

Stimmungen schon deshalb für identisch, weil sie un- 
trennbar mit einander verbunden sind. Dies wiederholt 
sich noch öfter; so wird III. L. 7 das Begehreu mit dem 
Wesen identificirt. 

8. D. 7. Wenn es nach Sp. kein Leeres (Vacuum) 
giebt, also alles Stetige zusammenhängt, so kann man 
fragen: Wober kommt das Einzelne? was macht die Be- 
grenzung, aus der Sp. die Endlichkeit ableitet? Sp. sagt: 
ein anderes Endliche; allein Jedermann sieht, dass diese 
Definition sich im Kreise dreht. Es zeigt sich an diesem 
Fall, wie leicht gerade die nur dem Denken vertrauende 
und die Wahrnehmung vernachlässigende Philosophie be- 
reit ist, Begrijffe roh aus der Erfahrung aufzunehmen, 
ohne sich um ihre Bedeutung und ihren Ursprung zu 
kümmern. 

9. A. 1. 2. Der Begriff des Wesens des Menschen 
ist erst aus den Wahrnehmungen der einzelnen Menschen 
durch begriffliches Trennen gebildet, und zwar so, dass 
das Einzelsein dabei beseitigt worden ist {E, 19). Dieser 
Ursprung des Wesens wird aber dann vergessen, das 
Wesen als das Erste und Ursprüngliche genommen und 
so der Schein gewonnen, als wenn die einzelnen Menschen 
etwas von dem Wesen Verschiedenes wären, und als wenn 
deshalb jeder einzelne Mensch eine zwiefache Ursache 
brauche, eine für sein Wesen und eine zweite für seine 
Existenz. 

A. 2 ist wieder ein reiner Erfahrungssatz, der ohne 
Weiteres als Axiom hingestellt wird. Unter Denken 
sind hier alle wissenden und seienden Zustände der 
Seele zu verstehen. 

10. A. 3t Auch dies ist ein rein aus der Selbst- 
wahmehmung (E, 5) entlehtfter Satz, der einer viel 
sorgfältigem Fassung bedarf, wenn er als Gesetz in die 
Wissenschaft aufgenommen werden soll. So sind die 
Gefahle in ihrem Dasein nicht davon bedingt, dass man 
sich ihrer bewusst ist. So giebt es völlig unbestimmte 
Begehren und Instinkte. Diese Feinlieiten kann freilich 
eine Philosophie nicht bemerken,* die nur das Denken als 
die Quelle der Wahrheit gelten lässt. 

BrUntermigeii so Spinoza^s Etbik 4 



60 n. Theil. 11. 12. 13. (A. 4. 5. L. .1. B. E. L. 2.) 

11. Ai 4. Unter Körper ist hier der eigne Leib 
gemeint. 

12. A. 5. Hier wird übereinstimmend mit der in 
Band I. der Philosophischen Bibliothek enthaltenen Dar- 
stellung das Wahrnehmen auf das Körperliche und anf 
die Seelenzustände beschränkt; es ist die sinnliche und 
die Selbstwahmehmung gemeint (E, 5). Indess ist diese 
Uebereinstimmung nur scheinbar; es wird später sick 
zeigen, dass Sp. keine unmittelbare Wahrnehmung frem- 
der Körper annimmt. Die Seele ist bei ihm iiur auf 
die Bilder ihres eigenen Körpers beschränkt. 

13i L, 1 B. B. L. 2. Indem Sp. für Grott einen 
Inhält brauchte, und dieser Inhalt oder die Bestimmtheit 
nur in den Zuständen zu finden war, so blieb Sp. nur 
übrig, das Allgemeinste aus diesen Zuständen durch 
trennendes Denken auszuziehen und dies zu den Attri- 
buten Gottes zu erheben. Dies Allgemeinste ist das 
Körperliche und das Geistige, oder wie Sp. es nennt, die 
Ausdehnung und das Denken. So erklärt sich psycho- 
logisch die Entstehung des Systems. In dem von Sp. 
gebotenen Beweise ist diese Entstehung verhüllt. Der 
Beweis ist übrigens schwach, da er zu viel beweist So 
gut, wie man aus den einzelnen Gedanken und Körpern 
das Allgemeine ausziehen und zu Attributen erheben 
kann, ebenso gut kann man es aus den einzelnen Ge- 
fühlen, aus den einzelnen Gestalten, aus den einzelnen 
Farben, aus den einzelnein Bewegungen, und ebenso gut 
kann man daher auch das Gefühl an sich, die Gestalt, 
die Farbe, die Bewegung als Allgemeines zu einem 
Attribut Gottes erheben. Die Unendlichkeit kann auch 
hier durch Steigerung der Realität gewonnen werden. 
Der Beweis Sp's. passt also genau hier wie dort, und 
zeigt somit die Willkürlichkeit des Systems, -r Erst durch 
L. 1 und 2 ist ein Inhalt für Gott gewonnen, der im 
I. Theile noch fehlte: das Denken und die Ausdehnung. 
Nach I. L. 11 hat indess Gott noch unendlich viele an- 
dere Attribute; allein der menschliche ^Verstand hat keine 
Vorstellung davon. Dies ist sehr erklärlich, weil das 
Körperliche und das Geistige Alles bezeichnet, was die 
Sinnes- und Selbstwahmehmung bietet, und kein Denken 



n. Theü. 14. 15. (L. 3 B. E. L. 4 B.) 51 

darüber hinaus ein Neues bieten kann (E. 9). Man 
kann hier fragen, weshalb Sp. nur die räumliche Aus- 
dehnung zu dem Attribute Gottes erhebt , und nicht auch 
die Zeit, welche dem Eaum so verwandt ist. Nach n. 
L. 44 E. erkennt Sp. überdem die Wirklichkeit der Zeit 
an. Wenn er sie dennoch nicht zu den Attributen rech- 
net, so liegt dies in seinem Begriff der Substanz, welche 
ausserhalb der Zeit, d. h. ewig ist. So besteht bei Sp. 
ein gänzlicher Gegensatz zwischen Zeit und Baum. Nur 
der Eaum gehört zu dem Wesen Gottes und bildet ein Attri- 
but desselben; die Zeit dagegen ist nur ein Zustand, sie 
gehört nur zum bildlichen Vorstellen; das Erkennen 
erfasst die Zeit nicht, sondern nur das zeitlose Wesen 
der Dinge. 

14. L. 3 B. B. In E. zu I. L. 17 ist der Ver- 
stand (intelleetiis) Gott abgesprochen worden; ebenso 
ist in I. L. 31 der Verstand, sowohl der endliche wie 
der unendliche, zur gewordenen Natur gestellt worden, 
also zu den blossen Zuständen und nicht zu den Attri- 
buten Gottes« Dennoch wird hier behauptet, dass in Gott 
eine Vorstellung (idea) bestehe; die Vorstellungen bilden 
aber gerade das, was man Verstand nennt ; auch wird in 
L. 4 dies ausdrücklich anerkannt. Man wird ^esen 
Widerspruch wohl nur so lösen können, dass man unter 
dem G<)tt abgesprochenen Verstand nur einen solchen 
versteht, welcher in seinen einzelnen Gedanken wechselt 
imd eine zeitliche Bewegung und Veränderung seines In- 
haltes hat; hier ist dagegen unter Vorstellung, die Gott 
hat, nur eine ruhende, aber Alles in sich befassende zu 
verstehen, z. B. so, als wenn ein Kreis zugleich die Vor- 
stellung aller in ihm als Folge enthaltenen Lehrsätze 
hätte. 

Der Beweis ist rein formal auf die Unendlichkeit 
Gottes gestützt; damit kann freilich Alles bewiesen 
werden. 

In der E. wird wiederholt eingeschärft, dass Gottes 
Macht und Handeln nicht als menschliches Handeln zu 
fassen ist, sondern in der Art der logischen Folgen. 

15. L. 4 B. Wenn Gott nur einer ist, so ist auch 
die Vorstellung Gottes nur eine^ Vorstellung von Gott 

4* 



52 n. Theü. 16. (L. 5 B.) 

oder Gottes ist hier in dem zwiefachen Sinne zn nehmen, 
dass die Yorstellong Gott znm Gegenstande hat nnd zu- 
gleich Gtoii als die seine angehört. 

Indem Sp. Gott nicht blos das Denken als Attribut, son- 
dern auch eine Vorstellung beilegt, welche nach den spä- 
teren als seine Seele angesehen werden mnss (II. L. 11), 
so scheint hier Sp. ein besonderes Vorstellen Gottes 
neben dem Vorstellen der menschlichen Seelen anzuneh- 
men. Allein andere wichtige Stellen des Systems (11. 
L. 11 Z.) f&hren dahin, dass das Vorstellen Gottes sich 
nur aus dem Vorstellen der Seelen zusammensetzt und 
nichts davon Verschiedenes, sondern nur deren Totalitat 
ist. In diesem Sinne sagt Sp. auch in V. L. 36: »Die 
»geistige Liebe (oder Erkenntniss) Gottes innerhalb der 
»menschlichen Seele ist die Liebe Gottes, mit welcher 
»Gott sich selbst liebt; sie ist ein Theil der unendlichen 
»Liebe, womit Gott sich selbst liebt.« Dieser Gedanke ist 
bekanntlich von Hegel festgehalten worden. Um so 
auffallender ist es, dass Sp. hier ein besonderes Vor- 
stellen in Gott selbst neben dem menschlichen Vorstellen 
behauptet. Der Begriff der menschlichen Seele, als eines 
Zustandes Gottes, ist dadurch noch mehr erschwert. 

16i L. 5. B« In L. 5. 6. 7 wird die Folgerung ans 
der Selbstständigkeit (in ae esse) der Attribute gezogen. 
Da nach Sp. kein Attribut mit dem andern etwas gemein 
hat, da keines die Ursache von einer Wirkung in einem 
andern Attribute sein kann, so folgt allerdings, dass die 
einzelnen Vorstellungen in dem Menschen nicht von ihren 
Gegenstanden bewirkt werden, sondern von andern, ihnen 
zeitlich und ursachlich vorangehenden Vorstellungen, nnd 
L. 5 spricht dies offen aus. Die Beihe der ursachlich 
verknüpften Zustände läuft also in jedem Attribute für 
sich ab, ohne alle Beeinflussung von einem andern Attri- 
bute. Die Wahrheit oder üebereinstimmung der Vor- 
stellungen mit ihren Gegenständen wird aber dadurch 
nicht aufgehoben; nach L. 7 ist die Ordnung und Ver- 
knüpfung in allen Attributen dieselbe; die Beihen laufen 
in allen parallel, und die verschiedenen Attribute werden 
in Wahrheit zuletzt für eines erklärt. 

Der Beweis für diese Sätze dreht sich, wie zu er- 
warten war, im Zirkel. Nachdem der Begriff der Attri- 



EL Thea 17. 18. (L. 6 B. B. L. 7 B. Z.) 63 

bute nnd ihre Selbstständigkeit zuerst willkürlich gebildet 
worden ist, kann allerdings dann diese Folgerang darans 
abgeleitet werden. Wenn einmal die Wahrnehmung als 
die Brücke, welche allein zu dem Seienden führt, ver- 
lassen wird, ist es nicht schwer, Hypothesen auszusinnen, 
welche in ihren gröbsten Bestimmungen mit der Erfahrung 
sich vereinigen, welche aber bei jedem weitem Fortschritt 
in das Feinere und Einzelne ihren Dienst versagen und 
ins Stocken gerathen. 

Nach Sp. gleicht alles Wahrnehmen der Ideen-Asso- 
ciation. So wie hier eine Vorstellung von einer andern 
geweckt wird, so soll nach Sp. dies allgemein, also -auch 
für die Wahrnehm ungs- Vorstellungen, gelten. 

Sp. verlässt damit die natürliche Auffassung und den 
ersten Fundamentalsatz der Wahrheit. Es wird sich 
zeigen, dass er, wie zu erwarten, nicht im Stande ist, 
seine Hypothese bis in das Einzelne consequent durch- 
zuführen. Schon Trendelenburg (Historische Beiträge 
zur Philosophie. 11. 64 u. ff.) hat diesen Mangel dar- 
gelegt. Bei der TJnnatürlichkeit und Künstlichkeit der 
Hypothese ist die Frage von Interesse, wie Sp. zu ihr 
gekommen ist? Es schemt, dass nur die reine Conse- 
quenz des Denkens ihn dazu geführt hat. Nachdem er 
das Wesen der Substanz und der Attribute einmal in 
das »In sich sein« gesetzt und die Ursächlichkeit 
auf die Gemeinsamkeit zwischen Ursache und Wirkung 
gegründet hatte (I. D. 3. 4. A. 4. 5. L. 3), war die hier 
gezogene Folgerung unabweisbar. 

17. L. 6 B. B. Das Nöthige ist vorstehend bemerkt. 
Der L. 6 verallgemeinert nur den Gedanken des L. 5. 
XJebrigens bleibt L. 6 formal, da Niemand, und auch Sp. 
nicht, ein anderes Attribut neben dem Körperlichen und 
Geistigen (Ausdehnung und Denken) angeben kann. 

18. L. 7 B. Z. Dieser parallele, einander genau 
entsprechende Lauf der Vorstellungen und der Dinge ist 
derselbe Gedanke, denLeibnitz unabhängig von Sp. als 
prästabilirte Harmonie ausgebildet hat. 

Der Beweis, den Sp. hier giebt, ist unzureichend. 
Denn Sp. beruft sich nur darauf, dass die Beihe 
der Zustande innerhalb eines jeden Attributs causal zu- 



54 II. Theü. 19. (E. ZQ L. 7;) 

samm^iliäDg«. Daraas folgt aber nichts dass diese Eeüien 
auch parallel laufen oder unter einander äbereinstimmen, 
was L. 7 behauptet, 

19. Bi m Ifi 7« In dieser E. wird ein höchst wich- 
tiger Satz aufgestellt, der deshalb auch formell als Lehr- 
satz für sich hatte behandelt werden sollen. Der gegen- 
standliche Unterschied der Attribute wird darin auf- 
gehoben; alle Attribute sind ein und dasselbe; der 
Unterschied kommt nur von der »yerschiedenen Auf- 
fassung« oder Yon den »zwei Weisen des Ausdrucks« 
{eovnprehenderey eaprimere). Mit dieser Identität ist 
allerdings das Sonderbare des parallelen Laufs der Beihen 
der mehreren Attribute erklart; allein desto sdiwi^ger 
wird dadurch der Begriff des Attributs. Man kann fra- 
gen: Von wem geht die Auffassung aus, durch deren 
Unterschied das Eine zu Vielen wird? Sp. denkt offen- 
bar an die menschliche AufiGassong. Allein dann ist 
der Unterschied der Attribute nur eine Erscheinxmg im 
Sinne Kantus, eine Ansicht, yon welcher sonst keine 
Spur bei Sp. zu finden ist. Viele Ausleger des Sp. 
haben dennoch diese Erklärung, in Ermangelung einer 
bessern, angenommen. E. Fischer (Geschichte der 
neuem Philosophie. I. 360) missbilligt dies mit Becht; 
aber seine Erklärung ist nicht minder bedenklich. Er 
sagt: Der menschliche Verstand unterscheide nur die 
Attribute, aber' er mache sie nicht. Aber wenn der 
Verstand die mehreren Attribute nicht macht, so sind 
ihre Unterschiede schon vor dem Verstände da. Die 
Unterschiede entspringen dann nicht aus der Auffassung; 
und wenn der Unterschied erst von dem Verstände durch 
sein Unterscheiden in die Substanz gebracht wird, so ist 
er sein Werk und der Unterschied also nur Erscheinung 
im Sinne Kaut's. 

Eine in das System passende Erklärung dieser Ein- 
heit scheint deshalb nicht möglich, aber vielleicht eine 
psychologische Erklärung. Sp. legt im Verlauf seiner 
Ethik auf diese hier betonte Identität der Attribute kein 
Gewicht und benutzt sie nirgends, um weitere Folgerun- 
gen daraus zu ziehen; nur in ni. L. 2 E. wird diese 
Einheit beiläufig wieder erwähnt. Sonst wird überall an 
dem wirklichen Unterschied der Attribute festgehalten. 



n. Theil. 20. (L. 8 6. K. E.) 55 

Es scheint deshalb diese Identität der Attribute hier nur 
ein hingeworfener Gedanke des Sp. geblieben zu sein, 
auf den er zur Erklärung des Parallelismus der Beihen 
kam, den er aber selbst nicht weiter festgehalten hat, so 
dass er die darin enthaltenen Bedenken nicht bemerkte. 
Offenbar war dieser Gedanke ein erster Blitz im Sinne 
des Kant* sehen Idealismus; alleili Sp. liess ihn un- 
l)eachtet und ging sofort wieder auf die reale Unter- 
schiedenheit der Attribute zurück. 

20. L. 8 B. Z, B. Nachdem Sp. allen Einfluss 
zwischen dem Vorstellen und seinen Gegenständen auf- 
gehoben hat, ist damit auch dem Wissen seine eigen- 
thümliche Natur genommen; es ist damit ein Sein ge- 
worden wie jedes andere, und es ist ein ihm nur äusser- 
liches Verhältniss, das es auf einen Gegenstand weiset 
oder ihn spiegelt. 

Deshalb verhalten sich die einzelnen zeitlich auftreten- 
den Vorstellungen zu dem Wesen ihrer innerhalb Gottes 
Denken ebenso, wie die einzelnen zeitlich auftretenden 
Körper zu ihrem Wesen in Gottes Ausdehnung. Das 
Wesen beider ist als eine ewige Wahrheit in Gott ent- 
halten; die zeitliche Existenz entwickelt sich daraus nur 
innerhalb der causalen Reihe der Zustände in der Weise 
Ton logischen Folgen. 

Dies ist es, was dieser L. 8 ausspricht. 

Diese Selbstständigkeit der Vorstellungsreihe ist für 
das System Sp*s. von den weitgehendsten Folgen. Der 
gewöhnliche Begriff der Wahrheit, die IJebereinstimmung 
des Wissens mit dem Gegenstande, tritt deshalb bei Sp. 
ganz zurück; viel wichtiger ist ihm das Zureichende 
(cuiaeguate) der Vorstellungen, welches darin besteht, 
dass eine Vorstellung die volle, alleinige und nicht blos 
partielle Ursache der ihr in der causalen Seihe folgen- 
den Vorstellung ist. Denselben Gedanken hat Hegel 
in seinem Begriff der Entwickelung und der Wahrheit 
aufgenommen. 

Nur die zureichenden Vorstellungen sind es, wo- 
durch die Seele handelt; nur solche Vorstellungen sind 
zugleich die Vorstellungen Gottes, als solchen. 

Damit ändert sich auch der Begriff des Falschen; 
das Falsche ist das blos Partielle, eine Vorstellung, 



56 n. Thea. 21. 22. (L. 9 6. Z. B. L. 10 B. E. Z.) 

der Einzelnes fehlt, durch dessen Hinzntritt sie aber eine 
zureichende werden kann. Doshalb ist das Falsche nur 
ein Mangel; in Gott, als der Totalität ist dieses Partielle 
nicht vorhanden; ind^n in ihm auch das dort Fehlende 
enthalten i§t, sind alle seine Vorstellungen zureichende 
oder wahre (Z. zu II. L. 11). 

Daraus erklärt sich weiter, wie Sp. das Erkennen zur 
Hauptaufgabe und zur Seligkeit des Menschen erheben 
kann. Bei Sp. sind die Vorstellungen ein Seiendes, 
wie die Körper; ein blos im Denken sich bewegender 
Mensch ist nach Sp. ebenso seiend thätig wie ein Staats- 
mann oder Feldherr oder Baumeister, ja, seine Thätigkeit 
ist allein eine freie. 

Das Vorstellen ist nie ohne ein ihm entsprechendes 
Körperliches; diesen Grundsatz fuhrt Sp. mit voller Con- 
Sequenz durch. Deshalb ist die Seele nur die Vorstellung 
ihres Körpers, und deshal b giebt es keine blossen Vor- 
stellungen (£. 11), vielmehr entspricht auch diesen immer 
eine körperliche Gestaltung in ihrem Leibe, deren Spiegel 
oder Abbild sie ist. Deshalb besteht ferner kein Unter- 
schied 'zwischen Wahrnehmen und dem blossen Vor- 
stellen; beide spiegeln einen Zustand ihres Körpers und 
nichts mehr. 

Der Leser muss sich mit Sorgfalt diese Sätze zn 
eigen machen; nur bei strenger Festhaltung dieser Grund- 
gedanken kann die Ethik verstanden werden. 

Das Beispiel mit dem Kreise ist interessant ; es zeigt, 
wie sich Sp. das Wesen getrennt von der zeiüidien 
Existenz und doch in den Attributen existirend vorstellt 
Das Wesen wird damit in diesem Beispiele zu einer 
blossen Möglichkeit, und hieraus erhellt, wie unans- 
fuhrbar jede bestimmtere Entwickelung des Spinozistischen 
Begriffes vom Wesen ist. 

21« L. 9 B. Z. B. Dieser Lehrsatz mit seinem 
Zusätze ist liur die nähere Darlegung der vorgehenden 
Lehrsätze; er ist die reine Folge von den L. 28. 29 
Th. I. und von L. 7 Th. II. Dass die Ableitung des 
Endlichen aus dem Unendlichen ausbleibt, ist bereits zu 
I. L. 28 gezeigt worden. 

22. L. 10 B. B. Z. Nach Sp. ist der Mensch 
wegen seiner Vergänglichkeit und Endlichkeit keine Snb- 



n. TheU. ai (L. 10 B. E. Z.) 57 

stanz, sondern nur ein Zustand von oder in, Gott. Da 
das System zuvor die Substanz zu dem Unendlichen er- 
hoben hat, so ist diese Folgerung richtig. Die Frage 
ist nur, ob der Ton Sp. aufgestellte Begriff der Substanz 
die Wahrheit enthält? Das Nöthige hierüber ist zu Th. I. 
bemerkt. Der Streit, ob etwas Substanz oder nur Acci- 
denz, läuft; leicht auf einen Wortstreit hinaus, da Sub- 
stanz ja nur eine Beziehungsform des Denkens ist und 
weder ein endliches noch unendliches Sein darstellt. 

Das hier allein Interessirende ist die Frage: Wie 
soll diese Zuständlichkeit des Menschen und seine Eini- 
gung mit Gott im Sein vorgestellt werden? und welche 
Folgerungen können daraus für die menschliche Natur 
abgeleitet werden? 

Hier lässt aber Sp., den Leser im Stich. Er bleibt' 
einfach bei der Phrase: der Mensch ist eine Erregung 
{affectio) oder ein Zustand {tnodu8)y welcher die Natur 
Gottes auf eine bestimmte Weise ausdrückt. Ob Gott 
daneben noch ein Besonderes, Selbstständiges ist, dem 
die Menschen, wie z. B. das Grün dem Blatte, inhäriren, 
oder ob Gott nur die Totalität dieser Zustände ist, und 
Nichts daneben, diese Frage bleibt bei Sp. im Dunkeln; 
seine Wendungen fuhren bald zu dem Einen, bald zu dem 
^ndem. Dasselbe gilt von den von nun ab fortwährend 
wiederkehrenden Ausdrücken: »Das Einzelne, das End- 
»liche hat Gott zur Ursache, oder ist in Gott, nicht 
»insofern er unendlich ist, sondern sofern er aufge- 
»fasst wird {considei^atur) als erregt (affeciua) von 
»einem Endlichen«; oder: »insofern er die menschliche 
»Seele darstellt«; oder: »sofern er das Wesen der 
»Seele ausmacht«. Es ist dieselbe Unklarheit wie bei 
der Bezeichnung des Endlichen: »als eines Zustandes, 
»der Gottes Natur auf eine bestiltnmte (endliche) Weise 
»ausdrückt.« Femer erhebt sich auch hier die früher 
erwähnte Frage: Von wem geht dieses »Auffassen« 
aus? bezeichnet es blos einen Unterschied im Denken 
oder auch einen Unterschied im Sein? Ist dieses End- 
liche nur Erscheinung oder Wirklichkeit? Alle diese 
Fragen bleiben ungelöst. 

Eine bildliche, das Seiende bezeichnende Vorstellung 
ist für solche Ausdrücke nichf zu finden. Dies macht 
die Dunkelheit von Sp's. Ethik aus, die ihren letzten 



58 n. Thefl. 23. 24. (L. 11 B. Z. £. L. 12 B. E.) 

Gmnd darin hat, dass er das Unnatürliche versticM, 
n&mlich reine Beziehungen als ein Seiendes zu be- 
handeln. 

Die E. 2 dreht sich am Schlnss um eine Snhtüität, 
die nicht zu verstehen ist. Sp. bemerkt, dass seine frü- 
here Definition des Wesens hier nicht passt; er sucht 
ihr deshalb auszuweichen, aber in Wendungen, welche 
dennoch jene Definition wiederholen. 

23. L. 11 B. Z. B, Nach Sp. ist die wissende 
Seele nur die Vorstellung ihres Körpers; alle ihre Vor- 
stellungen haben nur ihren Körper und dessen yersclue- 
dene Zustände zu ihrem Inhalt. Yen fremden Körpern 
erhält die Seele nur mittelbar Kunde, dadurch, dass 
ihr Körper einen körperlichen Eindruck Ton denselben 
empfangt. Diese Eindrücke haben zum Theil ein Gemein- 
sames (Commune) mit den fremden Körpern, und da- 
durch stimmt die Yorstellung derselben einigermassen 
mit ihnen; indess doch nur parfciell, verworren uud 
mittelbar. Der unmittelbare Gegenstand jeder Vorstellung 
bleibt dabei immer nur der eigne Körper. So sehr diese 
Lehre der natürlichen Auf^sung widerstrebt, so ist sie 
doch consequent, denn der causalen Beihe der Vorstel- 
lungen entspricht genau eine causale Beihe in den Mh 
pern (11. L. 7), aber beide Beihen haben keinen Einflnss 
auf einander. 

24« L, 12 B. B. Da die Beihe der Vorstellungen 
und die Beihe der Gegenstände parallel laufen, so ist 
auch kein Gegenstand ohne eine ihm entsprechende Vor- 
stellung, und jede Veränderung in dem Gegenstande ist 
von einer gleichen Veränderung im Vorstellen begleitet 
Ist nun die Seele diesd Vorstellung des Gegenstandes, so 
hat sie auch das Wissen von Allem, was in diesem 
Gegenstande vorgeht. Dieses Alles folgt aus den vor- 
gehenden Lehrsätzen. Sp. nimmt in dem B. einen Um- 
weg durch Grott, der indess den Beweis nicht verstärkt, 
sondern in die schon gerügte Dunkelheit der Phrase: 
»Gott, SO" weit er die Natur der menschlichen Seele aos^ 
»macht«, geräth. üebrigens gilt der L. 12 nicht in der 
Allgemeinheit, wie seine Worte lauten; dies ergeben II. 
L. 24 und 27. Die Einheit der Seele beruht dabei auf 



n. Theil 25. (L. IS B. Z. E.) 59 

der Einheit des Gegenstandes oder ihres Körpers nach 
Analogie des 11. L. 4. * 

25« L. 13 B« Z. B. Der Beweis dieses Lehrsatzes 
holt ebenfalls von Gott aus; indess ruht er in seinem 
Kerne lediglich auf der Selbstbeobachtung. Denn die 
A. 4 und 5 Th. 11, auf denen der Beweis beruht, sind reine 
Erfahruiigssatze. 

Im Z. wird dies einfach anerkannt, und es erhellt 
daraus, dass Sp. der Wahrnehmung Wahrheit beilegt, 
also den ersten Fundamentalsatz {E, 68) anerkennt. 

Der Unterschied von KOrper und Seele ist deshalb 
für Sp. ein wirklicher. Die Einheit beider, von der 
Sp. in der E. spricht, ist nicht die eines gegenseitigen 
Einfl^usses oder einer Wechselwirkung, wie man gewöhn- 
lich meint; auch nicht eine solche, welche den Unter- 
schied -zu einem blossen Scheine herabsetzt; sondern es 
ist die Einheit, welche aus dem yollstandigen Parallelis- 
mns zwischen Yorstellung und Gegenstand heryorgeht, 
denn nur diesen hat Sp« vorher behandelt. 

Sonderbar ist die Wendung, welche Sp. dann in die- 
ser E. nimmt: dass man, um die Natur der Seele ken- 
nen zu lernen, ihren Körper kennen lernen müsse, und 
dass die Kenntniss der Seele nur auf diesem Wege er- 
langt werden könne. Damit wäre alle unmittelbare Be- 
obachtung der, Seele selbst (Selbstwahrnehmung. E. 5) 
überflüssig. Ist die Seele nur eine Vorstellung ihres 
Körpers, so scheint dieser Satz consequent; allein näher 
betrachtet, gilt diese Consequenz nur für den Inhalt der 
Yorstellung. Ist die Seele nur ein Spiegel des Körpers, 
so kann man allerdings den Inhalt des Spiegelbildes 
durch den Körper, den es spiegelt, am Besten kennen 
lernen. Allein das Eigenthümliche des Wissens der Seele 
liegt in der Form, in welcher dieser Inhalt gespiegelt 
wird. Diese Form, dieser Spiegel an sich, dieses Wissen 
kann nie aus dem Körper erkannt werden; denn durch 
diese Form unterscheidet sich gerade das Wissen von dem 
Körper; oder, wie Sp. sagt: das Attribut des Denkens 
kann, wie jedes, nur in. und durch sich allein auf- 
gefasst werden. So triflft Wissen und Sein nur im In- 
halte zusammen; die Form des Wissens muss aber 
durch sich selbst erkannt werden; dazu hilft die Kenntniss 



60 n. TbeiL M. (A. 1. 2. Ln. 1. 2. 3 mit A. 1. 2.) 

des KörDers schon deshalb nichts, weil diese Kenntniss 
selbst ^eder nur ein Wissen ist. Sp. kommt später 
selbst auf das Wissen des Wissens, wie L. 21 ergiebi 
Was dagegen die Eenntniss der fremden Gegei^nde 
nnd der Körper überhaupt anlangt, so erhält nach Sp. 
die Seele die Eenntniss von ihnen nur mittelbar durch 
die Veränderungen, welche ihr eigner Körper von den 
fremden Körpern erfahrt. Insofern ist es consequent, den 
Vorzug und die höhere Eealität der Seele von der Natnr 
ihres Körpers abzuleiten, wie hier geschieht. 

26. A. 1. 2. Ln. 1. 2. 3 mit A. 1. 2. Diese hier 
vorgetragenen Sätze von den einfachen Körpern sind in 
sich verständlich; sie stimmen zum grossen Theil mit 
den Lehren der modernen Naturwiesenschaft überein. Sp. 
giebt sie theils als Axiome, theils als Lehnsätze, 
d. h. *als Sätze, die aus andern Wissenschaften entlehnt 
sind. Nichtsdestoweniger fügt er diesen Lehnsätzen Be- 
weise bei. Fragt man nach der Quelle dieser Sätze, so 
sind sie sämmtlich durch Induction aus der Erfahrung 
entlehnt, und nur durch das trennende und verbindende 
Denken ist ihnen dann Einzelnes angehängt worden, was 
nicht aus der Erfahrung stammt, und deshalb zweifel- 
hafter bleibt. A. 1. 2 sind reine Erfahrungssätze. Ln. 1 
überschreitet durch Hereinziehung des Substanzbegriffes 
die Erfahrung, ist aber nach I. L. 15 selbstverständlich. 
Das XJebereinstimmen (eonvenire) in Ln. 2 ist ein 
sehr wichtiger Begriff, aus dem Sp. später das Gemein- 
same {Commune) bildet. Sp. versteht das begrifflich 
Gemeinsame (J^. 20) darunter; deshalb haben alle ein- 
zelnen Körper ein Gemeinsames darin, dass sie zu einem 
Attribut gehören, und alle entweder ruhen oder sich be- 
wegen, was Sp. zu den unendlichen Modificationen rechnet. 
Es bleibt aber zweifelhaft, wie weit Sp. dieses Gemein- 
same gelten lässt, da er viele begriffliche Bestimmungen, 
als Fictionen der Einbildung verwirft, wie später sich 
ergeben wird. Für das sogenannte Gesetz der Träg- 
heit in L. 3 giebt Sp. einen Beweis aus reinen Begriffen, 
der indess sophistisch ist. Nur durch Abstraction von 
Unterschieden wird die Bewegung, so weit sie verschie- 
dene Orte und Zeiten durchläuft, ein Identisches oder 
sich gleich Bleibendes; in der vollen Wirklichkeit ist die 



IL Theil. 27. (D. «u Ln. 3. Ln. 4. 6. 6. 7.) 61 

Bewegung des Körpers in der nächsten Minate und in 
dem nächsten Orfe ein Neues, was mit seiner Bewegung 
Yorher nicht dasselbe ist, also auch nicht aus einer an- 
geblichen Identität mit jenem abgeleitet werdep kann. 

Wollte man diese Methode gelten lassen, so könnte 
damit auch bewiesen werden, dass ein im Kreise sich 
hewegender Körper fortwährend diese Kreisbewegung, ver- 
möge der Gleichheit der einzelnen Kreisbogen, immer bei- 
behalten müsse, während die Erfahrung dies bekanntlich 
widerlegt. 

A. 1 und 2 hinter Ln. 3 sind wieder reine Erfah- 
rungssätze, obgleich es den Schein hat, als leitete Sp. 
sie aus Begriffen ab. 

27. D. %n Ln. 3. Ln. 4, 5. 6. 7. in der D. zu Ln. 3 

behandelt Sp. die Einheitsformen desAn-einander oder 
der Berührung (E, 26), und der Verbindung durch Kraft 
(E. 28); letztere jedoch zu unbestimmt. 

Die einfachen Körper {Molt*.kulii) untersrheidet Sp. 
blos nach der Euhe und Bewegung; also weder nach 
Gestalt, noch nach Grösse noch nach mateiialen Eigen- 
schaften {E, 4). Da nun die zasammengesetzten Körper 
ihre Eigenschaften nur von diesen Elementen ableiten 
können, so erhellt, dass sie wohl in Gestalt und Grösse, 
aber nicht in materialen Eigenschaften sich unterscheiden 
können; folglich sind^ diese, wie Farbe, Töne, Wärme, 
Geschmack, Geruch, Jteine wirklichen Eigenschaften. 
Cartesius hatte dies bereits ausgesprochen; Locke ist 
dem später beigetreten, und die moderne Naturwissen- 
schaft lehrt das Gleiche. Ihr gelten diese materialen 
Eigenschaften nur für das Erzeugniss der wahrnehmen- 
den Seele. Sp. äussert sich merkwürdigerweise hier- 
über nicht. Er konnte freilich diese Wendung nicht be- 
nutzen, da bei ihm jeder Vorstellung, also auch der der 
Farbe und des Tones, ein körperlicher Zustand ent- 
sprechen muss. 

Das Wesen der zusammengesetzten Körper besteht 
nach Sp. nur in der Bestimmtheit der Lage und gegen- 
seitigen Bewegung der Elemente. Alles, was diese nicht 
verändert, verändert auch den Körper nicht. Deshalb 
sagt Sp. in II. L. 24 B.: »Die Theile, welche den Kör- 
»per bilden, gehören nur insoweit zu dem Wesen des- 



62 n. TheiL 28--30. (H. i. bis H. 6. L. U B. L. 15 B.) 

> selten, als sie sich ihre Bewegungen in gewisser Weise 
gegenseitig mittheilen.« Man sehe auch II. L. 19 und IT. 
L. 39. Diese Lehrsätze sind ein Yersnch, das Wesen der 
organischen Körper, insbesondere des menschlichen 
Körpers, zn erfassen; er bleibt natürlich innerhalb der 
rohsten Annahmen stehen; doch sind diese Grundgedan- 
ken auch in der modernen Naturwissenschaft festgehalten 
worden. 

28. H. 1 bis H. 6. Diese Heischesätze sind theils 
aus der Erfahrung abgeleitet, theils Hypothesen. Sp. 
könnte sie ebenso gut, wie die früheren, Axiome nennen. 
In der Geometrie unterscheiden sich Postulate und Axiome 
dadurch, dass jene ein Thun, z. B. das Ziehen ei^er Linie 
fordern, dessen Ausführung durchaus einfach und leicht 
ist. In diesem Sinne ist hier das Wort nicht gebraucht. 

Das Erregen des menschlichen Körpers durch fremde 
Körper, und umgekehrt, besteht nach diesen Sätzen nur 
in Stössen und Bewegungen, also genau indem, was 
der moderne Materialismus behauptet. 

H. 5 ist die Vorbereitung zur Erklärung des Gedächt- 
nisses. Bonnet hat diesen Gedanken später weiter aus- 
geführt. Die Hypothese kommt nicht über dieses rohe 
Prinzip hinaus, da die Verwickelung in der Bewegung 
der Vorstellungen viel zu gross ist, um in ihrer näheren 
Bestimmtheit und Besonderung durcli ein solches mecha- 
nisches Prinzip ausreichend erklärt* werden zu können. 

29« L. 14. Bi Die Seele ist nur das parallel laufende 
Spiegelbild der Veränderungen ihres Körpers ; daraus folgt 
dieser L. 

30. L. 15. B. Der hier geführte B. gilt nur far 
Gott, nicht aber für die menschliche Seele, von wel- 
cher derL. spricht. Dieser Unterschied ist wichtig, weil 
nach L. 24 die Seele nicht die zureichende Kenntniss 
der Theile (Elemente) ihres Körpers hat. Man wird des- 
halb den L. 15 so verstehen müssen, dass er entweder 
nur von der in Gott seienden Vorstellung spricht, oder 
unter den Theilen des Körpers nicht seine Elemente 
meint. Die Fassung bleibt zweideutig. 



n. Theil. 31. 32. (L, 16 B. Z. 1. 2. L. 17. B. Z. E.) 63 

31. hu 16. B. Z> L 2» Dieser Lehrsatz ist für das 
System sehr wichtig; auf ihm heruht der Grundsatz bei 
Sp., dass die Seele von fremden Körpern durch das Wahr- 
nehmen nur eine mangelhafte und verworrene Kenntniss 
erhält» die damit auch dem bildlichen Vorstellen und der 
Erinnerung anhaftet. Die Seele nimmt dabei mehr ihr en als 
die fremden Körper wahr. Diese Meinung ist eine Folge der 
Auffassung, dass die Seele nur die Vorstellung ihres Kör- 
pers ist. Diese Meinung über das Wahrnehmen bietet 
sich dem Nachdenken allerdings zunächst dar; die Sinnes- 
werkzeuge des menschlichen Körpers nach ihrem Bau und 
die bekannten Sinnestäuschungen führen zunächst darauf. 
Wenn indess diese falschen Zusätze von der Seele selbst 
als solche erkannt und somit ihre Wahrnehmung der 
fremden Gegenstähde gereinigt und zur Wahrheit erhoben 
werden kann, so wird damit jene Auffassung bedenklich, 
und die Natur des Wahrnehmens erfordert deshalb eine 
viel tiefere Untersuchung, als hier von Sp. geschieht. 

Die Schwäche der Auffassung Sp's. erhellt schon dar- 
aus, dass sie durchaus die Frage nicht erledigt, weshalb 
die Seele, wenn sie nur Zustände ihres Köi'pers vorstellt, 
diese doch vielfach als fremde Körper auffasst. Die 
blosse Causalität der letzteren kann nicht dahin führen, 
denn die Seele stellt nicht diese Causalität, sondern nur 
deren Wirkungen in ihrem Körper vor. 

Diese ungenügende Darstellung der Seelenvorgänge ist 
die unvermeidliche Folge der Prinzipien des Systems und 
seiner rein deductiven Methode. 

32. L. 17. B. Z. B. Nach diesem L. und Z. erkennt 
Sp. keinen Unterschied zwischen der Wahrnehmung und 
der blossen Vorstellung an. Beide sind bekanntlich im 
Inhalte und möglicherweise auch in der Stärke ganz 
gleich; ihr Unterschied liegt lediglich darin, dass jene 
den Inhalt als gegenwärtig oder wirklich seiend 
setzt, während in der blossen Vorstellung dies nicht 
geschieht. (E. 11.) Dieser Unterschied betrifft die Wis- 
sensart (JE. 58) und ist für das Wissen der Seele von 
der höchsten Bedeutung. Dadurch allein wird ihr Vor- 
stellen von der steten Gegenwart der Gegenstände frei 
und .kann sich als Erinnerung und Phantasie in den 



64 n. TheiL 33. (L. 18 B. £.) 

mannichfachsten Weisen bewegen» ohne dass im Sein sich 
ein Stänbchen zu rühren braucht. 

Es ist höchst auffallend, dass Sp. diesen Unterschied 
yerlengnet; er geräth dadurch in grosse Schwierigkeiten; 
insbesondere fehlt bei ihm schon die nähere Angabe, wie ein 
anderer Zustand des Körpers die Gegenwart eines Inhaltes 
ausschliessen kann. Ist die Hypothese Sp's. wahr, so kann 
ein Zustand des Körpers wohl den andern yerdrängen, 
d. h. in der Seele muss ihre frühere Vorstellung einer 
anderen Platz machen, oder es kann eine Vorstellung mit 
einer anderen in Widerspruch kommen; allein wie der 
Inhalt der ersten bleiben und nur nicht mehr als gegen- 
wärtig gelten soll, ist durchaus nicht abzusehen. Biese 
Frage wird später weiter erörtert werden. 

In den B. zu Z. folgt die Ausnutzung des Satzes von 
H. 5. Es bedarf keiner Ausführung, dass diese materiale 
Erklärung für die feinen Verwickelungen des blossen Vor- 
stellens nicht zureicht. 

• Der in der E. entwickelte Begriff des bildlichen Vor- 
stellens ist richtig; es bildet nach Sp. den Gegensatz 
zu den zureichenden, das Wesen der Dinge erfassen- 
den Vorstellungen, oder zu dem Erkennen, mit dem die 
Seele die Dinge durch ihre ersten Ursachen erfasst, 
und deren Ordnung bei allen Menschen dieselbe ist (ü. 
•L. 18. E.), und von welchen in II. L. 37 und folgenden 
gehandelt wird. 

Der Irrthum wird als ein blosser Mangel, als ein 
Fehlen des Wahren behandelt. Allerdings kann man jedes 
Falsche auch als ein Fehlen des Wahren, d. h. als ein 
Nicht- Wahres, auffassen; allein dies hebt nicht auf, dass 
das Falsche für sich doch eine positive oder bejahende 
Aussage enthält. So ist die Existenz, welche hier die 
bildliche Vorstellung aussagt, gewiss ein Positives, and 
doch steckt darin das Falsche Diese Deduction Sp's. 
gehört zu den Verkehrungen des Seienden in blossen Be- 
ziehungsformen, die zwar überall im Denken ausführbar 
sind, aber die Natur des Positiven nicht erschüttern 
(E. 32). Das Weitere folgt zu II. L. 3 j. 

33« L. IBn B. E. Diese Erklärung des Gedächtnisses 
ist die Folge von L. 17. Ihre Schwäche ist leicht auf- 
zuzeigen. Sie trifft nicht einmal genau mit der Erfahrung 



n. Theü. 34. 35. (L. 19 B. L. 20 B.) 65 

überein. Nach der ErMämng Sp's. müssten beide Vor- 
stellnngen zugleich wieder in das Wissen eintreten; dies 
ist aber falsch; in den meisten Fällen wird die eine von 
der andern erweckt und folgt ihr zeitlich erst nach; ja 
oft währt es lange oder geschieht gar nicht, dass dde 
zweite nachfolgt, was nach Sp. unerklärlich wäre. 

34. L. 19t B« Hier kehren die Schwierigkeiten des 
Verständnisses wieder, welche in dem VerhJütnisse des 
Vorstellens Gottes und des Menschen nach Sp's. Dar- 
stellung liegen. Man schwankt^ ob das Vorstellen Gottes 
ein besonderes für sich ist, oder ob es sich blos durch 
die Seelen der endlichen Körper, einschliesslich des mensch- 
lichen verwirklicht. Im ersten Falle besteht kein Sein 
des Menschen und seiner Seele i n Gott, im letzten Falle 
geht die Einheit Gottes zu Grunde. Der Wortsinn bei 
Sp. deutet mehr auf die erste Alternative; indess ist wahr- 
scheinlich, dass Sp. dennoch die zweite meint, wonach 
ein besonderes Vorstellen Gottes neben dem Vorstellen 
der endlichen Wesen- nicht besteht, sondern jenes nur 
aus der Totalität dieser besteht. Dafür spricht auch die 
Fassung des B. zu II. L. 30 und V. L. 35. 36. Diese 
Auffassung ist dann in die Philosophie Hegers über- 
gegangen. 

Nach L. 19 hat die Seele nicht die Vorstellung der 
Elemente ihres Körpers, sondern nur seiner Zustände. 
Diese Zustande bestehen nach II. Ln. 7. E. und n. L. 24. B. 
nur in den Bewegungen der Theile; sie bilden seine Er- 
regungen. Ebendeshalb gehört zur vollen Kenntniss der 
Elemente auch die Kenntniss der auf sie einwirkenden 
Elemente, als solche, und da diese der Seele abgeht und 
nur in Gott als Unendlichem ist, so hat die Seele nur 
eine Kenntniss der Zustände ihres Körpers. Man ver- 
gleiche n. L. 24. 

35« L. 20. B. Sp. geht hier auf das über, was 
man Selbstbewusstsein nennt. Jedes Wissen der 
Seele ist nicht blos ein Wissen seines Inhaltes, sondern 
auch ein Wissen seiner selbst; man ist sich seiner Vor- 
stellungen als solcher bewusst; dadurch kann man sie 
beobachten, unterscheiden, ordnen, in Arten eintheilen 
und somit die Gesetze des Wissens, abgesehen von dessen 

Erläntemiigiaii zu Spinoza's Ethik. 5 



66 ILTheiL 36—39. (L.21.B.£.L.22.6.L.2a.B.L.24.B.) 

Inhalt, erfassen. Das Selbstbewasstsein ist eine der Na- 
tur des Wissens anhaftende Bestimmung, die man durch das 
Wissen seihst kennen lernt. Sp. verleugnet diesen Weg; 
er will auch hier das Selhsthewusstsein nur aus höheren 
Begriffen ableiten. Ein solcher Versuch muss natürlich 
missglücken. I^t das Denken ein Attribut Gottes, so ist 
das Vorstellen eine Modification • oder em Zustand dieses 
Attributs; aber es folgt nicht, dass es auch tou sich 
selbst eine Vorstellung haben müsse; im Gegentheil spie- 
gelt das Vorstellen nach Sp. nur die anderen Attribute, 
aber dass es auch sich selbst spiegeln müsse, dies folgt 
durchaus nicht aus seiner Natur, üeberdem gelangt man 
auf dem Wege des Sp. nicht zu dem Selbstbewusstsein, 
sondern nur zu einer Keihe des Vorstellens vom Vor- 
stellen, die kein Ende nimmt. 

36i Li 21i B. B. Hier wird der L. 20 weiter ausge- 
geführt. üeber die Einheit ist das Nöthige schon oben 
(S. 54) bemerkt. Sp. kommt hier auf die Dieselbigkeit 
der mehreren Attribute zurück. Diese ist an sich 
schon dunkel. Hier wird die Sache noch verworrener, 
weil es sich um die Zustände eines und desselben Attri- 
butes, des Denkens, handelt. Zuletzt läuft die Ausfahrung 
auf die Thatsache hinaus, dass jedes Wissen auch ein 
Wissen seiner selbst ist. Sp. hätte besser gethan, dies, 
wie er es mit Anderem gethan hat, als Axiom hinzustellen, 
statt einen unmöglichen Beweis zu versuchen. 

37. L. 22. B. Während L. 20 und 21 sich auf 
das Selbstbewusstsein zunächst in Gott beziehen, macht 
der L. die Anwendung davon auf das der menschlichen 
Seele inwohnende Bewusstsein ihres Wissens. 

38i L. 23. B. Da die Seele nur aus den Vor- 
stellungen der Zustände ihres Körpers besteht (L. 19), 
so folgt von selbst, dass das Selbstbewusstsein der Seele 
nur auf diese Vorstellungen der Zustände gehen kann, 
denn diese bilden seinen Gegenstand. Der vop Sp. ge- 
gebene Beweis ist schwerfallig und dunkel. 

39. L. 24. B. Dieser L. 24 enthält die Ergänzung 
des L. 19. Diese Lehrsätze folgen aus dem Begriffe, 



II. TheiL 40—43. (L.25.B.L.26.B.Z.B.L.27.B.L.28.B.E ) 67 

den Sp. vom menschlichen Körper aufstellt. Das Wesen 
desselben liegt nach Sp. nicht in der Natur der Ele- 
mente, welche ihn bilden, sondern nur in den festen 
und bestimmten Bewegungen und Lagen dieser Elemente 
zu einander. Sp. musste dies annehmen, um zu er- 
klären, dass der Stoffwechsel den Körper nicht auf- 
hebt. Die Kenntniss der Seele von ihrem Körper um- 
fasst also nur diese Lagen und Bewegungen, oder die Zu- 
stände, wie Sp. sagt, und nicht die Natur der Elemente 
selbst. Zur zureichenden Kenntniss dieser Elemente ge- 
hört aber die Vorstellung ihrer Ursachen oder, wie Sp. 
sagt, »es gehört dazu eine andere Vorstellung einer ein- 
»zelnen Sache, welche dem Elemente selbst vorhergeht.« 
Diese Vorstellungen gehen über die Vorstellungen, welche 
die menschliche Seele ausmachen, hinaus, und deshalb 
hat die Seele keine zureichende Kenntniss dieser Elemente. 

40. L. 25, B. Dieser L. und B. wiederholt den Ge- 
dankengang des L. 24 ; die dort gegebenen Erläuterungen 
gelten daher auch hier. 

41. L. 2B. B. Z, B. Der L. 26 wiederholt nur den 
L. 16 und 17. Der reinere Begriff des Wahmehmens, 
wie er in Band I. der Philosophischen Bibliothek (E 2. 6.) 
dargestellt worden ist, fehlt bei Sp. gänzlich. Weil der 
Vorgang des Wahrnehmens dem menschlichen Vorstellen 
unfassbar ist, muss jeder Versuch, ihn sich durch seiende 
Bilder zu erklären, wie hier von Sp. geschieht, in das 
Grobe und Unwahre gerathen. 

42. Li 27. B. Eine zureichende Kenntniss ist 
eine solche, welche auch die Ursache ihres Gegenstandes 
umfasst. Nun hat die Seele nur die Kenntniss ihrer 
Zustände, aber nicht die Kenntniss der Elemente ihres 
Körpers und der fremden Körper, welche die Ursachen 
dieser Zustände und gegenseitigen Erregungen sind; des- 
halb ist ihre Kenntniss dieser Zustände ihres Körpers 
unzureichend und verworren. 

43. Li 28. B. B. L. 28 wiederholt nur L. 27. 
In L. 27 wird der Seele die zureichende Kenntniss des 
menschliehen Körpers, als solchen, abgesprochen, in 

5* 



68 n. Theo- 44. 45. (L. 29. B. Z. E. L. 30. B. L. 31. B. Z.) 

L. 28 die zureichende Keimtniss seiner Zustande. Der 
Beweis ist für beide Sätze derselbe. Bedenklicher ist der 
Ausspruch Sp's in der E. zu L. 28. Sp. folgert aus der 
Verworrenheit der Vorstellungen, welche die Seele aus- 
machen, dass auch die Vorstellungen von den Vorstellun- 
gen oder das Selbstbewusstsein ein verworrenes sein müsse. 
Dieses ist unrichtig. Man kann die zureichende Xennt- 
niss auch von einem verworrenen Gegenstande oder Vor- 
stellung haben, insofern man nämlich auch die Ursache 
der Verwirrung kennt. Sp. erkennt dies V. L. 3 aus- 
drücklich an. Auch trifft jenes Verworrene nur den In- 
halt der die Seele ausmachenden Vorstellungen; dagegen 
geht das Selbstbewusstsein hier nicht auf den Inhalt, 
sondern auf die Form oder auf das Wissen, als solches. 

44. L. 29. B. Z. B. Die Schwäche dieses B. ist 
bereits in No. 43 aufgedeckt. Wenn es zur Natur der 
Seele gehört, in ihrem bildlichen Vorstellen nur unzu- 
reichend zu erkennen, so wird durch diese unzureichen- 
den Vorstellungen die Natur der Seele dargestellt, und 
deshalb ist die Kenntniss dieser unzureichenden Vor- 
stellungen als Gegenstand offenbar eine zureichende Kennt- 
niss der Seele selbst. 

Am Schluss des E. wird der Gegensatz des bildlichen 
Vorstellens angedeutet; die zureichende Erkenntnis» 
der Dinge soll von innen ausgehen und sich auf die 
Uebereinstimmung, die Unterschiede und die Gegensätze 
der Dinge richten. Dies sind aber nur Beziehungs- 
formen, die von dem Inhalte oder Sein der Dinge 
nichts aussagen. Auch hier tritt der fundamentale Irr- 
thum Sp's. hervor, welcher die Erkenntniss des Seienden 
in diesen leeren Beziehungsformen des Denkens sucht und 
das Wahrnehmen, welches allein von dem Inhalte des 
Seienden Kunde giebt, als ein verworrenes, von sich stösst. 
Dieser Irrthum trifft indess nicht blos Sp.; er zieht sich 
durch die ganze scholastische Philosophie hindurch; 
er herrscht selbst noch bei Leibnitz und Wolff und 
kehrt bei Hegel wieder. 

45. L. 30. B. L. 31. B. Z, Der Inhalt dieser beiden 
L. ist verständlich und ergiebt sich aus den vorhergehenden 
Lehrsätzen. Wenn die Seele das Einzelne und Endliche 



n. Thea 46. (L. 32 bis L. 35.) 69 

nur yerworren fassen kann, d. b. wenn sie die Totalität 
seiner Ursachen nicht erfassen kann, so folgt, dass sie 
auch deren Dauer oder deren Eintritt in die Zeit und 
deren Anstritt ans derselben nicht kennen kann. 

Dagegen ist die Seele nach Sp. im Stande, die zn- 
reichende Eenntniss von dem ausserhalb der Zeit liegen- 
den Wesen der Dinge und deshalb auch von Gott zu 
gewinnen, wie das Folgende zeigen wird. 

46. L. 32 Ms L. 35. Wenn nach II. L. 7 die Beihe 
der Yorstellungen in dem. Denk-Attribut Gottes genau 
parallel mit der Beihe der körperlichen Dinge in dem 
Attsdehnungs- Attribut verläuft, so steht unzweifelhaft fest, 
dass alle diese Vorstellungen wahr sind; die üeberein- 
stimmung ist in dieser Hypothese vorausgesetzt und diese 
bildet den Begriff der Wahrheit. I. A. 6. 

Es entsteht aber dann die Frage: Wie sind überhaupt 
falsche Yvrstellungen , die mit dem Gegenstande nicht 
übereinstimmen, möglich? 

Jene Hopothese der parallelen Beihen hatte dem Sp. die 
gewöhnlichen Erklärungsgründe dafür verschlossen. So 
blieb kein anderer Ausweg, als das Falsche in die Un- 
vollständigkeit der Vorstellungen zu setzen. Deshalb 
ist in Gott, der alle Vorstellungen der Dinge in sich 
schliesst, kein Falsches ; aber diese Totalität besteht nicht 
in der menschlichen Seele. Diese hat, wie Sp. früher darge- 
legt, nur ein partielles Wissen; ihr Wissen spiegelt nur 
die Zustände ihres Körpers; aber weder dessen Elemente 
noch die fremden Körper, noch die Ursachen von beiden. 
Das Falsche und der Irrthum im menschlichen Vorstellen 
kommt also nach Sp. nur daher, dass es nicht alle 
zu dem Gegenstande gehörenden Vorstellungen einschliesst. 
Deshalb wird auch in Z. zu II. L. 11 das unzureichende 
Vorstellen ein theilweises Vorstellen genannt. Deshalb 
liegt in diesem Mangel der, den Irrthum zur Wahrheit 
ergänzenden Vorstellungen nach Sp. der Begriff des Fal- 
schen. Indem diese Totalität bei Gott vorhanden ist, 
ist bei ihm sein Wissen trotz dem, dass es jene bei 
dem Menschen das Falsche bildenden Vorstellungen ein- 
schliesst, immer ein wahres. 

Diese Wendung und Definition des Falschen ist geist- 
reich und für Sp. unentbehrlich; aber sie kann doch 



70 n. Theil. 47. 48. (L. 36. R L^ 37. B.) 

nicht als richtig gelten. Dies könnte nnr sein, wenn 
das, was der falschen Vorstellang fehlt, sidi mit ihr 
vertrüge und durch seinen Hinzutritt die falsche Vor- 
stellung einfach zu einer wahr^ ^gänzte, ohne dabei 
etwas aus jener auszuscheiden; nur dann wäre das 
Falsche ein blosser Mangel des vollen und wahren Wissens. 
Diesen Fall könnte man allenfalls bei dem ersten Beispiel 
des Sp. mit der Freiheit annehmen. Allein in den meisten 
Fällen besteht zwischen dem Falschen und der Ergänzung 
ein Widerspruch, so dass sich der Inhalt beider nicht 
verbindet, sondern ein Theil des Falschen ausgestossen 
werden muss. Dahin gehört schon das zweite Beispiel 
Sp's. mit der Fntfemung der Sonne. Die wahre Entfer- 
nung der Sonne kann sich mit der Entfernung von 200 Fuss 
nicht vertragen; jene kann nicht mit dieser vereint 
die Wahrheit bilden, sondern die Vorstellung der 200 Fuss 
muss ganz ausgestossen werden, und die wahre Entfer- 
nung muss allein in der Seele bleiben. Hier zeigt sich, 
dass jene 200 Fuss nicht ein blosser Mangel der wahren 
Entfernung sind, sondern selbst ein Positives, was nur 
mit der wahren Entfernung in Widerspruch steht 
Deshalb können sich beide nicht zur Wahrheit ergänzen, 
und deshalb ist die Definition des Falschen in der Mehr- 
zahl der FäUe kein blosser Mangel. Damit fällt der 
L. 35, der ein Grundpfeiler des Systems ist. Man sehe 
übrigens die Erläuterungen zu IV. L. I. 

47t L. 36. B. Wenn nach Sp. das Falsche und 
das Verworrene nur ein Mangel ist, welcher aus dem 
partiellen Vorstellen der Seele entspringt, so muss 
nothwendig dieser Mangel in Gott, als der Totalität 
aller Vorstellungen, verschwinden. Die unendliche Eeihe 
der Vorstellungen umfasst also die wahren, wie die fal- 
schen Vorstellungen, da letztere in dieser vollständigen 
Eeihe ebenfalls zu den wahren gehören. 

48« L> 37. B« Mit diesem L. beginnt die wich- 
tige Lehre von dem Gemeinsamen der Körper nnd 
von den Vorstellungen dieses Gemeinsamen. Dieses Ge- 
meinsame bildet nach Sp. den Gegenständ der wahren 
oder zureichenden Erkenntniss. Alles Einzelne, Endliche 
kann als solches nach Sp. von der menschlichen Seele 



n. TheU. 48. (L. 37. B.) 71 

nnr ttnzureicbend, mangelhaft erkannt werden; das Ge- 
meinsame allein ist zureichend 2ti erkennen. 

Bei dieser Auffassung ist es von der höchsten Wich- 
tigkeit, zu wissen, was Sp. unter diesem »Gemeinsamen« 
(Commune) versteht. Seine Darstellung ist indess nicht 
so ausführlich, wie es die Wichtigkeit der Frage erfor- 
dert. Sp. beruft sich wegen des Begriffs des Gemein- 
samen auf II. Ln. 2. Auch dort sind nur Beispiele ge- 
geben ; indess erkennt man daraus, dass Sp. unter diesem 
Gemeinsamen die Attribute und die unendlichen Modificatio- 
nen derselben versteht. Da die endlichen Zustände nicht 
für sich bestehen, sondern nur in einem Andern, durch 
das sie vorgestellt werden, (I. D. ö), so ist es consequent, 
wenn Sp. das betreffende Attribut als das Gemeinsame 
aller seiner endlichen Zustände auffasst. Aehnliches gilt 
für die unendlichen Modificationen, so weit Sp. dabei an 
Bewegung und Ruhe denkt. - 

Es liegt nun sehr nahe, dieses Gemeinsame als das 
Begriffliche aufzufassen, wie es im I. Band (JS, 18) 
dargelegt worden ist. Dort ist gezeigt worden, dass 
jedem Begriffe ein Seiendes in den einzelnen, zu dem 
Begriff gehörenden Gegenständen entspricht, was in allen 
sich gleich ist, und welches deshalb das ihnen Gemein- 
same bildet und zu einem Stück zusammenfliesst , wenn 
man die Unterschiede der Orte und der Zeiten beseitiget; 
dann gelangt man zu dem einen Attribut Sp*s. 

Im Ganzen hat wohl auch Sp. diese Ansicht; nur hat 
er die Natur des begrifflichen Trennens nicht erfasst, und 
deshalb macht Sp., wie sich später zeigen wird, einen 
unbegründeten Unterschied zwischen den Begriffen des 
Gemeinsamen, welche die Wahrheit enthalten und den 
transscendentalen und universalen Begriffen, 
welche nur Einbildungen der Seele sein sollen, wie Sp. 
in E. 1 zu L. 40 ausführt. Hätte Sp. die Natur des be- 
grifflichen Trennens genauer untersucht, so Würde er ge- 
funden haben, dass die transscendentalen und universalen 
Begfriffe ebenfalls zu den Begriffen des Gemeinsamen ge- 
hören. 

Der B. des L. 37 ist schwerfallig uiid dreht sich 
doch im Kreise. Wenn ich eine Sachiß in das Gemein- 
same und in das ihr Eigenthümliche trenne, so folgt 



72 n. TheiL 49. 50. (L. 38. B. Z. L. 39. B. Z.) 

von selbst y dass das Gemeinsame nicht zu dem Eigen- 
thümlichen gehören kann. Mehr sagt L. 37 nieht. 

49. L« 38i B. %, Dieser Satz ist für Sp. von hoher 
Wichtigkeit. Er kann nnr yoU verstanden werden, wenn 
man festhalt, 1) dass das falsche Wissen nach Sp. nur 
ein mangelhaftes ist; es fehlt ihm nur Etwas zur Wahr- 
heit; 2) dass Sp. hier von einem allen Dingen Gremein- 
samen spricht. Indem ein solches Gemeinsame in jedem 
Einzelnen enthalten ist und in jedem Zustande, der aus 
dem Zusammenwirken mehrerer einzelnen Dmge entsteht, 
ist es natürlich, dass jede, auch die partielle Eenntniss 
eines Einzelnen, dennoch dies Gemeinsame yoU erfassen 
muss ; denn es ist als Gemeinsames in jedem und in jeder 
Wirkung Mehrerer sich gleich und überall als Ein und 
Dasselbe yorhanden. Die übrigen Einzelnen können nie 
etwas zu diesem Gemeinsamen Gehöriges enthalten, was 
nicht schon in der Eenntniss des ersten oder einzelnen Zu- 
standes enthalten wäre. Deshalb giebt es keine partielle 
oder mangelhafte Yorst^ungen von dem Allen Gemdn- 
samen, und deshalb ist aujch die Vorstellung dieses Ge- 
meinsamen in der menschlichen Seele immer eine totale, 
zureichende und wahce. 

Dies Alles kann man im Sinne Sp's. zugeben; allein 
das Ueble ist, dass bei diesem Begriff des Gemein- 
samen sein Inhalt zum allerdürftigsten zusammen- 
schrumpft. Denn für das Allen Gemeinsa^ie bleiben 
nur die Attribute Gottes übrig, und yon diesen kennt der 
Mensch nur zwei, das Denken und die Ausdehnxmg. Alles 
Weitere gehört zu den Zuständen der Attribute, und da 
diese nicht mehr als ein Allen Gemeinsames angesehen 
werden können, so erhellt, dass der Inhalt dieses Gemein- 
samen auf ein Kleinstes herabsinkt. 

50. L. 39« B. Z. Den yorstehend gerügten Mangel 
hat Sp. selbst bemerkt und er dehnt deshsdb hier den 
Begriff des Gemeinsamen, welches den Gegenstand der 
wahren Erkenntniss bildet, auf dasjenige aus, was dem 
menschlichen Körper und den ihn, in dem einzelnen Fall er- 
regenden fremden Körpern gemeinsam ist. Dadurch wird das 
Gebiet des Gemeinsamen allerdings sehr erweitert; dessen- 
ungeachtet bleibt diese Hypothese Sp's, womit er den Pa- 



IL TheiL 51. (L. 40. B. E. 1, 2.) 73 

rallelismus zwischen Wissen und Sein retten will, unzu- 
reichend. Denn man kann sagen: Woran erkennt die 
Seele, wenn ihr Gegenstand immer nur die Zustande ihres 
eigenen Körpers sind, das darin enthaltene Gemeinsame? 
Dieses lasst sich keiner Bestimmung an sich ansehen; 
erst wenn mir die einzelnen Gegenstande besonders ge- 
geben sind, kann ich erkennen, was ihnen allen gemein- 
sam ist. Das Gemeinsame ist also erst das Besultat der 
Eenntniss der Einzelnen, und ohne diese ist die Erkennt- 
niss des Gemeinsamen unmöglich. Auch hier liegt bei 
Sp. eine Verwechslung der Denkbeziehungen mit dem 
Seienden vor (J5. 31). . 

51. L, 40. B. B.1.2. Der B. Yon L. 40 konnte kürzer 
sein, da der L. tautologisch ist. Wenn diejenige Vorstellung 
zureichend ist, welche die Kenntniss ihrer Ursache ein- 
schliesst; und deren Wirkung aus ihr allein erkaünt wer- 
den kann, so wiederholt der L. nur diese Definition. 

In dem Ei 1 und.2 werden die transscendeutalen 
und universalen Begriffe den Begriffen des Gemein- 
samen gegenübergestellt. Es ist auffallend, dass Sp. die 
gleiche Natur dieser drei Arten von Begriffen verkennt; 
sie sind sämmtlich aus dem Einzelnen durch das tren- 
nende Denken hervorgegangen und unterscheiden sich nur 
im Grade dieses Trennens (E, 18). Statt dessen hält 
Sp. die zwei ersten Arten für verworrene Vorstellun- 
gen, obgleich er anerkennt, dass die »universellen« 
BegriSe das Gemeinsame der mehreren Einzelnen ent- 
halten, also offenbar zu der dritten Art gehören. 

In E. 2 wird die Erkenntniss selbst in eine erster 
und zweiter Ordnung eingetheilt, je nachdem sie trans- 
scendentale und universelle Begriffe umfasst oder Gemein- 
Begriffe. Nur letztere enthalten diel Wahrheit. 

- Aber merkwürdig ist, dass Sp. ihnen noch ein^ dritte 
Art der Erkenntniss beiordnet, welche er die intuitive 
oder die anschauliche nennt. Der von dieser gegebene 
Begriff stimmt indess nicht zu dem von Sp. gegebenen' 
Beispiel der vierten Proportionalzahl 6 zu den Zahlen 1. 2 
und 3. Nach diesem Beispiel liegt das Intuitive in 
der Unmittelbarkeit der Erkenntniss, welche sich ohne 
logische Schlussfolgerungen einstellt und die höchste Ge- 
wissheit unmittelbar in sich trägt. Damit stimmt auch -» 



74 n. TheiL 52. 63. (L. 41. B. L. 42. B. L. 43. B. £.) 

das, was in der E. zu Y. L. 36 über die intuitive Erkeimt- 
niss gesagt ist. Nach der Definition des Intoitiven, weiche 
Sp. auch V. L. 25 wiederholt, liegt aber sein Wesen in 
dem Ausgehen von den h(ychsten Begriffen oder den 
Attributen Gottes; also in der S3mthetischen oder de- 
ductiven Methode, welche die Schlussfolgerungen nicht 
ausschliesst. 

Diese Unklarheit ist zunächst eine Folge davon, dass 
Sp.mit der Veranschaulichung seiner Begriffe durch Beispiele 
viel zu sparsam verfahrt. Doch kommt die Dunkelheit 
hier auch von der Sache selbst. Sp. sucht in dieser 
intuitiven Erkenntniss nach einem Erkennen, was die Vor- 
gänge des Wahmehmens und des Denkens in sich ver- 
einigt. Deshalb sein Name: anschauliche Erkennt- 
niss. Es ist diese aber ein Verlangen, was der Natnr 
beider Erkenntnissweisen widerspricht, die sich nicht 
vereinigen lassen. 

52. L. 41* B. L. 42. B. Die Kenntniss'^der ersten Art 
oder die verworrene umfasst nach Sp. nicht blos die 
transscendentalen und universalen Begriffe, sondern auch 
die Vorstellungen des Einzelnen oder des, was in Band I. 
der philosophischen Bibliothek die Sinnes- und Selbst- 
wahmehmung genannt worden ist (E. 2, ö). 

53. L. 43. B. B. Sp. behandelt hier die Frage nach 
dem sogenannten Kriterium der Wahrheit. Man will 
wissen, woran man die wahren Vorstellungen erkennen 
kann. Nach Sp. liegt dieses Kriterium in der Gewiss- 
heit, d. h. in der subjectiven Ueberzeugung, dass die 
Vorstellung wahr sei (E. 59). Allein man kann leicht 
bemerken, dass diese Gewissheit viel weiter reicht als 
die Wahrheit. Sehr vieles halten die Menschen f&r wahr 
oder sind seiner Wahrheit gewiss, und doch ist es falsch. 
Man kann also höchstens Sp. zugeben, dass in jedem 
wahren Wissen auch die Gewissheit seiner Wahrheit mit 
enthalten ist, aber nicht umgekehrt enthält jede Gewlss- 
h^t die Wahrheit, wie schon die verschiedenen Religionen 
beweisen, weiche mit gleicher Gewissheit von ihren An- 
hängern für wahr gehalten werden (E. 61). 

In dieser Gewissheit hatte schon Cartesiuä das 
Kennzeichen der Wahrheit gesetzt. In seiner ni. Me- 



n. Theü. 54. 55. (L. 41. B. Z. 1. E.) 75 

ditation sagt er: »Ich kann es daher als den Fnnda» 
«mentalsatz hinstellen, dass das wahr ist, was ich klar 
«und deutlich erfasse«; womit er die Gewissheit meint; 
auch Sp. tritt diesem Prinzip am Schluss der £. 2 aus- 
dr&cklich bei. 

Kant hat diese Frage nach einem allgemeinen £rite«> 
rium der Wahrheit für verkehrt erklärt. Dies wäre rich- 
tig, w^n das Kennzeichen sich auf den Inhalt stützen 
sollte; allein es kann sich auch aus der Quelle der 
Vorstellungen ableiten, und dann ist ein solches Krite- 
rium kein Widerspruch und keine Unmöglichk^t. In 
Band I. der Philosophischen Bibliothek ist ein solches 
in der widerspruchsfreien Wahrnehmung aufge- 
stellt worden {E, 68), und die dort gegebene Darlegung 
zeigt, dass dieses Prinzip von den Mängeln fi*ei ist, 
welche *an dem Prinzip des Cartesius und Sp. hier 
dargelegt worden sind. 

54. L. 41. B. Die Vernunft besteht nur aus den 
zureichenden Vorstellungen (II. L. 40 E.), d. h. aus sol- 
chen, welche auch ihre Ursachen einschliessen und da- 
mit ist die Zufälligkeit ausgeschlossen. 

55. %. 1. B«2aL.41i Dieser Zusatz giebt die Ergftn* 
zung zu IL L. 17. Sp. giebt hier eine Erklärung, 
weshalb man einen Gegenstand, obgleich er nach L. 17 
auch in der Erinnerung oder im blossen Vorstellen immer 
als gegenwärtig Torgestellt werde, dennoch unter Umstan- 
den als vergangen oder zukünftig nehmen könne; nämlich 
dann, wenn man mit dem Gegenstande zugleich die Zeit 
vorstellt, in der man ihn gesehen hat. 

Diese Erklärung ist ausserordentlich schwach und 
ungenügend. Man könnte dann nie die Vorstellung eines 
Gegenstandes von dem Zeitpunkt seiner ersten Wahr- 
nehmung abtrennen, ohne ihn damit sogleich zu einem 
gegenwärtigen zu machen. Der Peter in Sp's. Beispiele 
müsste immer mit der Vergangenheit verbunden werden, 
um ihn nicht als gegenwärtig vorzastellen. Dies wider- 
spricht aller Erfahrung; vielmehr liegt der Unterschied 
des Wahmehmens und blossen Vorstellens in der Natur 
und Art dieser Vorstellungen an sich, nicht aber in dem 



76 IlTheiL 56*57. (Z.2.E.E.L.44.L.45.46.47m.B.u.E.) 

Hinzutritt gewisser Zeitvorstellungen. Deshalb geh^^ren 
diese Unterschiede zu den Wissensarten {E, 57). 

56. Za2. B.SOL.44. Dieser Zusatz erklärt, weshalb 
Sp. die Zeit nicht wie die Ausdehnung oder den Baum 
zu den Attributen Gottes gerechnet hat. Indem die 
idealistischen Systeme das Yei^ängliche überhaupt för 
das Werthlose nehmen und die Wahrheit nur in der Er- 
kenntniss des XJnyergänglichen suchen, geschieht es ihnen, 
dass sie die Zeit überhaupt für den Sitz des Scheins und 
der Unwahrheit nehmen, und so erklärt sich auch bei 
Sp. die Behandlung derselben. Indem di^e Systeme 
aUes Zeitliche far das Mangelhafte und Endliche neh- 
men, wird das Ewige bei ihnen zu dem Zeitlosen. 
Diese Auffassung wurde bei Sp. noch durch seine Ver- 
wechslung der Ursächlichkeit mit der logischen Begründung 
verstärkt. Da die geometrischen Lehrsätze zeitlos ans 
den Definitionen folgen, so gilt diese Art der Entwicke- 
lung dem Sp. als die allein wahre. 

57. L. 45. L. 46. L. 47 mit B. nnd IL Während 

die meisten modernen Systeme Gott in Folge seiner Un- 
endlichkeit für unerkennbar erklären, ist Sp. der entgegen- 
gesetzten Ansicht, wie die L. 45—47 zeigen. K. !£i scher 
hat darin den Widerspruch und die Inconsequenz des 
Systems gefunden: »Diese Ursache aller Dinge könne nicht 
»das Objekt eines einzelnen Dinges sein; das Unendliche 
»könne nicht von einem endlichen Wesen begriffen wer- 
den.« (Geschichte der neueren Philosophie I. S. 583. 584.) 
Dergleichen Urtheile sind indess nur die Folge von der 
Unklarheit über den Begriff des Unendlichen oder Abso- 
luten. Nach der realistischen Auffassung ist' das Abso- 
lute nur eine Verneinung des Endlichen und Bedingten, 
also eine reine Beziehungsform, welche die Seele sich 
deshalb bejahend oder seiend nicht vorstellen kann. 
Auch fehlt alle Gewähr für das Dasein des Absoluten; 
vielmehr führt das Absolute in der Seinsform nothwendig 
zu dem Widerspruch, wie die Antinomien Eant's er- 
geben. Für Spr sind diede Zweifel noch nicht vorhan- 
den; er kennt nicht den Unterschied der Beziehungs- 
furmen von den Seinsbegriffen, und er hat kein Bedenken, 
ein bejahendes und seiendes Unendliche in der Suh- 



IL Theü. 67. (L. 45. 46. 47 ndt B. nnd E.) 77 

stanz oder in (xott zu setzen. Gott hat nach Sp. unend- 
lich viele Attribute, die jedes eine Bestimmtheit oder 
einen Inhalt bezeichnen, welcher in seiner allgemeinen 
Natur von der Seele erfasst werden kann. Da ferner der 
unterschied der Attribute nur scheinbar ist, so enthält 
die Erkenntniss eines oder zweier Attribute schon die 
Erkenntniss Gottes. So erreicht auch der endliche 
Mensch die Erkenntniss des Absolnten. Sie beruht nach 
Sp. auf dem Gemeinsamen, was ebenso in jedem end- 
lichen Gegenstand, wie in dem Attribute enthalten ist. 
Deshalb ist in der Erkenntniss dieses Gemeinsamen auch 
die Erkenntniss des Attributs und somit Gottes enthalten. 
Freilich ist dieser Gott Sp's. nicht der Gott der Religion; 
er ist kein lebendes, mit Verstand und Willen begabtes 
Wesen, sondern nur Ausdehnung und Denken in der all- 
gemeinsten Bedeutung. Diese Attribute enthalten das 
zeitlose Wesen der endlichen Dinge, ebenso wie' die ma- 
thematischen Definitionen, die einzelnen daraus folgenden 
Lehrsätze in sich. Zugleich entwickelt sich aus dieser 
Substanz eine zeitliche, unendliche Beihe von Zuständen, 
die aus den Wesen der Dinge, welche die Substanz in 
sich schliesst, nach Art der logischen Folgen abfliessen. 
So ist die Welt nunmehr die zeitliche Entfaltung ihres 
zeitlosen in den Attributionen enthaltenen Wesens. 

In dieser Auffassung verschwindet der von K. Fischer 
gerügte Widerspruch; im Denken kann der Mensch Gott 
erfassen und sein Wesen erkennen. Es bleibt nur der 
früher gerügte Mangel, dass die Entfaltung des Absoluten 
in eine zeitliche, ohne Ende fortlaufenden Eeihe von end- 
lichen Zuständen nicht begründet und aus dem Absoluten 
abgeleitet ist. 

Freilich ist dieses eine Unmöglichkeit, und das ganze 
Nest von Widersprüchen, welches sich um den Begriff des 
Absoluten häuft, kann nur zerstört werden, wenn man 
anerkennt, dass ein seiendes Unendliches dem Menschen 
im Denken und im Sein unerfassbär ist. Man würde 
dies längst offen eingestanden haben, wenn nicht die 
Achtungsgefühle •( J?. 7. Aesthetik I. 111) ein Er- 
habenes forderten. Dies ist zwar nur ein Unermess- 
liches; allein im religiösen Eifer steigerte man dies zu 
dem Unendlichen. Der religiöse Glaube nahm daran 
keinen Anstoss; allein als die Philosophie an diesen Be- 



78 n. TheiL 58. (L. 48. 49 B. Z. B. B.) 

griff herantrat, mtiBsteii alle ihm anhaftenden Schwierig- 
keiten hervortreten, nnd der Philosophie blieb nur die 
Wahl, entweder das Absolute aufzugeben, und den reli- 
giösen Glauben zu verletzen, oder mit seinen Wider- 
sprüchen sich zu vertragen und die Gesetze des Denkens 
zu verletzen. 

Wenn Sp. übrigens meint, man könne aus der Er- 
kenntniss Gottes viele besondere Kenntnisse ableiten 
(L. 47 E.), d. h. das Besondere aus dem Allgemeinen 
herausbringen oder entwickeln, so ist dies zwar ein Irr- 
thum, aber doch der Gedanke, welchen Hegel später in 
der umfassendsten Weise zu verwirklichen versucht hat. 
In B. I. der philosophischen Bibliothek ist das unwahre 
dieser dialektischen Entwickelung dargelegt worden. 
(E. 83.) Sp. ist noch nicht so kühn wie Hegel; er 
verläugnet noch nicht den zweiten Fundamentalsatz 
(E. 68). Was Sp. unter Ableitung versteht, davon 
ist seine Ethik selbst ein Beispiel. Hier wird allerdings 
synthetisch von dem Allgemeinsten ausgegangen; allein 
das Besondere, wie schon die Ausdehnung und das 
Denken, ebenso die Zeit, das Vorstellen, das Begehren 
wird ausserhalb der Prinzipien aus der Erfahrung 
entlehnt; nur dadurch ist das System im Stande, zur 
Besonderung und einem reicheren Inhalt vorzuschreiten, 
der aus den Prinzipien nie herausgepresst werden kann. 

58, L. 48. L. 49. B. Z. B. E. Die Worte dieser 
Lehrsätze verleiten zu der Meinung, dass es sich hier 
um die Frage der Willensfreiheit handele. Allein 
Sp. versteht nach E. zu L. 48 unter Wille hier nicht 
das Begehren, sondern die dem Vorstellen anhaftende 
Gewissheit. Diese Gewissheit ist etwas von dem Be- 
gehren oder Wollen im gewöhnlichen Sinne völlig Ver- 
schiedenes; sie gehört zu den Wissensarten (E, 59), 
und bei ihr ist die Frage nach der Freiheit nie von der 
Philosophie erhoben worden, vielmehr würde alle gemein- 
same Ueberzeugung der Menschen aufhören, w^n diese 
Gewissheit nicht an feste Gesetze gebunden wäre. 

Hiernach erscheint der Z. zu L. 49, wonach Wille 
und Verstand dasselbe sind, nicht mehr so auffallend. 
Der zwischen der Gewissheit, als Wissensart, und dem 



n. TbeiL $9.60. (E. zu L. 49. Schlass der £. zu L. 49.) 79 

reinen Wissen bestehende Unterschied (E. 57) ist freilich 
von Spinoza nicht erkannt worden. 

Die Meinung Sp's., dass die falsche Vorstellung keine 
Gewis^eit in sich tj^e, widerspricht der Erfahrung, 
wie schon zu L. 43 bemerkt worden. Die Unterscheidung 
Sp's. zwischen Gewissheit und Mangel des Zweifels ist 
eine Snbtilität, zu der Sp. nur genöthigt ist, weil er an 
dem Prinzip des Cartesius festhält, dass die Gewissheit 
das Kennzeichen der Wahrheit sei. Um den bedenk- 
lichen, bei II. L. 40 dargelegten Folgen des Prinzips zu 
entgehen, musste Sp. zu dieser Subtilität greifen, welche 
der Erfahrung widerspricht. 

59» B# ZQ L. 49. In dem zweiten Theile dieser 
Erläuterung widerlegt Sp. vier Einwurfe seiner Gegner 
gegen den von ihm aufgestellten Begriff des Willens 
oder der Gewissheit, Diese Erörterung hat für die Ge,- 
genwjart wenig Interesse, weil die Einwendungen auf 
Spitzfindigkeiten der scholastischen Philosophie beruhn, 
die leicht widerlegt werden konnten, da sie nur Spiele 
mit Beziehungsformeu sind und auf keiner Beobachtung 
des Seienden beruhn. Allerdings sind auch die Wider- 
legungen des Sp. nicht sehr überzeugend, denn sie gehn 
von Prinzipien aus, deren Unwahrheit oben dargethan 
worden ist. Es kann zur Aufklärung über diese Fragen 
im Allgemeinen nur auf die Lehre vom Denken im 
I. Band der Philosophischen Bibliothek verwiesen werden 
{E, 10). 

Der vierte Einwand, welcher von dem Esel des Buri- 
dan hergenommen ist, betrifft nicht die Gewissheit, son- 
dern den Willen als Begehren. Dieser Einwand gehört 
also gar nicht hierher, und es ist auffiallend, dass Sp. 
dies, nicht geltend macht. 

60. ScUnSS der E. zu L. 49. in diesem Theile 
behandelt Sp. nicht mehr die Gewissheit, sondern die 
Erkenntniss; jene ist nur der Erkenntniss innewohnend. 
Indess nimmt es Sp. bekanntlich mit der Identität nicht 
so genau. Der Nutzen, welcher aus dem zureichenden 
Wissen oder aus der Erkenntniss II, oder III. Ordnung, 
(IL L. 40 JE, 2) fliesst, wird hier nur historisch dar- 
gelegt; die philosophische Begründung folgt in Th. V. 



80 n. Theil. 61. (SchloBsbetrachtimg za Th. IL d«r Ethik.) 

bis wohin daher auch die Erläuteningen verspart 
bleiben. 

61. SoUnssbetraolitang aa Th. IL der BtUk. 

Mit dem Schluss des 11. Theils der Ethik erhellt nunmehr, 
dass er nur eine Philosophie des W i s s e n s ist {E, 95). Die 
seienden Znstande der Seele, ihre Gefahle und Be- 
gehren behandelt Sp. erst im III. nnd lY. Theile. 

Vergleicht man die in diesem n. Theile gebotene 
Lehre mit der im I. Bande der Philosophischen Bibliothek 
gegebenen Lehre vomWissen, so ergeben sich wesent- 
lich sechs Punkte, in denen Sp. davon abweicht. 1) Läug- 
net Sp. alle Causalität, allen Einliuss zwischen dem 
Wissen und seinem Gegenstande. Die Wahrheit besteht 
bei Sp. zwar auch in der Uebereinstimmung beider, allein 
diese Uebereinstimmung ist dem Wissen nur äusserlich. 
Der Parallelismus zwischen dem Wissen und den körper- 
lichen Gegenständen ist nicht Folge eines XJeberfliessens 
des Inhaltes aus dem Sein in das Wissen bei der Wahr- 
nehmung, sondern Folge der ursprünglichen Identität aller 
Attribute. 2) Kennt Sp. nicht den Innern Unterschied 
zwischen den W ahme hm ungs- Vorstellungen und den 
blossen Vorstellungen. Alle Vorstellungen sind bei 
Sp. Wahrnehmungen; aber alle diese Wahrnehmungen 
spiegeln immer nur Zustände des eigenen Körpers, nie 
unmittelbar fremde Körper; deshalb sind diese Wahr- 
nehmungen oder bildlichen Vorstellungen alle verworren 
oder unzureichend. 3) Das Wissen von dem Wissen 
oder das Selbstbewusstsein ist bei Sp. nicht eine ursprüng- 
liche, jedem Wissen innewohnende Bestimmung, sondern 
ein zweites Vorstellen, was das erste zum Gegenstand 
hat. So entspringt bei Sp. daraus eine Beihe ohne Ende, 
und das wahre Selbstbewusstsein wird damit nicht erreicht. 
4) Sp. hat die Natur des begriifflichen Trennens {E, 16) 
nicht erfasst, deshalb seine Unterscheidung des Trans- 
scendentalen und des Universalen von den Ge- 
mein-Begriffen und seine Meinung, dass nur die 
letzteren die Wahrheit enthalten. 5) Sp. hat die Natur 
der Beziehungsformen des Denkens {E, 31) v&llig 
verkannt und mit den Begriffen des Seienden verwechselt. 
In Folge dessen entwickelt sein System zwar ein höchst 
kunstvolles und folgerechtes Gewebe, aber ohne Bürg- 



n. TheiL 61* (ScMiissbetrachtimg zn TL IL der Büiik.) gl 

Schaft far seine Wahrheit, und ohne den Inhalt des 
Seienden zu erschöpfen. 6) Als Kennzeichen der Wahr- 
heit gilt dem Sp. wie dem Cartesius die Gewissheit, 
welche der Vorstellung innewohnt. Die zwei Funda- 
mentalsätze der Wahrheit, welche der Bealismus aufstellt, 
erkennt Sp. zwar gelegentlich an, und von dem zweiten 
macht er in seinen Beweisen fortwährend Gebrauch ; allein 
dennoch hat er ihre Bedeutung, als Kennzeichen und 
Quelle aller Wahrheit, nicht erfasst. In Folge dessen 
ist Sp. oft genöthigt, sich mit Subtilitaten zu helfen. — 
Insbesondere ist ihm deshalb das Falsche nur ein 
Mangel, ein stuckweises Wissen, und das Nichtsein des 
Zweifels soll nicht dasselbe sein, wie Gewissheit < ob- 
gleich doch der Zweifel nur die Yemeinung der Gewiss- 
heit ist. Eben deshalb wird auch der Begriff der Wahr- 
heit verändert; sie mht nicht mehr ai^ der XJeberein- 
stimmung des Wissens mit seinem Gegenstände, sondern 
nur auf dem logischen Abfliessen der Folgen aus ihrem 
Grrunde. Nach Sp. kann aus einem Wissen (Prinzip) 
ein anderes oder neues Wissen durch logisches Schliessen 
abgeleitet werden, und nur ein so gewonnenes Wissen ist 
ihm das wahre. Daher der sonderbare Begriff der zu- 
reichenden Vorstellungen, welche ihre logischen Folgen 
vollständig in sich enthalten oder die zureichende Ursache 
derselben sind. : 

Eine von der Beobachtung ausgehende Philosophie 
kann diese Auffassungen leicht als Irrthtimer nachweisen. 
Die bedenklichen und unnatürlichen Folgen, zu denen sie 
Sp. treiben, sind bereits bei den einzelnen Lehrsätzen 
dargelegt worden. Kein anderes philosophisches System 
bietet ein so warnendes Beispiel, wie das des Sp. dafür, 
dass die E^kenntniss auch in der Philosophie nicht mit 
Prinzipien zu beginnen hat, sondern mit der Beobachtung 
des Einzelnen. 



Erlaaternngen za Spinosa's Ethik. 



82 III TheiL t 2. 3. (Vorrede. D. L D. 2.) 



Dritter TheiL 

Von dem Ursprünge und der Natur der 

Affekte. 



!■ V0]T6d6i Das Wort Affekt bezeichnet schon 
im gewöhnlidieii Leben einen Seelenznstand, in dem Ge- 
fühle nnd Begehren znglelch sind. In diesem Sinne nimmt 
auch Sp. das Wort; doch wendet er es oft fibr die Ge- 
fühle allein an und behandelt dann die Begehr^i be- 
sonders. Sp. schwankt hier und hält den wichtigen 
Unterschied beider Zustande nicht fest genug (JS, 7). 
Auch hier, in diesem überaus wichtigen Gebiete des 
Seienden innerhalb der Seele, aus welchem die Grund- 
sätze der Sittlichkeit, des Rechts, des Schdnen, der Kunst, 
der Religion sich entwickeln, kann nur die sorgsamste 
Beobachtung, die hier zunächst Selbstbeobachtang ist, 
zur Wahrheit führen. Sp. bedient sich auch in Lesern 
Theile dieses Mittels mehr wie früher; indess bleibt 
doch das Streben, aus Prinzipien geometrisch zu begrün- 
den, Yorherrschend und wird die Quelle yieler Irrthümer. 
Grossartig und für seine Zeit neu ist d^ Gedanke, 
bei der Untersuchung der Affekte alle religiösen und 
sittlichen Bücksichten bei Seite zu lassen und dieses 
Gebiet der Seele wie ein zweites Naturgebiet zu behan- 
deln. Deshalb enthält dieser m. Theil noch keine 
Erörterungen sittlicher Fragen; diese treten erst im 
IV. Theile auf. 

2m D. !■ Die Bedenken gegen diese Definition des 
Zureichenden sind bereits bei n. D. 4 und I. A. 3. 4 
entwickelt worden. 

3. D. 2. Hier giebt Sp. die für sein System überaus 
wichtigen Begriffe des Handelns und Leidens. Sie 
weichen von dem gewöhnlichen Sinne dieser Worte ganz- 



HL Theil 3. (D. 2.) 83 

lieh ab; da gilt das Yon dem Menschen durch sein 
Wollen und durch die Kraft seines Denkens oder seines 
Körpers Vollführte als Handeln; und jeder Zustand 
seiner Seele oder seines Körpers , der die Wirkung eines 
fremden Handelns ist, gilt als ein Leiden, wobei ein 
Schmerz nicht erforderlich ist. Nach Sp. ist aber das 
Handeln nicht ein Wollen und nicht die in Aeusserung 
übergehende Kraft, sondern die logische Folge aus 
dem Grunde. Handeln und Leiden sind Beides solche 
Pol gen; sie unterscheiden sich bei Sp. nur dadurch, 
dass bei jenem der Mensch die volle, bei dem Leiden 
nur die partielle Ursache der Folgen ist. 

Jeder Leser empfindet das Unnatürliche dieser Defi- 
nitionen. Man hat mit dieser gewaltsamen Verdrehung 
des Wortsinns fortwährend zu kämpfen. Dennoch ist die 
Consequenz anzuerkennen, mit der Sp. diese Definitionen 
festhält, und der Begriff des Handelns im Sinne Sp's. 
gestaltet sich zu dem wichtigsten Begriff seines Systems. 

Wenn die ganze zeitliche Beihe des Geschehens 
innerhalb der einzelnen Attribute nach Art der logischen 
Folgerungen aus dem Wesen Gottes abläuft, so verliert 
der menschliche Wille und die menschliche Kraft ihre 
Bedeutung; Alles vollzieht sich dann nach dem unerbitt- 
lichen Gesetz des logischen Schlusses, und aller Unter- 
schied des Geschehens kann nur darin liegen, ob die Folge 
aus einem Grunde oder einer Ursache vollständig sich 
ableitet, oder ob andere Ursachen dabei mitgewirkt 
haben. Im ersten Fall ist die Ursache handelnd, im 
letzten leidend. Man halte fest, dass nach Sp. nicht 
die Wirkung handelnd oder leidend ist, sondern die 
Ursache, je nachdem sie allein oder nur zum Theil die 
Wirkung zur Folge gehabt hat. 

Im gewöhnlichen Sinne würde man Letzteres keifi 
Leiden, sondern nur ein gemeinsames Handeln nennen 
oder das Leiden immer in die Wirkung verlegen; allein 
im Sinne Sp's. wäre dies falsch. 

Man bemerkt leicht, dass Sp. auch diese Begriffe der 
Geometrie nachgebildet hat. Sie sind um so bedenklicher, 
als im Körperlichen nie ein Geschehen aufgezeigt werden 
kann, was mannichtalsdie gemeinsame Wirkungmehrerer 
Ursachen betrachten müsste (E, 44), Nach 11. D. 7 gelten 
mehrere Einzeldinge dem Sp. für eines, wenn sie alle 



g4 ni Theü. 4« 5. (D. 3. I4. 1. B.) 

zugleich die Ursache einer Wirkung sind; hiemach ist 
das Leiden jedes Einzeldinges in solchem Falle ein 
Handeln ihrer Aller. 

4« D. 3« Vermöge des Parallelismus der beiden 
Attribute ist nach Sp. jeder Affekt sowohl in dem 
Körper, wie in der Seele; dort ist er ein körperlicher 
Zustand, hier ein Zustand des Denkens, und zwar ein 
Vorstellen, wie Sp. später deutlicher sagt (in. L. 2 £. 
u. L. 11). Deshalb gelten auch die Begriffe des Handelns 
und des Leidens sowohl von dem Körper, wie von der 
Seele, und zwar yon jedem für sich. Das Handeln der 
Seele ist deshalb nach Sp. nur das Erkennen oder der 
Besitz zureichender Vorstellungen, weil aus diesen 
allein, ohne Mithülfe von Anderen, die Folgen innerhalb 
des Vorstellens sich ableiten (III. D. 1). Deshalb ist fnr 
Sp. jeder Affekt auch ein bewusster. 

Macht zu handeln, ist ein dunkler Begriff. Sp. 
erläutert ihn nicht weiter. Es ist damit nicht das Han- 
deln selbst gemeint, sondern nur die Fähigkeit oder 
Kraft dazu, ohne ihre Aeusserung. Dieser Begriff ist 
hier um so bedenklicher, als das Handeln nach Sp. nur 
in den logischen Folg^ aus den Gründen besteht, wobei 
die Macht von der Ausführung gar nicht zu trennen ist. 
Nur wenn man das Wollen in das Handeln hineinnimmt, 
ist eine solche Trennung zwiscdien Macht und Aeusserung 
möglich. Trotz dem hat Sp. ^ich nicht irren lassen. 
Nach seinen Definitionen bleibt dem Menschen auch im 
Leiden eine Macht zu handeln; sie wird nur verringert. 
Der Affekt ist also nach Sp. niemals .das Handeln oder 
Leiden selbst, sondern nur die Vermehrung oder Ver- 
minderung der Macht zu handeln. Dennoch gilt diese 
Veränderung der Macht bei Sp. als ein Handeln, wenn der 
Mensch die zureichende Ursache von dieser Veränderung 
ist. Man sieht, zu weichen Verwickelungen schon diese 
elementaren Begriffe führen. 

5, L. 1. B. Auch hier wird der Beweis schwerfallig 
durch den Eückgang auf Gott; während der L. aus dem 
Begriff des Zureichenden und des Handelns von 
selbst folgt ,^ da er mit den Definitionen 1 und 2 tauto- 
logisch ist. 



HL Theü. 6. 7. (L. 2. B. E.) 85 

Ans dem L. 1 erhellt, dass Sp. kein anderes Handeln 
der Seele kennt, als die Entwickelnng der Polgen aus zu- 
reichenden Vorstellungen, d. h. das Handeln der Seele 
bleibt rein innerhalb ihres Wissens. Das Wollen oder 
das Begehren tritt bei Sp. ganz zurück und verflüchtigt 
sich zu einem blossen Vorstellen, wie sich später zeigen wird. 

6. Li 2. B« Dieser L. ist nur die Wiederholung 
von II. L. 6 und 7; er bedurfte deshalb keines besondem 
Beweises. 

7« B« 20 L. 2m Hier sucht Sp. die auf der Hand 
liegenden Einwürfe gegen seine Lehre, dass die Seele 
keinen Einfluss auf ihren Körper habe, zu widerlegen. 
Seine Grunde sind schwach. Der erste beweist blos die 
Möglichkeit der Hypothese Sp's. ; der zweite, ftass der Mensch 
die Mittel, wodurch die Seele auf den Körper wirkt, 
nicht kennt, widerlegt diese Einwirkung nicht. Die Na- 
turwissenschaft, insbesondere die Medizin, hat viele be- 
setze, wo sie die Mittelursachen noch nicht kennt, und 
wo dennoch die Einwirkung besteht. 

Ferner läuft die Schwäche der Seele nicht parallel 
mit der Schwäche des Körpers, und das Beispiel von 
Mondsüchtigen und Träumenden widerlegt nicht die 
Uegner, weil auch hier ein Wollen besteht, was nur in 
seiner vollen Wirkung auf den Körper durch besondere 
Zustände gehemmt ist. 

Das üebrige. was Sp. hier anführt, gehört gar nicht 
hierher, sondern zur Freiheit des Willens. Diese Frei- 
heit kann fehlen, und dennoch der Einfluss des Willens 
auf den Körper bestehn; nur um diesen handelt es sich 
hier. Aueb folgt aus diesem Einfluss nicht, dass der 
Wille allmächtig sein müsse; er kann durch andere 
Ursachen gehemmt werden. . 

Die realistische Philosophie erkennt offen an, dass 
die regelmässige zeitliche Folge unterschiedener Bestim- 
mungen, welche allein das Seiende in der Ursäch- 
lichkeit sind," nicht weiter erklärt werden kann. Die 
Wissenschaft kann hier nicht weiter eindringen, und sie 
muss sich zuletzt bei der Thatsache solches Geschehens 
beruhigen. Insbesondere hütet sich diese Philos(^hie, das 
Geschehen der Wirkung aus der Ursache als eine solche 



86 HL TheiL S—U. (L. 3. 6. R L. 1 B. L. ö. B. L. 6. B.) 

Erklfimng zn nehmen. Es ist diese Yorstellong so gut, 
wie die Kraft zwischen Ursache und Wirkung, nur eine 
Beziehnngsform des Denkens, für die das Wahrnehmen 
keinen Anhalt bietet. Ebenso hütet sich die realistische 
Philosophie vor dem Ansknnftsmittel Sp's. und Hegers, 
welche die Oansalität ans der Gemeinsamkeit oder Iden- 
tität der Ursache nnd Wu'knng erklaren wollen; denn 
anstatt damit die Oansalität zn erklaren, wird sie durch 
solche Identität yielmehr vernichtet. — Ist dieses richtig, 
so ist die Oansalität zwischen Leib nnd Seele nicht 
wunderbarer wie jede andere; in jeder Art derselben 
sind Ursache und Wirkung unterschieden, und das Wun- 
derbare ihrer regelmässigen Folge wird durch den min- 
deren Grad dieses Unterschiedes nicht gemindert. 

8. L« 3. B. B- Dieser L. S wiederholt nur IH 
L. 1. Die E. zu dem L. erläutert nochmals den Begriff 
des Zureichenden und dient zur Erläuterung des oben 
(S..47) Bemerkten. 

9. L. 4. B. Dieser Lehrsatz gehört zu den Ueber- 
resten scholastischer Philosophie. Der Lehrsatz ist werth- 
los, weil der Begriff der äusseren Ursache yöllig 
schwankend ist. Es kommt eben darauf an, was zu dem 
Wesen der Sache gerechnet wird. Wenn man den Be- 
griff des Seins in seiner strengen Beinheit nimmt, so 
fehlt allerdings in ihm das Ende oder das Aufhören, 
ebenso wie das Anfangen; allein deshalb ist das endlose 
Sein nicht etwas, Wirkliches, sondern eben nur ein Sein, 
von dem im Denken das Ende abgetrennt worden ist, 
von dem aber diese Trennbarkeit des Endes in der Wirk- 
lichkeit durchaus ungewiss bleibt. Mit solchen Spielen 
des trennenden Denkens glaubte die scholastische Philo- 
sophie die Natur erforschen zu können, und Sp. ist noch 
ganz von dieser Bichtung befangen. 

lOi L» 5. Bi Auch dieser Lehrsatz ist von solcher 
Natur. Wenn das Entgegengesetzte etwas ist, was 
das Dasein aufhebt, so ist L. 5 tautologisch mit L. 4. 

11« L« 6. B. Hier wird der wichtige Begriff des 
Strebens (eonatus) eingeführt, welcher sich d^mn in das 



m. Theü. 12—14. (L. 7. B. L. 8. B. L. 9. B. E..) 87 

Begehren omwandeli Dieser Begriff soll hier ans 
L. i oder L. 5 abgeleitet werden; allein diese führen nur 
dahin, dass ein Ding sich nicht selbst zerstört; aber das 
Streben, sich zu erhalten, ist etwas ganz Anderes, von 
dem blossen Dasein wesentlich Yerschiedenes. Ans dem 
blossen Dasein folgt durchaus nicht, dass das Daseiende 
sich dem Zerstörenden entgegenstellt, d. h., dass es 
sich zu erhalten strebt. Dieser Fall liefert ein deut- 
liches Beispiel, wie dergleichen Ableitungen der Fol- 
gen aus einer Definition nur durch Erschleichungen und 
heimliche Herbeiziehungen aus der Erfahrung ein Neues 
erreichen können. 

12. L. 7. B. Nach den Torge)^enden L. 4 bis 6 ist 
das Streben, sich zu erhalten, aus dem Wesen des Dinges 
abgeleitet; es gehört also zu den Folgra des Wesens 
oder der Definition, und da die Folgen in der Definition 
gleichsam eingehüllt enthalten sind (I. L. 16 B.), so kann 
Sp. sagen, dass Streben und Wesen identisch sind; ob- 
gleich dabei auch hier die Identität in einem falschen 
Sinne von ihm angewendet wird. 

13. L. 8. B« Hier tritt der Zirkel deutlich hervor, 
in dem sich dieser scholastische Gredankengang von L. 4 
ab bewegt. Erst wird aus der Wahrnehmung einer end- 
lichen oder vergänglichen Sache Alles abgetrennt, was 
sich auf ihr Ende bezieht; damit gelangt das Denken zu 
dem reinen Sein, was naturlich wegen dieser Abtrennung 
ein Ende nicht mehr an sich haben kann, und daraus 
wird nun wieder die unbestimmte Fortdauer dieses Seins 
bewiesen. Die B. zu L. 6 und L. 8 sind deshalb von 
Wichtigkeit für die Erkenntniss der Methode Sp's.; sie 
zeigen, dass die geometrische Begründung über die Tau- 
tologie nicht hinauskommt. Alles Neue muss offen oder 
versteckt aus der Erfahnmg entnommen werden. 

14. L. 9i B. B« Der L. 9 ist nur die Anwendung 
der allg^einen L. 4 bis L. 8 auf die Seele, als einen 
besondem Gegenstand; deshalb kann der Beweis rein 
durch Schlussfolgerung gefuhrt werden; er enthält des- 
halb aber auch nichts Neues. 

Wichtiger ist die E. Hier wird Wille (vobmtas) 



88 HL TheU 15—17. (L. 10. ». L. 11. B. EL.) 

wieder im natürlichen Siime gebraucht. Das Verlangen 
(Appetitus) ist nur ein anderes Wort; es ist falsch, wenn 
Sp. auch ein Begehren in dem Körper annimmt; das 
Begehren ist ein nur der Seele angehörender, nur durch 
Selbstwahmehmung erkennbarer Zustand; im Körper wer- 
den nur die Kräfte wahrgenommen (E. 3). Nachdem 
Sp. durch Scheinschlüsse das Begehren, sich zu erhalten, 
jius dem Wesen jedes Gegenstandes abgeleitet hat, mnss 
dieser Satz natürlich auch für die Menschen gelten, und 
es folgt dann allerdings, dass nicht das Ziel oder das 
Gute das Begehren bestimmt oder erweckt, sondern dass 
letzteres jenes bestimmt. Allein alle diese Folgerungen 
ruhn, wie gezeigt, auf falschen Prämissen; nach der Er- 
fahrung wird das Bggehren durch die Gefühle der Lust 
und der Achtung bestimmt, welche durchaus keinen noth- 
wendigen Zusammenhang mit der Erhaltung des Daseins 
haben (E. 7). Deshalb ist auch der Mensch des Selbst- 
mordes fähig, was nach diesem L. unmöglich wäre. 

15« L. 10. B. Dieser Lehrsatz folgt logisch aus 
den in dem B. angezogenen Prämissen; er ist aber un- 
wahr, weil diese Prämissen unwahr sind. 

16i Li IL Bm. Vermittelst dieses L. übertraf Sp. 
den zunächst für den Körper aufgestellten Begriff der 
Affekte auch auf die Seele. Die Seele stellt nicht blos 
die Affekte oder Machtveränderungen des Körpers vor, 
sondern erleidet auch selbst dergleichen Machtyeränderun- 
gen und ist deshalb selbst den _ Affekten unterworfen. 
Dessenungeachtet ergiebt sich aus dem Späteren, dass 
diese Seelenaffekte nach Sp. nichts Anderes als Vorstel- 
lungen sind. 

17. B. Zn L. 11. In dieser E. giebt Sp. die wich- 
tigen Definitionen von Lust und Schmerz, von Fröh- 
lichkeit und Traurigkeit. Jene sollen sich auf Seele 
und Körper beziehn, diese nur auf di0 Seele. Es ist dies 
ein Lrthum, der allerdings als Consequenz von Sp's. Prin- 
zipien sich ergieblr; indess lehrt die Beobachtung, dass 
Preude und Schmerz, wie alle Gefühle, nur in der Seele 
sind. Sp. war zu der entgegengesetzten Annahme ge- 
nöthigt, weil die Seele bei ihm nichts ist als die Vor- 



.HL Theo. n. (SdiliiBB der & sa L. 11.) gg 

steHnng ihres KOipen, deshalb mnss dem Affekt des 
K&rp^rs allemal ein Affekt der Seele, oder umgekehrt, 
entspreehen (lU. L. 10 B.). 

Sp^s. De&iition der Lust und des Schmerzes sind 
schon im Alterthnme aufgestellt worden, und sie werden 
noeh jetzt vielfach ab die wahren behauptet Es liegt 
ikllerdings sehr nahe, die Lust mit einer Steigerung der 
Lebenskraft, und den Schmerz mit einer Minderung der- 
selben zu identifiziren, weil schon der Instinkt das Schäd- 
liche vermeidet, und der Schmerz zum grossen Theil 
aus Zustanden entsteht, welche der G^esundheit schädlich 
sind. Allein eine um£ueende Beobachtung aller Arten 
der Lust zeigt, dass diese Definition nicht immer mit den 
Thatsachen stimmt, wenn man nicht den Schmerz fOr 
sich schon als Zeichen des Schädlichen nehmen, also den 
Beweis sich ersparen wilL Auch giebt diese Definition 
nur die Ursache der Lust und des Schmerzes, nicht 
diese selbst. Diese GefiUile mögen vielleicht mit sol- 
dien Förderungen und Hemmungen des Lebens sich ver- 
binden; allein sie sind nicht diese Förderungen und Hem- 
mungen selbst; vielmehr sind sie durchaus ursprüngliche 
elem^itare Zustande, welche durch keine Definition ver- 
deutlicht, sondern nur durch eigene Empfindung und 
Selbstwahrnehmung erkannt werden können (JE, 7). 
Diese Gefühle gehök'en auch nur der Seele an und nicht 
dem Körper; selbst wenn man sich in den Finger schneidet, 
ist der Schmerz nur in der Seele, und im Körper nur 
die Ursache desselben. 

Indem Sp. diese Ergebnisse der Beobachtung verkennt 
und durdi starre Festhaltung seiner Prinzipien übersieht 
oder verleugnet, ist seine Lehre von den Affekten schon 
in ihren Grundlagen verschroben und verfälscht, und Sp. 
kann trotz vieler feiner Beobachtungen im Einzelnen, doch 
die volle und erschöpfende Wahrheit in diesem wichtigen 
Gebiete nicht erreichen. 

IS. SeUllSS der B. so L. 11. Diesen letzten Theil 
der E. kaun man nur verstehn, wenn man festhält, dass 
die Seele, obgleich sie nur die Vorstellung der Zustände 
ihres Körpers ist, dennoch mit ihrem Körper ausser aller 
ursprünglichen Verbindung steht, weil beide zu ver- 
schiedenen Attributen gehören. Deshalb ist es ganz 



90 in. TheiL 1». 20. (L. 12. B. U 13. B. Z.) 

consequent, dass das Ende der Seele nie von dem Ende 
des Körpers kommen kann, sondern nnr durch eine andere, 
ihr entgegengesetzte, d. h. sie aufhebende Yerstellung, 
die dann nach dem System Sp's. in Gott y^legt worden 
muss, so weit er yon der Vorstellung eines andern Kör- 
pers erregt ist. Hier zeigt sich die grosse KQnstlichkeit 
des Systems. 

19. L« 12. B. Wenn das Streben, sich zu erhalten, 
aus dem Wesen jedes (gegenständes folgt, und w»m die 
MachtTermehrung zum Wesen gehört, so folgt aUerdings, 
dass jedes Bing nach Machtvermehrnng, d. h. nach Fröh- 
lichkeit und Lust strebt. Ebenso folgt aus dem FaraU»- 
lismus der Körper- oder Seelenzustande, dass die Macht- 
yermehrung . des Körpers auch yon einer solchen in der 
Seele begleitet ist. Indem Sp. den Einfiuss zwischen 
Seele und Körper aufhebt, treibt ihn dieses der Erfieüi- 
rung widersprechende Prinzip in seinem Fortgange immer 
weiter zu kfinstlichen Hypothesen, für deren Wahrheit alle 
Mittel der Prüfung yerschwinden. 

20. Ii. 13. B. Z. In L. 12 ist bewiesen, dass die 
Seele nach der Lust und ihren Ursachen strebt; hier 
wird bewiesen, dass sie den Schmerz und seine Ursachen 
yerabscheut. Auch hier ist der Beweis nur auf künst- 
lichen Umwegen zu erreichen, welche die Darstellung 
schwerfällig und unyerstandlich machen. Insbesondere 
wird dabei mit dem Streben Missbrauch getrieben. Ist 
alle Yeränderung im Denken und Sein blos log^che Folge, 
so ist ein solches Streben durchaus nicht damit zu yer- 
einen. Im Streben liegt ein Ziel, ein Zweck, welcher als 
das Bestimmende gilt; dieses widerspricht aber der Natur 
der logischen Folge, und deshalb bleibt die Einfflhnmg 
des Strebens und Begehrens ein durchgehender Wider- 
spruch eines Systems, was die Welt nur als den Abflnss 
der logischen Folgen aus dem Wesen Gottes anerkennt. 
Ist dieses logische Abfiiessen der Folgen das sUgemeine 
Prinzip der Welt, so kann auch der Mensch dayon keine 
Ausnahme machen, und sein Begehren ist unerklärlich 
oder damit im Widersprach. Deshalb ist Sp. auch ge- 
nöihigt, dieses Begehren so häufig in seiner wahren Natur 



m. ThdL 2L (£. sa L. la) 91 

zn yerleugnen und mit dem Wesen oder mit der Macht 
zu identifiziren. 

21. B. SO L. 13. Diese DefinitioBeB von Liebe 
und Ha SS sind berühnit und werden noch heute Tielüach 
vertheidigt. Sie treffen aber nicht die Wahrheit In der 
Liebe ist mehr als das blosse Streben, einen Gegenstand 
zu erhidten, der mir Lust gewahrt Die Liebe ruht auf 
der Lust des Andern, des Geliebten. Dessen Lust 
ist der Kern der Liebe; auf dessen Lust zielt die 
Liebe ab; aber diese Lust wird durch die Liebe zugleich 
Ursache der eigenen Lust, und deshalb ist die Liebe jene 
wunderbare Verbindung tob eigener und fremder Lust, 
von Egoismus und Aufopferung, welche leicht Torleitet, 
ihr Wesen in den Widerspruch oder in unyerstandlichen 
£inheitsphrasen zu suchen, oder, wie in der christlichen 
Moral, nur die eine Seite, die Lust des Andern als 
das Wesen der Liebe zu nehmen. Dasselbe gilt umgekehrt 
für den Hass. Das Nähere darüber ist im I. Bimd der 
Philosophischen Bibliothek (E. 8) und in des Verfassers 
Aesthetik I. S. 99 ausgefOhrt. 

Die Liebe kann deshalb nur ein lebendes, der Ge- 
fühle fähiges Wesen zum Gegenstand haben. Statt dessen 
ist bei Sp. die Liebe die Lust überhaupt in Verbindung 
mit dem Streben, die Ursache dieser Lust sich zu er- 
halten. Demnach liebt man auch den Ofen, welcher die 
Stube wärmt, und das Stück Brot, was man aus Hunger 
verzehrt, und man hasst die Medizin, die bitter schmeckt, 
und den Begen, der nass macht. 

Allerdings kann jeder Schriftsteller den natürlichen 
Sinn gewisser' Worte beschränken; aber Sp. selbst erkennt 
an, dass dies nicht übertrieben werden darf. Vor Allem 
aber ist der hier dargelegte wahre Begriff der Liebe 
für jede Ethik so wichtig und unentbehrlich, dass schon 
deshalb seine Entstellung hier Tadel verdient. Das 
Spätere wird zeigen, zu welchen ialschen Ergebnissen 
eine solche gewaltsame Behandlang der Worte führt. 

Indem die Lust in dem geliebten Gegenstände von 
Sp. l^ei der Liebe ganz übersehen wird, indem« in seiner 
Liebe nur die eigene Lust auftritt, ist die Ethik Sp.'s 
durchaus egoistisch; es wird darin zwar viel von Liebe, 



92 ni. Thea 22. 28. (L. 14. B. L. 15* B. Z. B. E.) 

Dankbarkeit, Wohlthätigkeit ti. s. w. gesprochen; allem 
überall gilt das fremde Wohl nur als Mittel för .die 
eigene Lust; selbst die Liebe Gottes, von der Sp. in dem 
V. Theile mit Begeisterung spricht, ist nur die eigene 
Lust aus dem Wissen mit der daraus folgenden Hem- 
mung des Begehrens nach anderer Lust. Die Ethik Sp's. 
ist deshalb ein blosses System der Klugheit. Ein be- 
sonders sittliches Prinzip neben der Selbsterhaltung, ein 
Handeln, was selbst das eigene Leben einem höheren 
Zwecke zum Opfer bringt, kennt Sp. nicht; nur die Er- 
wägung, dass die Erhaltung der Nebenmenschen mir 
selbst nützlich ist, ist bei Sp. der Beweggrund för die 
milde und gleiche Behandlung derselben; das Recht leitet 
Sp. nur aus dem Nutzen ab. Im V. Theile der Ethik 
tritt allerdings die Lust zurück; das Handeln als solches, 
im Spinozistischen Sinne, wird als das Sittliche hinge- 
stellt, und deshalb das Erkennen för das Höchste er- 
klärt. Allein da die Lust mit dem Wesen und der 
Macht nach Sp. identisch ist, so ist damit im Grunde 
nichts geändert. 

22i L. 14i Bi Das Gesetz für die Wiedererweckung 
der Vorstellungen wird hie'r auch auf die Affekte aus- 
gedehnt. Dieses widerspricht der Erfahrung. Wenn ich 
heute im Theater Kopfschmerzen bekomme, so bekomme 
ich deshalb morgen im Theater nicht abermals Kopf- 
schmerzen. Die Erinnerung oder Vorstellung der 
Kopfschmerzen wird wiederkehren, aber nicht der S chmerz 
selbst. Dies gilt fnr alle Arten der Gefühle und ist eine 
Folge davon, dass die Gefühle zu den seienden Zustan- 
den der Seele gehören, während die Vorstellungen nur 
ihr Wissen bilden. Nur weil Sp. diese Unterschiede 
nicht festhält, konnte er zu dieser falschen Ausdehnung 
des Gesetzes des Gedächtnisses gelangen. Hier zeigen 
sich die falschen Folgen falscher Definitionen. Nur wenn 
die Vorstellungen seibst die Ursache von Gefühlen wer- 
den, kann das Gesetz der Gedankenverbindung mittelbar 
auch auf die Gefühle wirken. . 

23. L. 15. B. Z. B. B. Hier, wie an vielen Orten 
würden Beispiele das Verständniss der Lehrsätze sehr 
erleichtert haben, allein Sp. thut dies nur ungern. Der 



in. Theil. 24. 25. (L. 16 B. L. 17 B. E.) 93 

L. 15 ist richtig, al>er nidity weil er sich ans L. 14 ab* 
leitet, sondeni weil hier zunächst eine Vorstellung die 
andere erweckt, und mittelbar dadurch die gleichen 
Gefühle wieder eintreten. Deshalb gilt der Satz auch 
nicht allgemein, sondeni nur für solche Gefühle, welche 
aus Vorstellungen entspringen. Die Sympathien und 
Antipathien werden im Uebrigen richtig erklart; ihr 
scheinbar Wunderbares liegt nur darin, dass der Fühlende 
ihren Ursprung sich nicht klar macht. 

24. L. 16« Ba Der L. ist richtig, aber er ruht 
nicht auf dem L. 14, welcher falsch ist, sondern auf dem 
Gesetz der Erinnerung, weldie erst mittelbar die Gefühle 
wach ruft Deshalb hat auch der Satz eine nur.be* 

schränkte Gültigkeit. 

25. L. 17. B. E, Der L. 17 ist richtig; aber Sp. 
widmet diesen sogenannten Schwankungen der Seele 
nicht die sorgfältige Untersuchung, welche sie verdienen. 
Sp. begnügt sich, das gleichzeitige Dasein von Schmerz 
und Freude anzuerkennen und ihre Ursachen darzulegen. 
Allein nach den eigmen Definitionen Sp's. eracheint ein 
solches Zugleichsein unmöglich. Denn die Freude ist eine 
Steigerung der Macht zu handeln; der Schmerz eine 
Minderung der Macht zu handeln. Wenn Beide zugleich 
eintreten, heben sie sich mithin, wie Plus und Minus, 
oder wie zwei entgegenstehende Bewegungen zu Null, zur 
Buhe auf, und das Ergebniss ist nicht ein Zugleich you 
Freude und Schmerz, sondern die Indifferenz oder Gleich* 
gültigkeit. 

Da diese Folgerung nun der Beobachtung widerspricht, 
so hätte dies Sp. ein Zeichen sein sollen, dass seine De- 
finitionen von Lust und Schmerz falsch sind; aUein Sp. 
ist viel zu sehr Scholastiker, um durch solche Data der 
Erfahrung sich in den einmal gesetzten Prinzipien irre 
machen zu lassen. 

Dieses Zugleich von Schmerz und Lust ist überhaupt 
für die Beobachtung ein Gegenstand von hohem Interesse» 
und er führt mehr wie Anderes zur Erkenntniss der Seele. 
Das Weitere darüber ist anderwärts (Philosophie des 
Wissens I. 62) dargelegt word^. Sp. lässt dies Alles 
bei Seite. Ueberall ist ihm das Denken die Hauptsache; 



94 nL TheiL 2§. 17. (L. 18 B. E. 1. £. 2.) 

das Wahrnehmen oder Beobachten bleibt ihm das Unter- 
geordnete, obgleich jenes Denken doch seinen Stoff nur 
ans diesem entnimmt. Indem dies aber hier ans nnvollstän- 
digen Beobachtungen geschieht, erhalten die Begriffe nnd 
Lehrsätze jene Einseitigkeit nnd Unwahrheit, welche sie 
mit der Wirklichkeit in fortwährende Kollisionen bringen, 
denen wieder dnrch Yerdrehnngen der Worte nnd Zu- 
stände oder dnrch neue künstliche Hypothesen abgeholfen 
werden mnss. 

26. L. 18. B. B. Dieser L. 18 folgt zwar logisch 
ans n. L. 17, allein da diese Prämisse fsJsch ist, so ist 
es anch dieser L. 18. Die Beobachtnng lehrt, dass die 
hier behandelten Fragen gar nicht nnter ein (resetz ge- 
bracht werden können, sondern einer Mannichfaltigkeit 
Yon Gesetzen unterliegen. So wirkt ein kommendes Er- 
eigniss anders als ein vergangenes; jenes weckt reale, 
dieses nur ideale GrefAhle. Femer ^ann dieselbe Erinne- 
rung bald* Freude, bald Schmerz bereiten, je nachdem ich 
sie für sich betrachte oder als Unterlage für die Ab- 
schätzung der Gegenwart. Deshalb freut man sich über- 
standener Gefahren; aber ihre Erinnerung wirkt schmerz- 
lich, wenn sie so lebhaft wird, dass sie als gegen- 
wärtige gelten. Femer ist das Gefahl aus dem Kom- 
menden in der Begel schwächer als das aus dem Gegen- 
wärtigen ; aber oft auch umgekehrt, wenn die Erwartung das 
Kommende zu sehr ins Angenehme ausgemalt hat. Näheres 
hierüber ist in des Verfassers Aesthetik I. S. 101, und 
Philosophie des Wissens I. S. 52 nachzusehn. Sp's. 
Beobachtungen waren . zu beschränkt, um diese Verwicke- 
lungen zu beachten, und seine einmal aufgestellten Prin- 
zipien waren zu starr, um diesen Feinheiten sich f&gen 
zu können. 

27. B. 2. SQ L. I8. Auch diese Definitionen sind be- 
denklich. Das Wesen der Hoffnung liegt gerade darin, 
dass sie die Lust aus der kommenden Lust ist. Darin 
ist ihre Eigenthümlichkeit enthalten; ab^ nicht, wie 
Sp. meint, in dem Schwanken zwischen Schmerz und 
Freude. Deshalb ist Hoffnung und Zuversicht nur im 
Grade unterschieden. Die Gewissensbisse gehören 
gar nicht in das Gebiet der Lust und des Schmerzes, 



in.T]ieiLaS->aL(L.19.B.L.20.B.L.21.B.L.22.B.) 95 

smideni za den Gefohleii der Achtung {£. 7) und ins- 
besondere zn den sittlichen Geföhlen, welche den grossen 
Gegensatz gegen die Gefühle der Lust und des Schmerzes 
bilden, und deren Natnr Sp. gänzlich übOTsehen nnd ver- 
kannt hat Deshalb fehlt das sittliche Prinzip bei ihm, 
nnd Alles wird anf Lnst nnd Schmerz znrdckgefahrt 

28. L« 19. B. Auch hier fehlt die feinere Beobach- 
tong und die Unterscheidung zwischen Aufhören der Lust 
und Eintreten des Schmerzes. Wenn die Ursache der 
Lust aufhört, folgt nur das Ende der Lust, aber nicht 
der Anfang des Schmerzes. Deshalb ist auch der 
Beweis ungenügend; 8p. konnte nicht sagen: »Das Hem- 
»men des Strebens der Seele oder der Fröhlichkeit erffiUt 
»die Seele mit Trauer.« Aber solche feinere Beobachtun- 
gen lagen ausserhalb Sp's. Grosichtskreise. 

29. L« 20. B* Dieser Lehrsatz ist die Umkehrung 
von L. 19 und leidet deshalb an demselben Mangel. 

30. L. 21. B. Hier behandelt Sp. die Gefahle in 
dem geliebten Gegenstands, welche das Wesen der Liebe 
bilden, wie oben (S. 91) gezeigt worden ist. Anstatt sie 
aber als den Kern der Liebe und als das Ursprüngliche 
zu nehmen, behandelt sie Sp. nur als das Mittel für die 
eigene Lust. Diese eigene Lust ist nach Sp. zugleich 
die Liebe far den Gegenstand, der als Ursache dieser 
Lust erkannt ist. Deshalb liebt man nach Sp. das Leb- 
lose ebenso wie das Lebendige, wenn es nur Ursache 
einer Lust ist. An sich sind die in dem geliebten Ge- 
genstande dabei vorhandenen Gef&hle ganz gleichgültig; 
nur weil dem Liebenden wegen seiner Lust an der Fort- 
dauer des geliebten Gegenstandes gelegen ist, und diese 
Fortdauer durch die Fröhlichkeit des geliebten Gegen- 
standes gesteigert und gesichert wird, deshalb ist auch 
diese Fröhlichkeit des Geliebten den Liebenden eine 
Ursache der Lust. 

Man kann nicht wohl das Wesen der Liebe tiefer 
heorabziehn, als es hier T<m Sp. geschieht. 

a 

31. L. 22. B. Dieser Lehrsatz ist die consequente 
Folge ?on L. 21. Er ist insofern richtiger, wie m. 



96 in. Thefl. 32-37. (E. zu L. 22«. hia^.L. 26. E.) 

L. 13. E.y als hier ein Jemand, d. li. ein lebendiges 
Wesen als Ursache der Fröhlichkeit gesetzt ist. 

32. E. IQ L. 22. Das Wort, was Sp. im Lateinischen 
vermisst, ist im Deutschen in dem Mitgefühl oder in 
der Mit fr ende vorhanden. Das Wort Gunst (Faoor) ist 
hier in seinem Sinne beschränkt; Sp. hätte dieses Ge- 
fühl auch Dankbarkeit nennen können. 

33. L. 23. B« B. Hier und in dem Folgenden geräth 
Sp. in eine schwerfällige und pedantische Methode. Sätze, 
welche einfache Folgerungen aus vorgehenden Lehrsätze 
sind und deshalb höchstens in einen Zusatz gehört hatten, 
werden in die wichtige Form von neuen Lehrsätzen ge- 
kleidet und mit umständlichen Beweisen ausgestattet. 
Beinahe scheint es, als hätte die Freude, dass hier die 
geometrische Beweismethode sich so leicht ausfahren 
lässt, Sp. die Geringfügigkeit des Inhaltes überseÜn lassen. 

34. L. 24. B. E. Der Neid gehört nicht zum 
Ha SS. Im Hass ist die Hauptsache das Gefühl in der 
Person des Gehassten; sein S(5hmerz macht dem Hassen- 
den Freude und umgekehrt. Im Neid tritt die Person 
zurück; es wird nur ein Gegenstand begehrt, den der 
Andere besitzt, und dessen Besitz deshalb als ein Hinder- 
niss gilt, dass man nicht selbst den Gegenstand besitzen 
und die Lust daraus geniessen kann. Die Person des 
Besitzenden kann dabei ganz gleichgültig bleiben, ja, der 
Neid kann sich selbst auf geliebte Personen ausdehnen; 
Geschwister beneiden einander, obgleich sie sich lieben; 
beide Gefühle sind keine unmittelbaren Gegensätze. Sp. 
kann diese Unterschiede nicht aufnehmen, weil seine De- 
finition des Hasses falsch und zu weit ist. 

35. L« 25. B. Dieser L. ist nur eine Folge von 
m. L. 12 und 13. 

36. L. 26. B« Dieses gilt auch for diesen L. und 
wird deshalb auf das zu No. 33 Bemerkte Bezug genommen. 

37. E. SSO L. 26. Die Definition des Stolzes ist 
nicht richtig. Es giebtauch einen berechtigten Stolz, 



m. Theit 38. (L. 27 B. E.) 97 

der sich nicht auf eingebildete, sondern auf wahre Vor- 
züge stützt; das, was Sp. Stolz nennt, wird gewöhnlich 
Eitelkeit genannt; nur der Eitle, nicht der Stolze 
stützt sich anf eingebildete Vorzüge. .Die Begriffe der 
Feberschätzung (Existimatio) und der Verachtung 
(Despectua) gehören weit mehr zu den sittlichen Ge- 
fühlen {E. 7) als zu denen der Lust. Sp. konnte, dies 
nicht bemerken, da ihm der Begriff dieser sittlichen Ge- 
fühle fehlt. 

38. L. 27 B. B. Hier sucht Sp. die allgemeine 
Menschenliebe aus Prinzipien zu beweisen. Dieser Be- 
weis ist dunkel und schwach; denn aus der Aehnlichkeit 
des Gegenstandes folgt nicht die Aehnlichkeit der Er- 
regung, welche der eigene Körper von diesem Gegenstande 
erleidet. Auch ist der Affekt nicht diese Erregung selbst, 
sondern nur' der XJebergang von weniger Macht zu 
mehr Macht oder umgekehrt. Wie dieser XJebergang 
sich bildlich im Körper darstellen soll, ist unfassbar. 

Der Beweis Sp's. leidet deshalb an vielfachen Män- 
geln. Vielmehr muss jede Philosophie offen anerkennen, 
dass die allgemeine Menschenliebe nur aus der Beobach- 
tung abzuleiten ist. Deshalb nennt Aristoteles den Men- 
schen ein politisches Thier. Wäre der Beweis Sp*s. 
richtig, so müsste er auch für die Thiere gelten; aber bei 
vielen Arten von diesen, die vereinzelt leben, herrscht 
Hass statt Liebe zu Ihresgleichen. Die allgemeine 
Liebe gehört zu den ursprünglichen Bestimmungen der 
menschlichen Natur, welche nicht bewiesen, sondern nur 
aus der Erfahrung entnommen werden können. * Auf 
diesem Grundzuge des Menschen ruhn alle Verbände der 
Menschen und alle Gestaltungen des Verkehrs. Nicht 
der Nutzen, sondern die Liebe ist der letzte Halt aller 
Vereinigpingen der Menschen. Aber diese Liebe kann 
allerdings durch eine grosse Zahl anderer Naturwir- 
kungen geschwächt, ja, in das Gegentheil, den Hass, ver- 
kehrt werden. Aber der Hass bleibt für den Menschen 
immer die Ausnahme, welche ihre besondere Begründung 
fordert. 

Die Nacheiferung kann nicht wie das Mitgefühl 
behandelt und erklärt werden. Vielmehr entspringt die- 
selbe, wo sie auftritt, aus der Meinung, dass die Andern 

BrUuterangfin zu Spüioza's Etliik 7 



gg m. Tbeil. 3t— 42. (Z. 1. 2. 3 £. zu L. 27. l)is E. zn L. 29.) 

ein Gut oder ein Nfitzliches erstreben. Daraus erst 
entspringt die Nacheiferung; sie ist keine blinde Nach- 
abmung, selbst nicbt bei Kindern. Deshalb tritt sie 
nicht ein, wo man das Yon den Andern Erstrebte als 
etwas kennt, was 'man selbst nicht mag. Man vergleiche 
m. D. 33. 

39. Z. 1. 2. 3 B. la L. 27. Diese Folgesätze 
sind selbstverständlich. Das Wohlwpllen (BeneoolenUa) 
wird von Sp. zn eng gefasst. Es ist überhaupt das aus 
der Liebe hervorgehende Streben, dem Oeliebt^ Freude 
zu bereiten und seinen Schmerz zu lindem, und es hat 
daher seine Quelle keineswegs blos in dem Mitleiden, 
d. h. in einem Schmerz des Greliebten. 

40. L. 28 B. Dieser L. ist die Folge aus m. 
L. 12 und 13. Das Unnatürliche in seinem ^Beweise ent- 
steht nur daraus, dass Sp. keine Einwirkung der Seele 
auf ihren Körper anerkennt. Deshalb kann nach ^p. 
das Streben in der Seele es nur bis zu dem Vorstellen 
des Erstrebten bringen. Die Verwirklichung im Kör- 
per oder durch den Körper folgt nicht als Wirkung 
dieses Strebens oder Wollens und der Macht der Seele 
über die Glieder, sondern durch den unmittelbaren Pa- 
rallelismus des Denkens und des Ausgedehnten; deshalb 
ist mit der Vollendung der Vorstellung in der Seele auch 
der Gegenstand körperlich da, was zu einer Art von 
Zauberei der Seele führt, die wunderbarer sich gestaltet 
als der Einfluss zwischen Seele und Körper nach der ge- 
wöhnjichen Meinung. 

41. L. 29 B, Der L. erhält erst durch die fol- 
gende E. seine Deutlichkeit. Es ist das Ehrgefühl, 
von der L. 29 handelt. Die Begründung dieses Ehrgefohls 
im B. auf die blinde Nachahmung ist falsch. Die Lust 
aus der Ehre gehört zu den ursprünglichen elementaren 
Gefühlen der Seele und ruht auf einem Mehrsein, als 
die Andern in irgend einer Eichtung und in dem An- 
erkenntniss dieses Mehrseins durch die Andern (Aesthetik 
I. S. 98). 

42. B. Zu L. 29. Der L. 29 ist so unbestimmt 
gefasst, dass er nicht blos auf das Ehrgefühl, sondern 



m. Thefl. 43. 44. (L. 30 B. S. L. 31 B. Z. E.) 99 

auch auf die aUgemeine Mensdienliebe bezogen werden 
kann. Obgleich beide Gefühle sehr yerschieden Yon ein- 
ander sind, stellt sie Sp. doch hier zusammen; unter 
Humanität ist diese Menschenliebe zu verstehn. Lob 
und Tadel werden von Sp. mangelhaft definirt; sie sind 
vielmehr blosse Urtheile über das Handeln eines An- 
dern, welche sich auf eine Begel oder ein Ziel stützen, 
an dem die Handlung gemessen wird. So das Lob eines 
Schauspielers, eines Beiters wegen seiner Fertigkeit. Hier 
ist Ton eigener Freude des Lobenden keine Spar; ja, man 
verlangt ausdrücklich für das lobende ürtheil Unpartei- 
lichkeit, d. h. das Fembleiben eigenen Literesses und 
eigener Lust. 

Lob und Tadel beziehn sich ausserdem auf das sitt- , 
liehe Handeln; hier können sie sich mit Achtung oder 
Verachtung gegen den Handelnden verbinden, welche 
Gefühle aber keine Verwandtschaft mit der Lust haben (S. 95). 

43i L« 30 B. Et Nach diesem L. ist die Lust 
aus der Ehre nur die Folge des zun&chst aus blindem 
Nachahmungstrieb entspringenden ehrgeizigen Handelns; 
in Wahrheit ist aber diese Lust aus der Ehre und dem 
Euhm das Erste und das, was den Menschen zu dem 
ehrgeizigen Handeln treibt. Buhm und Ehre sind des- 
halb nur im Grade unterschieden. Selbstzufriedenheit 
und Beue sind Gefühle sittlicher Natur, und deshalb 
sind ihre hier gegebenen Definitionen unrichtig. 

44. Li 31 B. Z. B. Der L. 31 legt ebenfalls zu 
viel Gewicht auf di4 blinde Nachahmung, welche bei Er- 
wachsenen und Verständigen viel weniger wirksam ist, 
als Sp. meint. Das Gefühl in dem Z. ist kein Ehrgeiz, 
sondern Herrschsucht, eine Besonderung der Lust 
aus der Macht; es hat mit der Ehre nichts zu schaffen; 
Sp. vermischt sie, weil er überhaupt bei der Eintheilung 
der Gefühle in Lust und Schmerz stehn bleibt und die 
elementaren Arten Beider nicht näher entwickelt Das 
Weitere hierüber ist in des Verfassers Aesthetik I. S. 97 
dargelegt. Da die Lust aus der Macht über Andere 
durch die Ohnmacht dieser Andern begründet wird, so 
ist es natürlich, dass die Andern den Herrschsüchtigen 
hassen, als die Ursache ihrer Ohnmacht. Hierauf be- 



100 ni. TheiL 4S. 46. (L. 33 B. fi. L. 33. B.) 

rnht znm Theil der Beiz der Freiheit. Diese Lust d^ 
Selbstbestimmiuig, diese Lust aas der Macht an sidi 
und ohne Bäcksicht anf ihre Folgen, ist eines, der widi- 
tigsten Gef&hle in dem Leben des Einzelnen nnd der 
Völker. Es gehört zn den elementaren Lnst-€refahlen, 
kann sich aber mit sittlichen Gef&hlen verbinden. Sp. 
erwähnt dieses wichtige Gefühl gar nicht, obgleich s^bet 
die Noth wendigkeit alles Geschehenden, welche Sp. be- 
hauptet, mit diesem Geftlihle sidi vertragt. Audi Met 
zeigt sich der Mangel umfassender Beobachtung bei Sp. 

45i L. 32 B. B. Dieser L. behandelt einen Colli- 
sionsfall von Lust und Schmerz. Es hangt von den be- 
r sonderen Umständen ab, welches Gefühl das stärkere 
sein und das Handeln bestimmen wird. Ist der Andere 
uns gleichgültig, so wird der L. richtig sein; lieben wir 
ihn aber, so ist er falsch ; einem geliebten Mädchen wird 
bekanntlich auch das Werthvollste geopfert. Das Mitleid 
kann allerdings durch Neid nicht getrübt werden, sondern 
nur die Mitfreude, weil man einen Andern nicht um 
das Schmerzliche, sondern nur um das Erfreuende beneiden 
kann. Allein die Folgerung in der E. für die Allgemein- 
heit des Neides ist falsch. Es hängt eben davon ab, ob 
der Neid nicht durch die Mitfreude (Liebe) gehemmt 
wird, wie unter Freunden, Eheleuten und in allen engeren 
Kreisen des Lebens der Fall ist. 

46. L. 33 B. Hier sucht Sp. das in der Liebe 
liegende Verlangen nach Gegenliebe zu beweisen. Die 
Frage ist von hohem Interesse und wird in den philo- 
sophischen Systemen viel zu leicht und meist als selbst- 
verständlich behandelt. Sp. thut dies zwar nicht; allein 
sein Beweis ist ungenügend. Die Liebe treibt nach Sp^s. 
Ausführung allerdings zur Erhaltung des Geliebten, ^o 
auch zur Erfreuung desselben; aber woher diese f¥eude 
kommt, ist nach Sp. gleichgültig, weil jede Art der 
Freude schon die begehrte Wirkung enthält. Die be- 
sondere Freude der Gegenliebe ist also nicht bewiesen. 
Bei der Künstlichkeit des Systems ist dies nicht zu ver- 
wundern. Dies Verlangen nach Gegenliebe erklärt sich 
viel einfacher daraus, dass nur dadurch die in der un- 
erwiderten Liebe enthaltene Abhängigkeit von dem €k- 



UL TliftiL 4T-M. (L. 3i B. Ms L 37. B.) 101 

liebten aufgehoben und das nattriidie Gleichgewicht 
zwischen beiden Theilai hergestellt wird (AesthetikL S. 99). 

47« L. 34 B« In diesem L. wird die Lost ans 
der Gegenliebe mit der Lost ans der Ehre Termischt» 
obgleich beide wesentlich Tenichiedene elementare Ge- 
fühle sind. Die Ehre, der Böhm bemht nnr anf der 
Anerkennung Unserer dnrch die Andern (Aesthetik I. 98), 
wobei Yon Liebe xn diesen Anderen keine Bede ist; im 
Glegentheil ist diese Anerkennmig dnrch Feinde, odw 
der Ton onsem Feinden nns gezollte Bnhm, erfirenender 
als der von den Frennden. 

48. L. 35 B. Ji. Die^ hier gegebene Erklärung 
der Eifersucht bleibt mangelhaft, weil die Grund- 
begriffe bei Sp. mangelhaft sind. Die Eifersucht ist 
allerdings der Schmerz aus der mangelnden Gegenliebe 
und der Neid, weil ein Anderer diese Gegenliebe gewon- 
nen hat. Aber sie hebt deshalb nicht die Liebe zu dem 
Geliebten auf, da diese Liebe gar nicht von dessen Gegen- 
liebe bedingt ist; im (zegentheil, die Eifersucht ist you 
der Fortdauer der Liebe bedingt. Verwandelt sie sich, 
wie Sp. meint, in Hass gegen die Geliebte, so wäre 
damit vielmehr die Eifersucht gehoben. Denn der Hassende 
fordert keine Gegenliebe. 

49. L. 36 B. Z. B. Auch dieser Lehrsatz geräth 
ins Kleinliche und verfehlt den voUen Begriff der Sehn- 
sucht ^X>e«u2ernim). Man kann darunter allgemein das 
Begehren nach der Verwirklichung einer vorgestellten 
Ursache der Lust verstehn; gewöhnlich wird aber die 
Sehnsucht auf die Liebe bezogen und ist das Verlangen 
nach der Gegenwart des Geliebten. Es handelt sich also 
dabei nicht, wie Sp. meint, um Nebendinge, um Neben- 
umstände, sondern um die Hauptsache, um die Gegen- 
wart des Geliebten selbst. Man sehnt sich nach der 
Geliebten, aber nicht nach der Kleidung, in der, oder 
nach dem Ort, wo man sie das erste Mal gesehen hat. 
Nur zufällig und geringfügig können diese Umstände 
das Gefühl mit bestimmen. 

50. L. 37. B. Der L. spricht ^ine triviale Wahr- 
heit aus, d. h. einen Satz, den Jeder stündlich an sich 



102 m Thefl. 51. 52. (L. 38. B. L. 39. B. E.) 

selbst erfährt. Dessenungeachtet ist das Unternehmen 
Sp's.y diesen Satz a priori zu beweiset, schwierig. 
Seine Wahrheit kann yielmehr nnr ans der Beobachtung 
entnommen werden, und es zeigt sich dann, dass der 
Satz sorgfältiger gefasst werden muss, als hier geschehen ist. 

Wenn die Traurigkeit in einer Verminderung der Macht 
zu handeln besteht, und diese Macht das Wesen des 
Menschen bildet, und das Streben oder Begehren nur das 
Wesen selbst ist (III. L. 7), so muss durch die Traurig- 
keit auch das Begehren des Menschen geschwächt werden, 
und es tritt also das Gegentheil von dem ein, was Sp. 
behauptet. Man bemerkt sofort, dass es nicht logisch 
ist, wenn Sp. sagt: »Die Traurigkeit widerspricht dem 
»Streben, und deshalb sttebt der Mensch sie zu ent- 
»fernen.« Nur weil der Satz nach der Erfahrung 
richtig ist, übersieht man das Lückenhafte dieses Beweises. 

Was femer die Fröhlichkeit anlangt, so weckt sie gar 
kein Begehren; sie ist eben das Ziel des Begehrens, mit 
dessen Erreichung es erlischt. Es kann sich yielleicht 
ein Streben einfinden,, die Ursache der Fröhlichkeit sich 
zu erhalten; aber dies entspringt nicht aus der Fröhlich- 
keit, sondern aus der Furcht, sie zu verlieren, d. li. in 
der folgenden Zeit nicht zu haben; also aus einem 
Schmerze, und dieses Begehren tritt deshalb da nicht 
auf, wo der Besitz für sichör gehalten oder an den Ver- 
lust nicht gedacht wird. 

5L Li 38 B. Dieser L. widerspricht in seiner 
Allgemeinheit der Erfahrung, und der Beweis gelingt Sp. 
hier nur deshalb, weil er früher den Hass falsch definirt 
hat. Man hasst nicht jeden Menschen, der eine Ursache 
des Schmerzes ist; oft steigt vielmehr die Liebe durch 
die Kälte der Geliebten oder durch die Schmerzen, welche 
sie dem Liebenden bereitet. 

Auch folgt nach Sp's. Lehre ^us der Hemmung des 
Begehrens noch keine Traurigkeit; diese ist vielmehr nur 
eine Veränderung der Macht zu handeln, welche nach 
dem B. des vorigen L. mit dem Streben sich zu erhalten 
nicht identisch ist. 

52. L. 39 B. B« Dieser L. antieipirt die erst 
später in Theil IV. folgende Lehre v(m der GoUision der 



. m. Theil. 53. 64. (L. 40 B. £. Z. 1. Z. 2 CQ L. 40.) 108 

GefOMe und Begehren. Deshalb bleibt auch der Beweis 
mangelhaft, obgleich der L.wahr ist. Die Collision der 
Begehren nnd die Benrtheilnng ihrer Stärke erfordert eine 
sehr eindringende TJntersnchnng, welche erst später folgt, 
unter Gnt versteht man im gewöhnlichen Sinne die 
äussere Ursache einer Fröhlichkeit, nicht diese selbst, 
xmd ebenso unter TTebel die Ursache des Schmerzes, 
nicht diesen selbst. Auch hier setzt sich Sp. zn leicht 
über diesen wohlbegrundeten Unterschied hinweg. Wenn 
das Güte nnd Ueble nach Sp. identisch ist mit Freude 
und Schmerz, so sind seine hier gegebenen Definitionen 
andere wie früher. Hier wird das Gute und Ueble oder 
Freude und Schmerz aus dem Begehren abgeleitet; früher 
wurden sie als Steigerung oder Minderung der Macht zu 
handeln definirt. Dieses sind Nachlässigkeiten, die bei 
Sp. am wenigsten erwartet werden. Gut und schlecht 
haben hier keine Beziehung auf das Sittliche, sondern 
nur auf Lust und Schmerz. Sp. kennt kein besonderes 
Prinzip des Sittlichen, wie sich später zeigen wird. 

53. L. 40 B. B. SS. 1. Dieser L. ist ^n dieser 
Allgemeinheit nicht wahr; er berührt, wie andere in 
diesem Theil III. nicht mehr einfache Gefühle und Be- 
gehren, sondern CoUisionsfälle widerstrebender Gefühle 
und Begehren, und solche Collisionen lassen sich nie in 
dieser Weise durch Begeln entscheiden, weil Alles von der 
unterschiedenen Stärke der collidirenden Gefühle abhängt. 
Wo deshalb eine starke Liebe besteht, oder bei gut- 
müthigen Menschen, wird der Hass keinen Gegenhass 
erwecken. 

Auch ist der B. nur auf die Nachahmung der Affekte 
gestützt (HI. L. 27), während der Gegenhass offenbar 
nicht aus einer solchen kindischen Nachahmung des Geg- 
ners entspringt. Sp. erkennt dies in der E. selbst an. 

54. Z. 2 B. B. 80 L. 40. Sp. glebt hier eine 
sinnreiche Erklärung, weshalb die Eache sich zunächst 
in Wiedervergeltung des gleichen Uebels geltend macht. 

Der Begriff des Zornes (Jra) ist hier entstellt und 
mit Hass identificirt; denn in diesem liegt schon das 
Streben, dem Gehassten zu schaden, wie Sp. in III. 
L. 26 selbst dargelegt hat. Zorn hängt aber mit dem 



104 m. Thefl. S5— 57. (L. 41 B.Z. E. bis L.44 B. E.) 

Hass im gewöhnlichen Sinne gar nicht zusammen; Hass 
ist eine dauernde Gremüthsstimmnng; .Zorn ist eine 
Torübergehende Anfwallnng, ein A^ekt im eigent- 
lichen Sinne, weldier Unterschied im Gegensatze znr 
kalten üeberlegnng bei Sp. unbeachtet bleibt Deshalb 
gehört Zorn weit mehr zur Bache und unterscheidet 
sich von dieser nur durch die Hitze des Affekts; die 
Bache handelt mit Ueberlegung. 

55. L. 41 B. Z. B. Das unter Ko. 54 Bemerkte 
gilt auch hier; der L. 41 ist nicht unbedingt wahr; es 
kommt auf die vergleichsweise Stärke der collidirenden Cre- 
fühle an. Die Definition der Dankbarkeit ist zn weit 
und fallt mit der Gegenliebe zusammen. Dankbarkeit ist 
allerdings eine Art der Liebe; ihr Eigenthünüiches liegt 
nur darin, dass sie durch eine Wohlthat erweckt ist und 
mit deren Erwiderung erlischt. Auch die Definition der 
Grausamkeit ist nicht richtig. Sie ist nicht davon 
bedingt, dass zugleich eine Liebe statt hat, sondern ledig- 
lich davon, dass aus Mangel an Mitgefühl der einem 
Andern ^gefügte Schmerz über das nothwendige Mass 
ausgedehnt wird. Hat der Misshandelnde dabei zugleich 
Freude an diesem Schmerz des Andern, so nennt man es 
Bosheit. 

56. L. 42 B. Der Beweis dieses an sich un- 
zweifelhaften L. leidet, wie viele dieses Theiles, an Schwer- 
fälligkeit in Folge der falschen Definitionen der elemen- 
taren Gefühle. Die Undankbarkeit erregt übrigens bei 
dem Wohlthäter weniger Schmerz, als sittliche Em- 
pörung; das Gefühl gehört also nicht zu den Lust- und 
Schmerzgefühlen, sondern zu denen der Achtung (E, 7). 

57. L. 43 B. L. 44 B^ ]B. Das zu No. 56 Be- 
merkte gilt auch für L. 43 und 44. Der L. 44 wird 
durch die Erfahrung in dieser Allgemeinheit nicht ber 
stätigt, und der Beweis gelingt nur deshalb, weil Sp. den 
Hass fälschlich als eine Traurigkeit behandelt, während 
er ebenso oft auch eine Quelle der Lust ist, genau wie die 
Liebe. Beide unterscheiden sich nicht durch Lust und 
Schmerz, sondern dadurch, dass- die Gefühle bei ihnen 
durch die entgegengesetzten Ursachen erweckt werden. • 



in. TheiL 58-61. (L. 45 B. bis L. 48 B.) 105 

Der Liebende erfreut sich über die Lust des Geliebten; 
der Hassende betrübt sieb über die Lust des Gehassten. 
Die Consequenzen , welche Sp. in der E. aus diesdh 
L. und Beweisen zieht, sind ganz richtig, und wenn er 
dabei auf Widersinnigkeiten geräth, so hatte ihn dies 
vielmehr auf die Unrichtigkeit der Prämissen aufmerk- 
sam machen sollen. 

58. L. 45 B. Wenn der Hass, wie zu No. 57 
bemerkt worden, nicht immer als Traurigkeit behandelt 
werden kann, so fällt auch der auf dieser Auffassung 
beruhende Beweis des L. 45. 

59. L. 46 B. Der Beweis des L. 46 ruht auf III. 
L. 16. Dieser L. hat aber, wie zu No. 24 gezeigt wor- 
den, nur eine beschränkte Gültigkeit; deshalb gilt auch 
L. 46 nicht allgemein. Insbesondere kann, wenn auch 
ein solches Gefühl sich zunächst erhebt, es bei dem ver- 
ständigen Menschen sehr leicht durch die Erwägung 
seiner Grundlosigkeit beseitigt werden. 

60. L. 47 B. B. Auch L. 47 ist in dieser All- 
gemeinheit nicht richtig. Starker Hass hebt die Begel 
der allgemeinen Menschenliebe völlig auf; deshalb empfin- 
det der stark Hassende bei dem Schmerz oder der De- 
mütbigung des Gehassten nur Freude, ohne Beimischung 
von Schmerz. 

Die Erinnerung und Erzählung vergangener Gefahren 
oder Uebel kann allerdings bald mit Lust, bald mit 
Schmerz sich verbinden, aber nicht deshalb, weil, wie Sp. 
meint, in der Erinnerung an sich die Gegenwart des 
Uebels vorgestellt werde, sondern weil die dabei gebotene 
Vergleichung mit der Gegenwart das Urtheil über die 
Lust derselben zu ihren Gunsten verrückt. Bleibt diese 
Beziehung bei Seite, versinkt der Mensch mit Vergessung 
der Gegenwart gänzlich in die schmerzlichen Bilder der 
Vergangenheit, so wirken diese Bilder schmerzlich, aber 
als Bilder, keine realen, sondern ideale Schmerzen 

(Aesthetik I. 102). 

« 

61. L. 48 B. Dieser L. 48 erscheint ziemlich tri- 
vial; Sp. hat ihn nur aufgestellt, weil er ihn zum Beweise 
des L. 49 braucht. 



106 m. Theü. 62—64. (L.49 B. B. L. 60 B. E. L. 51 B.) 

€2. L. 49. B. B. Wenn die Menschen nach der 
gewöhnlichen Meinung far frei gehalten werden, so bleibt 
für das Unfreie nur das Thierreich und das Leblose. 
Gegen letzteres besteht nach der Erfahrung weder Liebe 
noch Httös; und wenn die Definitionen Sp's. dennoch 
dahin fahren, so hatte dies Sp. vielmehr gegen die Bich- 
tigkeit seiner Definitionen bedenklich machen sollen. 
Auf Thiere dehnen sich die Affekte nur dann aus, wenn 
man sie wie menschliche Wesen behandelt. EB^raus 
erhellt, dass die allgemeine Menschenliebe nicht in der 
Weise, wie es in der E. geschieht, begründet werden kann. 

63. La 50 B. B. Der Lehrsatz 50 und sein Be- 
weis bedürfen keiner Erläuterung. Wichtiger ist der 
Satz in der E., dass man das Gehoffte leicht glaubt und 
das Gefürchtete schwer glaubt. Dieser Satz hat die Er- 
fahrung für sich; aber der Beweis, den Sp. hier daför 
bietet, ist ungenügend. L. 25, auf den sich Sp. beruft, 
spricht nur von dem Begehren nach dem Gehassten; 
aber Glauben ist etwas anderes wie Begehren. Nach 
realistischer Auffassung gehM das Begehren zu den 
seienden Zustanden der Seele, das Glauben zu den 
Wissensarten (£J. 60). Im Glauben ist die Gewiss- 
heit (£J. 59) enthalten; diese hat ihre bestimmten Ur- 
sachen, und zu diesen gehören auch die Gefühle der Lust, 
und deshalb allein steigert die Lust aus der Hoffiiung 
den Glauben an ihre Erfüllung über das natürliche oder 
gegenständliche Mas. 

64. Li 51 B. Durch diesen L. 51 wird die Gre- 
setzlichkeit in den Affekten, welche Sp. bis jetzt fest- 
gehalten und in ihrer Besonderung dargelegt hat, .wieder 
völlig yemichtet oder wenigstens zu einer für den 
Menschen unerkennbaren gemacht. Der Beweis bleibt 
dabei mangelhaft, da der Unterschied in den menschlichen 
Körpern der Einzelnen nicht bewiese9, sondern nur Yor- 
ausgesetzt ist. Sp. versäumt, diese Unterschiede der 
Personen selbst weiter zu verfolgen und auf Gesetze zu- 
rückzuführen. Es ist richtig, dass die äussere Ursache 
nicht allein das Gefühl als Wirkung* bedingt, sondern 
dass noch eine zweite in der Person des Fohlenden 
enthaltene Ursache dabei mitwirkt, ila ist dies mit einem 



m. TheiL 65. 66. (R ro L. 51« L. 52 B.) J07 

allgemeinen Namen die Empfänglichkeit (Aesthetikl. 
105). Allein diese nnterliegt ebenso festen Gesetzen wie jme 
äussern Ursachen, nnd es ist mOgUch, diese Gesetze zn 
ermitteln nnd anf diese Weise dwch die Verbindung 
beider wirkenden Ursachen jene anscheinende ZnföUig« 
keit der Gefdhle zn beseitigen. Ein Anfang dazu ist 
von dem Verfasser in seiner Aesthetik I.' 105 gemacht wor- 
den. Sp. hat dies r^Wig yerabsänmt nnd damit die 
praktische Branchbarkeit der in diesem Theile anfgestellten 
Gesetze selbst gehindert. Anch hier zeigen sich die 
Mängel einer Methode, welche tbet dem Denken nnd 
Beweisen die Beobaditnng verabsäumt. 

65. B. m L. 51« Sp. geht zn weit, wenn er be- 
hauptet, das Urtheil über die Neignngen, Temperamente 
und Charaktere der Menschen stütze sich lediglich auf die 
individuelle GefQhlsweise des Urtheilenden. Es mag 
dieser Moment sich ofl in das Urtheil mitbestimmend 
einmischen; allein bei verständigen Personen tritt es 
zurück gegen das allgemeine Mass, was sich aus dem 
Durchschnitt Aller und aus der allgemeinen Sitte ergiebt. 
Deshalb kann ein Historiker über die Tapferkeit eines 
Soldaten ganz richtig urtheilen, wenngleich er selbst zu 
den furchtsamen Personen gehört Sp. leidet an einer 
den Philosophen oft anhängenden Verachtung dessen, 
was man öffentliche Meinung oder die Stimme des Volkes 
nennt. Indem die einsame Speculation den Philosophen 
weit abfahrt von dem Vorstellen des gewöhnlichen Lebens, 
vergisst er leicht, dass er selbst auf grösseren Abwegen 
sich befindet als jenes, und dass die allgemeine Stimme, 
als das Ergebniss der Beobachtungen von Jahrtausenden, 
mehr Beachtung verdient, als der Philosoph in seiner 
Ueberhebung ihr zugestehn mag. Die Definitionen der 
Bene und der Selbstzufriedenheit sind fehlerhaft;, 
da sie zu den sittlichen Gefahlen gehören, welche mit 
Lust und Schmerz nichts zu thun haben. 

66« L. 52 B. Sp. kommt in diesem L. und seiner 
Erläuterung zu einer Frage von hoher Wichtigkeit. 
Obgleich Sp. nach dem Bisherigen keine andern Affekte 
kennt als die der Freude und des Schmerzes, so führte 
ihn die Beobachtung doch auch zu Zuständen, welche 



108 nis Theü. 67. (E. lu L. 52.) 

zwar auch zu den Gefahlen gehören, aber doch weder 
Lust noch Sdimerz enthalten. Es sind dies jene Ge- 
fühle, die man im Mangel eines bessern Wortes mit dem 
Namen der Achtnngs- Gefahle bezeichnen kann (E. 7), 
and zu denen auch die sittlichen und religiösen 
Gefühle gehören. Es ist ein Verdienst Kant's, diesen 
Gegensatz der sittlichen Motiye gegenüber denen der 
Lust wieder zur vollen Erkenntniss gebracht zu haben. 
Ein Jeder macht schon an sich selbst die Er&hmng, 
dass sein Handeln nicht ununterbrochen durch die Motiye 
des Nutzens und der Lust bestimmt wird, sondern dass 
Fälle eintreten,, wo sein Entschluss und sein Handeln 
durch die Achtung Yor dem sittlichen Gebot bestimmt 
wird, und dass dies selbst da mitunter geschieht, wo 
die Motive der Lust auf das Stärkste dagegen sind. 
Diese eigenthümliche Natur der sittlichen Gefühle hat 
Sp. in ihrer Beinheit und Allgemeinheit nicht erkumi; 
er sucht überall diese sittlichen Motive aus denen der 
Lust und des Nutzens abzuleiten und darin aufzulösen. 
Dies geschieht nun auch hier, und darin liegt der Mangel 
dieser Sätze und Beweise. Sp. hat in dem Zustand der 
Bewunderung richtig das elementare Gefühl der 
Achtung erkannt ; er giebtauch eine Ableitung dieses Ge- 
fOhls, die der Wahrheit "nahe kommt; allein durch die 
Mängel seiner Grundbegriffe ist er genöthigt, auch diese 
Achtungsgefühle auf Gefühle der Lust and des Schmerzes 
zurückzuföhren and deshalb grösstentheils falsch zu de- 
finiren. 

Der L. 52 behandelt an sich nur die Aufmerksam- 
keit. Diese ist kein Gefühl, sondern eine Wissensart 
(E. 58), und Sp. bemerkt richtig, dass die Stärke der 
Yorstellung steigt, wenn die Zahl der daneben gegen- 
wärtigen Vorstellungen in der Seele abnimmt, oder wenn 
der Gegenstand ein neuer ist. Was Sp. als Beweis 
dieser Sätze bietet, ist kein Beweis, sondern nur die Auf- 
nahme dieser Sätze aus der Erfahrung. Man vergleiche 
III. D. 4. unten. 

67. B. SSn L« 52. in dieser E. springt nun aber 
Sp. von der Wissensart oder von der Aufmerksamkeit 
zu etwas ganz Anderem über. Die Zustände der Bewun- 
derung sind kein Wissen, keine Aufmerksamkeit, sondern 



m. Theil. 68—70. (L. 53 %: Z. bis L. 5ö B. Z. 1. 2 E.) 109 

Gefühle, mit denen sich nur folgeweise die aufmerk- 
same Betrachtung des Bewunderten verbinden kann. In 
der Bewunderung liegt die Lähmung des Ichs, wäh- 
rend in den Lustgefühlen die Stärkung des Ichs ent- 
halten ist; dabei kann sich die Aufmerksamkeit und das 
Neue mit Beiden verbinden. Das Nähere kann hier nicht 
dargelegt werden; es wird in dieser Beziehung auf des 
Verfassers Aesthetik I. 111 verwiesen. Dort ist auch 
ausgeffthrt, dass die Ehrfurcht ihre Grundlage nur in 
der Erhabenheit, d.h. in der unermesslich grossen Kraft 
eines gegenüberstehenden Wesens hat. Die sämmtlichen 
Definitionen, die Sp. hier von einzelnen Gefühlen giebt, 
leiden daran, dass er das in ihnen enthaltene sittliche 
Gefühl in seiner eigentlichen Natur verkennt und. auf 
Lust- oder Schmerzgeffthle zurückzufahren sucht. Ins- 
besondere mangelhaft ist die Definition der Verachtung. 
Sie ruht nicht auf einem Fehlenden, sondern auf 
einem Wirklichen, Positiven, womit sich der schwache 
Mensch der erhabenen Macht der Autoritäten entgegen- 
stellt und seinen Willen festhält (Aesthetik I. 117). 

68. L. 53 B« Z. Dieser L. ist erfahrungsmässig 
wahr; Sp. behandelt hier die Lust aus der Macht und 
die Lust aus dem Leben oder Dasein an sich (Aesthe- 
tik 1. 101) ; allein der Beweis, den Sp. giebt, ist ungenügend. 
Denn nach HL L. 11 ist Freude nur der üebergang 
zu grösserer Macht; ändert sich die Macht zu handeln 
nicht, so kann keine Freude entstehn, und folglich kann 
auch die Betrachtung dieser Macht keine Freude ent- 
halten, wie hier behauptet wird. 

69. L. 64 B, Dieser L. 54 ist nur die Wieder- 
holung früherer Lehrsätze, insbesondere des L. 12 und 
L. 26 III.; L. 54 dient nur zur Vorbereitung von L. 55. 

70. L. 55 B. Z. 1. 2. B, Der Beweis des L. 55 
leidet an demselben Mangel, der bei L. 53 gerügt wor- 
den ist. Die blosse Ohnmacht ist noch kein Schmerz; 
diese liegt nur in dem üebergang aus einer grossem zu 
einer geringem Macht. Nicht die Ohnmacht oder 
Schwäche als ein sich gleich bleibender Zustand, sondern 
die Verminderung der Macht ist nach Sp. die Traurig- 



110 HL Thd), 71. (L, 66 B. E.) 

keit. Die Znstande dw Niedergeschlagenheit und 
Selbstzufriedenheit sind weit mehr sittlicher 
Nätar. Die in der E. zu Z. 1 besprochenen Grefüiile 
rnhn aaf der Lust aus der Macht und ans der Ehre. 
Indem die Ehre anf einem Vorzüge ^or den Andern 
beruht, folgt daraus leicht der Neid und die Selbstüber- 
schätzung. Dessenungeachtet kann man nicht mit Sp. 
sagen, dass die Mensche von Natur zum Hass und Neid 
geneigt sind; das gilt nur, so weit sie von EhrgeiK er- 
füllt vorgestellt werden; allein neben dem Geähl für 
Ehre besteht noch eine grosse Zahl anderer Gefühle in 
dem Menschen, welche jenem die Wage halten , so dass 
jener Schluss unrichtig ist. 

Wenn die Mensdien die Andern nicht um ihre Tu- 
gend beneiden, so liegt dies nicht in dem von Sp. an- 
geführten Grunde, senden in der Natur der Tugend 
selbst. Sie ist ein sittlicher Zustand und insofern 
dem Neid entgegengesetzt; und es wäre deshalb ein 
Widerspruch, wenn man ans einem Laster nach der 
Tugend verlangte. Der Neid kann sich wohl auf die 
aus der Tugend hervorgehenden Vortheile richten, wie 
Ehre, Vermögen, aber nicht auf die Tagend an sich. 

7L L. 56 B. E« In L. 51 ist gesagt, dass die 
Affekte nach der Eigenthümlichkeit des Menschen ver- 
schieden sind. Hier folgt das Zweite, dass die Affekte 
auch nach der Eigenthümlichkeit der sie erweckenden 
Gegenstände sich unterscheiden. Der B. des Sp. dafür 
ist in seinem Sinne richtig; er ruht auf seinen selbst 
gemachten Definitionen. Nach der. Beobachtung ist der 
L. 56 jedenfalls in dem Umfange, wie er gestellt ist, 
nicht wahr. So wie schon in der körperlichen Welt ein 
bestimmtes Ergebniss, z. B. das Gleichgewicht einer 
Wage, ebenso gut durch ein Gewicht von Eisen wie von 
Blei erreicht werden kann und von dem Unterschied des 
Metalls nicht berührt wird, sö' kann auch ein Gefühl för 
die Unterschiede verschiedener es erweckender Gegen- 
stände unempfindlich sein, Nach dem wahren Begriff 
hat die Folge (Wirkung) mit der Ursache nichts gemein; 
mithin auch das Gefühl nichts mit seiner Ursache. Nur 
die Beobachtung kann hier belehren, und diese bestätigt 
den L. 56 bei den Gefühlen nur bis zu einem gewissen 



in: TheiL 7». 78. (L. 67 B. E. L. 58 B, L. 59 B. E.) 1 H 

Grade. Für das Begehren ist dagegen der L. 56 
geradesu falsch, weil dies an sich nur Unterschiede der 
Stärke und der Dauer kmnt, aber keine weitere Beson- 
demng. Das Begehren nach einer Elasdie W^ ist, 
abg'esehen von der Stärke und Dauer, genau dasselbe, wie 
das Begehren nach einmn Orden und das Begehren, einem 
Armen zu helfen. Der Unterschied in den begehrten 
Gegrenständen wirkt keinen Unterschied in d^n Begeh* 
ren selbst. 

72« Li 57 B* B. Dieser Lehrsatz 57 ist nur eine 
Verallgemeinerung Ton L. 51; er hätte deshalb Tor 
diesen gehört. Sp. kann den Beweis nur dadurch führen, 
dasd er hier nicht blos das Begehren mit dem Wesen 
eines Dinges identificirt, sondern auch die Traurigkeit 
und Fröhlichkeit mit dem Begehren für ein und dasselbe 
erklärt. Diese Methode, welche Sp. so häufig anwendet, 
ist verwerflich; es ham sein, dass das Eine mit dem 
Andern untrennbar verbunden ist, dass das Eine die 
Ursache des Andern ist; allein daraus folgt noch keine 
Identität Beider, welche, wenn sie wirklich vorhanden 
wäre, alle Unterscheidung Beider unmöglich machen würde. 
Ebenso hebt der Unterschied in der Besonderung nicht 
das Dasein emes Gemeinsamen auf; so kann in der Lust 
des Pferdes und des Mensche, wie in der Lust des Be- 
trunkenen und des Philosophen sehr wohl neben dem 
Besondem auch ein gemeinsamer oder gleicher oder all« 
gemeiner Bestandtheil enthalte sein; ja, er muss darin 
enthalten sein, weil sonst diese Zusti^de nicht sämmtlich 
als Lust gelten könnten. Dergleichen Betrachtungen, wie 
sie Sp. hier -bietet, haben deshalb keinen Wefth, weder 
fnr das Erkennen noch für das Handeln. 

73. L. 58 B. L. 59 B. B, Der L.^58 folgt 

nnzweifelhafti aus den Definitionen des Sp. Wenn die 
Macht zu handeln die Freude ist, so muss natürlich 
diese Freude in einem Zustande reinen Handelns auch 
enthalten sein. 

Nur das eine . Bedenken bleibt, dass nach IIL L. 11 
die Freude nicht in der Macht an sich, wie hier behauptet 
wird, sondern nur in ihrer Vermehrung enthalten ist, 
wie Sp. auch später ni. D. 2. und 3 ausdrücklich an- 



112 in. Theil. 74, (E. zn L. 58.) 

erkennt. Dieser Mangel des Beweises ist schon froher 
gerügt. Deshalb bleibt auch der B. von L. d9 nngenägend. 
Auch die Verminderung der Macht zu handeln oder 
zn denken lässt noch eine solche Macht zn handeln an 
sich bestehen; sie vermindert sie blos; die Seele bleibt 
also auch in und während dieser Yermindermig noch 
handelnd oder denkend, vM demnach wäre die lYanrig- 
keit überhaupt und selbstf als leidender Zustand unmög- 
lich. Verträgt sich ab^die Traurigkeit mit dem Han- 
deln, so kann wieder L. 59 nicht bestehn. 

Wenn nach realistischer Auffassung das Handeln der 
Seele oder ihr Erkennen f&r sie nur eine Lust und kein 
Schmerz ist, so liegt dies darin, dass diese Erkenntniss 
ein neues Wissen oder eine Bethätigung der Macht ent- 
hält, mithin die Lust aus dem Wissen und aus der Macht 
gewährt (Aesthetik I. 97). Es ist diese Lust aber keine 
Eigenthumlichkeit des Erkennens. Dieselbe Lust ist in 
der Neugierde und in rielen Spielen der Kinder enthalten. 

In der E. behandelt Sp. <Qe Tugenden, welche nach 
seiner Ansicht aus der Thätigkeit der Seele entstehen; 
wo mithin die Seele handelt oder, was dasselbe bei Sp. 
sagt, wo die Vernunft sie leitet. Dies ist ein neues 
Prinzip, was Sp. hier nur beiläufig erwähnt; erst im IV. 
und V. Theile wird es entwickelt. Sp. fährt durch dieses 
Prinzip des Handelns, welches als solches schon die 
Tugend sein soll, einen Gegensatz gegen das Prinzip der 
Selbsterhaltung und des Nutzens ein, was er bisher aUein 
behandelt hat. Diesen Gegensatz beseitigt Sp. audi 
später nicht vollständig; es kann hier vorläufig nur an- 
gedeutet werden, dass das vernünftige Handeln nach 
Sp. mit dem auf die Lust und den Nutzen gerichteten 
Handeln in dem Inhalte zusammenfallt. 

74. B. n L. 58. In dieser E. kommt Sp. auf 
die oben (S. 107) erwähnte Empfänglichkeit als der 
zweiten Bedingung neben* der äussern Ursache für die 
Entstehung der Gefühle. Er bleibt aber bei einem ver- 
einzelten Falle stehen, ohne in die Tiefe und Bedeutung 
dieser Bedingung irgend näher einzugehen, obgleich kerne 
Ethik ohnedem begründet werden kann (Aesthetik I. 105.). 
Auch hier zeigt sich Sp's. Eigenthumlichkeit; als Sohn 
der scholastischen Philosophie vertraut er nur dem 



IILThea 75—78. (DefaaL d. Affekte, bk D. 6. ErVL) 113 

Denken; die Bedeutung' des Wahrnehmens wird noch 
völlig yerkannt, obgleidi es doch bei jedem Schritt lu 
Htlfe geholt werden mnss. 

75. DelliiitloBen der ASekte. Sp. veriässt hier 

seine streng geometrische Methode nnd wiederholt in 
freierer Weise noch einmal den Inhalt des dritten 
Theiles. An sich zeigt dies einen Mangel in der yoi^ehen- 
den DarsteUong an. Die Oeemetrie kennt solches Ver- 
fahren nicht. Znm grössten Theil giebt Sp. hier eine 
Wiederholung des Frühem, nur in anderer Ordnung. 
Es wird deshalb nnr da eine Eri&nterang folgen, wo 
etwas Neues auftritt, im üebrigen wird auf das früher 
bei den eiuzelnen Lehrsätzen Gesagte Bezug genommen. 

76. D. 2 OBd 3, Brkl. Es ist bereits o-ben 
bemerkt, dass Sp. die hier streng formulirte Definition 
der Erdhlichkeit und Traurigkeit nicht immer genau 
innegehalten hat. In HI. L. 59. 53. wird auch die 
Macht an sich und die Yorstellung derselben als Fröh- 
lichkeit behandelt. Sp. war zu der in diesen D. 2. und 3 
enthaltenen Beschränkung vorzüglich deshalb genothigt, 
weil die Affekte von Gott abgehalten werden mussten, 
dessen Macht unendlich ist, und dessen Fröhlichkeit oder 
Affekt deshalb auch unendlich sein müsste, wenn die 
Macht allein diesen Affekt bewirkte. (Man vergleiche Y. 
L. 32. 35. 36.) . 

77. D. 4, BrkL Hier behandelt Sp. den Zustand 
der Bewunderung als blosse Wissensart, d. h. als 
Aufinerksamkeit; wie dies oben zu L. 52 dargelegt wor- 
den ist. Sp. sträubt sich in Folge dessen, die Bewun- 
derung als Affekt gelten zu lassen. Wäre sie nur 
Wissensart, so hätte Spinoza Recht; allein sie ist viel- 
mehr ein Gefühl, zu dem auch die sittlichen Gefühle 
gehören. 

78. D. 6. Erkl. Sp. bekämpft mit Recht die 
Definition der Liebe, wonach sie nur in dem Streben, 
sich mit dem geliebten Gegenstande zu vereinigen, bestehn 
soll. Sp. macht mit Recht geltend, dass die Liebe zu- 
nächst Gefühl ist und das Begehren erst Folge. Diese 

Erläaterangen za Spinoza*8 Ethik. 8 



114 nLTheü. 79-82. (I).12.13.D,17.D.24. D.27 Erkl.) 

Folge verlangt überdem nickt immer die Yereinigimg od«: 
Nähe; offc ffifart aucli die Liebe zur Trennung , wenn 
das Glück des Geliebten sie erfordert Au^ bleibt der Be- 
griff der Vereinigung dabei völlig unbestimmt; es giebt 
gar viele Arten der Einheit, die freilich Sp. nicht unter- 
sucht hat {E, 63). 

79. D. 12. 13. Unter Zweifel über den Ausgang 
einer vergangenen Sache ist zu verstehn, dass die 
Nachricht über diesen Ausgang noch fehlt und mit 
Hoffnung oder Furcht erwartet wird. Dies gilt auch for 
diese Ausdrücke in-D. 14 bis D. 17. 

80. D. 17. Den Gegensatz der Freude bilden nidit 
die Gewissensbisse, sondern der Aerger; jene ge- 
hören zu den sittlichen Gefühlen. • 

81. Dl 24. Hier giebt Sp. unter Barmherzig- 
keit die richtige Definition der Liebe überhaupt; die 
Barmherzigkeit ist aber nur eine Unterart der Liebe, 
sofern sie auf die Abhülfe des vorhandenen Elendes abzielt. 

82. D. 27. Erkl. Die Beue gilt in den Systemen 
als ein Hauptbeweismittel für die Wahlfreiheit des Men- 
schen, welche Sp. nicht anerkennt. Sp. macht sich die 
Beseitigung dieses Beweismittels sehr leicht, indem er den 
Schmerz der Beue nicht leugnet, auch nicht die Meinung 
der Freiheit in dem Beuigen, aber diese Meinung für 
einen L-rthum erklärt. Das Auffallende bleibt nur, dass 
dieser Irrthum trotz all^ Belehrung nicht verschwindet, 
und dass selbst, nachdem die Philosophen auf die Motiye 
des Handelns so deutlich und wiederholt aufinerksam ge- 
macht haben, dennoch die Unkenntniss dieser Motive be- 
stehn bleiben sollte. Dies deutet auf Umstände, die sich 
nicht so leicht beseitigen lassen, wie Sp. hier meint, die 
vielmehr eine tiefere Untersuchung fordern. Das Nähere 
kann hier nicht gegeben werden und ist anderwärts dar- 
gelegt (Aesthetik I. 121). 

In der Erkl. führt Sp. die sittlichen Begriffe auf 
die Erziehung zurück. Es ist damit ein Theil, aber 
lange nicht die volle Wahrheit getroffen. Man könnte 
zunächst fragen: Woher sind diese Begriffe den Eltern 



ÜLTheiL 83--86. (D. 31 ErkL bis Schloss d. 3. TL) 115 

gekommen? Will man nicht in die unendliche Beihe sich 
verwickeln , so muss nuuL also nach andern Grundlagen 
des SitUichen sich umsehen (Aesthetik I. 112). 

83. D. 3L Erkl. Die Scham gehört weit mehr 
zu den sittlichen Gefühlen, als zu denen der Lust. Sp. 
stützt sie nur auf das Gefühl der Ehre; sie hat da eine 
Stelle; allein sie. halt auch yon unsittlichen Handlungen 
zurück, hei denen die Ehre und der Buhm nicht in Frage 
kommen. 

84. O. 38. Hier wiederholt Sp. nicht nur die 
falsche Definition der Grausamkeit aus E. L. 41. III., 
sondern steigert dies Ealsehe dadurch, dass die Liebe 
zu den grausam Behandelten nicht dem Grausamen selbst 
innezuwohnen braucht, sondern nur den Zuschauem. 

85. AUgemeiie Deflnltton der Affekte. Man 

wird diese Definition weniger treffend finden als die 
frühere. Dies kommt daher, dass Sp. zwei durchaus 
verschiedene Elementar-Zustande der Seele, das Gefühl 
und das Begehren, unter das eine Wort: Affekt 
zusammenfasst ; damit wird es unmöglich, von dem Affekt . 
eine verstandliehe und entsprechende Definition zu geben. 
Die sonstigen Schwierigkeiten in dieser Definition ent- 
springen daraus, dass Sp. keinen Einfluss zwischen Seele 
und Körper zulässt. Dadurch ist er zu jenem zauber- 
haften Parallelismus beider genöthigt, der viel räthsel- 
haftier ist als jener Einfluss. Dabei soll die Seele nach 
Sp. doch nur das wissende oder vorstellende Duplikat 
ihres Körpers sein, womit natürlich die seienden Zu- 
stande der Seele als solche aufgehoben sind und zu einem 
blossen Vorstellen herabgesetzt werden. Jede Selbst- 
beobachtung widerspricht dem; die Lust und der Schmerz, 
sowie das Begehren werden in dieser sehr bestimmt von 
dem Wissen dieser Zustände unterschieden. 

86. ScUass des dritten Tbeiles. wie am 

Eing£uige dieses Theiles lU angedeutet worden, enthält 
dieser Theil nur eine Philosophie der Gefühle und 
Begehren der Seele, ohne alle Einmischung sittlicher und 
religiöser Prinzipien. Diese Affekte nimmt Sp. hier nur 

8* 



116 nr. TheU. M. (Schlosfl des dritten Tkeiles.) 

als uatürliche Vorgange, deren Wesen und Gesetae er zn 
erforschen sucht, gleichviel, ob es sidi dabei tun Gutes 
oder Böses, um Frommes oder Gottloses handelt. Eine 
solche freie Betrachtung der Seelenzustände ist von hoher 
Bedeutung für die Wissensehaft; erst damit erhielt spater 
die Beobachtung Baum, von welcher Sp. freilicli nur erst 
einen düiftigen Gebrauch gemacht hat. Indem Sp. dies 
versäumte und dem Denken zu sehr vertraute, erklart es 
sich, dass er dies Gebiet nicht erschöpft bal Wenn der 
Leser die von dem Verfasser an einer andern Stelle 
(Aesthetikl. 93—148) gegebene Darstellung dieser Zustande 
mit dem Inhalte dieses ni. Thoiles der Ethik vergleicht, 
so wird dies deutlicher werden. 

Als die wichtigsten Mängel in Sp's. Darstellang 
lassen sich geltend machen, 1) dass Sp. nur Gefühle der 
Dust und des Schmerzes k^ntp die zweite grosse 
Klasse der Gefühle, die der Achtung sind ihm völlig 
unbekannt; er sucht sie, wo er sie iTÜft, in jene umzu- 
wandeln. 2) Selbst innerhalb der Lust -Gefühle bleiben 
wichtige Arten unerörtert; insbesondere die Lust aus dem 
Bilde der Lust, oder deutlicher, die idealen Gefühle 
aus dem Schönen. Aiidere Arten wefden nur ober- 
flächlich behandelt; so die Lust aus dem Wissen, die 
Lust aus der 'Macht, die Lust aus dem Leben. 3) Die 
zweite Bedingung, welche neben der äussern Ursache auf 
die Entstehung der Gefühle einwirkt, die Empfänglich- 
keit des Fühlenden, wird nur in zwei vereinzelten Fällen 
berührt, aber der reiche Inhalt dieser wichtigen Zustände 
nirgends entwickelt (Aesthetik I. 105). 4) Nebeih diesen 
Mängeln des Inhaltes bestehn ebenso grosse Mängel in 
der Darstellung. Sp. hält noch hier an der Meinung fest, 
Alles beweisen und mittelst der logischen Folgerung 
ein Neues erreichen zu können; während das Neue doch 
nur aus der Beobachtung ratnommen werden kann und 
auch von Sp. nur entnommen wird. Dadurch wird die 
Darstellung schwerfallig, und doch blmben die Beweise 
ungenügend. 6) Indem Sp. dabei an seinen obersten 
Grundsätzen festhält, dass die Attribute keinen Einfluss 
auf einander haben, dass die Seele nur ein Wissen und 
eine Vorstellung ihres Körpers ist, dass das Wahrnehmen 
nie den fremden Körper erreicht und immer ein ver- 
worrenes Wissen liefert, dass die Wahrheit nur in der 



IV. Theü. J. (Vorrede.) 117 

logischen EonsequoBz besteht; ist er genöthigt, die aus 
der Erfahrung entlehnten Thatsachen zu verdrehen and 
zu entst^en, um sie mit diesen Prinzipien in üeber- 
einstimmung zu bringen. 6) Daher auch seine Neigung, 
Alles zu identifiziren und die Unterschiede auszulöschen, 
wo er dessen zur Führung seiner Beweise bedarf. Es ist 
merkwürdig, dass sich diese Mängel beinahe sämmtlich 
auch in dem Systeme HegeTs wiederfinden. Dies zeigt, 
wie sehr Sp. auf Hegel eingewirkt hat. 



Vierter Theil 

Von der menschlichen Knechtschaft oder 
von den Kräften der Affekte. 



1. VorredO. in diesem vierten Theile der Ethik 
tritt Sp. seiner eigenüichen Aufgabe näher; er wendet 
sich zu den Prinzipien des menschlichen Handelns und 
setzt dies im fünften Theile f(»rt. Die obersten Begriffe 
hierbei sind für Sp. die Freiheit und die Unfreiheit. 
Beide U&ngen mit Sp.'s Begriff des Handelns zusammen. 
Wir sind nach Sp. frei und handeln, wenn wir die 
alleinige und ausschliessliche Ursache einer Veränderung 
sind, wenn diese Folge sich aus unserem Wesen allein 
vollständig ableitet; wir sind unfrei und leiden, wenn 
wir nur die partielle Ursache solcher Veränderungen 
sind. Da die Seele nach Sp. nur ein Denken ist und 
ihre seienden Zustände bei Sp. sich in ein Wissen auf- 
losen, so ist alle Bewegung, aller Wechsel in der Seele 
nur ein Wechsel im Wissen, und die Seele ist deshalb 
nur dann handelnd und frei, wenn sie das Wesen der 
Dinge kennt und die Kenntniss des Endlichen und Ein- 
zelnen sich nur als logische Folgerung aus ihrem Wesen 
ableitet; dann erkennt die Seele. Dagegen ist das auf 



118 IV. Theil. 1. (Vorrede.) 

Wahrnehmting oder Eriimerrmg ruhende Wissen der ein- 
zelnen Dinge oder das bildliche Vorstellen (inuzginjafio) 
nnr ein verworrenes Wissen, bei dem die Seele nar 
partiell als wirkend anftritt, nnd deshalb fallt dieses 
Wissen in die Unfreiheit nnd das Leiden der Seele. Aehs- 
liches findet anch fftr den Körper statt, der überall pa- 
rallel mit der Seele sich yer&ndert, leidet nnd handelt 

So weit mithin die Affekte ihre Ursache zum Theil 
in fremden G^egenständen haben, ist der Körper nnd die 
Seele bei denselben leidend nnd in Knechtschaft. Die 
Freiheit kann zunächst nnr von der Seele kommen, wenn 
sier sich zn dem Erkennen des Wesens der Dinge nnd 
Grottes erhebt; dann wird sie frei, nnd diese Freiheit fuhi1 
anch znr Freiheit ihres Körpers nnd zur Bezähmnng der 
Affekte. Das sittliche Prinzip Sp.'s liegt also in der 
Erkenntnis s. Sie ist das Ziel, wonach der Mensch 
ausschliesslich zn streben hat. Sie führt znr Einheit mit 
Gott, welcher in seinen Attributen das Wesen der Dinge 
enthält nnd damit identisch ist. Deshalb tritt die Seele 
selbst durch diese Erkenntniss des Wesens in Gott ein: 
sie ist insofern unsterblich; das Vergängliche in ihr ist 
nur das bildliche Vorstellen und die Erinnerung. Um- 
gekehrt ist Gott selbst in dem Erkennen der Seelen gegen- 
wärtig, und die Liebe Gottes zu den Menschen und der 
Menschen zu Gott ist nach Sp. ein und dasselbe. 

Die Bedenken und Schwierigkeiten, welche diesen An- 
sichten Sp.'s entgegenstehen, werden später erörtert wer- 
den. Hier kam es nur darauf an, das Prinzip im All- 
gemeinen klar zu legen und damit das Verständniss des 
Folgenden zu erleichtem. 

In diesem Prinzip der Erkenntniss verliert sich der 
bisherige egoistische, auf den Nutzen und die Selbste 
erhaltung gegründete Charakter des Systems; das Er- 
kennen scheint die Lust als Motiv von sich ganz abge- 
than zu haben; indess wird sich zeigen, dass bei der 
Entfaltung dieses Prinzips und bei dem bestimmten Handeln 
diese egoistische Seite wieder heraustritt, und dass selbst 
die Sorge far die Nebenmenschen und die Gestaltung des 
Allgemeinen und des Staates bei Sp. nur auf die Selbst- 
erhaltung des eigenen Ichs gegründet wird. Sp. beseitigt 
diesen Gegensatz damit, dass das aus dem Wesen eines 
Gegenstandes abfliessende Vorstellen -allemal ein Erkennen 






IV. Theü. 1. (Vorrede.) 1 19 

ist, weil es von keiner fremden Ursache bestimmt wird, 
und dass ebenso das ans diesem Wesen abfliessende Be- 
gehren allemal anf die Selbsterhaltung und die Fröhlich- 
keit gerichtet ist (IV. L. 23. 24). 

Sp. behandelt in dieser Vorrede den Begriff des Guten 
und der Vollkommenheit mit ihren Gegensätzen. Er 
lehrt hier selbst, dass die Vollkommenheit nur ein 
Beziehungsbegriff ist, welcher von dem Zwecke abhängt. 
Deshalb ist ein und dieselbe Sache vollkommen und auch 
unvollkommen, je nach dem Ziele, an dem die Vollkommen- 
heit gemessen wird. Sp. behandelt das Gute als den- 
selben Beziehungsbegriff, der mithin für sich keinen Inhalt 
hat. Dies ist ein Mangel. Insofern Sp. unter Gut 
auch das Sittliche versteht, hat dieses an den Geboten 
der Autoritäten (Gott, Fürst, Volk, Vat^r) seinen festen, 
gegebenen Inhalt und ist kein blosser, inhaltloser Be- 
ziehungsbegriff. Was nun die Vollkommenheit anlangt, 
so bleibt Sp. seinem zuerst von ihr gegebenen Begriffe 
schon in dieser Vorrede nicht treu, indem er später die 
Yollkommenheit mit üealität gleichstellt. Sp. selbst 
erklärt hier die Be'älität für das Seiende, also für den 
geraden Gegensatz der blossen Beziehungen des Denkens. 
Später identifizirt Sp. die Vollkommenheit sogar mit der 
Macht und dem Wesen der Dinge; dies sind Schwan- 
kungen und Aushülfen, welche die Folgerichtigkeit und 
Yerständlichkeit seines Systems sehr erschüttern. 

Sp. spricht hier auch von einem Muster des Men- 
schen, was er als Grundlage seiner Lehre benutzen 
wolle. Auf dieses Muster solle der Einzelne bei seinem 
Handeln hinblicken, es solle das* Ziel seines sittlichen 
Handelns sein. Diese Begriffe stimmen mit der gewöhn- 
lichen Meinung, wonach die Menschen frei wählen können; 
allein sie sind schwer mit Sp.'s System zu vereinigen, 
das keine Wahlfreiheit kennt, sondern alles Handeln und 
Denken im Menschen, wie in der ganzen Natur nach 
festen Gesetzen mit logischer Nothwendigkeit erfolgen 
lässt. Ist dies Letztere der Fall, so ist ein solcher Muster- 
mensch völlig unnütz ; der Einzelne kann ihm doch nicht 
folgen, wenn es nicht in der nothwendigen Eeihe seines 
Handelns so bestimmt ist. Ein solches Muster erscheint 
daher für den Menschen ebenso verkehrt, als wenn man 
den Bäumen die Musterbilder ihrer Gattung zur Nach- 



120 IV. Theü. 2—4. (D. 1. a D. 3. 4. D. 5. 6.) 

ahmnng vorhalten wollte; selbst wenn die Bäume es yot- 
standen, müssten sie dennoch so wachsen, wie ihre Keime 
und Boden, Wind und Wetter es mit sich bringen. Diese 
Inkonsequenz hat schon Trendelenburg gerügt; doch 
tritt in der wirklichen Lehre dieser Msngel nicht hervor, 
und Sp. hat in dieser Vorrede sich nur dem gewöhnlichen 
Vorstellen anbequemen wollen. 

Wichtig ist, dass Sp. in dieser Vorrede den Ausdruck: 
»Gk)tt oder Natur« gebraudit; dies zeigt, dass Sp. beide 
als identisch gelten. 

'2. Dl 1. 2« Diese Definitionen stunmen in ^n Wor- 
ten nicht mit denen der Vorrede. Es ist dies eine Folge 
des unter No. 1 dargelegten Schwankens in dem Prinzip, 
was Sp. für das Handeln hinstellt 

3* D. 3« 4* Die Existenz eines B^zeldinges hat nach 
Sp. ihre Ursache entweder in dem Wesen desselben (wie 
bei Gott, aus dessen Begriffe oder Wesen auch sein Da- 
sein nach Sp. folgt) oder in der kausalen Beihe der 
Einzeldinge, wo eines die Ursach'e des andern ist 
(L L. 33. E. 1). 

Eine Existenz dieser zweiten Art, die also nicht 
aus dem Wesen des Dinges folgt, nennt Sp. hier zu- 
fällig, selbst wenn sie innerhalb der kausalen Beihe 
nothwendig ist. Möglich nennt Sp. ein Ding, wenn 
seine Nothwendigkeit zwar in die kausale Beihe föllt, 
aber der Mensch diese Nothwendigkeit nicht erkennt. 
Die Begriffe von zufällig und möglich gelten also 
nur für die Zustände ^nodi) der Substanzen, sofern sie 
die kausale Beihe der Einzeldinge ausmachen. Das Zu- 
fällige macht Sp. damit zu einer gegenständlichen 
Eigenschaft, während er früher (I. L. 33 E.) es nur 
als einen Mangel des menschlichen Wissens behandelte. 
Die jetzige Definition des Zufälligen weicht von dem 
gewöhnlichen Sinne dieses Wortes gänzlich ab; nach ihr 
ist nunmehr Alles in der Welt, mit Ausnahme Grottes, 
zufällig. 

4i D. 5. 6t Nicht 4ie Gefühle, sondern die Begehren 

können einander so aufheben, dass Eines das Andere 
hemmt Sp. hat diesen Unterschied nicht bemerkt Bei 



IV. TheiL 5—7. p. 7. D.S. A.) 121 

D. 6 mnss man fesüialteii, dass Sp. hier nur von dem 
bildlichen Vorstellen, nidit von dem Erkennen der Seele 
spricht. Nur für jenes soll das von Sp. Gesagte gelten. 
Dessenungeachtet ist der Satz höchstens for das Wahr- 
nehmen, aber nicht für das blosse Vorstellen richtig. Man 
kann sich die Lage einzelner Strassen oder Gebäude sehr 
wohl Yorstellen, wenn sie auch 200 Fuss übersteigen, und 
mithin kann auch die Entfernung der Gegenstande von 
einander in grösserer Entfernung vorgestellt, wenn auch 
nicht wahrgenommen werden. 

5. D. ?• Zweck ist nicht das Verlangen, sondern 
das Verlangte; der Zweck ist deshalb ein Besonderes, 
ein Ziel, auf das das Verlangen sich richtet. Deshalb 
kann ein Zweck auch wieder aufgegeben werden, was, 
wenn er das Begehren selbst wäre, unmöglich wäre. Auch 
hiw igt Sp. zu schnell mit dem Idoitifiziren bei der Hand. 

6. D. 8. Tugend (Vtrtiis) ist in dem von Sp. ge- 
brauchten lateinischen Worte zweideutig; dies bedeutet 
bald die blosse Mannhaftigkeit oder Kraft, bald das sitt- 
liche Handeln. Für Sp. ist diese Zweideutigkeit passend, 
da bei ihm das Sittliche mit der Macht oder dem aus 
dem Wesen des Dinges abfliessenden Handeln identisch 
ist, wie später sich ergeben wird. Insofern es sich hier 
nur nm Definitionen handelt, kann man gegen solche 
Willkühr nichts einwenden. 

7« A. Dieses Axiom ist durchaus nicht selbstverständ- 
lich, sondern hätte eines Beweises» bedurft; es hätte des- 
halb als Lehrsatz behandelt werden sollen. Der Satz ist 
aber auch gar nicht zu beweisen. Nur wenn man die 
Macht als blosse Grösse behandelt, kann innerhalb 
des Denkens keine Grösse vorgestellt werden, über die 
nicht noch eine grössere gedacht werden könnte. Allein 
aiU3 diesem Beziehen des Denkens folgt nicht im Min- 
desten dias Gleiche f&r das Seiende. Es kann hier sehr 
wohl ein Maximum bestehen, welches, obgleich endlich, 
dennoch an Macht von keinem Daseienden übertroffen 
wird. Auch hier zeigt sich die scholastische Vermischung 
von Denken und Sein. 



122 IV.TheiL8— IL (L.1B.B. L.2B. L.3B. L.4B.) 

8. L. 1 B. B. Die falsche Definition des Unwahren 
ist früher zn L. II. 32. dargelegrt worden. Wenn das 
Unwahre nach Sp. nur ein Mangel* ist, so mnss das in 
dem Unwahren Vorgestellte (Positiye) an sich ein Wahres 
sein, und darans folget allerdings der L. 1. Sp. übersieht 
aber hier den Unterschied zwischen Widerspruch und 
Mangel, wie in No. 46 zu L. 32 U. gezeigt worden isi 
In der E. will Sp. diesen Einwurf nicht g^ten lassen; 
er meint, die bildliehen Vorstellungen waren keine Gegen- 
sätze der Wahrheit und erl^schten nicht durch deren 
Gegenwart. Dies gilt aber nur für die Sinnestäuschungen, 
zu denen das Beispiel Sp.'s mit der Sonne gehört; aber 
sehr vieles Falsche hat nidit dann seine Quelle, sondern 
in dem verbindenden Denken, in der Schwäche der Er- 
innerung, in den Fehlem des Schliessens u. s. w. Hier 
erlischt die falsche bildliche Verstellung mit Eintritt der 
wahren gänzlich. Aber selbst bei jenen Sinnestäuschun- 
gen bleibt nur der Schein, nicht das Für wahr halten 
oder die Ueberzeugnng; vielmehr weicht auch da mit 
Eintritt der Erkenntniss das Fürwahrhalten des Scheins. 
Deshalb ist auch hier die Wahrheit nicht eine blosse 
Ergänzung des Falschen, sondern eine Beseitigung 
oder Entfernung desselben auf Grund des zweiten Funda- 
mentalsatzes (E. 68)^ 

9. L. 2 B. Dieser L. 2. .ist ein blosser Folgesatz 
der III. D. 2 gegebenen Definitionen des Handelns und 
Leidens; da diese an sich willkürlich sind, so ist es auch 
dieser L. 2. 

lOi L. 3 B. Dieser L. 3 stützt sich auf das oben 
unter No. 7 behandelte Axiom; da dieses falsch ist, so 
ist auch der Beweis dieses L: 3 ungenügend; doch hat 
er die allgemeine Erfahrung für sich, und er kaim insofern 
auf Grund der Induktion. zugelassen werden {E, 78). 

11. L. 4 B. Dieser L. 4 folgt schon aus dem Be- 
griff des Menschen, als eines blossen Zustandes an den 
Attributen Gottes (II. D. 2. II. L. 10). Insofern das Süd- 
liche oder die Einzeldinge, zu denen der Mensch gehört, 
in der kausalen Eeihe der Zustände enthalten sind, folgt 
von selbst, dass sie sich nicht von den Einwirkungen 



IV. Theil. 13. (L. 5 B.) 123 

dieser frei halten können. Der besondere Bew^ den Sp. 
hier yersncht, ist fiberdem mangelhaft, denn der Kern 
dieses Beweises liegt in den Worten: »nnd folglich müsste 
an^ der Nothwendigkeit der göttlichen Natur, sofern sie als 
durch die Vorstellnng eines Menschen erregt anfgefasst 
wird, die Ordnung der ganzen Katur abgeleitet werden.« 
»Folglich« ist nicht richtig; der Satz folgt nicht aus 
dem vorhergehenden und ist audi an sich selbst dunkel. 
Mit diesem L. tritt Sp. dem Cartesius entgegen, 
welcher die vollkommene Herrschaft des Willens über 
die Affekte behauptet hatte. Auch folgt aus diesem Satz 
die Erbsünde im religiösen Sinne. Denn nach Sp. liegt 
das Sittliche im Handeln, das Unsittliche, die Sünde im 
Leiden, d. h. in den von aussen erweckten Affekten, und 
diesen kann der Mensch nach diesem L. sich nicht ent- 
ziehen. Nach der Lehre des Realismus (Aesthetik I. 130) 
hat das Unsittliche oder Böse seinen Grund in der Spal- 
tung der Gefühle in die der Achtung und der Lust, 
welche Besonderung von der menschlichen Natur untrenn- 
bar ist. Das Handeln aus Lust oder aus den Affekten 
ist aber nicht schon als solches das Böse, sondern es 
wird erst böse, wenn es ein Gebot der Autorität verletzt, 
oder wenn das Motiv der Achtung von dem Motiv der 
Lust überwunden wird. Diese Schwäche der Achtungs- 
gefQhle ist keine Nothwendigkeit ; die menschliche Natur 
würde auch bestehen bleiben, wenn die Gefühle der Ach- 
tung vor solchen Autoritäten so stark wären, dass sie 
nie von denen der Lust überwunden würden. Deshalb 
ist die Erbsünde keine Nothwendigkeit, und der ganze 
Begriff der Sünde ist ein positiver, der erst aus den 
Geboten der Autoritäten entspringt, und der deshalb im 
Stande der Unschuld oder im Paradiese fehlt. 

12t L« 6 B. Der L. 5 geht zu weit; die Gründe 
führen nur dahin, dass die Stärke der Leidenschaften 
durch die Macht der Menschen und die Macht der frem- 
den Ursache gemeinsam bestimmt wird; denn selbst 
bei dem Leiden bleibt der Mensch partiell thätig oder 
wirkend (III. D. 2). Auch ist dies wohl die Meinung 
Sp.'s; die Worte: »in Vergleich mit unserer Macht« wollen 
dies wohl sagen. 



124 IV. TheiL 13^U. CU 6B. L. 7 B. Z. L. 8 B.) 

13. L. 6 B. Dieser L. 6 ist die Folge Ton L. 4. 
Sp. spricht hier von >hartiiackig aohaft^i« (perttnadter 
adhaerere). Dieses ist ein neuer Begriff, der mit dem 
Unterschied der Leidenschaften und Affekte im gewöhn- 
lichen Sinne zusammenhangt; jene sind dauernde Zu- 
stande; diese gehen Torfiher; jene heruhen auf einer vor- 
herrschenden Empfänglichkeit für gewisse Ursachen der 
Lust, diese mehr auf der Starke der äusseren Ursadie 
(Aesthetik L 157). Sp. hat indess diesen wichtigen Unter- 
schied, der in der Moral und dem Straf recht sehr bedeu- 
tend hr das Maass der Strafe ist, nicht weiter beachtet 

14« Lt 7 B. %• Dieser L. 7 spricht ein sehr wich- 
tiges Gesetz aus, dessen Wahrheit die Beobachtung be- 
stätigt, wenn auch die Beweise Sp/s dafar nur auf künst- 
lichen Definitionen beruhen. In IV. L. 14 kommt Sp. 
noch einmal darauf zurück. Es ist für die Moral m 
wichtiger Satz, dass die Gefühle und Begehren nicht durch 
das Wissen und D^ken als solches gehemmt werden 
können, sondern nur, wenn dieses Wissen und Denken 
ein anderes Fühlen und Begehren erweckt, welches sich 
jenem Begehren eni^egensteUt. Ohnedem, als blosses 
Wissen ist es gegen die Affekte machtlos. Dessen unge- 
achtejk haben die Moralsysteme des Idealismus dies nicht 
beachtet. Indem sie das Sittliche aus der Vernunft 
ableiten, mussten sie auch eine Wirksamkeit des Denkoi; 
und der Begriffe auf das Begehren annehmen; denn ohnes 
dem bleibt die Vernunft machtlos. Deshalb findet sic- 
diese vermeintliche Macht des Denkens über die Begehreh 
so wohl bei Eant, wie bei Fichte und Hegel, obgleicn 
sie den Ergebnissen der Beobachtung geradezu widerh 
spricht. Auch Sp. bleibt seinem Lehrsatze nicht treu- 
der ganze fünfte Theil seiner Ethik handelt von der 
Macht der Seele, als erkennender über die Affekte, 
und spricht somit dem Wissen an sich eine Macht über 
die Affekte zu. 

15t La 8 B. Nachdem Sp. den Begriffen von Gut 
und Schlecht zuvor in IV. D. 1. 2 die sittliche Bedeu- 
tung genommen hat, hat dieser L^irsatz kein Bedenken, 
aber auch keinen Werth, weil er nur tautologisch jene 
Definitionen wiederholt. Wenn dessen ungeachtet dieser 



IV.TheiL W. (L.9RS.Z.) 125 

Lehrsatz wie Yiele andere ümliclie des Sp. einen beeon- 
deren Beiz oder Erregung f&r den nnbe&ngenen Leeer 
haben y so kommt dies nnr davon, dass der Leser mit 
den Worten: Got and Schlecht nnwilUCQrlich die alt- 
gewohnte sittliche -Bedeutung verbindet Nnr dadurch 
scheint der Satz etwas Neues zu sagen; hat man aber 
diese Gewohnheit überwunden und sich ganz in die Be- 
griffe des Sp. gefunden, so zeigt sich sofort die leere 
Tautologie dieser und ähnlicher Sätze. Diese Verdrehung 
des gewöhnlichen Wortsinnes erschwert zwar das Yer- 
ständniss der Ethik Sp.*s, aber es giebt ihr auch das 
Pikante und Auf&llende, was den Loser fesselt, weil er 
fortwährend verleitet wird, den Sinn der Sätze fiüsch und 
bedeutender aufzu&ssen, als es gemeint ist. 

16. L. 9 B. B. X. Der L. 9 wird an sich durch 
die Erfahrung bestätigt. Diese ist aber auch die alleinige 
Stfitze seiner Wahrheit, und der Beweis, den Sp. dafär 
a priori versucht, ist gwade in dem Hauptpunkte unzu- 
reichend. Es fehlt der Beweis dafQr, »dass die bildliche 
Vorstellung stärker sei, so lange man sich nichts vor- 
stellt, was die Existenz der Sache ausschlies8t.€ Der in 
Bezug genommene n. L. 17 sagt dies nicht. Haben 
Wahrnehmung und blosse Vorstellung nach Sp. in sich 
keinen unterschied, so können zwar mehrere dergleichen 
Yorstellungen mit einander in Widersprach gerathen, aber 
daraus folgt nicht die Schwäche dieser Vorstellungen als 
Bolcher; denn der Widerspruch trifft nur den Inhalt, 
nicht die Form des Vorstellens und nicht den Grad 
desselben. Ueberhaupt ist schwer zu fassen, wie das 
Zukünftige und Vergangene als solches neben dem vor- 
gestellten Gegenstande noch besonders in das Vorstellen 
-eiiitreten soll, und wie es sich in den Eindrücken des 
Körpers, welche nach Sp. alles Vorstellen bedingen, be- 
sonders ausprägen soll. Sp. musste in einem früheren 
Beispiele (S. 121) deshalb den liauf der Sonne zu Hülfe 
nehmen; allem die Sonne und selbst ihr Ort ist an sich 
auch nur eine Wahrnehmung wie jede andere, und wenn 
sie in die Seele zu anderen hinzutritt, so widerlegt sie 
nicht deren Gegenwart, sondern beweist vielmehr, dass 
auch die Zeit, welche mit diesem Stand der Sonne sich 
verbindet, gegenwärtig ist. Es können dann zwei 



126 rr.TheiL 17—20. (L.X0B.1L L.11B. L.12B.Z. L.13B.) 

Wahmefamongen mit Yerschiedenen Orten der Sonne in 
der Seele Yorlianden sein; diese widersprechen sich blos, 
die eine kann aber nicht dazu dienen, die Zeit der andern 
in die Vergangenheit zu verlegen. Dies ist nur ein Bei- 
spiel von den Yerwirrangea, in welche Sp.'s Hypothese 
fQbren müsste, wenn sie wahr wäre. 

17i Lt 10 B« E. Nach dem Vorstehenden wird man 
nun leicht bemerken, dass auch hier das »weniger ans- 
schliessen« in dem Beweise eine Erschleichnng ist ; ja 
es ist ein Unsinn, da es innerhalb des Widerspruchs kein 
Mehr oder Weniger, oder keine Grade des Wid^spradis 
geben kann. 

18. L« 11 B« Die Wirkung des. Nothwendigen in 
diesem L. 11 beruht auf der Existenz seines Gegenstandes; 
der angezogene L. 9 im B. fordert aber nicht blos die 
Existenz, sondern die Gegenwart far die grössere Starke 
des Affektes. Existaiz und Gegenwart sind aber nicht 
dasselbe, deshalb ist der B. fehlerhaft. Dieser Mangel 
ist um so bedenklicher, als L. 11 für die spätere Ent- 
wicklung des Systems unentbehrlich ist. 

19. L* 12 B. Z. Die Unterscheidung zwischen mög- 
lichen und zufälligen Gegenständen in Beziehung auf die 
Affekte ist subtil und nur aus den an sich bedenklichen 
Definitionen dieser Bestimmungen abgeleitet; die Erfah- 
rung bestätigt sie schon deshalb nicht, weil im gewöhn- 
lichen Vorstellen diese feinen Unterscheidungen zwischen 
Möglich und Zufällig gar nicht gemacht werden. Ueber- 
dem werden in dem B. des L. 12 die Definitionen IV. D. 3. 
nicht beibehalten. Nach D. 3 ist das Zufällige gar kein 
Gegensatz des Möglichen; jenes kann möglich, ja sogar 
wirklich sein; denn zufallig ist nach D. 3 Alles, dessen 
Existenz nicht durch sein Wesen (Definition) bedingt ist 

20. L. 13 B. Das zu L. 12 Bemerkte gilt auch 
hier; diese Lehrsätze haben keine Bedeutung, weü im 
Leben diese Unterschiede des philosophischen Denkens 
nicht beachtet werden, mithin auch auf die Affekte keinen 
Einfluss zeigen. Der B. für L. 12 u. 13 gelingt nur da- 
durch, dass das Zufällige zugleich als nicht existirend 



IV. Tbeil. 21—22. (L. ÜB. L. 15 B.) 127 

gilt. Dies ist nach Sp. nur möglich, wenn man sich zu- 
gleich etwas vorstellt, was die Existenz jenes aasschliesst. 
Bei dem yergangenen Gegenstand wird im B. ange- 
nommen, dass ein solches Zweite, die Existenz Aus- 
schUessende nicht vorgestellt werde. Der eigentliche Sinn 
beider L. geht also dahin, dass das als existirend Vor- 
gestellte die Affekte starker erregt, als das, was als nicht 
existirend vorgestellt wird. Alle übrigen Bestimmungen, 
wie zufällig, mögUch, vergangen, haben hierbei als solche 
keine Bedeutung. 

21« L. 14 B« Dieser L. ist sehr dunkel. Dass das 
blosse Denken keinen Affekt hemmen kann, ist von Sp. 
lY. L. 7 ausgeführt. . Dieser Satz ist verständlich und 
bildet den ersten Theil von L. 14. Seine Schwierigkeit 
liegt nur in den Schlussworten: »sofern die Eenntniss 
des Gruten und Schlechten als Affekt aufgefasst wird« 
(cansideratur). Hierbei wird auf IV. L. 8 Bezug ge- 
nommen, der nicht minder dunkel ist. Diese Schwierig- 
keiten entspringen daraus, dass Sp. die Affekte sowohl in 
den Körper als in die Seele verlegt, und dass er die 
Affekte der Seele nur als die Vorstellungen der körper- 
lichen Affekte behandelt. Dadurch fallen die seelischen 
Affekte mit dem Denken zusammen, und deshalb ist die 
Unterscheidung, die Sp. dennoch zwischen beiden in L. 8 
durch das Wissen um die Vorstellung des Körper- 
affekts einzufuhren sucht, unwahr, erkünstelt, und deshalb 
schwer zu verstehen. 

22. L. 15 Bt • Der Kern dieses L. 15 liegt nicht in 
dem Gut und Schlecht, sondern in der wahren Kennt- 
niss desselben. Gut und Schlecht sind bei Sp. nur an- 
dere Worte für Nutzen und Schaden, für Lust und 
Schmerz (IV. L. 8). Sp. will hier zeigen, dass das aus 
der wahren Kenntniss folgende und allein diesen Namen 
verdienende Handeln des Menschen nicht allmächtig ist, 
sondern von Affekten leidender Natur überwunden werden 
kann, und zwar, weil letztere die Macht fremder Ur- 
sachen, -jenes nur die Macht des Menschen allein darstellen. 
Erst nun versteht man die Bedeutung der früheren L. 1,3,5, 
die in . ihrer Abstraktion schwer zu fassen sind. Sie 
sollen, wie in der Geometrie, nur die eigentlich bedeu- 



128 TV. Theü. 28. S4. (L. 16 B. L. 17 B.E.) 

tenden Lehrsätze vorbereiten. Der Beweis Ton L. 15 ist 
logisch richtig, aber er raht auf einer Anzahl falscher 
Prämissen, und es zeigt sich bei ihm die ganze Könst- 
lichkeit, zu der das System Sp.*s sich hinanfschranhen 
muss, nm mit der Erfahrung in üebereinstimmang zu 
bleiben. Die realistische Auffassung ist hiervon frei. 
Danach bestehen in der Seele nicht blos Begehren aüs 
Lustgefühlen, sondern auch aus sittlichen (beföhlen; die 
Beobachtung lehrt, das jedes von dem andern überwunden 
werden kann, je nach der Stärke der wirkenden äusseren 
Ursachen und der Empfänglichkeit des betreffenden 
Subjekts, welche letztere Sp. ganz übersieht, so dass er 
schon deshalb auf Abwege gerathen muss. 

23« L. 16 B. Auch dieser L. 16 dreht sich nm 
einen Satz, den im gewöhnlichen Leben kein Mensch be- 
zweifelt. Sp. ist zu diesen Sätzen genöthigt, um darzn- 
thun, dass selbst die Erkenntniss des Wahren, des 
Wesens Gottes und seiner endlichen Zustände, von wel- 
cher Sp. im fünften Theil handelt, den Menschen nicht 
vor der Macht der Affekte völlig sicher steUt. Der 
Mensch ist nach Sp. als erkennend wohl frei und han- 
delnd, allein diese Freiheit ist keine unbedingte oder all- 
mächtige; sie kann fortwährend durch leidende Affekte 
unterbrochen werden, weil der Mensch ein Theil der gan- 
zen Natur ist; deshalb ist selbst der weiseste Mensch 
nur Freier und Knecht zugleich. In diesem Punkte 
weicht Sp. von Gartesius und den Stoikern ab, welche 
eine unbedingte Macht der Vernunft über die Affekte 
behaupten, welche unbedingt Macht auch später Kant, 
Fichte ^und Hegel als Prinzip wieder festhalten. Die 
Lehre Sp.'s klingt sehr annehmbar, sie hat die Erfahrung 
für sich; allein sie verwickelt sich in grosse Schwierig- 
keiten bei den Begriffen der Zurechnungsfahigkeit, der 
Strafe und Busse, die ohne Annahme einer vollen Macht 
der Vernunft über die Affekte nicht zu begründen sind. 
Es wird dieses sich später zeigen. 

24. L. 17 B. B« Auch hier bewegt sich Sp. noch 
in demselben Gedanken. L. 16 u. 17 sind reine Folge- 
sätze atis L. 15 und hätten als Zusätze zu L. 15 behan- 
delt werden sollen. 



IV. Theil. 25. 26. (L 18 B. E.) 129 

25. L. 18 B. Der L. 18 widerspricht der Erfah- 
rung. Die Beobachtung zeigt, dass aus der Fröhlichkeit 
oder Lust an sich gar kein Begehren entspringt; sie ist 
eben die Folge des erreichten Zieles des Begehrens, 
womit es erlischt. Es kann dann höchstens die Sorge 
um die Erhaltung dieses Zieles oder der Ursache der 
Ijnst eintreten; allein ein solches Begehren nach Erhal- 
tung der Ursache entspringt nicht aus der Lust selbst, 
sondern aus der Furcht, diese Ursache zu verlieren. Des- 
halb entspringt nie aus der Lust selbst ein Begehren, 
sondern es erlischt vielmehr mit ihrem Eintritt. Der 
Schmerz dagegen ist die Quelle des Begehrens; er ist 
stets mit dem Begehren nach der Beseitigung seiner Ur- 
sache verknüpft. 

Sp. übersieht diese klaren Ergebnisse der Erfahrung, 
weil seine Definitionen dazu nicht passen. Da er das 
Begehren mit dem Wesen des Menschen identificirt und 
die Fröhlichkeit, als Vermehrung der Macht ,i ebenfalls 
mit dem Wesen des Menschen identisch setzt, so ist sein 
Beweis zwar logisch richtig; allein eben deshalb hätte 
Sp. gegen seine als Prämissen dienenden Definitionen be- 
denklich werden sollen. 

26. B. Zn L. 18. in dieser Erläuterung tritt Sp. 
dem Prinzip der Sittlichkeit näher. Es fällt bei ihm 
mit dem Prinzip der Selbsterhaltung, d. h. mit dem eige- 
nen Nutzen und mit der eigenen Lust zusammen; denn 
Begehren, Nutzen, Fröhlichkeit sind bei Sp. identische 
Begriffe. Deshalb will der Satz: dass man die Tugend 
um ihrer selbst willen zu erstreben habe, bei Sp. nichts 
sagen, weil der Gegensatz zwischen Sittlichkeit und Lust 
bei ihm fehlt. Sp. kommt indess auf einem Umwege zu 
demselben Inhalt, wie ihn die christliche Moral hat. In- 
dem der Mensch nach Sp. nur in Gemeinschaft mit An- 
deren seinen Nutzen voll verfolgen kann und es für den 
Menschen nichts Nützlicheres giebt als seine Neben- 
menschen, so ist deren Nutzen und Wohl nach Sp. für 
ihn eben so nützlich als sein eigener Nutzen und seine 
eigene Lust, und das egoistische Prinzip verwandelt sich 
damit in die Forderung der Vernunft, dass Alle das für 
Alle Nützliche aufsuchen und thun sollen. Dieses Prinzip 
hleibt zwar in seinem Gtundcharakter egoistisch, aber in 

Erlinterangen zu Spinoza's EtLilr. 9 



laO IV. Thea i%, (B. zu L. 18,) 

seinem Inhalte kann es geöau mit dem Prinzip d^Jjiebe 
übereinstimmen) auf welches die chrisÜiche Moral ihre 
Regeln gründet. 

Indess erhellt, dass ein solches Prinzip an sich noch 
nicht zureicht, ein bestimmtes Handeln daraas für die 
einzelnen Fälle abzuleiten. Sp. übersieht dies gänzlich. 
Die Schwierigkeiten, welche bei dergleichen Moralprinzipien 
meist übersehen werden, entspringen wesentlich aus der 
Mehrheit der . A r t e n -der I«ust. Daduif ch kommt es, 
dass der Mensch fortwährend in Kollisionen zwischen den 
verschiedenen Arten der Last sich befindet. Seine Eräfte 
reichen zur Erlangung aller Ursachen der Luat nicht 
hin, und er muss sich deshalb entscheiden, welcher er 
den Vorzag geben solle. Diese Kollisionen bestehen 
nicht blos zwisdxen der eigenen Lust und der Lust der 
Andei'en, sondern auch innerhalb der verschiedenen Arten 
der eigenen Lust. Es ist dies ein Punkt von der höch- 
sten Wichtigkeit für jede Moral; das Nähere ist dargelegt 
Aesthetik I. 136. Man kommt deshalb mit dem kahlen 
Prinzip: seinen Nutzen zu verfolgen, oder: den Nutzen 
Aller zu verfolgen, nicht fort; die Ethik muss bestimm- 
tere Eegeln an die Hand geben; denn jede Handlung 
läuft an sich auf einen Nutzen hinaus, und ebenso hemmt 
auch jede Handlung an sich einen Ni^tzen o^r eine 
Lust «anderer Art oder anderer Menschen; mithin ist jede 
Handlung nach diesem Prinzip zugleich gut und schlecht, 
und das Prinzip lässt deshalb selbst .bei der einfachsten 
Handlung im Stich. 

Aehnliche Schwierigkeiten verknüpfen sich mit jedem 
anderen Prinzip ; alle nähere Gestaltung desselben geräth 
in diese Kollisionen. Die Hauptaufgabe der Ethik ist 
daher, eine Losung für diese Kollisionen.. zu finden, in 
die dergleic^hen Prinzipien gerathen, und gerade diese 
Hauptaufigabe hat Sp. bei Seite gelassen, wie die Folge 
ergeben wird. Er behandelt, wie der Prediger auf der 
Kanzel jeden Sonntag eine andere Tugend. In di^er 
Vereinzelung ist nichts leichter, als ihre Folge aus dem 
Prinzip, d. h. ihre Qualität als Tugend und moiiaüsche 
Pflicht darzulegen. Allein Sp. bemerkt nicht, ^dass jede 
einzelne Tugend mit den anderen in Widerspruch steht, 
sie hemmt, und dass deshalb die Ethik erst dann ihre 
wissenschaftliche Bestimmtheit erreicht, wenn sie ^icht 



IV.^Thcü. 28. (E. zu-L. 18.) «ISi 

blos die einzelnen Tugenden für sick entwickelt, sondern 
wenn sie zugleich die Grenzen für jede derselben ge- 
regelt hat, über welche hinaas die Tugend trotzdem, d!as8 
sie dem Prinzip entspricht, doch nicht mehr Tugend 
bleibt, weil sie andere Tugenden zu sehr beischränkt. 
Schon Aristoteles hat dies anerkannt und diese Grenz- 
bestimmung dadurch erreichen wollen, dass er jede Tu- 
gend als ein Mittleres zweier Laster darstellte. Allein 
da er das Gebiet für diese Laster unbestimmt Hess, so 
blieb naturlich auch die zwischen ihnen liegende HiUe 
unbestimmt, und so zeigt seine Definition der Tugend nur 
die Nothwendigkeit dieser Gegenbestimmung, aber erfüllt 
nicht selbst diese Forderung. 

Aller thatsächlicher Unterschied der einzelnep ethi- 
schen Systeme und der Moral der einzelnen Völker liegt 
nicht darin, dass gewisse Tugenden bei ihnen ganz feh- 
len ; vielmehr bestehen bei den rohsten Völkern dieselben 
Tugenden, wie bei den gesitteten; der Unterschied liegt 
lediglich in der verschiedenen Abgrenzung dieeer ein- 
zelnen Tugenden gegen einander. Wenn bei Homer 
Glaukos und Diomedes, obgleich Feinde, dennoch, als 
frühere Gastfreunde in der Schlacht .die Waffen aus- 
tauschen und Frieden zwischen sich halten, so war dies 
für jene Zeit Tugend; gegenwärtig wäre es Ve|ra.th, weil 
die Tugend der Gastfreundschaft nicht mehr auf Eosten 
anderer Pflichten die weite Geltung hat wie damals. 

Eine Ethik ohne diese Bestimmung der Grenzen der 
einzelnen Tugenden hat ihre Angabe nur zu dem klein- 
sten Theile gelöst, und dies gilt nicht blos von der Ethik 
Sp.'s, sondern von der Ethik aller biaherigön philosophi- 
schen Systeme und ebenso von der christlichen Moral, 
wie die Bibel sie lehrt. 

Ueberhaupt lässt die tiefere Betrachtung erkennen, 
da£is gerade diese so wichtige Grenzbestimmung der ein- 
zelnen Tugenden gegen einander niemals aus einem so- 
genannten sittlichen Prinzip abgeleitet werden kann, son- 
dern dass jede >[oral in diesem Punkte ihre Ergänzung 
erst durch das wirkliche Leben und die Sitte der Men- 
schen erhält. 

Die Bedeutung dieser Frage kann in ihrem ganzen 
Umfange hier nicht dargelegt werden ; der Verfasser ver- 
weist deshalb auf seine Aesthetik I. 142. Wenn Sp. 



182 IV. Thefl. 27. 28. (L. 19 B. L. 20 B. E.) 

und seine Vorgänger und Nachfolger diesen Punld; un- 
beachtet gelassen haben, so erklärt sich dies nur daraus, 
dass jene Grenzbestimmnng zwischen den einzelnen Ta- 
genden, wie sie zn ihrer Zeit und in ihrem Lande bestand, 
durch Erziehung und Leben ihnen so zur anderen Natur 
geworden war, dass sie diese Art der Begelung als selbst- 
verständlich und als die allein sittliche ansahen und das 
Positive und Veränderliche in dieser Grenzbestimmung 
gar nicht bemerkten. Wenn in früheren Zeiten oder bei 
anderen YOlkem diese Grenzbestimmnng anders lautete, 
so galt dem Philosophen diese Abweichung ohne Weiteres 
als das unsittliche; indem die Moral seiner Zeit und 
seines Landes innig mit seinem Gefühl verwachsen war, 
bemerkte er nicht, dass die Grenzregelung zwischen den 
einzelnen Tugenden in seiner Moral ebenso positiv 
war, wie die abweichende bei anderen Völkern ; dass des- 
halb die Ethik, wenn sie ihre Aufgabe erfüllen soll, noth- 
wendig auch diesen Punkt in Untersuchung nehmen und 
ermitteln muss, woher die Ethik den Halt für jene be- 
stimmte Abgrenzung der Tugenden unter einander zu 
nehmen hat, ohne welche jedes Handeln für den einzelnen 
Fall völlig unbestimmt bleibt. 

27« L. 19 B. Dieser Satz ist rein tautologisch mit 
früheren. Man muss nur immer festhalten, dass gut 
und schlecht bei Sp. keine sittlichen Begriffe sind, 
sondern andere Worte für den Nutzen und den Schaden, 
für die Lust und den Schmerz. 

28« L« 20 B. B. Hier ist das Vorstehende zu wieder- 
holen! In der E. kommt Sp. auf den Selbstmord, wel- 
cher nach seinem Prinzip alsHandlung unmöglich sein 
soll. Sp. erklärt denselben aus der Uebermacht fremder 
Ursachen, wodurch das eigene Wesen, die eigene Natur 
überwunden werde. Allein damit ist die Bedeutung dieser 
Lehrsätze völlig zu nichte gemacht. Bildet die Selbst- 
erhaltung das Wesen des Menschen, so ist, so lange dies 
Wesen sich erhält, der Selbstmord ein Widerspruch, also 
unmöglich, und doch wird man den Selbstmördern diese 
menschliche Natur nicht absprechen können. Das von 
Sp. erwähnte Beispiel des Seneca fällt sogar unter IV. 
L. 65, wonach die Vernunft es ist, welche gebietet, dass 



i 



IV. TheU. 29-3t (L. 21 B. L. 22 B. Z. L. 2il B.) 133 

man von zwei Hebeln das kleinere yerfolge; Seneca hat 
bei seinem Selbstmorde nach Sp's. eignem Ausspruch 
sogar yemünftig gehandelt, also gewiss nicht das Wesen 
des Menschen verleugnet. Die Möglichkeit des Selbst- 
mordes, ohne dass man zu künstlichen Wendungen seine 
Zuflucht zu nehtnen hat, liegt darin, dass die Lust aus 
dem Leben nur eine Art der Lust neben andern ist, und 
dass sie mithin durch Gefühle anderer Art, insbesondere 
auch durch sittliche Gefühle überwunden werden kann, 
ohne dass dies als. eine Ueberwindung durch unnatürliche 
Ursachen angesehen werden kann. Nur wenn man mit 
Sp. alles Begehren aus dem einen, sich zu erhalten, 
ableitet, wird die Erklärung des Selbstmordes unmöglich. 

29. L. 21 B. Bei der Selbstverständlichkeit dieses 
L. erklärt sich seine Aufnahme nur daraus, dass Sp. in 
Folge seiner geometrischen Methode diesen Satz zu spätem 
Beweisen benutzen will. 

30. L. 22 B. Z. Man kann einräumen, dass keine 
Tugend ohne das Streben, sich selbst zu erhalten, mög- 
lich; aber deshalb ist die Tugend noch nicht identisch 
mit diesem Streben, sondern dieses und das Leben ist 
nur die Bedingung, dass die Tugend, aber auch das 
Laster sich entwickeln kann. Indess steht Sp. auf einem 
logisch unanfechtbaren Boden, weil er in IV, D. 8 die 
Tugend bereits als das Wesen des Menschen definirt hat. 
Auffallend bleibt, dass nach L. 21 und L. 22 jeder Tod 
für das Vaterland, ja jede mit Lebensgefahr verknüpfte 
Errettung eines Menschen aus der Noth sittlich nicht 
gerechtfertigt werden kann; dass demnach solch Handeln 
keine Tugend, sondern ein Schlechtes ist. Es bleibt 
zweifelhaft, ob Sp. in seinem Denken auf diese Folgen 
seines Prinzips gekommen ist. Aus seinem Prinzip und 
aus L. 21 und 22 folgt aber mit Bestimmtheit, dass jede 
That fui Andere ihre Grenze hat an der Erhaltung des 
eigenen Lebens, dessen Opfer nach Sp. niemals Tugend 
sein kann. 

31. L. 23 B> Dieser Satz enthält eine neue, dem 
gewöhnlichen Vorstellen ganz fremde Beschränkung des 
Tugendbegriffs. Nur in dem Handeln im Sinne Sp.^s 



134 IV. Theil. 3f -34. (L. 34 B. L. 25 B. L. 26 B.) 

(in. L. 1) ißt nach ihm die Tugend enthalten. Da nun 
alle Vei-änderung in der Seele nur ein Vorstellen ist, da 
Sp. keine seienden Znstande in der Seele anerkennt, so 
folgt schon ans diesem L. 23 das Grundprinzip Sp.'s, 
wonach nur das Erkennen die Tugend enthält, d.h. die 
Kenntnisö des Wesens der Dinge ; denn nur die aus einer 
solchen Eenntniss hervorgehenden Vorstellungen haben 
kein Anderes zur Mitursache; nur bei ihnen ist mithin 
die Seele handelnd. 

Der B. dieses Satzes ist im Sinne Sp.^s unanfechtbar, 
aber er zeigt, wohin falsche Definitionen fahren. Alle 
geistig beschränkte oder nur im bildlichen Vorstellen sich 
bewegende Menschen, d. h. die grosse Mehrzahl der Men- 
schen ist nach diesem L. zur Tugend unfähig. 

32. L- 24 B; Hier tritt das egoistische Prmzip 
der Ethik Sp.'s in voller Offenheit und Konsequenz zu 
Tage ; erst in IV. L. 35 kommt die Milderung hinzu, dass, 
weil andere Menschen mir nützlich sind, ich auch jene 
zu erhalten und ihren Nutzen zu fördern habe; aber 
immer nur um meines eigenen Nutzens willen. JedenMs 
verdient die Offenheit, mit der Sp. hier die logischen 
Konsequenzen seiner Prinzipien zieht, die ToUe Anerken- 
nung der Wissenschaft. 

33i L. 25 B; Dieser Satz ist tautologisch, weil 
nach Sp. das Streben, sich zu erhalten, mit dem Wesen 
des Dinges, was strebt, identisch ist. Deshalb ist auch 
IV. L. 22 nicht ein anderer Beweis dieses Satzes; denn 
IV. L. 22 ruht auf denselben Definitionen. Nach andern 
Systemen, insbesondere nach dem System des Eealismns 
beruht allerdings die Tugend auf den Geboten eines 
Andern, nämlich Gottes und der übrigen Autoritäten und 
ist gerade dadurch ein von <ior Lust unterschiedenes 
sittliches Gefühl (Aesthetik I. 113). 

34. Li 26 Bi Mit diesem L. beginnt die bestimmtere 
Entwickelung von Sp.'s ethischem Prinzip ; das Nützliche, 
das Fröhlichkeit-Enthaltende gestaltet sich nun zu der 
Erkenntniss. Erkennen ist mithin die sittliche Pflicht 
des Menschen; in ihr gehen nach Sp. alle andern Pflichten 
auf. Aber dieses Erkennen ißt nach Sp. kein blosses, 



IV. Tbeü. 3ft. 39. (L. 27 B. L. 28 B.) 1S5 

rei» im Wissen verharrendes, sonst unthätiges Verhalten ; 
vielmiehr hat nach Sp. der Mensch auch körperlich zu 
handeln, für sich und seine Nebenmenschen und deren 
Existenz und Fröhlichkeit zu sorgen. Die Erkenntniss 
ist nur die Führerin bei' diesem Handeln , welche dem 
Menschen hierbei den rechten Weg zeigt und zugleich 
die störenden Affekte und Leidenschaften hemmt und 
abschwächt, wenn sie auch keine unbedingte Herrschaft 
darüber besitzt. 

Sp. giebt hier zuerst im B. die Definition der Ver- 
nunft; sie ist das Wissen der zweiten und dritten Ord- 
nxing (II. L. 40 E. 2), welches den Gegensatz zum bild- 
lichen Vorstellen ausmacht, und welches allein der un- 
sterbliche Theil der Seele ist, während das bildliche 
Yorstellen mit dem Tode erlischt (V. L. 31). 

Der B. ist fehlerhaft. Es ist richtig, dass aus deu 
Definitionen Sp.'s folgt, dass die Tugend der Vernunft 
das Erkennen ist; allein es folgt nicht, dass das Erken- 
nen die Tugend überhaupt ist, und gerade dieser Punkt 
ist für die Ethik Sp.*^s die Hauptsache. Wenn Tugend 
überhaupt das Streben ist, sich in seinem Wesen zu er- 
halten, so folgt, dass es auch eine Tugend des bildlichen 
Vorstellens giebt und auch eine Tugend des Körpers, 
und nicht blos eine Tugend der Vernunft (III. L. 9). 

39g Lr. 27 B^. Hier wird schon von der, im B^eise 
des L. 26 erschlichenen Verallgemeinerung .Gebrauch ge- 
macht. Der B. ist übrigens fehlerhaft. Nicht das erst 
zur Erkenntniss Führende, sondern nur das Erkennen 
selbst ist gut oder die Tugend; denn nur wenn die 
Erkenntniss erreicht ist, tritt das Handeln der Soele 
ein , was ei*st die Tugend ist (IV. L. 23). Ebenso* ver^ 
bindet sich die G^wissheit erst mit der erreichten Erkennt- 
niss; sie kann also nicht schon bei dem eintl*eten, was 
erst zur Erkenntniss führt. Man sieht, wie die geome- 
trische Methode vor falschen Schlüssen nicht schützet. 

36. L. 28 B. Indem Gott in seinen Attributen das 
Wesen aller Dinge enthält, gewährt die Erkenntniss 
Gottes nach Sp. auch die Erkenntniss des Wesens der 
endlichen Dinge; die Erkenntniss derselben fliesst nach 
Art d(9r logischen Folgerungen aus dem Wesen Gottes» 



136 I^- ^«il* 37. 38. (L. 29 B. L. ao B.) 

und die Dinge kdnnen deshalb ohne Erkenntniss ihres 
Gnindes oder Gottes nicht erkannt werden; aber sie folgt, 
wo die Erkenntniss Gottes besteht, aus dieser von selbst. 
Hierauf beruht der L. 28. Es sind dies noch scholastische 
Ansichten. Sp. giebt selbst zu, dass die Erkenntniss 
Gottes keine unmittelbare für den Menschen ist; dass sie 
sich erst aus der Erkenntniss der Einzeldinge zusammen- 
setzt und bildet; sie ist also nicht die Quelle des 
Wissens für den Menschen, sondern das Besultat; das 
Letzte aber nicht das Erste. 

37. L. 29 B. Dieser und die folgenden Satze be- 
reiten den Uebergang zu dem Handeln für Andere 
vor; Sp. bedarf dieses TJeberganges, weil er die fliehe zu 
Andern als sittliches. Prinzip nicht kennt. Der L. 29 
folgt richtig aus den in dem B. angezogenen Prändssen; 

•allein er wird dadurch auch zu einem völlig inhaltsleeren. 
Denn nach dem B. besteht die Graneinsamkeit in der 
Zugehörigkeit zu demselben Attribute Gottes. Nun ge- 
hört der Mensch nach seinem Körper zu dem Attribute 
der Ausdehnung, und nach seiner Seele zu dem Attribute 
des Denkens; alle andern Dinge, die lebendigen wie die 
leblosen, gehören, so weit wir sie kennen, ebenfalls zu 
diesen Attributen; folglich giebt es Nichts auf der Erde, 
was für den Einzelnen nicht ein Gemeinsames wäre; ein 
Nicht-Gremeinsames besteht nicht, aber dieses Gemeinsame 
ist auch das Dürftigste und von allem Inhalt bein^ 
Ausgeleerte. 

38. L. 30 B. Hier wird, dem Yorstehenden ent- 
gegnen, die Existenz eines Nicht -Gemeinsamen behauptet 
und als das Entgegengesetzte bezeichnet. Dieser 
Begriff ist allerdings in HL L. 5 aufgestellt wordrai, als 
Das, was das Andere zerstört; allein wenn die Gemein- 
samkeit nach lY. L. 29 in der Zugehörigkeit zu dems^- 
ben Attribute besteht, und Gemeinsames einander nicht 
zerstören kann, so ist klar, dass es überhaupt kein Ent- 
gegengesetztes geben kann; denn die zu einem Attribute 
gehörenden Dinge sind gemeinsame, und die zu verschiedenen 
Attributen gehörenden Dinge haben keinen Einfluss auf 
einander. . Dieses Bedenken ist so zu lösen ^ dass der 
einzelne Gegenstand neben dem Gemeinsamen noch Be- 



IV. Theü. 39. 40. (L. 31 6. Z. L. 32. B. K) 137 

solideres hat, und dass in letzterem der Gegensatz ent- 
halten ist. 

Doch ist auch anzunehmen, dass Sp. seinen Begriff 
des Gemeinsamen nicht streng festgehalten hat; offenbar 
denkt er hier auch an ein Gemeinsames für niedere Gat- 
tungen und Arten und nicht blos an ein Gemeinsames 
in den höchsten Attributen. Dann sind allerdings in 
demselben Attribute Gegensätze möglich, allein dann passt 
wieder der B. zu L. 29 nicht. 

Ebenso verwechselt Sp. in dem B. zu L. 30 das Ge- 
meinsame mit dem Identischen. Er meint: Eine 
Sache könne nicht dieses selbst, was sie mit uns ge- 
meinsam hat, yermindem. Allein sie kann nur sich 
selbst nicht vermindern. Das Gemeinsame ist aber 
nicht dieses selbst, sondern ein Anderes, was nur ein 
Gleiches mit jenem ist. 

39a L. 31 B« %• Auch in dem B. dieses L. findet 
sidi dieselbe Verwechslung des Identischen mit dem Ge- 
meinsamen oder Gleichen, und nur dadurch gelingt der 
B. Im Z. tritt Sp. der Folgerung näher, dass der Mensch 
für den Menschen das ^Nützlichste ist, und man deshalb 
in der Sorge für Andere nur für sich selbst sorgt. 

40. L. 32 B. B.^ Hier wird dem Begriff des Ent- 
gegengesetzten schon ein sehr grosser Umfang ge- 
geben; Sp. nimmt h;er jede einzelne Sache schon als 
ein Nicht-Gemeinsames ; denn sonst könnte ihr Mitwirken 
bei den leidenden Zuständen des Menschen nicht zu dem 
Nicht-Gemeinsamen, also Nicht-Guten führen. Auch nimmt 
Sp. den Ausdruck: »von Natur« hier gleich Wesen^ 
während in L. 31 das üebereinstimmen mit der Natur 
in einem beschränkteren Sinne gebraucht ist. Da nun das 
Gemeinsame nichts Anderes als das Gleiche ist, so 
erhellt, dass L. 32 unwahr ist, und deshalb ist auch der 
B. mangelhaft. Die Erfahrung und Geschichte lehrt, dass 
ganze Nationen, von Leidenschaften getrieben, grosse und 
schwere Unternehmen in gemeinsamem Wirken der Ein-' 
zelnen vollbracht haben, dass also auch eine Ueberein- 
stimmung in den Leidenschaften möglich ist, und dass 
der Zusatz: »von Natur« eine sophistische Aushülfe ist. 



138 IV. TheiL 41—43. (L. 38 B. bis L. ä5 B. Z. 1. 2 E.) 

4L L. 33 B. Hier wird die Folgernngr ans L. 32 
gezogen. An sich beweiset L. 33 zu viel; denn wenn 
die fremden XJrsaclien immer von einander unterschieden 
sein sollen, so ist kein Gmnd vorhanden, weshalb nicht 
auch die einzelnen Menschen total von einander unter- 
schieden sind; dann wurde für die einzelnen Menschen 
selbst als Handelnde (nicht Leidende) kein Gremeinsames 
bestehen. 

42. L. 34 B. B. Man muss in diesem L. 34 das 
Wort: »können« betonen; wollte man es als: müssen 
verstehn, so wäre der B. unzureichend; denn er ist nnr 
für die Traurigkeit geführt; es giebt aber auch leidende 
Zustände der Fröhlichkeit. 

Die E. ist sophistisch. Auf diese Weise kann jede 
Gleichheit in Ungleichheit verwandelt, werden, und ebenso 
jede Ungleichheit in Gleichheit; denn beide Begriffe ge- 
hören zu einer Beziehungsfonn und sind so untrennbar 
wie Ursache und Wirkung (E. 37). Der Schlusssatz 
der E. klingt sehr bedeutend; allein wenn nach IT. L. 30 
das Gemeinsame nie schlecht, d. h. nie schmerzlich sein 
kann, der Hass aber auf dem Schmerze oder der Traurig- 
keit beruht, so ist dieser Schlusssatz nur tautologisch 
mit L. 30 und verliert deshalb mit diesem selbst nach 
No. 38 seine Bedeutung. 

43. L. 35 B. Z. 1. 2 E. Dieser L, 35 bildet 
das Haupt -Fundament in der Ethik Sp.'s für das Ver- 
halten der Menschen zu einander. Es wäre unrichtig, 
wenn man Sp., weil er hier die Vernunft nennt, zU den 
Philosophen zählen wollte, welche, wie die Stoiker, wie 
Kant, Fichte und Hegöl, die Vernunft zu dem Prinzip 
der Ethik und zur Quelle Dires Inhaltes erheben. Sp. 
lässt vielmehr das Handeln aus dem Begehren, aus dem 
Streben jedes Dinges, in seinem Sein sich zu erhalten, 
hfervorgehn; die Vernunft ist nach Sp. nicht die Schöpferin 
dieses Inhaltes und des Wesens der Dinge; man kann 
aus ihr nicht das Einzelne und Besondere ableiten; sie 
ist nicht selbst das Wesen der Dinge, sondern sie ist 
nur em Zustand des Denkens, als Attributes Gottes, und 
es steht ihr das Attribut der Ausdehnung (des Körper- 
lichen) mit gleichem Werthe und gleicher Selbstständig- 



IV. Theü. 43. (L. 36 B. Z. 1-. 2 E.) 139 

keit gegenüber. Nur vermöge des Parallelisnms beider 
Attribute ist die zureichende Vorstellung oder die Er- 
kenntüisB an oh die wahre Vorstellung oder die mit dem 
körperlichen Gegenstand übereinstimmende Vorstellung. 

Der B. dieses wichtigen L. 35 ist mangelhaft. Nach 
Sp. ist das Wesen des einzelnen Menschen nicht identisch 
mit dem, was man jetzt die Natur oder den Begriff des 
Menschen nennt; das Wesen ist nach Sp. nicht ein den 
vielen Einzelnen Gemeinsames, sondern das Wesen ist 
individuell; das Wesen dieses einzelnen Menschen ist von 
dem Wesen jenes einzelnen Menschen verschieden (S. 3); 
dies mnsB deshalb auch von der Vernunft gelten, so weit 
sie zu dem Wesen des einzelnen Menschen gehört, und 
folglich ist das, was die Vernunft des einen Menschen 
gebietet, nicht nothwendig dasselbe mit dem, was die 
Vernunft des Andern gebietet. Der Schluss Sp.'s: »was 
»der menschlichen Natur gut ist, ist es auch jedem 
»Einzelnen,« gilt fOr den gewöhnlichen Begriff der Natur, 
aber nicht für Sp., bei dem die Natur oder das Wesen 
jedes Menschen individuell ist. 

Dieser Mangel ist eine Folge des schwankenden Be- 
griffes vom Wesen. Er wird von dem Leser weniger 
empfunden, weil Sp. das Wort Natur hier zwar nicht 
in seinem Sinne, aber in dem Sinne gebraucht, wie er im 
gewöhnlichen Vorstellen besteht. 

Insofern also das Wesen jedes einzelnen Menschen 
individuell ist, besteht' neben dem Gemeinsamen auch 
das Verschiedene oder Entgegengesetzte darin, und insofern 
die Vernunft nur die Entwickelung dieses Wesens des 
Einzelnen ist, ist ihr Ergebniss oder das Handeln des 
Einzelnen nicht nothwendig immer übereinstimmend, son- 
dern auch entgegengesetzt. 

Dies lehrt denn auch die Erfahrung; es ist unmöglich, 
dass alle Menschen ein durchaus gleiches Leben fuhren; 
das Handeln eines Jeden wird individuell durch die 
Eigenthümlichkeit seiner Anlagen, seiner Kräfte, seiner 
äussern Verhältnisse, und so ist es unvermeidlich, dass der 
Nutzen und das Wohl des Einzelnen mit dem des Andern 
in Widerstreit geräth. Deshalb kaim keine Ethik sich 
der Eegelung dieser CoUisionen entziehen; Kant versucht 
es z.B. in äer Art, dass er Jedem eine gleiche Portion 



140 IV. Theü, 44. (L. 36 ß. R) 

Yon Freiheit zuspricht und nadi dieser Abm«ssimg das 
Machtgebiet jedes Einzelnen bestimmt. 

Es ist unzweifelhaft, dass die Menschen einander 
nützen können, und dass durch ein gemeinsames Handeln 
der Nutzen gesteigert werden kann; allein diese Gremem- 
samkeit hat ihre Grenze, wie z. B. das Eigenthum, die 
Ehe und vieles Andere zeigt; die Umwandlung des Eigen- 
thums in einen kommunistischen Gemeinbesitz wurde den 
Nutzen für den Einzelnen und den Ertrag für das Ganze 
mindern statt vermehren, weil die Antriebe des Eleisses 
erlöschen. 

Es ist also gerade die Aufgabe der Ethik, diese Ge- 
meinsamkeit der Menschen zu regeln und ihre Gestaltun- 
gen und somit auch ihre Schranken gegen die Indivi- 
dualität zu bestimmen. Diese, die schwierigste Aufgabe 
der Ethik, lässt Sp. ganz bei Seite. Er begnügt sich, 
einfach auf die Vernunft zu verweisen; allein es ist 
gerade die Sache der Wissenschaft, das, was die Vernunft 
in dieser Hinsicht bestimmt, zu entwickeln. Auch die 
Geometrie, als Wissenschaft, fliesst aus der Vernunft ab; 
aber deshalb darf sich der Mathematiker nicht begnügen, 
den Schüler bei Betrachtung der Gestalten einfach auf 
die Vernunft zu verweisen; sondern er muss die einzehien 
Lehrsätze, welche die Vernunft daraus abzuleiten vermag, 
auch in ihrem bestimmten Inhalte und in ihrer Begrün- 
dung darlegen. Erst dies ist die Geometrie. 

So erhellt, dass das hier von Sp. mit so viel Wichtig- 
keit aufgestellte Prinzip, nach der Vernunft zu leben, 
für sich hohl und formal ist. Jede einzelne Handlung 
ist bei der unvermeidlichen Kollision ihrer mit andern 
Arten der Lust sowohl nützlich oder gut, als schädlich 
oder schlecht; mit jenem kahlen Prinzip ist also für das 
bestimmte Handeln noch durchaus nichts erreicht. 

44. L. 36 B. E. Indem Sp. die Erkenntniss 
zu dem höchsten sittlichen Ziele des Einzelnen erhebt, 
entgeht er allerdings den Kollisionen zwischen den ver- 
schiedenen Arten der Lust und des Nutzens, aus denen 
die ganze Schwierigkeit der Ethik hervorgeht. Das Er- 
kennen ist ein innerlicher Akt des Einzelnen, welcher dem 
gleichen Akt des Andern nicht hinderlich sein kann. 
Allein bei der körperlichen Natur des Menschen ist es 



IV. TbeiL 45. (L. 37 B. R 1.) 141 . 

mit dem Erkennen nicht abgethan; es mnss auch für die 
äussern Bedingungen der Erkenntniss, für die Bedürfnisse 
des Lebens gesorgt werden, und hier treten sofort die 
Kollisionen hervor, welche oben (S. 130) angedeutet worden 
sind. Es ist also ungenügend, wenn eine Ethik sich nur 
auf das Erkennen, als das höchste Gut, beschrankt und 
die übrigen unvermeidlichen Gebiete [des Handelns des- 
halb ausser Acht lässt. 

45. L. 37 B. E. 1. Auch dieser L. 37 be- 
schränkt sich auf das Erkennen und dreht sich in seinem 
Beweise nur in den bekannten formalen Definitionen. Der 
B. gelingt nur, weil eben das Erkennen für sich zu 
keinen Kollisionen führt, und, wie Sp. sagt: »Alle sich 
»dessen erfreuen können.« 

In der E. geht Sp. zu andern Tugenden über; er 
spricht von Beligion, von Frömmigkeit und Ehrbarkeit; 
das sind Tugenden, die nicht auf die Erkenntniss abzielen. 
Hier hätte Sp. wenigstens bemerken sollen, dass zwischen 
diesen Tugenden Kollisionen bestehen, und dass mit der 
blossen Anweisung, der Vernunft zu folgen, die Wissen- 
schaft sich nicht begnügen darf,, sondern den einzelnen 
sittlichen Gestaltungen und Begrenzungen näher treten 
muss. Allein die scholastische Philosophie haftete Sp. 
noch so fest an, dass er dies Leere und Formale seiner 
Verweisung auf die Vernunft; nicht bemerkte und meinte, 
das Sittliche damit auch nach seinem Inhalte bestimmt 
ZQ haben. 

Ein Beispiel, wie wenig diese Verweisung auf die 
Vernunft für das einzelne Handeln genügt, giebt Sp. selbst 
in dem Verhalten des Menschen zu den Thieren. Er 
befreit den Menschen von allen Pflichten gegen die 
Thiere, »weil deren Natur von der menschlichen Natura 
> verschieden sei.« Dann würde auch folgen, dass die 
Thiere uns nichts nützen (IV. L. 29). Da dies aber der 
Erfahrung widerspricht, so müssen die Thiere dieses 
Nutzens wegen etwas Gemeinsames mit den Menschen 
haben (TV. L. 30. 31); sie sind also von den Neben- 
menschen in Betreff des ISfützlichen nur dem Grade nach 
verschieden, und deshalb muss auch die Grundlage des 
Verhaltens zu den Thieren dieselbe sein, wie für das 
Verhalten zu den Nebenmenschen; d. h. man muss auch 



142 IV. Theil. 4«. (E, 2. »u L. 37.) 

den Nutzen der Thiere mit befördern. Dieses Beispiel 
zeigt, wie formal die Lehrsätze des Sp. sind. 

46. El 2 Zn L. 37. Sp. behandelt hier die 
Grundlage des Staats und des Bechts. Es ist bei Sp. 
der Gegensatz von Moral und Becht noch nicht yorhan- 
den; deshalb stellt er Verdienst und Sünde (meritum et 
peccahim), welches Moral -Begriffe sind, mit Eecht und 
Unrecht als gleichbedeutend in dieser E. zusanmien. 
Trotzdem schwebt dem Sp. ein Unterschied beider vor; denn 
in E. 1 dieses L. handelt Sp. von der Frömmigkeit, von 
der Ehrbarkeit als Tugenden, die unmittelbar aus dem 
Gebot der Vernunft folgen, und nicht erst aus dem Gebot 
des Staats. Dieser wichtige Punkt wird indess von Sp. 
nicht weiter verfolgt. 

In der E.. 1 h^-ndelt Sp. von depi Leben und Ver- 
halten des Menschen, der nach der Vernunft handelt 
Dieser bedarf des Staates nicht; Sp. stimmt hier mit 
August in überein; weil indess die Mensche^, den leiden- 
den Affekten sich nicht ganz entziehen können, so muss 
nach E. 2 auch eine Einrichtung getroffen werden, welche 
durch Erweckung entgejirengesetzter Affekte den schädli- 
-chen Affekten entgegentritt. Dies ist die Staatsverbin- 
dung; in ihr wirkt lediglich die Furcht vor der Strafe, 
dass die Mensche in Eintracht leben; ausserhalb des 
Staates giebt es deshalb keiu Eecht und kein Unrecht, 
keine Sünde, kein Eigenthum. Sünde und Verdienst sind 
nach Sp. nur ausser liehe Begriffe, welche nicht die 
Natur der Seele ausdrücken. 

In dieser ^ Auffassung ist Wahres und Falsches so 
vermischt, dass Beides kaum zu trennen ist. 

Wenn Sp. Verdienst und Sünde für den Naturzustand 
in E. 2 leugnet, in E. 1 aber ein sittliches Verhalten 
auch ohne Staat aus der Vernunft ableitet, so ist dieser 
Widerspruch nur dadurch zu lösen, dass man unter Na- 
turzustand den thatsächlichen Zustand der Menschen 
versteht, wo sie von den Affekten geleitet werden, wäh- 
rend in E. 1 ein idealer Zustand behandelt wird. 

Sodann lässt Sp. die Frage unbeantwortet, woher der 
Staat den Inhalt für seine Gesetze zu n^men hat; oh 
hier Alles von der Willkür der Herrschenden abhängt, 
oder ob sie hierbei sich von der Vernunft leiten lassen sollen. 



IV. TheiJ. 47. 4«. (L. 38 B, L. 39 B. E.) 143 

Pemer erkennt mau leicht den Mangel^ dass der Staat 
nur durch Furcht zusammengehalten werden soll. Sp. 
konnte nicht anders, da bei ihm die sittlichen Gefühle, 
also auch die Vaterlandsliebe ganz fehlen. Die Stellung 
Sp.'s als Jude im 17. Jahrhundert, wo sein Volk voji 
aller Staatsgemeinschaft noch ausgeschlossen war, und mit- 
hin patriotische Gefühle sich nicht rentwickeln konnten, 
mag dabei eingewirkt haben. 

Trotzdem hat Sp. einige Wahrheiten getroffen; dahin 
gehört, dass ein Staat nicht Selbstzweck ist, sondern nur 
Mittel für das Wohl des Einzelnen; femer: da3S das 
Kecht nur ein positives, von dem Willen der Staats- 
macht, als Autorität, abhängiges ist. £lp. vermag jfKloch 
nicht, den Begriff des Sittlichen zu gewinnen; er kommt nicht 
über die Furcht hinaus. Dennoch liegt hier der Eiern der 
Frage, und es ist die Aufgabe der Ethik, zu zeigen, wie 
aus der blossen Thatsache der Gewalt vermöge ihrer 
Unermesslichkeit siqh der Begriff der Sittlichkeit ihrer 
Gebote für den Einzelnen in Folge seiner Schwäche gegen- 
über dieser erhabenen Hacht entwickelt. 

47. L. 38 B. Mit L. 38 ist die Lehre von dem 
positiven Recht wieder verlassen; Sp. geht nun wieder 
zu dem Natürlichen und Sittlichen zurück, was sich auch 
ohne Staatsverbindung blos aus dem Vemunftgebote 
entwickelt. Sp. beginnt mit L. 38 eine Eeihe näherer 
Bestimmungen dieser Vernunftgebote, wie sie oben, als 
zur Ethik gehörend, gefordert worden sind. Indess wer- 
den diese Sätze ergeben, dass Sp. auch hier sich nur 
in dam ganz Allgemeinen hält, und dass er insbesondere 
jede Entwickelung einzelner sittlicher Gestalten, wie 
Vertrag, Eigenthum, Ehe, Familie, Gemeinde, Kirche, 
Staat, ebenso wie Christus, verabsäiimt. Je mehr eine 
Ethik sich im Allgemeinen hält, desto leichter werden 
allerdings ihre Gebote. Der L. 38 ist übrigens die 
notbwendige Folge, wenn die Seele nur durch den 
Körper zur Erkenntniss gelangen kann, und diese das 
höchste Gut ist. 

48. iL» <39>B. J3i Auch dieser L. ist die logisch 
richtige Folge der in dem B. erwähnten Lehrsätze. In- 
teressant ist nur Sp.'s Begriff des Todes, welcher von 



144 IV. Theü. 40-51. (L. 40 B. L. 41 B. L. 42 B.) 

dem gewöhnlichen so abweicht, dass man nach Sp. anch 
bei lebendigem Leibe sterben kann. Der Satz ist aber, 
wie Tiole andere Sp/s, ohne praktische Bedentung, weil 
die Merkmale des nenen Begriffes so unbestimmt gehalten 
sind (ein anderes Verhältniss von Bewegung und Euhe 
der Theile des Körpers), dass damit für die Benrtheilnng 
des einzelnen Falles nicht das Mindeste geboten ist. 
Die L. 38 und 39 gehören übrigens zu den Sätzen, welche 
Sp. nur als Unterlagen für spätere vorausschickt; auf 
ihnen beruht die spätere Unterscheidung zwischen ver- 
nünftiger Lust und unvernünftiger (Uebermass). 

49. L. 40 B. Auch dieser Satz bleibt rein formal; 
die Hauptfrage: Welches Einzelne fuhrt zu dem ein- 
trächtigen Leben bleibt dabei unbeantwortet. Hier war 
der Ort, die einzelnen sittlichen Gestalten, wie Ehe, Fa- 
milie, Staat auf diesen Zweck zu prüfen. Auch über- 
sieht Sp., dass die Venranft unter Umständen auch zum 
Kampfe treibt, insbesondere wenn Einer sich von der 
Leidenschaft zum Angriff gegen einen Andern bestimmen 
lässt; mag dieser Andere ein Volk oder ein Einzelner sein. 

50. L. 41 B. Da bei Sp. gut, nütsdich, fröhlich, 
Macht, Wesen fortwährend als identisch behandelt werden, 
folgt dieser L. von selbst, Die Lust ist damit auch 
das Sittliche; doch erhält dieser Satz in dem Folgen- 
den einige Beschränkungen. 

51. L. 42 B. Hier beginnen die Ableitungen aus 
den L. 38 und 39. Sp. fühlte, dass nicht jede Lust ge- 
billigt werden kann; es kommt also darauf an, einen 
Massstab für die unzulässige Lust zu finden. Nach- 
dem dieser Massstab in L. 39 gesetzt ist, entspringt daraus 
der Begriff des Ueberinasses, womit Sp. einen Grad 
der Lust bezeichnet, der nicht mehr vemunftgemäss ist, 

. weil er die Erkenntniss, das höchste Gut, hemmt. Damit 
hat Sp. anerkannt, was oben verlangt worden ist. Es 
ist dies derselbe Begriff, den Aristoteles so bezeichnet, 
dass die Tugenden die Mitte zwischen zwei Lastern 
halten sollen. Das Folgende wird indess ergeben, dass 
Sp. diese Grenzbestimmung nur in sehr unvollkommener 
Weise vollzieht. 



IV. TheiL 52—54. (L. 43 B. biß L. 46 R Z. 1. 2 B.) 145 

Der B. von L. 42 ist logisch richtig; dessenungeachtet 
ist L. 42 unpraktisch, weil ein Merkmal des Wohlbehagens 
Yon Sp. nicht gegeben ist. Woher will man erkennen, 
dass bei einer Lust alle Theile des Körpers das gleiche 
Yerhältniss innehalten? 

52. L« 43 B. Auch hier ist die Definition der 
Wollust so, dass man kein Kennzeichen ihrer hat. 
Diese Definition ist überdem zweifelhaft. Wenn sie wahr 
wäre, müsste jeder Beischlaf unsittlich sein, denn wäh- 
rend seiner sind die übrigen Thätigkeit^ des Körper^ 
allemal unterdrückt. Mithin beweist der Satz zu viel. 

In L. 43 tritt zuerst der Satz auf, dass der Sdimerz 
mittelbar gut ist, wenn er von einer schlechten Lust 
abhält. Man sieht, die Ethik Sp.^s ist eine reine Lehre 
der Klugheit. 

53« L. 44 B. B« Es ist auffallend, dass Sp. hier 
das TJebermass der Liebe nur in dem üebermass der 
Wollust (titülatdo) findet. Es kann offenbar auch in 
der Liebe zu Kindern, zu Freunden u. s. w. ein Ueber- 
niass eintreten; aber freilich war der Beweis dieses 
üebermasses für Sp. kaum zu führen. 

Auch die E. hält sich ganz im Unbestimmten. Die 
Hauptfrage: wo oder wann beginnt in einer Lust das 
üebermass, bleibt unbeantwortet; wer kann in dem ein- 
zelnen Fall untersuchen, ob der ganze Körper oder niir 
ein Theil erregt ist? 

54. L. 45 B. Z.'l. 2 B. Dieser L. 45 geht zu 
weit. Nach Sp. ist jeder Schmerz mit der Vorstellung 
eines Menschen als Ursache desselben Hass und deshalb 
schlecht. Dann ist auch alle Selbsthülfe gegen Beschä- 
digung unrecht; denn nach Sp. geschieht die Yertheidi- 
^ung gegen den, der mich schlägt, schimpft, bestiehlt 
aus Hass, ist also »niemals gut«. Man sieht, wie be- 
denklich dergleichen Folgerungen aus willkürlichen De- 
finitionen sind. Auch der Krieg ist dann niemals zu 
rechtfertigen. 

In der E. zeigt Sp. die Heiterkeit seiner Moral. Sie 
ist durchaus seinem Prinzip entsprechend und macht im 
Gegensatz zu der Moral der Evangelien und der Kirchen- 

Brl&aterangen za Spiiioza^s Ethik. 10 



146 IV. TheiL 65— 5S. (L. 46 B. E. bia L. 50 B. Z. R) 

Väter einen höchst wohlthnenden Eindruck. Es spricht 
für die Geistesstfirke Sp/s, dass er trotz des vielen TJn-^ 
gemachs, was er in seinem Leben zn erdulden hatte, 
dennoch an diesen heitern Lebensansichten festgehalten hat 

55. L. 46 Bt B- Hier föhrt das egoistische Prinzip 
Sp/s dennoch zu demselben Gebot, wie es die christliche 
Moral aus ihrem entgegengesetzten Prinzip der Liebe 
begründet. Der L. beweiset indess zu viel; denn es giebi 
viele Fälle der Yertheidigung, wo man auf diese nur 
langsam wirkende Macht der Liebe nicht warten kann. 

56. L. 47 B. B. Der B. dieses L. gelingt für die 
Hof&iung nur dadurch, dass die Hoffnung falsch definirt 
ist (S. 94). In der E. nähert sich Sp. der Lehre der 
Stoiker von dem Gleichmuth der Seele. Da die Erkennt- 
niss indess nur das Wesen der Dinge aufschliesst, die 
unendliche causale Beihe der endlichen Dinge aber von 
dem Menschen nie übersehen werden kann, von diesen 
aber seine Lust und sein Schmerz bestimmt wird, so kann 
alle Erkenntniss die Ho£Ehung und die Furcht nicht aus- 
schliessen, und es ist kein Grund vorhanden, weshalb der 
Mensch nicht auch die Freude der Hoffnung g^essen 
soll. Es kann auch hier nur das Uebermass getadelt 
werden, aber nicht die Hofi&iung an sich. Gleiches 
gilt für die Furcht, als Mittel zur Thätigkeit. 

67i L. 48. 49 B« Diese L. folgen aus dem Satze, 
dass die Erkenntniss das höchste Gut ist, folglich jedes 
falsche Wissen schlecht ist. (In dem B. zu L. 49 ent- 
halten alle Ausgaben von Sp.'s Ethik falsche Allegate. 
Es muss heissen: IV. D. 28; nicht IV. D. 29 und 27). 

68. L. 50 B. Z. B. Auch hier stellt Sp. als Ideal 
die aus der Erkenntniss folgende Buhe der Seele, wie die 
Stoiker, hin. Diese Bichtung ist bei einem Philosophen, 
dessen Streben nur der Erkenntniss zugewandt ist, sehr 
natürlich ; alle Grefühle und Aufregungen stören ihn in seinen 
Forschungen und Betrachtungen. Allein der L. 50 ist 
schon deshalb falsch, weil das Gefühl des Mitleides ein 
nothwendiger, aus- der Liebe folgender Affekt ist, der 
durch kein blosses Denken und Wissen zu hindern ist. 



IV. TheiL 89-61. (L. 51 B. E. L. 52 B. E. L. 53 B.) 147 

Sodann ist dieses Gef&hl eine wesentliche Stütze des sitt- 
lichen Handelns; es kann deshalb auch hier nnr das 
TJebermass getadelt werden, zumal die Behauptung Sp.'s, 
dass das Mitleiden die Macht des Handehis mindere, 
falsch ist. Jenes Handeln aus Erkenntniss, was Sp. hier 
vertheidigt, führt zu dem Prinzipe Kanfs, wonach alles 
Gef&hl von dem sittlichen Handeln ausgeschlossen bleiben 
soll, während es gerade die Aufgabe der Ethik ist, die 
Lust-Gefuhle sich als Gehfilfen zu erhalten, wo sie dem 
sittlichen Gebot nicht widersprechen. 

59. L. -51 B. E. Nach III. L. 59 kann jeder Affekt 
der Fröhlichkeit auch aus der Vernunft entstehn; deshalb 
geht der B. dieses L. viel weiter als der Satz selbst. 
Die Hauptsache bleibt auch hier die Grenze, das üeber- 
mass; letzteres ist auch bei dem Wohlwollen, wie bei 
der Liebe (IV. L. 44) möiglich; Sp. scheint dies aber 
nicht anzunehmen. 

60. L. 52 B. E. Die Selbstzufriedenheit steUt 
Sp. sehr hoch. Sie ist eben jene Seelenruhe, welche 
schon Epikur als das Höchste hingestellt hat; sie ist die 
Freiheit von den Affekten. Indess ist die Selbstzufrieden- 
heit im gewöhnlichen Sinne kein Gefühl der Lust, son- 
dern ein sittliches Gefühl, was aus der Erfüllimg des 
sittlichen Gebots hervorgeht und den Gegensatz zu den 
Gewissensbissen bildet (Aesthetik I. 118); dann muss 
allerdings dieses Gefühl anders als hier begründet wer- 
den. Sp. stellt sich dieser Auffassung so nahe, als ihm 
bei seinem System möglich ist. 

61. L. 53 B. Im gewöhnlichen Sinne gehört die 
Niedergeschlagenheit {Humilitaa) zu dem sittlichen 
Gefühl der Beue; es ist das Wiedereintreten des sittli- 
chen Gefühls in seine Macht über die Lustgefühle, nach- 
dem vorher die Lustgefühle die Oberhand gehabt haben 
und den Menschen zu dem Bösen bestimmt haben. Inso- 
fern gehört diese Niedergeschlagenheit offenbar zur Tu- 
gend. Sp. kann dies nicht anerkennen, weil seine Tugend 
nur Fröhlichkeit und Macht zu handeln und zu erkennen 
ist und deshalb jede Schwäche von sich abhält, selbst 
wenn sie zum Guten führt. 

10* 



148 IV. Theü. 62— es. (L. 54 B. £. bis L. 58 B. £.) 



t. Ii« 64 Ba B. Das Vorstehende ist hier za 
wiederholen. In der E. erkennt Sp. den Nutzen der 
Niedergeschlagenheit nnd Bene an; er sucht in ihnen 
den Weg, der zu dem Leben naeh der Yemouft fahrt, 
d. h. zn dem sittlichen Handeln. Hier ist Sp. dem 
wahren Begriff dieser Gef&hle sehr nahe, und nur seine 
Prinzipien hindern ihn, die ToUe Wahrheit za erreichen, 
üeberall tritt hier das Ideal eines affektlosen, nur im 
Erkennen lebenden Weisen bei Sp. hervor; daJier diese 
Beseitigung aller, selbst der sittlichen Gefahle, welche 
dich mit diesem Ideal nicht vertragen. 

63. Ii. 55. L- 56 B. Z. B. Diese Satze gelten nur 
von der Eitelkeit oder von dem Stolze, der sich auf 
eingebildete Vorzüge stützt Es giebt aber anch einen 
wahren Stolz, wie oben bemerkt worden (S. 96); für 
diesen passen diese Satze nnd Beweise nicht. 

64. L. 57 B. B. Auch dieser L. 57 gilt nnr von 
^ der Eitelkeit oder dem Stolze auf eingebildete Yorzüge. 

In der E. berührt Sp. einen wichtigfen Punkt, der später 
(L. 68) noch bestimmter erörtert wird. Sp. deutet an, 
dass das Schlechte nur relativ hier gelte; dann, wenn 
blos der Nutzen des Menschen betrachtet werde; aber 
nicht, wenn der Gang der Dinge im Allgemeinen oder 
die allgemeine Ordnung der Natur betrachtet werde. 
Im letzten Falle giebt es nach Sp. nichts Schlechtes. 
Hieraus erklärt sich auch, weshalb die Ethik Sp.*s über- 
haupt nicht von Pflichten spricht und keine Gebote 
kennt. Da bei Sp. sich Alles, auch das menschliche 
Handeln mit Nothwendigkeit vollzieht, und keine Wahl- 
freiheit besteht, so kann die Ethik Sp.'s nur eine Be- 
schreibung des Handelns, nach Art der Naturbeschrei- 
bung innerhalb der Physik sein. Beide Wissenschaften 
entwickeln die in ihrem Gebiete geltenden Gesetze; beide 
können auch andeuten, was dem Menschen nütist und 
schadet; aber Gebote, Pflichten sind in der Ethik so 
wenig am Orte, als Pflichten der Pflanzen in der Physik. 
Diese Auffassung hat neuerdings Schleiermacher 
wieder aufgenommen. 

65. L. 58 B. B. Das zu L. 51 Bemerkte ist hier 
zu wiederholen. In der E. wird der Buhm wegen seiner 



IV. Theil. 66. (L. 59 B. E.) 149 

Vergänglichkeit bekämpft. Hier fallt Sp. aus seiner 
strengen konsequenten Methode ; es ist etwas ganz Neues, 
dass die Freude nicht gesucht werden solle, weü ihre 
Ursache vergänglich ist. Dies hätte besonders begründet 
werden sollen. Es ist dies ein Grund, der zwar in 
vielen Moralsystemen auftritt, aber der zu viel beweiset; 
denn es giebt keine Freude und keine Macht, welche 
nicht der Gefahr des Unterganges ausgesetzt wäre; selbst 
die Erkenntniss ist nicht davon ausgenommen; Krankheiten, 
Stumpfsinn, hohes Alter können auch diesen Besitz 
schmälern und gefährden. 

66« L. 59 B. El Nachdem Sp. im Yorstehenden 
die Gefnhle behandelt hat, geht er nun zu dem Be- 
gehren über. Diese Trennung ist jedoch, wie Sp. selbst 
bemerkt, nicht durchführbar ; Sp. beschränkt sich deshalb 
auf einzelne hierher gehörende Fragen. 

Die hier gebotenen Beweise für L. 59 sind nach den 
Definitionen des Sp. logisch richtig. Allein die Haupt- 
frage ist dadurch umgangen, ob überhaupt das blosse 
Denken und Erkennen im Stande ist, den Willen und 
das Handeln des Menschen zu bestimmen. Für Sp. konnte 
diese Frage nicht entstehen, weil bei ihm aller Einfluss 
zwischen Seele und Körper» fehlt, und beide nur parallel 
mit einander gehn; mithin kann das Handeln der Seele 
nur im Denken und Erkennen bestehn. Allein diese 
Sätze sind nur aus willkürlichen Definitionen und Prin- 
zipien, aber nicht aus der Beobachtung des Seienden ab- 
geleitet; deshalb steht die Erfahrung auch mit ihnen in 
Widerspruch, so weit die Beobachtung hier einen Anhalt 
bieten kann. Diese lehrt, dass das Denken allein den 
Willen und das Handeln des Menschen nicht ursach- 
lich bestimmt, sondern dass nur ein hinzutretendes Ge- 
fühl das Wollen und Handeln erweckt. Deshalb kann 
Jemand eine vollständige Kenntniss der Moral, des Guten 
und Schlechten haben und dennoch wegen der Schwäche 
seines sittlichen Gefühls schlecht handeln. Früher hat 
Sp. selbst anerkannt, dass die blosse Kenntniss des 
Guten nicht zureicht, die 'Affekte zu hemmen (IV. L. 14). 
Dies steht mit L. 59 in Widerspruch. Uebrigens ist diese 
Meinung, dass das Denken allein den Willen und das 
Handeln bestimmen können, auch in die spätem Systeme 



150 IV. TheiL %7^99. (L. 60 B. E. L. 61 B. L. 62 B. E.) 

Yon Kant und Fichte übergegangen; ihr Begriff des 
Guten beruht gerade darauf, dass nicht das Grefahl, son- 
dern das Denken den Willen dabei bestimmt; das Beispiel 
in der E. wird bei L. 68 erörtert werden. 

67i L. 60 B. B. Wenn man auch die theoretische 
Wichtigkeit dieses L. zugiebt, so bleibt doch derselbe 
ohne Bedeutung, weil die Frage, ob ein Affekt sich nur 
auf einige oder auf alle Theile des Körpers bezieht, gar 
nicht aus der Beobachtung oder auf einem andern Wege 
zu beantworten ist. Der Satz gehört daher zu den vielen 
Sätzen der scholastischen Philosophie, welche zwar ans 
selbst gemachten Definitionen logisch richtig abgeleitet 
sind, aber zur Erkenntniss des Seienden nicht das 
Mindeste beitragen. 

68. L. 61 B. Auch for diesen L. 61 gilt das vor- 
stehend Bemerkte. Es fragt sich, welches Begehren ent- 
springt aus der Vernunft? Denken, TJeberlegen ist bei 
jedem, auch dem schlechten Handeln; umgekehrt kann 
das blosse Denken und Erkennen nie den Wülen und 
das Handeln erwecken. Die Vernunft mag die Wahrheit 
oder Erkenntniss gewähren; allein woran soll der Ein- 
zelne seine Erkenntniss als waibie erkennen? Jeder meint, 
die Wahrheit und Erkenntniss zu besitzen. Die subjek- 
tive üeberzeugung ist ein trügerischer Massstab, wie oben 
(S. 74) gezeigt worden. Deshalb mnss eine Ethik sich 
nicht mit dieser formalen Verweisung auf die Vernunft 
begnügen, sondern den bestimmten Inhalt, der aus der 
Vernunft folgt, entwickeln. 

Der L. 61 ist überdem rein tautologisch, detin die 
Vernunft ist das Gute selbst. 

69« L. 62 B. B. Auch dieser L. 62 ist tautologisch. 
Denn die Vernunft oder das Erkennen geht nur auf das 
Wesen, nicht auf die zeitliche Dauer der Dinge. 
Indem die Vernunft deshalb die Unterschiede von ver- 
gangen, gegenwärtig und zukünftig nicht kennt, 
können auch diese Bestimmungen auf das von ihr ausgehende 
Handeln keinen Einfluss üben. 

Auch hier kommt das Ideal der Weisen wieder her- 
vor. Allein, da auch der Weise in der Zeit leben muss 



IV. Theil. 70, (L. 63 B. Z. R) 151 

und deshalb die Baaer der Dinge nicht unbeachtet lassen 
kann, so reicht seine Weisheit oder Yernunft für «sein 
einzelnes Handeln nicht hin, una es folgt deshalb aus 
diesem L., dass auch der weiseste, nur der Yernunft 
folgende Mensch sich dem Irrthum und den leidenden 
Affekten nicht entziehen kann, oder dass, wie Sp. sagt, 
die Kenntniss des Guten nur abstract ist. Dieses Er- 
^ebniss ist schlimmer, als die Erfahrung lehrt, und nur 
die Folge davon, dass Sp. eine mangelhafte Definition der 
Erkenntniss aufgestellt hat. Dieselbe geht in Wahrheit 
nicht blos auf das Wesen, sondern auch auf die Dauer 
der Dinge und kann auch in Bezug auf diese Bestimmung 
zu Gesetzen gelangen. Jene Trennung zwischen Wesen 
und zeitlicher Dauer ist ein Best scholastischer Philo- 
sophie, Yon dem sich Sp. nicht hat befreien können, und 
der seine ganze Ethik beherrscht. 

70. L. 63 B. Z. B. Dieser L. hat, wie viele andere 
der Ethik, wenn man die Worte in ihrem gewöhnlichen 
Sinne nimmt, eine hohe Bedeutung. Er sagt dann, dass 
man das Gute und Bechte um sein Selbst willen thun müsse. 
Allein im Sinne Sp.'s ist das Gute mit dem Nützlichen 
und dem Freudigen identisch, und dann ist dieser L. 
werthlos, weil es sich von selbst versteht, dass man das 
Fröhliche und Nützliche um seiner Selbst willen begehrt, 
und nicht um eines TJebels willen, was sich an die Unter- 
lassung knüpft. 

TJeberhaupt ist der »Gegensatz« bei Sp. hier sophistisch. 
Es ist ebenso nothwendig, das Schlechte zu fiiehn, wie 
das Gute zu begehren; in den meisten Fällen ist das 
Eine nicht identisch mit dem Andern. Sp. denkt hierbei 
offenbar an die christliche Lehre, wonach den Guten ein 
Lohn, eine Seligkeit in jener Welt erwartet und den 
Schlechten eine Strafe. Diesen Beweggründen will Sp. 
entgegentreten. Im gewöhnlichen Sinne ist dies auch 
richtig; allein Sp. hat in seinem System kein Sittliches, 
sondern nur ein Nützliches, und deshalb ist diese an- 
scheinend hohe Sittlichkeit bei Sp. nur ein Schein. Auch 
das Handeln in Führung der Vernunft geht bei Sp. nur 
auf den Nutzen, die Macht und Selbsterhaltung. 

Das Beispiel mit der Medizin ist unverständlich; denn 
auch der nach der Yernunffc handelnde Kranke nimmt 



152 TV, Thea Hi (1. 64 a Z.) 

die Medixin nur, um den Tod zu vaiiieideii, d.. h. um 
wieder gesund zu werden; dieses sind keine Gegensätze. 
Die L. 65. 66 sagen dies ausdrücklicli. 

7L L. €4 B. Z. L. 64 and L. 68 sprechen den 
wichtigen Satz aus, dass die Begriffe von gut und 
schlecht nur unzureichende, d. h. unwahre Begriffe 
sind, und dass in der zureichenden Erkenntniss diese 
Begriffe nicht enthalten sind. Diese Satze hezeichnen 
das System Sp.'s am schärfsten; sie sind die consequente 
Folge seines Prinzips, dass die Welt und Gott ein und 
dasselbe sind. So wie es in Gott oder in der Totalitat 
des Wissens keine Unwahrheit giebt, und alles Falsche 
nach $p. nur Folge daTon ist, dass der Gegenstand ver- 
einzelt und nicht in seiner Totalität aufgefasst wird, so 
entspringt auch das Schlechte und Gute nur aus der 
Betrachtung eines Geschehens in seiner Yereinzelung, 
herausgerissen aus der Totalität der Natur-Ordnung und 
nur in Beziehung auf den Nutzen des Menschen auf- 
gefasst. In der Totalität ist alles Geschehen eine Folge 
des Wesens Gottes. Die zeitlichen Vorgänge fliessen nach 
Alt der geometrischen Lehrsätze aus dem Wesen Gottes. 
Hier kann also nur von Nothwendigkeit die Bede sein; 
Alles ist und Alles ist nothwendig, und Alles folgt 
aus dem Wesen Gottes. Da kann von gut und schlecht 
keine Bede sein. Nur wenn das einzelne Geschehen hlos 
in Beziehung auf den Menschen betrachtet und beurtiieilt 
wird, kann der Begriff des dem Menschen Nützlichen 
und somit auch der des Guten und Schlechten sich bO- 
den. Deshalb sind auch die rerworfensten Handlungen 
der Menschen, z. B. der Muttermord Nero*s, wie Sp. in 
einem seiner Briefe sagt, bei einer Auffassung des Ganzen, 
der Totalität des Geschehens, nicht sddecht, aber auch 
nicht gut, sondern nur nothwendig. Alle Bedenken 
dagegen entspringen nur daraus, dass man gut und 
schlecht als contradiotorische Gegensätze behandelt und 
meint, jede Handlung müsse nothwendig eines von Beiden 
sein. In der Totalität der Betrachtung ist sie vielmehr 
Keines von Beiden, sondern nur eine nothwendige Folge 
der Natur-Ordnung oder Gottes. Man sehe IV. L, 73 E. 

Wenn trotz der logischen Eonsequenz dieser Lehre 
das natürliche Gefühl sich ihr entgegenstellt, so kommt 



IV. Theil. n. (L. 64 B. Z.) 153 

es daher, dass das Sittliche eben eine andere Natnr hat/ 
als Sp. ihm einräumt. Es ist nicht blos ein Nützliches 
und nicht blos ein Kelatives, was seinen Inhalt durch 
eine Beschränkung der Betrachtung auf den Menschen 
erhält, sondern es ist ein in sich selbst Festes und Be* 
stimmtes und durchaus kein blos Kelatives; es hat als 
Sittliches auch keinen Zusammenhang mit dem Natürlichen 
und mit dem Nützlichen. 

Nach dem realistischen System hat das Sittliche seine 
Quelle in den Geboten der erhabenen Autoritäten; nach 
den idealistischen Systemen hat es seine Quelle in den 
Geboten der Yemunft, als solcher. So gilt für beide 
Anjffassungen der sittliche Inhalt als ein fester, für sich 
bestehender, der dadurch sich nicht ändert, dass die Be- 
trachtung des Naturlaufs in weiterer oder engerer Aus- 
dehnuüg herbeigezogen wird. »Du sollst nicht stehlen;« 
»Du sollst Vater und Mutter ehren;« dieses ist ein 
fester sittlicher Inhalt, der sich nicht ändert, mag man 
die Welt dabei im Grossen oder im Kleinen betrachten. 

Biese Auffassung bildet den Gegensatz zu dem System 
Sp.'a Da das sittliche Gefühl im Gegensatz zu den Lust- 
Geföhlen eine Thatsache ist, welche nicht wegzuleugnen 
ist, und der Streit sich höchstens um die Ableitung 
desselben bewegen kann, so ist das System Sp.'s, welcher 
ein sittliches Gefühl gar nicht kennt, jedenfalls in der 
Unwahrheit, und daraus erklären sich die vielen erkünstelten 
und erzwungenen frühem Sätze. Allein da nach realisti- 
scher Auffassung (Aesthetik I. 113) die Quelle des sitt- 
lichen nur eine positive ist und aus dem Willen der 
erhabenen Autoritäten sich ableitet, so trifft Sp. insofern 
die Wahrheit, als zuletzt auch die Gebote der Autoritäten 
aus dem Nutzen und der Lust derselben hervorgehn, und 
die Lust mithin mittelbar auch die thatsächliche Grund- 
lage für den Inhalt des Sittlichen bildet. Das System 
Sp.'s steht deshalb der Wahrheit näher als die Systeme 
Kant's, Fichte's und HegeTs, welche das Sittliche 
ausschliesslich aus der Vernunft ableiten wollen und 
kein Band zwischen ihm und der Lust anerkennen; aber 
es steht der Wahrheit femer als das realistische System, 
welches allein die schwierige Frage zu lösen vermag, 
wie es möglich ist, dass das sittliche Soll aus emem 



154 IV. TheiL 72—76. (L. 65 B. Z. bis L. 68 B. E.) 

natürlichen Ist entspringen kann. Das Nähere ist 
dargelegt Aesthetik I. 113 n. ff. 

72. L. 65 B. %• Dieser L. 65 stimmt genau mit 
der Erfahrung, allein er Yereinigt sich schwer mit L. 63. 

73. L« 66 B. Z. B. Auch dieser Satz stimmt mit 
der Erfahrung, je weniger die (legenwart als solche 
beachtet wird, desto weniger werden die Güter naefa der 
Zeit ihres Eintretens in die Existenz abgeschätzt Allein 
der B. dieses L. ist insofern mangelhaft, als es sich in 
der Wirklichkeit nicht um das Wesen der Dinge allein 
handelt, sondern auch um ihre zeitliche Dauer und 
Existenz. Ein Gut, für dessen Existenz gar keine Ursache 
Yorliegt, kann die Vernunft nicht gleich behandeln mit 
einem, fOr dessen baldige Existenz eine Ursache erkannt 
ist. Die Vernunft muss deshalb im wirklichen Handeln 
sich auch auf die Frage der zeitlichen Existenz der 
Dinge einlassen, und da die Gewissheit der Existenz sinkt, 
wenn der Zeitpunkt der Verwirklichung in die Feme 
rückt, so muss selbst die Vernunft ein nur zukünftiges 
Gut deshalb geringer schätzen als ein gegenwärtiges 
und somit gewisses Gut. Sp. bewegt sich hier in Ab- 
straktionen, welche in der Wirklichkeit nie Platz greifen 
können. 

74. L. 67 B. Dieser L. 67 ist eine Besonderuug 
von L. 63. In dieser Besonderuug tritt seine Unwahrheit 
und sein Widerspruch mit L. 65. 66 mehr hervor. Der 
Mensch, der sein Leben erhalten will, muss auch die 
Todesgefahren vermeiden und deshalb an diese Gefahren 
denken und sein Handeln danach bestimmen. Das 
Schlechte liegt nur in dem Uebermasse; die Sorge, 
das Leben zu erhalten, darf nicht übertrieben werden. 
Das rechte Mass, also die Hauptsache, wird aber von 
Sp. nicht bezeichnet. 

Sp. hatte wohl hier jene religiösen Orden und Sekten 
im Sinne, welche das Sittliche und Gott Wohlgefällige 
in einer strengen Askese und Entbehrung setzten. 

75. L. 68 B. B. Der L. 68 ist bei L. 64 behan- 
delt. In der E. erkennt Sp. an, dass die Menschen 



IV. Theü. 76—79. (L. 69 B. Z. E. bis L. 72 B. E.) 155 

nicht frei geboren werden, d. h. dass die Erkcnntniss 
erst erworben werden muss, und dass deshalb die Begriffe 
von gut und schlecht für den Menschen bei seiner man- 
g^elhaften Eenntniss unentbehrlich sind. In der E. fahrt 
Sp. im Gegensatz zu dem Geiste des Alten Testaments 
aus, dass die von Gott den Menschen gegebenen Gebote 
(das Gute und das Schlechte) nur dessen Nutzen bezweckt 
haben und aus keiner blossen Willkür Gottes abgeflossen 
sind. Es ist dies eine Umwandlung der biblischen Lehren 
in philosophische Gedanken, wie sie später Hegel in 
grösserem Massstabe vollzogen hat. 

76. L. 69 B. Z. E. Dieser L. spricht ausdrücklich 
aus, dass der freie Mensch auch die Gefahren vermeidet, 
also auch an das TJebel und Schädliche denkt; der L. 
steht insofern in Widerspruch mit L. 67. 

77. L. 70 B. B. Der L. 70 wird durch die ihm 
beigefagte E. so ziemlich wieder aufgehoben. Sp. tritt 
in der E. dem wirklichen Leben näher, und da zeigen 
sich so viele Eücksichten und so viele Kollisionen des 
Nützlichen, dass keine einzelne Eegel eine unbedingte 
Geltung in Anspruch nehmen kann, und dass das wahre 
Sittliche deshalb erst in den Grenzen liegt, welche den 
verschiedenen Regeln oder Nützlichen gegen einander 
gezogen werden. Die wichtigste Frage der Ethik ist 
deshalb nicht die nach den Tugenden an sich, sondern 
nach ihrer gegenseitigen Begrenzung und nach dem 
Pundamente, aus dem diese Begrenzung abzuleiten ist. 
Sp. hat diese Punkte ganz unberührt gelassen. 

78. L« 71 B. B. Auch in der E. zu diesem L. 
kommt Sp. auf die zahlreichen Kollisionen der einzelnen 
Tugenden, ohne doch auf diese Frage in ihrer Allgemein- 
heit einzugehen. Er würde dann bemerkt haben, wie 
wenig die Formel: »In Leitung der Yemunft handeln,« 
hinreicht, die Schwierigkeiten in diesen steten Kollisionen 
der' einzelnen Tugenden zu lösen. 

79. L. 72 B. E. Diese St^le ist die einzige, wo 
Sp. von der Tugend der Wahrhaftigkeit spricht. Sp. 
erklart hier alles Lügen unbedingt für unsittiich; selbst 



156 IV. Theil. 80. (L. 73. B. R) 

um sein Leben gegen einen Mörder zn schützen, darf 
man nach dieser £. denselben nicht belügen. Die Grande, 
womit Sp. seinen Satz vertheidigft, bestehn dann, dass er 
das Verkehrte nnd Widersinnige der Lüge damit zeigt, 
dass er sie als allgemeines Handeln nnd als Han- 
deln aller Menschen anffassi Aber die Frage ist hier 
nicht, ob die Lüge als allgemeine Begel gelten solle, 
sondern ob als Ausnahme für einzelne ^Ue. Auch diese 
Frage gehört zu den oft erwähnten Kollisionen der Tagen- 
den. Es ist Tugend, sein Leben zn erhalten ; es ist auch 
Tagend, dem Andern die Wahrheit zu sagen. Beide 
Tugenden sind hier in Kollision; im Sinne Sp.'s kann 
jede dieser Tugenden ihre unbedingte Geltung fordern. 
Da nun dies unmöglich ist, so muss deshalb die Ethik 
zwischen den Gebieten der einzelnen Tugenden Grenzen 
ziehn, über welche hinaus die eine der andern zu weichen 
hat. So mu^ hier die Wahrhaftigkeit der Lebenserhal- 
tung weichen, während in andern Fällen eine kleine Un- 
annehmlichkeit oder Störung durch Lügen nicht abgewendet 
werden darf, mithin die Wahrheit hier noch in ihrem 
Gebiete ist. Statt dessen beharrt Sp. bei der unbedingten 
Wahrhaftigkeit. Aber jede andere Tugend hat als solche 
das gleiche Recht ; deshalb ist mit solchen, durch iHre Kon- 
sequenz leicht blendenden Sätzen keine Ethik zu begründen. 

80. L. 73 B. B. Der L. 73 enthält eine tiefe nnd 
schöne Wahrheit, welche später Bousseau mit seiner 
XJeberschätzung des Naturzustandes yerkannt hat. Der 
Satz ist indess in der aufgestellten Allgemeinheit nicht 
zu beweisen und auch unwaJir. Die Gesetze eines Staates 
köimen so schlecht, so der Vernunft widersprechend ge- 
dacht werden, dass der freie Mensch dadurch in seinem 
Nutzen und in seinem Handeln mehr beschränkt wird, 
als wenn er in der Einsamkeit lebte; in solchem Falle 
gilt der L. nicht. Indess ist der L. nicht in dieser 
Uebertreibung zu verstehn. Er will zweierlei sagen: 

1) ein yemünftiger Mensch, wenn er einmal in einem 
Staate lebt, fügt sich dessen Gesetzen, wenn sie auch 
den Regeln der Vernunft nicht entsprechen sollten; 

2) der Mensch ist dem Menschen so nützlich, so unent- 
behrlich, dass nicht leicht ein Staat gefunden werden 
kann, wo das gemeinsame Leben nicht dennoch dem Ein- 



IV. TheiL Sl. (Anhang S. 5.) 157 

zelnen mehr Nutzen gewährt, als wenn er ganz in Einsamkeit 
lebte. In diesem Sinne enthält der Lehrsatz eine grosse 
Walirheit. 

In der E. wird das Handeln des freien Mannes 
näher beschrieben. Unter Seelenstärke versteht Sp. 
das Handeln, welches durch die Erkenntniss bestimmt 
wird, oder das freie Handeln (III. L. 59 E.). Es bildet 
insofern den Gegensatz zu dem Handeln aus Affekten. 
Dass das Denken den Willen nicht bestimmen kann, ist 
firüher (S. 149) dargelegt worden. Sp. yerwechselt das 
sittliche Gefühl mit der Erkenntniss; jenes, aber 
nicht diese kann im Gegensatz der Lustgefühle den 
Willen bestimmen; sonst wäre es unmöglich, dass der 
Mensch das Bessere erkennt und doch das Schlechte 
thut, wie Sp. selbst sagt (lY. L. 17 E.). 

Am Schluss der E. berührt Sp. den Trost gegen Leiden, 
welcher in der Erkenntniss der Noth wendigkeit alles 
Geschehens liegt. Es ist dies nicht der blinde Fatalismus, 
der dabei die Begriffe von gut und schlecht als absolute 
festhält und das Dasein des Schlechten nur mit der 
Nothwendigkeit entschuldigt; sondern es ist jene aus 
der vollen Erkenntniss des Weltganzen hervorgehende 
Euhe, bei welcher die Begriffe von gut und schlecht 
ganz verschwunden sind. Es bleibt dann nur der Schmerz 
als solcher zu bekämpfen, und dafür giebt die Vorstellung 
seiner Unvermeidlichkeit allerdings einen Trost, wenn- 
gleich nicht in dem Extrem, wie die Stoiker meinen. 
Diese Macht des Denkens über die Affekte und den Schmerz 
bildet den Inhalt des V. Theils der Ethik; Sp. nimmt 
sie nur als eine beschränkte. 

Sil ABllftIl|[ S. 5. Sp. erkennt in dem Beginn des 
Anhangs selbst an, dass die Lehrsätze dieses IV. Theiles 
nicht übersichtlich geordnet sind, sondern nur nach Art 
der Geometrie so, dass der spätere aus den frühem be- 
wiesen werden kann. Man vermisst deshalb die leicht fass- 
liche und übersichtliche Ordnung des Inhaltes bei Sp. 
Er hat der Methode diese Uebersichtlichkeit zum Opfer 
gebracht, ohne doch die Gewissheit und die Allgemeinheit 
der Beweise, wie in der Geometrie, zu erreichen. 

Die S. 1—5 setzen ausdrücklich die Erkenntniss 
als das Ziel des sittlichen Handelns; Alles erhält seinen 



158 IV. TheiL 82-84. (Anhang & 6. 7. 8. 9. 10— la) 

sitüichen Werth nur nach dem Masse, als es dieses Ziel 
befördert oder nicht. Macht, Grlück, Seelenrahe sind nach 
Sp. nicht etwas Besonderes neben dieser Erkenntnis«, 
sondern mit ihr identisch oder mindestens untrennbar. 
Die Seligkeit besteht in dieser Seelenruhe. Die Bedenken 
gegen diese üeberschätznng der Erkenntniss sind oben 
dargelegt worden. Auch bei ihr kann ein Uebermass 
einketen, and die Last aas dem Wissen (Aesthetik L 97) 
bedarf ebenso wie jede andere ihrer Grenzbestinunong, 
Aber die hinaas sie ein Fehler wird. Nar die falsdieii 
Definitionen, Yon denen Sp. aasgeht, können dies yerdeck^L 

82. APhüD^ S« 6. 7. Aach diese Sätze, mbn nor 
aaf den fiJschen Definitionen. An sich ist es anb^^reif- 
lich, weshalb ein gemeinsames Handeln, bei dem der 
Mensch entweder seinen Nebenmenschen oder die Nator- 
krafte mitbenutzt, am einen Erfolg za erreichen, als ein 
Leiden gelten and nicht za dem Guten gehören soll. 
Nach Sp. ist nur das gut, was aus der "Natur des ein- 
zelnen Menschen allein, als seiner zureichenden Ursache 
folgt. Sp. hat Tielleicht das gemeinsame Handeln und das 
bewusste, absichtliche Benutzen der Natorkräfle in 
seinen Begriff des Leidens nicht einschliessen wollen, 
aber nach seinen Worten hat er es gethan. 

83. Anliailg 8. 8. 9. Wichtig ist in S. 8 der Zu- 
satz: nach seiner Meinung. Sp. hat bisher nur das 
für gut erklart, was aus der Yemunft; oder der Erkennt- 
niss, d. h. aus der Wahrheit folgt; hier soll auch das 
aus der Meinung Folgende recht sein. Dieser Wider- 
spruch ist indess nur die Folge eines nachlässigen Sprach- 
gebrauchs. Li der Totalität der Natur ist Alles notiiwen- 
dig, und also auch dies durch die Meinung bestimmte 
Handeln; mit Bücksicht auf die Natur des Menschen 
und danach gemessen, genügt aber die Meinung nicht; 
da ist nur das Yemün&ge gut. Sp. hätte das Wort 
»Becht« nicht für das Handeln aus der Meinung ge- 
brauchen sollen. 

84. Anhang 8. 10—13. Diese Satze zeigen, dass 
Sp. weit entfernt ist, in seiner Ethik das I^al eines 
Staates oder einer Gesellschaft darzulegen, dem die Mensch- 



IV. Theil. 85. (Anhang S. 14-17.) 159 

heit nachzustreben habe. Sp. weiss, dass alles Handeln 
nothwendig ist, und dass deshalb die Welt dturch solche 
«Ideale nicht ge&ndert werden kann. Seine Ethik ist 
deshalb nnr beschreibend; erzeigt, was dem Menschen 
in dem Handeln und Verhalten zu einander nützlich ist, 
und was schädlich; genau so wie ein Oekonom lehrt, was 
der Getreidepflanze filr ihre Entwicklung nützt oder schadet. 
Sp. ist aber weit enfemt, aus dieser Erkenntniss Gebote 
für das menschliche Handeln abzuleiten. Sp. sucht nur 
die Erkenntniss zu stärken und zu erweitern; das.Febrige* 
findet sich dann nach seiner Ansicht von selbst. 

Wenn dagegen eine Ethik das sittliche Handeln aus 
den Geboten der sittlichen Autoritäten ableitet, wie dies 
in dem realistischen Systeme geschieht, so bilden diese 
Gebote zwar den Inhalt der Ethik und für das Leben die 
Motive des Handelns ; aber dennoch stimmt solche realisti* 
sehe Auffassung mit Sp. darin überein, dass sie als Wis- 
senschaft sich der eigenen Gebote ganz enthält. Nach 
dem realistischen System wird das sittliche Handeln durch 
die Gebote der Autoritäten bestimmt, aber diese Gebote 
gelten und. wirken nicht, weil sie wahr oder yemünftiig 
sind, sondern weil sie von Wesen mit unermesslicher 
Macht, d. h. von erhabenen Autoritäten ausgehn. Die 
Wissenschaffc hat deshalb an diesen Geboten ihren In- 
halt; aber sie selbst fügt keine eigenen Gebote hinzu, 
weil sie nicht zu den Autoritäten gehört, und deshalb 
ihre Gebote nicht die sittliche Natur erlangen. Nur die 
idealistischen Systeme verkennen die Natur des Sittlichen, 
und indem sie meinen, das Sittliche sei ein Wahres, was 
seinem Inhalte nach aus der Vernunft abgeleitet wer- 
den könne, stehn sie nicht an, ihre Bücher mit eigenen 
Geboten und sittlichen Aussprüchen anzufüllen, die aber 
erfolglos verhallen. 

85. Anbang S. 14—17. in S. 16 wird die Furcht 
als ein unzuverlässiges Motiv der Eechtlichkeit dargelegt ; 
dennoch wird die Staatsverbindung von Sp. nur auf die 
Furcht gegründet. Dies ist kein Widerspruch, weil der 
Staat bei Sp. nur ein Nothbehelf für die Unfreien ist, 
und der Freie des Staates nicht bedarf. 

Die Schwierigkeiten bei der Armenpflege übergeht 
Sp. ; wahrscheinlich hat er sie auch übersehn. Auch hier 



160 IV. Theil. M~89. (Anhang S. 18—20. 25. 29. 32.) 

handelt es sich um Kollisionen yerschiedener Tugenden. 
Jede Armennnierstntznng ist g^t, weil sie dem Armen 
das Leben, die Kraft erhalt, und jede Unterstützung ist 
schlecht, weil sie dessen Th&tigkeit und Eleiss lämit, 
sobald er sicher auf die Unterstützung rechnen kauu. 
Daher die Schwierigkeiten, mit welchen die {resellschafteii 
bei dieser Aufgabe zu kämpfen haben. Gegenüber den- 
selben zeigt sich die grosse Dürftigkeit solcher Sätze, 
wie die hier in S. 17, die nur möglich sind, weil der 
'Autor die Schwierigkeiten gar nicht bemerkt. 

86. Anhang 8. 18—20. Wenn selbst die Liebe 
und die geschlechtliche Gemeinschaft nur aus der IWiheit 
der Seele hervorgehn soll, d. h. aus der Erkenntnis und 
Seelenruhe, so sind damit die Affekte hierbei ausgeschlossen ; 
die Ehe, die Begattung ist dann eine kalte widerliche 
Aktion des Verstandes. Aus diesem Beispiel ei^ellt, wie 
auch die Erkenntniss ihre Schranken gegen die Affekte 
hat, und wie auch hier Alles auf die Grenzbestimmung 
zwischen den einzelnen Tugenden ankommt. 

87i Anhang S. 25. Hier kehrt der falsche, oben 
(S. 151) gerügte Gegensatz wieder. Das Lob der Tagend 
schliesst den Tadel des Lasters nicht aus; Eines ist so 
nothwendig und nützlich als das Andere; aber Beide 
können in ein Uebermass yerfallen, was sie zu einem 
Pehler macht. 

88. Anhang S« 29, Auch hier tritt der Weise, 
nur der Erkenntniss Lebende, als das Musterbild Sp.'s 
hervor. Es ist dies die Einseitigkeit der Philosophen; 
was von ihnen gilt, erheben sie zur Eegel für Alle. 
Wenn alle Menschen nur nach der Erkenntniss im Sinne 
Sp.'s streben und sonst sich auf das Nothwendige (We- 
nige) beschränken wollten, so wären die Nationen nie 
zum Reichthum gelangt, urid doch hat erst dieser Eeich- 
thum den Ausbau der Wissenschaften und die Erkenntniss 
möglich gemacht. So geniessen die Philosophen die 
Früchte des Eeichthums in Gemächlichkeit und lassen 
dabei nicht ab, gegen denselben zu predigen. 

89. Anbang S. 32. Der hier for das Unglück und 
den Schmerz gebotene Trost der Unvermeidlichkeit des- 



lY. Theil. 90. (Schloss des. IV. Theiles.) 161 

selben ist allerdings nicht yermogend den Schmerz selbst 
anfztiheben; auch sagt Sp. dies nicht; allein er enthält 
doch eine Beruhigung , die namentlich alles unnütze 
Klagen und alle Vorwürfe gegen die Vorsehung u. s. w. 
fernhält. Die Beligion kann allerdings einen grössern 
Trost bieten, indem sie den Unglücklichen auf die Selige 
keit in jener Welt verweiset. Die Philosophie vermag 
dies nicht; es ist wesentlich , dass sie dies weiss und 
offen anerkennt; sie kann nur die Wahrheit bieten, und 
es ist ein Zeichen von Sp.'s Geistesgrösse, dass er schon 
vor zweihundert Jahren dies offen ausgesprooben hat. 

90. SoUiiss des IVi Theiles. Mit diesem iv. 

Theile ist die Ethik Sp.'s, so weit sie nach seinem System 
überhaupt möglich ist, abgeschlossen und vollendet. Im 
y. Theile folgen nur noch einzelne psychologische und 
pädagogische Mittel, um das Gute sicherer zu verwirk- 
lichen und die Lehre von der in dem vernünftigen Han- 
deln liegenden Seligkeit und Unsterblichkeit. Die eigent- 
liche Tugendlehre ist ausschliesslich in diesem IV. Theile 
gegeben. Das sittliche Prinzip ist danach die Er- 
kenntniss; das Sittliche wohnt deshalb nur der Seele 
inne; Alles, was zur Erkenntniss führt, ist gut; das 
Gegentheil schlecht Aus der Erkenntniss allein folgt 
das Handeln und die Freiheit des Menschen. Nur 
der in der Vernunft Handelnde, d. h. der der Erkenntniss 
folgende Mensch ist frei. Zugleich enthält dieses Han- 
deln die Verwirklichung des Wesens und der Macht 
des Menschen und ist deshalb auch die höchste Fröh- 
lichkeit und das Nützlichste. So fallen alle jene 
Ziele, welche andere Systeme einzeln verfolgen, bei Sp. 
in eines zusammen; sie sind sämmtlich identisch oder 
wenigstens untrennbar von der Erkenntniss. 

Indem in der Erkenntniss das Handeln und die 
Freiheit ebenso betont ist, wie die Fröhlichkeit und der 
Nutzen, kann man zweifeln, ob die Ethik Sp.^s zu den 
Systemen gerechnet werden darf, welche lediglich auf die 
Lust und den Nutzen erbaut sind; Sp. selbst schwankt 
in seinen Ausdrücken; bald ist die Selbsterhaltung und 
damit die Fröhlichkeit das Bechte und die Tugend des 
Menschen; bald stellt er als solches die Vernunft und 
die Erkenntniss hin. Dies ist nur deshalb kein Wider- 

Erl&uterangen za Spinosa^s Ethik. 11 



162 IV. Thefl. M. (Schloss des lY. Theües.) 

sprach, weil Fröhlichkeit^ Handeln, Freiheit und Erkennt- 
niss bei Sp. untrennbar sind, also jedes das andere ver- 
treten kann. 

Dabei stellt Sp. das Ideal eines Weisen nicht als das 
Ziel auf; Sp. weiss, dass kein Mensch aus seinem Wesen 
und ans der allgemeinen Ordnung der Natur heraus kann. 
Deshalb verdammt Sp. nicht die leidenden Affekte und 
das Laster; er zeigt nur, dass jene dem üebermass aus- 
gesetzt sind, und beide einen geringeren Grrad von Glück 
gewähren. 

Mit dei^ vollen, das Ganze erfassenden Erkenntniss 
verschwinden die Begriffe von gulAmd schlecht; Alles 
ist dann nur die nothwendige Folge von dem ewigen und 
unendlichen Wesen Gottes. Gut und Schlecht sind nur 
verworrene Vorstellungen, weil sie' das Einzelne nicht 
in seinem Zusammenhange mit Gott und der Welt, son- 
dern vereinzelt und nur in Beziehong auf den Menschen 
auffassen. 

Die Bedenken gegen dieses System sind bei den ein- 
zelnen Lehrsätzen oben dargelegt worden. Trotz dieser 
Bedenken muss die Grossartigkeit der Grundgedanken 
bewundert werden; je langer man bei ihnen verweilt, 
desto mehr fohlt man sich von ihnen erfasst und ange- 
zogen. Trotz des mangelhaften Ausdrucks liegen ihnen 
tiefe Wahrheiten zu Grunde. Leider sind diese von der 
spätem Philosophie nicht aufgenommen und fortgebildet 
worden. Selbst Hegel steht in der Ethik Sp. fem. 
Das Sittliche ist bei Hegel wieder das Absolute, nicht 
das Verworrene und Mangelhafte. Dennoch liegt gerade 
in diesem Gedanken die Grösse Sp.'s Aller Fortschritt 
in der Wissenschaft des Sittlichen (nicht im Sittlichen 
selbst) kann nur in einer Entfaltung und klaren Begrün- 
dung dieses Gedankens bestehn. Ein Anfang dazu ist 
anderwärts (B. IX. dieser Bibliothek) versucht worden. 



V. Theil. 1—3. (Vorrede. A. 1. A. 2.) IßJ 



Fünfter Tbeil. 

Von der Macht des Verstandes oder der 

menschlichen Freiheit. 



1. VorrodO. Die Ueberschrlft dieses und des vierten 
Theiles ist nicht ganz richtig. Der vierte Theil handelt 
ZQ seinem grösseren Theile schon von dem dnrch die 
Vernunft bestimmten Handeln, d. h. von der Freiheit. 
In diesem fünften Theile werden nur einzelne Mittel 
untersucht, durch welche die Macht der Vernunft über 
die Affekte gesteigert werden kann. 

Deshalb ist auch der erste Satz der Vorrede unwahr. 
Der Begriff der Freiheit .ist bereits im vierten Theile 
gegeben. 

Die von Sp. in dieser Vorrede gegebene Widerlegung 
von C ar t e s i u s ' Hypothese über die Verbindung zwischen 
Seele und Körper mittelst der Zirbeldrüse wird jetzt 
Niemand bekämpfen; allein die Einheit, welche Sp. dafür 
zwischen Seele und Körper in dem Farallelismus ihrer 
Zustande gesetzt hat, ist nicht minder grossen Bedenken 
unterworfen, wie früher dargelegt worden. 

2. Ä. 1. Dieser Satz folgt aus III. L. 5, wo der 

Begriff des Entgegengesetzten gegeben worden ist. 
Der Satz ist nicht unbedingt wahr; zwei Kräfte, z. B. 
die zwei gleichen Gewichte in einer Wageschale sind 
einander entgegengesetzt und der Druck oder die Buhe 
der Wageschale wird nur durch das Fortbestehn beider 
entgegengesetzten Kräfte bedingt. Ueberhaupt enthalt 
der Begriff des Druckes das Gegentheil von diesem Axiom. 

3. A. 2. Dieses Axiom folgt weniger aus III. L. 7, 
als aus der Definition der Ursache I. A. 3. 4. Weil diese 
Definition aber falsch ist, ist es auch dieses Axiom. Nur 
bei der Bewegung wird in der modernen Physik dieses 

11* 



164 ^' "^^^ *-*' (L. 1 B, L. 2 6. L. 3 B. Z.) 

Axiom festgehalten; daher der Satz, dass die Samme der 
Bewegung oder Kraft in der Welt ebenso wenig sich 
vermehrt oder vermindert wie der Stoff. Aber der Satz 
hat keine Gültigkeit f&r die ursächliche Yerbindung 
zwischen Körper und Seele, . welche Spinoza allerdings 
nicht kennt. 

4« Li 1 B. Man hat bei diesem L. 1 und seinem B. 
Mühe, den kausalen Einfluss zwischen Körper und Seele 
fem zu halten. Sp. kennt nur ein Parallel-Laufen der 
Zustande in beiden, was aber, wie dieser L. zeigt, hier 
nur noch in den -Worten von der Ursächlichkeit verschie- 
den ist IJebrigens ergeben die L. 29. 30. 31 dieses 
Theils y., dass L. 1 nicht blos vom bildlichen Vorstellen 
(inuiffinari) zu verstehn ist, sondern auch von der Er- 
kenntniss des Wesens der Dinge. Bisher hat Sp. diesen 
Farallelismus zwischen Körper und Wesen nur für das 
bildliche Vorstellen dargelegt und erläutert (S. 63), aber 
nach y. L. 29—31 sind auch die ewigen Wahrheiten 
und die dritte Ordnung des Wissens an Körperliches ge- 
bunden und laufen mit dem Weden des eigenen Körpers 
parallel; eine Hypothese, deren bestimmtere Gestaltung 
noch grosse Schwierigkeiten bietet, da das körperliche 
Bild von dem Wesen des Körpers (V, L. 31) ein schwer 
zu fassender Gedanke ist. 

5. L. 2 B* Dieser L. 2 ist richtig; allein die 
ganze Bedeutung lieget in dem: Wenn. Es fragt sich, 
wie soll die Seele es anfangen, von dem Gefühl die Vor- 
stellung seiner Ursache zu trennen, z. B. von der Üebe 
die Vorstellung des Geliebten? Darüber bleibt Sp. die 
Antwort schuldig, und doch ist ohnedem der L. werthlos. 
Er widerspricht überdem der Nothwendigkeit, mit der 
nach Sp. die einzelnen Vorstellungen in der Seele sich 
unabänderlich folgen. 

Dieser L. 2 bildet das erste Mittel, wodurch nach 
S|{. der Verstand seine Macht über die Affekte ausübt 

6. L. 3 B. Zt Dieser L. 3 bezeichnet das zweite 
Mittel gegen die Affekte. Der B. ist aber schwer zu 
verstehen. Wenn eine Vorstellung verworren ist, so ist 
nicht wohl abzusehn, wie eine Vorstellung von dieser 



V. Thefl. 7. 8. (L. 4 B. Z. E.) 165 

Yorstellnng klar und bestimmt oder zureichend sein kann. 
Die Yorstellung der Vorstellung ist doch nur das Wissen 
von ihr selbst oder das Bewusstsein derselben, und des- 
halb von ihr nicht unterschieden. Ist nun die Vorstellung 
selbst verworren, s<f ist es auch das Bewusste darin. 
Die Meinung Sp.'s kann nur dann verstanden werden, 
wenn man den Affekt als einen seienden Zustand der 
Seele gelten lässt. Von einem solchen kann eine zu- 
reichende Vorstellung gebildet werden, aber nicht von 
einer verworrenen Vorstellung. Sp. meint wohl, dass 
die Erkenntniss der Natur der Affekte überhaupt, ihrer 
Zufälligkeit, ihrer Unsicherheit, ihrer Geföhrlichkeit dazu 
dient, den einzelnen in der Seele auflodernden Affekt zu 
hemmen und ihm seine Kraft zu nehmen. Deshalb ge- 
braucht Sp. in dem Z. das Wort: bekannt. Diese An- 
sicht ist in vieler Beziehung wahr; obgleich nicht von 
so grossem praktischem Gebrauche, als Sp. meint. Denn 
solche Erkenntniss setzt schon eine Seelenruhe voraus, 
welche sich mit der Natur des Affektes schwer verträgt. 
Ist der Affekt stark, so kann diese Erkenntniss nicht 
Platz greifen, und ist die dazu nöthige Seelenruhe ge- 
wonnen, so ist der Affekt schon gezähmt, und es bedarf 
der Erkenntniss seiner Natur nicht noch ausserdem. 

7. L. 4 B. Z. Dieser L. 4 will den L. 3 erläutern. 
Der B. ist aber dürftig; denn nach II. Ln. 2 hinter 11. 
L. 13 besteht das Gemeinsame der Körper-Affekte nur in 
dem Attribut der Ausdehnung und in der Kühe oder Be- 
wegung. Diese beiden Bestimmungen sind aber sehr arm 
an Inhalt, und wenn mau nur dieses von den Affekten 
klar erkennen kann, so ist die Eigenthümlickeit der 
Affekte damit lange nicht erschöpft und die Erkenntniss 
noch sehr unvollständig. 

Der Z. ist sehr dunkel, eine Folge der Dunkelheit 
von L. 3, welcher nicht abzuhelfen ist, da Sp. die Affekte 
der Seele nicht als seiende Zustände, nicht als Gegen- 
stände des Vor Stollens behandelt, sondern als Vorstel- 
lungen selbst. 

8. E. zn L. 4. Der erste Theil dieser E. bestätigt 
die Erläuterung, welche unter No. 6 von L. 3 gegeben 
worden ist. Der Sinn beider von Sp. hier behandelten 



166 V. Theo, •• (L. 5 R) 

Hfllfsmittel gegen die Affekte ist der, dass die Seele 
Yon dem Affekt zu dem Nachdenken fibergehen soll. 
Allein in diesem Mittel wird schon seine Wirkung anti- 
zipirt; ist dies Nachdenken dem vom Affekt erfassten 
Menschen möglich, so ist auch de» Affekt selbst sdion 
fiberwnnden. Die ganze Schwierigkeit liegt in diesem 
TJebergange ond da^r giebt Sp. kein Mittel an. Sp. hat 
dabei wohl nnr an seine eigene Natur gedacht; er war 
durch seine Kränklichkeit, durch sein einsames, in das 
Nachdenken versunkene Leben den Affekten weniger aus- 
gesetzt; sein Drang nach Erkenntniss, als Charakter- 
zug, schfitzte ihn gegen die Affekte. Bei der Schwäche 
der in ihm auftretenden Affekte und bei der Starke seiner 
Liebe zur Erkenntniss war bei ihm allerdings es ausführ- 
bar, dass jene durch diese gemässigt und gehemmt wer- 
den konnten. Allein diese Eigenthumlichkeit des Philo- 
sophen ist bei andern Menschen selten vorhanden, und 
deshalb sind bei diesen jene Mittel von geringem Erfolge. 
Deshalb ist eben das sittliche Gefühl, die Achtung 
so wichtig f&r das menschliche Handeln. In der Ach- 
tung vor den Geboten der erhabenen Autoritäten ist ein 
Geföhl enthalten, welches den Gefühlen der Lust oder 
den Affekten an Stärke nicht nachsteht, und welches 
deshalb weit kräftiger den Verlockungen der Sünde sich 
entgegenstellt als die blosse Lust aus dem Wissen, auf 
welche die von Sp. vorgeschlagenen Mittel hinauslaufen, 
und welche bei den wenigsten Menschen in einem erheb- 
lichen Grade besteht (Aesthetik I. 97). 

Der n. Theil der E. ist zweideutig. Es scheint 
demnach, als wenn das Sittliche gar nicht in dem Inhalte 
des Handelns, sondern nur in seiner Ursache enthalten 
sein soll. Sp. hat dies vielleicht so gemeint; allein die 
angebliche Gleichheit in dem ersten, den Ehrgeiz be- 
treffenden Fall trifft nicht den Inhalt, da jeder von beiden 
bei dem: »Nach seinem Sinne leben« ein anderes Han- 
deln im Sinne hat. Das Sittliche und Unsittliche ist 
vielmehr allemal im Inhalte verschieden, sobald die be- 
treffende Handlung in ihrer Totalität aufgefasst wird, 
und nicht blos Einzelnes herausgerissen wird. 

9. L« 5 B. Der B. beruht darauf, dass die Seele 
bei der Vorstellung des Nothwendigen, Zufalligen und 



V. Thefl. 10. (L. 6 B. E.) 167 

Möglichen noch an Anderes als an den Gegenstand selbst 
denkt, oder: dass der Gegenstand dann nicht als die 
alleinige Ursache des Affektes vorgestellt wird. Den- 
noch ist der L. 5 unwahr, da Sp/s Definitionen der Liebe 
und des Hasses falsch sind. Die Liebe geht von der 
Lnst des Geliebten aus; diese bestimmt den Affekt des 
Liebenden. Die sonstigen Beziehungen und Zustände des 
Geliebten sind gleichgültig. Deshalb kann ich eine Sclavin 
heftig lieben und eine Freie hassen, obgleich Beide mir 
dieselbe Wohlthat erwiesen haben, also Ursache der 
gleichen Fröhlichkeit sind. 

10. L. 6 B. B, Der L. 6 ist in Wahrheit der höchste 
Trost, welchen die Philosophie gegen das Leiden und den 
Schmerz bieten kann. Es ist deshalb von Interesse, zu 
erfahren wie Sp. diesen Satz begründet. Da ergiebt sich 
d^n allerdings nur eine sehr mechanische AblMtung. 
In dem Begriffe des Nothwendigen ist nach Sp. die ganze 
unendliche Beihe der wirkenden Einzeldinge mit gesetzt, 
folglich zerstreut* sich die Seele, wenn sie an diese 
Vielen bei ihrem Schmerze denkt. — Allein gegen diese 
Ausführung spricht, dass das Nothwendige eine Wis- 
sensart ist, welche in die Seele eintreten kann, ohne dass 
die Gründe der Nothwendigkeit in das Wissen mit ein- 
zutreten brauchen (E. 62). Sodann ist der Affekt eben 
mehr als ein Vorstellen; er ist ein Fühlen, und von 
dem Vorstellen höchstens nur erweckt Die Erklärung 
des Sp. kann deshalb nur dem genügen, der streng an 
Sp.'s früheren Sätzen festhält. 

Die beruhigende Wirkung der Nothwendigkeit wirkt 
nach der Erfahrung mehr bei dem Schmerz, als bei der 
^Ereude. Hier erscheint sie ohne Einfluss auf deren Stärke; 
im Gegentheil, ein Spieler erfreut sich um so mehr seines 
Gewinnes, je mehr er ihn als das nothwendige Ergebniss 
seiner Berechnungen nimmt. Wenn bei dem Schmerz 
die Nothwendigkeit eine Milderung bewirkt, so liegt dies 
nur in der Abhaltung aller, den eigentlichen Schmerz 
verstärkenden Affekte, die ohnedem leicht hinzutreten. 
Insbesondere sind es die Vorwürfe gegen sich oder Andere^ 
gegen den Arzt, der das Kind hätte retten können ; gegen 
den General, der die Schlacht hätte gewinnen können u. s. w., 
welche als solche Verstärkungen des Schmer2es in den 



168 V. Theil. 11-13. (L. 7 B. L. 8 B. L. 9 B. L.-10 B. E.) 

meisten Fällen sich eindrängen, aber durch den Gedai&en 
der Nothwendigkeit des üebels abgehalten werden. 

Eine weitere Begründung dieses wichtigen L. 6 wird 
nicht möglich sein. — Das Beispiel Sp.'s mit den kleinen 
Kindern ist falsch; denn diese Kinder leiden keinen 
Schmerz und sind meist glücklicher als die Grossen; sie 
bedürfen deshalb nicht de» in der Nothwendigkeit liegen* 
den Trostes. Dies würde selbst für den Fall gelten, dass 
nicht alle als Kinder geboren würden. Nur das falsche 
ürtheil der Erwachsenen, welche die Zustände der Kinder 
nur nach ihrer eigenen Empfänglichkeit benrtheilen 
(Aesthetik I. 107), kennte bei diesen ein Bedauern ver- 
anlassen, was aber ohne Grund wäre. Der Schmerz ist 
ein Positives und nicht bloss ein Beziehungsurtheü, was 
seine Grundlage, wechseln könnte. 

IL L. 7 B. Der B. beruht auf dem Sp. eigenthüm- 
lichen Begriff des Gemeinsamen. Nur dieses bildet den 
Gegenstand des Erkennens; das Gemeinsame ist aber in 
allen Einzelnen enthalten, also immer gegenwärtig und 
deshalb kann es die aus dem bildlichen Vorstellen ent- 
springenden Affekte überwinden, deren Gegenstände nicht 
immer gegenwärtig sind. — Man sieht, auch diese Er- 
klärung ist s^ mechanisch. Der Satz verliert übrigens 
schon deshalb an seiner praktischen Bedeutung, weil das 
Gemeinsame, was immer gegenwärtig ist, nur die zwei 
Attribute Gottes und die Bewegung und Buhe umfasst; 
diese wenigen Bestimmungen sind aber so inhaltsleer und 
abstrakt, dass sie von den meisten Menschen gar nicht 
als solche besonders gefasst werden, und in keinem Falle 
gegen die Affekte etwas vermögen. 

12- Li 8 B. L. 9 B. K 8 gilt nur, wenn die ein- 
zelnen Ursachen in ihrer Wirksamkeit sich gleich steim. 
Der B. von L. 9 gelingt nur, weil nach Sp. die Affekte 
der Seele Vorstellungen sind und zum Wissen der 
Seele gehören. Sind sie aber seiende Zustände, so 
fehlt der Beweis, und dass sie dies sind, ist leicht nach- 
zuweisen (Aesthetik I. 4). 

13i L« 10 B. El Wenn man den Inhalt dieses L. 10 
in die gewöhnliche Sprechweise übersetzt, so sagt er, 



V. Theü. 14. 15. (L. 11 B. L. 12 B.) 169 

dasB der besonnene Mensch vermag nach Grundsätzen 
zu handebi. Dies ist gewiss richtig; denn die Besonnen- 
heit ist eben jener Zustand, wo keine sonstigen Affekte 
dem Nachdenken und üeberlegen hindernd in den Weg 
treten. Die Besonnenheit ist aber selbst ein seiender 
Zustand und bezeichnet eben jenes Gleichgewicht der 
Gefahle und Begehren, wo kein einzelnes die Uebermacht 
besitzt. Sp. dagegen kennt nur wissende Zustande in 
der Seele. Deshalb gilt ihm Alles als schlecht, was das 
Erkennen hindert; ein Satz, der in dieser Allgemeinheit 
nicht aufrecht zu halteiiii ist, wie oben (S. 162) gezeigt 
worden ist 

Die E. bespricht ein pädagogisches Mittel. Der Mensch 
soll in Zeiten der Buhe über das rechte und nützliche 
Handeln nachdenken und diese Grundsätze an Beispielen 
des Lebens sich yeranschaulichen und einprägen; dann 
werden solche Grundsätze sich auch in Zeiten der Auf- 
regung «wirksam zeigen. Dieses ist zwar nicht genau 
der Gedanke des L. 10, indess ist es ein Schutzmittel, 
freilich nur ein schwaches. Der weit stärkere Schutz 
gegen die Affekte liegt in den sittlichen Gefühlen, 
welche aus den Geboten der Autoritäten entstehn und 
den Affekten der Lust weit kräftiger entgegentreten kön- 
nen, als jene blossen Hebungen des Gedächtnisses, von 
denen Sp. spricht. 

14. L. 11 B. Es bleibt dunkel, was Sp. hier unter: 
beziehn (referri) versteht. .Es kann das Gemeinsame 
im Sinne Sp.'s gemeint sein (das Begriffliche, E, 16) oder 
auch das mit dem Bude durch Beziehungen Verbundene, 
also seine Ursache; erst die folgenden Lehrsätze erläutern 
dies. Unter Bild ist hier das Körperliche zu ver- 
stehn, welches mit dem bildlichen Vorstellen correspondirt 
(II. L. 17). Man trifft Wohl den Gedanken Sp.'s am 
richtigsten, wenn man z. B. sagt: der Geldgeiz wird 
leichter erregt als die Leidenschaft, Bücher zu sammeln, 
denn das Geld bezieht sich auf mehr Dinge, als die 
Bücher. 

» 

15. L. 12 B. Dieser L. mit seinem B. zeigt, dass 
unter dem Beziehn des L. 11 auch das Gemeinsame 
gemeint ist. 



170 V. TheiL 10—19« (L. 13 B. bis L. 17 B. Z.) 

16« Lf 13 B. Dieser L. zeigt, dass in dem Be- 
zieh n des L. 11 anch die, nnr durch die Gesetze des 
Gedächtnisses in der einzelnen Seele Terbnndenen Yer- 
stellongen mit gemeint sind. 

17« L. 14 B, Der L. 14 klingt sehr bedeutend, 
weil der Leser nnter Gott in der Begel den Gott seiner 
Beligion yersteht. Allein der Gott, den Sp. meint, ist 
todt nnd kalt; er ist keine Person; er hat weder Verstand, 
noch Willen, noch GefQhl; er ist nnr der Inbegriff der 
zeitlosen Wesen der Einzeldinge, zn einem Ganzen ver- 
bunden. Aus diesem Gesammtwesen fliessen die endlichen 
Dinge als seine Zustände mit Nothwendigkeit ab. Der 
Gott Sp.'s gleicht mehr der Definition eines Kreises, aas 
der sich die Lehrsätze desselben ableiten, als dem Gott 
der christlichen Beligion. So verstanden, sinkt dieser 
L. 14 zu einem blossen Satz der Log^ herab. Wenn 
Gott durch seine Attribute in jedem Einzeldinge enthalten 
ist, wenn diese als Zustande ohne ihre Substanz, d. h. 
ohne Gott nicht gedacht werden k(tamen, so muss aller- 
dings jede Betrachtung eines Endlichen zur Yorstellung 
Gottes f&hren; dies ist dann ein blosses Denkgesetz. 

18. L. 15 B. Ii. 16 B. Auch diese Sätze ver- 
lieren ihre hohe Bedeutung, wenn man sie im Sinne Sp.'s 
versteht. Die Liebe in diesem Satze ist nicht die wahre 
Liebe, die in dem Glücke des Geliebten aufgeht^ sondern 
es ist nur die eigene Lust, mit der Yorstellung ihrer 
Ursache. Ist Gott nur das zeitlose Wesen der Dinge, 
so kann die menschliche Seele, als ein Znstand des Den- 
kens, Gott nur als die wissenschaftliche, das Wesen der 
Dinge enthaltende, ganz unpersönliche und gefahllose 
Wahrheit erfassen. Gott ist dann nur ein anderes Wort 
fär Wissenschaft und Philosophie, und so verwandeln sich 
beide Sätze in den einen: dass der Philosoph die Philo- 
sophie am meisten liebt, ein TJrtheil, was Kant nicht 
einmal als ein synthetisches wurde haben gelten lassen. 

19, L, 17 B« Z. L. 17 folgt unzweifelhaft aus den 
früheren Definitionen Sp.'s; allein da diese selbst will- 
kürlich sind, so schwebt das ganze System in der Luft 
und entbehrt der Bürgschaft, dass ihm das Seiende 



V. TheU. 20—22. (L. 18 B. Z. E. bis E. zu L. 20.) 171 

entspricht. Dieser Einwand trifft jedes System, welches 
die einzige Vermittlung zwischen Sein und Wissen ver- 
schmäht, welche dem Menschen in der Wahrnehmung ge- 
geben ist. Ist Gott nur ein System von ewigen Wahr- 
heiten oder Definitionen des Wesens der Dinge, je nach 
den zwei Attributen des Denkens und der Ausdehnung, 
so kann natürlich von Gefühlen bei Gott keine Eede sein. 
Der wahre Beweis dafür liegt darin, dass die Gefühle 
kein Wissen sind. Spinoza muss den Beweis aber anders 
führen. 

20. L. 18 B. Z. B. Auch bei diesen Sätzen muss 
man sich hüten, dem Worte Gott religiöse Vorstellungen 
unterzuschieben. Aber selbst im Sinne Sp.'s ist der Be- 
weis erkünstelt, weil der Lehrsatz III. L. 59, auf dem 
der Beweis wesentlich ruht, erkünstelt und bedenklich 
ist. Man muss übrigens festhalten, dass Sp. nur von 
denen spricht, die Gott erkennen, d. h. zureichende 
Vorstellungen von ihm haben; für das bildliche Vorstellen 
von Gott gilt der Satz nicht; da ist ein Hass Gottes sehr 
wohl möglich. 

21. L- 19 B. Die Liebe Gottes ist nach Sp. nur 
in der Erkenntniss Gottes; diese weiss eben, dass Gott 
keine Affekte hat, folglich kann sie auch keine Gegen- 
liebe wollen. 

21b. L. 20 B. B. Auch hier halte man fest, dass 
unter der Liebe zu Gott die Freude an der Philo- 
sophie zu verstehn ist, nichts weiter. Nur weil das 
Wissen des einen Menschen nie durch das Wissen der 
andern beschränkt werden kann, folgt der L. 20. Auch 
hier liegt die hohe Bedeutung des Satzes nur darin, dass 
unter Gott der religiöse, persönliche Gott yerstanden, 
d. h. dass der L. 20 missyerstanden wird. 

22. B. za L. 20. Der zweite Satz der E. bestätigt, 
dass es sich bei den von Gott handelnden Sätzen L. 14 
bis L. 20 nur um die Erkenntniss der Wahrheit handelt, 
und dass diese Sätze nur als Mittel gegen die Affekte 
von Sp. hier geboten worden sind. In der Aufzählung 
dieser Mittel hat Sp. noch das wichtigste aus L. 6 über- 



1 72 V. TheiL 23—25. (E. zu L. 20 bis L. 22 B. L. 23 B. E.) 

sehn, nebmlich die Auffassung alles Greschehens als eines 
nothwendigen. 

23. B. ZU L. 20. Die übrigen Satze der E. wieder- 
holen das Lob der Erkenntnis s. Sie können nur gelten, 
wenn die Seele selbst nichts als ein Wissen ist, und die 
Gefühle und das Wollen der Seele zu blossen Yorstellun- 
gen umgewandelt werden. Ist diese Auffassung Sp.'s aber 
unwahr, so sinkt die Erkenntniss und die aus ihr fliessende 
Lust nur zu einer Art der Lust herab, welcher andere 
Arten, wie die Lust aus der Macht, aus der Ehre, aus 
der Schönheit, aus dem Leben u. s. w. mit gleichem Becht-e 
gegenüberstehn , und es fehlt völlig an einem Grunde, 
weshalb die Erkenntniss das höchste Ziel und das sitt- 
liche Prinzip für den Menschen sein soll. Selbst die 
Begriffe des Handelns und der Freiheit, welche Sp. 
nur in dem Erkennen findet, haben in ihrer richtigen 
Auffassung einen andern Sinn, wie oben (S. 117) gezeigt 
worden ist. Nur die unnatürlichen Definitionen, von 
denen Sp. ausgeht, konnten zu dieser ausschliesslichen 
Verherrlichung des Erkennens führen. 

Wenn Sp. im Schlusssatz dieser E. sagt, dass er mit 
dem Vorstehenden alle Mittel gegen die Affekte erschöpft 
habe, so hat er doch das wichtigste und mächtigste ver- 
gessen, nämlich das sittliche Gefühl der Achtung vor 
den Geboten der Moral und des Bechts. Ein grosser 
Theil dessen, was Sp. von der Macht der Erkenntniss 
oder des Denkens über die Affekte aussagt, hat seine 
Wahrheit nur darin, dass er das sittliche Gefühl mit dem 
Erkennen verwechselt. 

24. L. 21 B. Sp. geht mit diesem L. zu der Frage 
der Unsterblichkeit der Seele über. L. 21 und sein 
Beweis ist logisch richtig aus den früheren Definitionen 
abgeleitet; ist die Seele nur die Vorstellung ihres Kör- 
pers und nichts weiter, so kann man gegen diesen L. 
nichts einwenden, aber es steht ihm entgegen, dass diese 
Prämisse selbst eine Voraussetzung ohne Beweis ist. 

25. L. 22 B. L. 23 B. B. Der Kern von L. 22 
liegt in dem Worte Wesen. Dasselbe ist nach Sp. 
nicht ein Gemeinsames oder Begriffliches von vielen Din- 



V. Theü. 25. (L. 22 P. L. 23 B. E.) 173 

gen, sondern das Wesen ist so individuell wie die ein- 
zelne Sache; jenes ist nur frei von der zeitlichen Existenz 
der Sache; das Wesen der einzelnen Dinge steht ausser- 
halb der Zeit, ist ewig und fällt deshalb mit dem Wesen 
Gottes zusammen, dessen Inhalt es bildet. In diesem 
Sinne ist L. 22 zu fassen, und dann wird auch L. 23 
verständlich. Das Wesen der Seele, welche das zeitlose 
Wesen ihres Körpers spiegelt, ist vermöge seiner Zeit- 
losigkeit nothwendig dem Vergehn entnommen, was nur 
in der Zeit möglich ist; es fällt deshalb in Gott. 

üebrigens geht dieser B. weiter und beweist auch 
die Ewigkeit des Wesens des Körpers, der in Gottes 
Attribut der Ausdehnung enthalten ist und mit dem 
Inhalt des Attributes des Denkens parallel geht, so dass 
Sp. sagen kann: Beide sind Eins; der Unterschied föllt 
nur in die Auffassung ihrer. Doch bleibt auffallend, 
dass Sp. diese Unsterblichkeit des Körpers nach seinem 
Wesen nicht ausgesprochen hat. Es hindert ihn daran 
seine Definition des menschlichen Körpers, welcher in 
seinen Elementen fortwährend wechselt; deshalb scheute 
sich Sp., den schwer damit zu vereinenden Begriff des 
Wesens des Körpers in Bezug auf seine Ewigkeit weiter 
zu verfolgen. 

Da nach Sp. die Unsterblichkeit der Seele sich nur 
auf ihre wahre und zureichende Vorstellung von dem 
Wesen der Dinge beschränkt, das bildliche Vorstellen 
des Einzelnen aber mit dem Tode aufhört, so ist nur 
das wissenschaftliche oder philosophische Wissen der 
Inhalt der unsterblichen Seele, und sie kann deshalb von 
dem Wissen Gottes, welches denselben Inhalt hat, nicht 
mehr unterschieden werden. Deshalb ist die Seele, als 
erkennende, ein Theil Gottes selbst, und umgekehrt ist 
die Seele die Verwirklichung des Wissens Gottes. Dieses 
Ineinanderfliessen ist nicht abzuhalten; es wird später in 
L. 36 auch auf die Gefahle ausgedehnt. 

Man hat diese Einheit Gottes und der Menschen 
vielfach als die höchste Weisheit gepriesen, und Hegel 
hat sie- zur Grundlage seiner Philosophie genommen. 
Sie gewährt dem, nach Vereinigung mit dem Unendlichen 
zugewendeten Gefühle der Liebe und der Ehrfurcht und 
Anbetung die höchste Befriedigung; deshalb wird diese 
Einheit von Allen, in denen das religiöse Gefühl zu einer 



174 V. Thea 26. 27. (L. 24—26. L. 27 B.) 

hohen Lebendigkeit entwickelt ist, mit Zähigkeit fest- 
gehalten; deshalb bildet sie auch die Grandlage der 
AofEjEussungen Schleiermacher' s. Allein dieses Alles 
kann das Denken nicht hindern, ihre Schwäche darzulegen; 
denn die Wahrheit kann nicht Yon dem Grefahl, sondern 
nur von den Fandamentalsätzen abhängen (E. 60. 68). 

Zunächst ist klar, dass die Persönlichkeit des Einzel- 
nen mit diesem Begiiff der Unsterblichkeit nicht bestehn 
kann; die einzelne Seele zerfiiesst zu einem Theile der 
wissenschaftlichen Wahrheit, dieses Wissen als ein för 
sich bestehendes, ausserhalb des Seienden, gedacht (Aesthe- 
tik I. 23). Damit ist der religiöse Begriff der Unsterb- 
lichkeit yemichtet, der an der lebendigen Persönlichkeit 
haftet; ebenso verlieren sich damit jene Trostgründe, 
welche die moderne Bildung aus dem Wiedersehn der 
Geliebten, aus der Fortdauer der Persönlichkeit, aus 
dem Wachsen der Erkenntniss in jenem Leben abgeleitet 
hat Die Unsterblichkeit der Seele ist bei Sp. zu einem 
blossen Wissen allgemeiner Wahrheiten herabgesunken, 
wie sie z. B. jedes Lehrbuch der Geometrie enthält. — 
Endlich ist die Hauptfrage, ob die Seele blos ein Wissen 
ist, und ob ein solches ohne Sein bestehn kann, von Sp. 
nicht gelöst, sondern nur durch willkürliche Definitionen 
umgangen, welche zwar den Grund zu seiner Hypothese 
enthalten^ denen aber der Beweis ihrer Wahrheit fehlt. 

26. L. 24. 25. 26, Da das Erkennen das Wesen 
der einzelnen Dinge erfasst, und das Wesen zu Gott 
gehört, so muss nothwendig die Erkeimtniss Gottes mit 
der Zahl der erkannten Einzeldinge zunehmen. Die in- 
tuitive Erkenntniss ist bei II. L. 40 erörtert. Sp. 
scheint ihren höheren Werth in die Unmittelbarkeit und 
damit in die grössere Stärke ihrer Gewissheit zu legen. 
Diese L. 24—26 zeigen, dass für Sp. die Erkenntniss 
oder das System der ewigen Wahrheiten mit Gott iden- 
tisch ist, sofern er unter dem Attribute des Denkens auf- 
gefasst wird. 

27. L. 27 B. Hier ist nicht die Seelenruhe des 
christlichen Frommen gemeint, sondern die Seelenruhe 
des Philosophen, der in seiner Erkenntniss und dem 



V. Theü. 28. 29. (L. 28 B. L. 29 B. E.) 175 

Glück, das sie gewährt, sich gegen jedes Unglück ge- 
nügend gesichert weiss, während der Fromme diese 
Sicherheit aus der Allmacht und Vorsehung Gottes ableitet. 

28. L* 28 B. In diesem L. liegt die Bechtfertigung. 
der Methode und des Systems von Sp. Während nach 
dem Prinzip des Bealismus da^ Sein und sein Inhalt nur 
durch Wahrnehmung erfasst und in das Wissen über- 
geführt werden kann, und das Allgemeine nur erst aus 
dem wahrgenommenen Einzelnen durch begriffliches Tren- 
nen ausgesondert und gewonnen werden kann, ist bei Sp., 
wie später bei Hegel, die Wahrnehmung vielmehr die 
Quelle des Irrthums und kein Mittel, die Wahrheit zu 
gewinnen. Diese entwickelt sich nur aus den Prinzipien 
oder aus der zureichenden Vorstellung der Attribute 
Gottes (V. L. 25), aus denen dann der weitere Inhalt 
oder das Besondere abfliesst in der Art, wie die geome- 
trischen Lehrsätze aus den Definitionen der Gestalten 
sich ableiten. 

Sp. hat in seiner Ethik ein Beispiel davon gegeben, was 
mit solcher Methode erreicht werden kann; es kann ein 
abschreckendes genannt werden; denn die grossen Wahr- 
heiten, welche in dem Werke eingehüllt liegen, sind nicht 
auf diesem deductiven Wege von Sp. gewonnen worden, 
sondern auf dem inductiven, nur dass er es sich selbst 
nicht gestehen will. 

Dieser Irrtlium. Sp.'s verdient Entschuldigung, denn 
Sp. stand am Ausgange der scholastischen Zeit; aber 
wanderbar muss die Wiederaufnahme dieses Prinzips unter 
dem Namen der dialektischen Entwickelung bei 
Hegel erscheinen, nachdem Kant kurz vor Hegel die 
scholastischen Begriffe so gründlich zerstört hatte. 

29. L. 29 B. E. Die Lehrsätze 24 bis 33 stellen 
die Natur des philosophischen Wissens dar. Wie später 
entschiedener bei Hegel, beginnt auch schon bei Sp. 
die Erhebung der Philosophie zu einem seienden 
Wesen; Hegel nennt sie die Idee, welche Wissen und 
Sein zugleich ist; Sp. nennt sie Gott, welcher das 
Wesen der Dinge ist; als Cogitatio im Wissen, als 
Ausdehnung im Sein. Alle diese Lehrsätze beschäftigen 
sich mit der Natur, der dritten Art des Wissens, welche 



176 V.ThÄÜ. 30. (L.30B.) 

Sp. auch das philosophische Wissen nennen könnte. 
Dieses Wissen giebt nach L. 27 die höchste Seelenrahe; 
es erfOllt die Seele ganz, so dass sie nnr strebt, dieses 
ihr Wissen auszudehnen (L. 25. 26); es ist dedactiyer, 
nicht indnctiver Natur (L. 28); es ist frei von der Zeit- 
lichkeit; sein Inhalt ist nur das zeitlose Wesen der Dinge, 
deren Totalität Gott ist. Diesem ewigen Wissen ent- 
spricht ein ewiges Sein in dem Wesen des Edrp^lichen. 
Sp. ist genöthigt, diesen Farallelismus zwischen Leib 
und Seele auch bis zu der dritten Art des Wissens aus- 
zudehnen. 

30. L. 30 B. Das philosophische Wissen kann 
deshalb Gott erkennen; Gott ist trotz seiner Unmdlich- 
keit der menschlichen Erkenntniss erreichbar. In der 
dritten Art des Wissens werden die Dinge in ihrer Ewig- 
keit, d. h. in ihrer Unendlichkeit erfasst, und da Gott 
mit dem Wesen der Dinge oder der Natur identisch ist, 
so erkennt damit die Philosophie Gott selbst; sie ist ihr 
eigener Gegenstand geworden. HegeJ schliesst seine 
Fhänomonologie mit dem gleichen Gedanken. Die Unend- 
lichkeit der vielen Attribute Gottes ist hierbei kein Hin- 
demiss, weil die Attribute in Wahrheit Eins sind und 
sich nur durch die Auffassung unterscheiden. 

Der alte Streit der Philosophie i&ber die Erkennbarkeit 
Gottes ist hier von Sp. bejahend entschieden. Später ist 
diese Erkennbarkeit Ton Kant und Schleiermacher 
wieder bestritten worden. Dieser Streit entspringt aus 
der Unkenntniss der Beziehungsformen. Das Unend- 
liche kann von der menschlichen Seele nur als Verneinung 
der Grenze oder des Bestimmten vorgestellt werden {E. 36) ; 
insoweit ist diese Vorstellung klar und von der mensch- 
lichen Seele erfassbar; aber sie bleibt ohne Inhalt; sie 
ist als Verneinung nicht das Bild eines Seienden, sondern 
nur eine Beziehung des Denkens. Allein die Seele ver- 
langt auch nach einem Unendlichen im Sein; es soll 
einen Inhalt haben, und so geräth sie in den Widerspruch; 
denn das Unendliche als ein Seiendes muss beschlossen, 
vollendet, fertig sein; aber das Unendliche kann von der 
menschlichen Seele nur als ein Nie-zu- Vollendendes ge- 
fasst werden. 

Man kann deshalb sagen, dass in jenem Streite beide 



V. Theil. 31. 32. (L. 31 B. E. L. 32 Z. L. 33 B. E.) 177 

Theile Becht haben; jäaa unendliche, als Verneinung, 
ist Yon der Seele zu fassen; das Unendliche als ein 
Seiendes ist der Seele unerreichbar. 

Sp. hat dieses Dilemma dadurch umgangen, dass er 
die Unendlichkeit nur als Beseitigung des Zeitlichen auf- 
fasst; deshalb ist ihm das zeitlose Wesen der Dinge 
schon das Unendliche. Man bemerkt leicht, dass diese 
Unendlichkeit nicht die unbedingte ist, sondern eine be- 
schränkte, und dass Sp.'s Erkenntniss des Unendlichen 
sich gerade auf den Inhalt richtet, welcher darin be- 
schränkt d. h. nicht unendlich ist. 

31. L. 31 B, E. Sp. sucht hier dem Einwurfe zu 
begegnen, dass das Unendliche von der endlichen Seele 
nicht erkannt werden könne. Für Sp. ist die in der 
dritten Art erkennende Seele selbst unendlich oder ewig. 

32. L. 32 Z. L. 33 B. E. Im L. 32 führt Sp. 
zuerst seinen höchsten Begriff ein, die geistige Liebe 
zu G^ott. Wenn man indess die gewöhnlichen Vorstel- 
lungen von diesen Worten fernhält und sie im Sinne 
Sp.'s fasst, so ist damit nur die Freude an 4er Philosophie 
bezeichnet; die Philosophie hat bei Sp. zugleich die 
Natur eines seienden Wesens angenommen. 

Da die Seele mit ihrer dritten Art des Wissens ewig 
ist, d. h. ausserhalb der Zeit steht, so kann sie auch 
keinen zeitlichen Anfang haben; wobei man indess nicht 
an eine unendliche Dauer, sondern nur an eine zeit- 
lose Existenz zu denken hat. 

Natürlich ist damit die Wahrheit dieser Sätz# für die 
realistische Auffassung nicht erwiesen; vielmehr erscheint 
eine ^Iche Abtrennung des Seins von der Zeit wohl im 
Denken ausführbar, aber ihre Möglichkeit im Sein ist 
damit noch nicht entschieden (E, 13). Es fehlt dafür 
aller Anhalt; nur die Wahrnehmung könnte diesen An- 
halt bieten; aber für das Zeitlose ist sie unmöglich. 

Es bleibt dabei auffallend, dass Sp. mit solchem 
Eifer für die Beseitigung der Zeit auftritt, während er doch 
den Kaum als ein Attribut Gottes behandelt, also zu den 
ewigen Wahrheiten rechnet. Zeit und Eaum laufen aber 
so parallel, dass dis Philosophie sie entweder beide als 
Schein behandeln muss, wie Kant thut, oder dass beide 

Erlänternngen zn Spinoza's Ethik. 12 



178 V.Thefl. Sft-S5. (L.84B.Z.E. L.35B. 1^96 BZ.) 

als seiend nnd gegenstiiidlieh genemmen w^^i mtussen. 
Die Aaffassung 8p.*8 kann noch als ein Best sdiolasti- 
scher Philosophie angesehen werden. 

33. L. 34 B. Si B. Der L. 34 ist tantologisch. Da 
nnr das Erkennen oder die znrMChenden Yorstellangen 
das Ewige der Seele aosmachen, ans rareichenden Yor- 
stellnngen aber nnr ein Handeln und nie ein Leiden folgt, 
so kann das Letztere nnr in dem bildlichen Vorstellen 
des Einzelnen seinen Sitz haben. 

Auch hier mnss man sich hMen, mit den Worten 
»Leiden nnd Handeln« die Begriffe des gewöhnlichen^ Le- 
bens zu verbinden. 

Sp. legt in dieser E. ebenso wie in der E. zn L. 23 
ein Gewicht fEtr seine Sätze darauf, dass die Menschen 
sich der Ewigkeit ihrer Seele bewusst seien'; die Men- 
schen sollen nach E. L. 23 diese Ewigkeit fühlen nnd 
erfahren. Indess ist dies kein Wissen, was auf eine 
innere oder äussere Wahrnehmung sich stützt, sondern 
was aus der religiösen Lehre, und Erziehung in den 
Glauben aufgenommen worden ist; ein solcher Glaube 
kann keinen Halt für die Philosophie bieten und nicht 
als Beweis angerufen werden. 

34. L. 35 B. Dieser L. 35 erhält seine ToUe Deut- 
lichkeit erst durch L. 36; beide verrathen gleichsam den 
letzten und geheimsten Gedanken Sp.^s, wonach Gott erst 
in dem Menschen wirklich wird; ein Gedanke, den Hegel 
wieder aufgenommen hat. 

35« L. 36 B. Z. Die Einheit zwischen Gott und der 
menschlichen Seele, welche dieser L. ausspricht, wird von 
Sp. zwiefach bezeichnet: als die Einheit der Theile mit 
dem Ganzen, und als Darlegung (explieaUo) Gottes 
durch das Wesen der Seele. Die erste Einheit ist eine 
Beziehungsform {E. 40), welche allgemein bekannt und 
verständlich ist, welche aber vielfach mit der seienden 
Einheitsform des Aneinander verwechselt wird. Die an- 
dere Einheit, die Darlegung Grottes durch die Seele, ist 
schwer zu verstehen; es ist derselbe (xedanke, der im 
zweiten Theile der Ethik viel vorkommt und dort bereits 
erörtert worden ist (S. 54). Dort konnte er auch als ein 



V. Theü. 35. (L. 36 B. Z.) 179 

theilweises und deshalb mangelhaftes Vorstellen (der Seele) 
angesehen werden, was in der Totalitat des göttlichen 
Vorstellens zwar enthalten ist, aber hier eben durch diese 
Totalität seine Ergänzung erhält und damit von dem. 
Mangel des Falschen befreit wird. Es liegt also auch 
dieser Einheit die Beziehungsform des Ganzen und der 
Theile unter. 

Eine solche Einheit wird aber schwerlich die begei- 
sterten Anhänger Sp.'s und des Pantheismus befriedigen; 
sie verlangen nach einer innigem, eindringendem Einheit 
zwischen Grott und der menschlichen Seele. Sp. gebraucht 
dafür auch die Worte: die Dinge sind in und durch 
Gott. Allein auch mit diesen Worten kommt man über 
die Einheit der Theile mit dem Ganzen, oder der Wir- 
kung mit der Ursache odet der Accidenzen mit der Sub- 
stanz nicht hinaus. 

Man sieht, dass diese Einheit, dieses ^Ey xai nav leich- 
ter ausgesprochen als philosophisch entwickelt ist. Indem 
keine Einheit die Unterschiede aufgeben kann, ist sie für 
das Gefühl der Achtung, was zu einem yölligen Aufgehn 
und Verschwinden des Ich's in das Unendliche drängt, 
immer nicht innig genug; dieses Gefühl fühlt sich durch 
den kleinsten Unterschied noch verletzt. Giebt nun das 
Denken dem Gefühle nach und beseitigt es den Unter-^ 
schied gänzlich, so ist zwar dieser Anstoss vertilgt, 
aber damit auch die Einheit verschwunden; an ihre Stelle 
ist die Einerleiheit getreten, und Gott and Seele sind 
als solche in diesem Brei nicht mehr erkennbar, und das 
Gefühl ist abermals nicht zufrieden. 

So quält das religiöse Gefühl des Menschen wie ein 
unartiges Kind sein Denken; es soll ihm eine Einheit 
zwischen Gott und dem Menschen schaffen, welche das 
Unmögliche leiste und ausführe. Daher dieses fortwäh- 
rende Porschen der Theologen und Philosophen nach 
einer solchen Einheit. Dies Forschen bleibt um so un- 
klarer, je weniger man sich bisher bemüht hat, den wich- 
tigen Begriff der Einheit und ihrer Arten für sich zu 
untersuchen (E, 52). Da keine Einheit, welche die Phi- 
losophie bisher geboten hatte, dem Gefühl entsprach, so 
schuf Hegel die Einheit des Widersprechenden und 
glaubte in ihr die Lösung gefunden zu haben. Es ist 
dies dieselbe Lösung,, welche die christliche Religion für 

12* 



180 V. TheiL 36. 37. (E. zu L. 36. L. 37 B. E ) 

viele ihrer Dogmen benatzt hat (Dreieinigkeit, (rott- 
mensch, Blut und Wein im • Abendmahl) ; eine solche 
Lösung mag im Glauben an ihrem Orte sein, wo die 
Fundamentalsätze der Wahrheit sich den Aussprüchen der 
Autoritäten unterordnen; in der Philosophie kann jedoch 
eine solche Verkehrung ihres zweiten Fundamentalsatzes 
nicht zugelassen werden, ohne alles Wissen zu vernichten. 
In dem Z. ist Sp. selbst mit semer im L. 36 gesuch- 
ten Einheit nicht zufrieden und bezeichnet die Einheit 
Gottes und der Seelen in einer Weise, welche die Einheit 
in die Einerleiheit auflöst. Man sieht, wie dieser Kampf 
des Fühlens und Denkens auch in ein und demselben 
Kopfe besteht und Um bald zu den Unterschieden, bald 
zur Einerleiheit treibt. 

36. B. Zn L. 36. in dieser E. giebt Sp. noch einen 
Anhalt für seinen Begriff des Intuitiven oder der 
dritten Art des Wissens. Hier ist dieses Wissen dem 
deduktiven entgegengestellt, welches von den! Allgemeinen 
ausgeht; dieses Deduktive soll nur die zweite Art des 
Wissens bilden; das intuitive Wissen soll dagegen "von 
den Einzeldingen ausgehen und aus ihnen ihre Abhän- 
gigkeit von Gott erkennen. — Da diese Ansicht auf Un- 
kenntniss der Natur des Wissens beruht, so ist es un- 
möglich, diese unklare Darstellung Sp.'s völlig verständ- 
lich zu machen; die Unklarheit ist vielmehr hier die un- 
trennbare Folge der Unwahrheit. Erst wenn man an- 
erkennt, dass das Seiende nur durch Wahrnehmung 
erreicht werden kann, und dass das begriffliche Trennen 
das Allgemeine aus diesem Wahrgenommenen nur aus- 
sondert, aber dabei die Begriffsstücke ein Seiendes blei- 
ben, wie der ganze Gegßnstand, und erst wenn daneben 
die Natur der Beziehungsformen erkannt ist, verschwindet 
dieser Nebel von verschiedenen Arten der Erkenntniss 
der Wahrheit, und es zeigt sich, dass es nur eine Art 
des Wissens giebt, welche für alle Menschen und für alle 
Gegenstände sich aus den beiden Fundamentalsätzen der 
Wahrheit ableitet {E. 66). 

37. L. 37 B. B. Die Liebe zu Gott oder vielmehr 
zur Philosophie ist nach Sp. zugleich die stärkste ; nichts 



V. Theü. 38. 39. (L. 38 B. E. L. 39 B. E.) 181 

kann sie überwinden. — - Das Axiom, was die E. erwähnt, 
ist das im vierten Theile unmittelbar vor L. 1 stehende. 

38. L. 38 B. B. Die Xiebe zu Gott oder zur Phi- 
losophie schützt am stärksten vor den Affekten und vor 
der Todesfurcht. Der B. dieses L. ist nach den Prä- 
missen leicht; er hat aber durch die Hereinziehung der 
Quantität etwas Abstossendes, und er verliert seine 
Kraft, sobald die Seele keine blosse Grösse ist. — Bei 
der Todesfurcht kommt es z. B. nicht auf die Grösse 
des ewigen •Theiles der Seele an, sondern auch auf die 
Qualität desselben; haftet das Gefühl stärker an dem 
Untergehenden (an den Einzeldingen, an den Einzelvor- 
stellungen), als an dem bleibenden Theile der Seele, so ist 
die Todesfurcht damit nicht zu widerlegen, dass der 
ewige Th^il der Seele der grössere sei. Man kann das 
kleinere und geistesschwächere Kind mehr lieben, als das 
grosse und mit der dritten Art des Wissens ausgestattete 
Kind, und die Furcht vor dem Verlust jenes kann des- 
halb mit der Grösse von diesem nicht beseitigt werden. 

39. L. 39 B. B. ^ach der gewöhnlichen Ansicht 
ist ein geschickter Körper nicht sofort mit einer philo- 
sophischen Seele verbunden; sondern die reicheren und 
vielfacheren Wahrnehmungen jenes geben der Seele nur 
die Mittel, sich ein allgemeines oder philosophisches 
Weissen daraus zu bilden. Darauf führt auch nur der 
L. IV. 38, welcher als Beweis citirt ist. Indess ist Sp. 
durch seinen Parallelismus zwischen Körper und Seele 
genöthigt, das reichere Wissen der Seele als unmittelbar 
mit einem geschickten Körper gegeben zu behaupten; ein 
Satz, der in dieser Fassung der Erfahrung widerspricht. 

Immerhin bleibt es ein Vorzug der Ethik Sp/s, dass 
er über die Sorge für die Seele und ihre Erkenntniss nicht 
die Ausbildung des Körpers zurückstellt, wenn man auch 
seinen Gründen in ihrer geometrischen Fassung nicht 
beitreten kann. Auch ist der L. zu weit gefasst. Nur 
das Wahrnehmen gehört hierher; dieses bildet die 
Grundlage der Erkenntniss und beschafft seinen Inhalt. 
Für die Erkenntniss ist deshalb nur der Theil des Kör- 
pers von Wichtigkeit, der das Wahrnehmen vermittelt. 
Dagegen erscheinen alle anderen Geschicklichkeiten, wie 



182 V.TheiL 40. 4L (L.40B.Z. E.) 

Tanzen, Beiten, die Künste eines Jongleurs und Seiltän« 
zers ohne Einfluss auf die Erweiterung des Wissens. — 
Auch hätte Sp. bemerken sollen, dass die Ausbildung des 
Körpers und die Ausbildung des Wissens mit einander 
kollidiren; das Eine beschränkt das Andere; auch hier 
musste deshalb die Ethik sich nicht mit dem Lobe Ton 
beiden beruhigen , sondern die Grenze zwischen beiden 
Tugenden bestimmen. 

40. L. 40 B. Z. In n. D. 6 ist die Vollkommen- 
heit identisch mit Bealitat gesetzt; ein Beweis fehlt da- 
für; ebenso fehlt der -Beweis, dass mit der Zunahme der 
Bealitat das Handeln des Gegenstandes steigt; aus ni. 
L. 3 E. folgt dies nicht; im Gegentheil, je mehr Seien- 
des ein Gegenstand enthalt, um so mehr kann er mit 
anderen zum gemeinsamen Handeln zusammentreten; sol- 
ches gemeinsame Handeln gilt aber für die Einzelnen, 
die dabei nur partiell mitwirken, nach Sp. als ein 
Leiden. Der L. 40 ist deshalb ohne Beweis. Li dem B. 
wird nun das Yollkommene zugleich für das Bessere 
erklärt und daraus abgeleitet, dass der Verstand (eigent- 
lich das Wissen zweiter und dritter Art) besser und yoII- 
kommener sei als die anderen Theile der Seele. Auch 
hier ist ein Beispiel, wie Sp. ein und dasselbe Wort in 
verschiedenem Sinne benutzt. Ist Vollkommenheit iden- 
tisch mit Bealitat, so muss man sich den L. 40 gefallen 
lassen; allein am Schluss wird dieses Wort in dem Sinne 
des Besseren verstanden, was etwas durchaus Anderes 
und Unbewiesenes ist. 

41« £• L. 40. Diese E. ist sehr wichtig, weil hier 
Sp. noch einmal auf die Einheit Gottes und der mensch- 
lichen Seele zurückkommt. Danach ist das Wesen (der 
erkennende Theil) jeder einzelnen menschlichen Seele von 
Ewigkeit her in dem Attribut des Denkens €h>ttes ent- 
halten (L L. 21), aber nur als ewiger Zustand (modus) 
des Attributs. Trotz dieses Ausschlusses der Zeit lässt 
Sp. doch eine Seele aus der andern folgen, und die ganze 
unendliche Folge dieser ewigen Zustande der Seelen macht 
den Verstand (mtellectua, nicht das Denken, cogitatio) 
Gotteä aus. Dieses Alles ist schwierig; die Dunkelheit 
kommt von der Verwechslung der Folgen aus dem Er- 



T.Tbeil. 42. 43* (L.41B.E. L.42B.) 183 

kenntiiKsgraiide mit den Wirkungen aus den ürsachenf; 
eine Verwechselung, die bei 8p. durchgehends . filtatthat 
und mit seinem Prinzip der Substanz zusammenliängt. 
Die Folgen sind allerdings zeitlos; aber dann sind sie 
auch alle zugleich und gehören dann zu dem Inhalt des 
Attributs und nicht zu seinen Zuständen. Letztere sind 
in der Zeit und entwickeln sich deshalb in einer unend-^ 
liehen Reihe von Ursachen und Wirkungen. Die Dunkel- 
heit entspringt hier nur daraus, dass Sp. hier ein Drittes 
erstrebt, nämlich ewige Zustände, die weder Attribut 
noeh reiner Zustand sein können i^d deshalb unfassbar 
sind. (Man sehe die Erläuterungen zu I. L. 21, 22 u. 23.) 

42. L. 41 B. B. In Th. lY. ist das vernünftige 
Handeln als das Sittliche dadurch hergestellt, dass es 
allein ein Handeln ist und die Freiheit enthält; Sp. kann 
deshalb mit Recht sagen, dass er seine Ethik nicht auf 
die Unsterblichkeit der Seele gegründet habe. Für die 
heutige Zeit hat dieser Satz weniger Bedeutung; allein 
für Sp.'s Zeitgenossen war es ein grosser Gedanke; denn 
noch hundert Jahre nach ihm haben Mendelssohn und 
Kant erklärt, dass die Moral ohne das Fundament der 
persönlichen Unsterblichkeit allen Halt verliere. 

43, L. 42 B. Der L. 42 ist nur der veränderte 
Ausdruck desselben Gedankens, den L. 41 enthält. Da 
Tugend und Lust bei Sp. identisch sind, so hat der L. 42 
'für das System Sp.'s keine grosse Bedeutung. Nur im 
gewöhnlichen Sinne der Worte aufgefasst, erhält der 
L. 42 jene erhabene Bedeutung, welche ihn zu dem wür- 
digen Schlussstein des ganzen Werkes macht. Der Lohn 
des sittlichen Handelns liegt in diesem selbst. Mehr sagt 
Sp. hier nicht; er erkennt an, dass damit nicht alle 
Schmerzen des Lebens gehoben und beseitigt werden 
können; er weiss, dass der Mensch als Theil der Natur 
den leidenden Affekten unterworfen bleibt; allein dies 
hindert Sp. nicht, die Seligkeit oder die höchste Lust in 
die Tugend, d. h. in das Handeln, d. h. in das Erkennen 
zu verlegen. Diese Seligkeit ist ihm weniger Lust, als 
Seelenruhe; damit nähert sich Sp. der Seelenruhe, 
welche aus dem befriedigten sittlichen* Gefühle, aus der 
Befolgung der Gebote der erhabenen Autoritäten entspringt, 



184 V. Thefl. 44 45. (Km L. 42. Ende der Ethik.) 

und so trifft Sp. am Schlnss seiner Ethik mit den Be- 
snltaten der ai^ realistischer Grundlage erbauten Ethik 
wieder zusammen. 

44. B. m L. 42. in dieser E. wird die Erkenntniss 
wieder offen als das höchste und ^Is das sittliche Ziel 
hingestellt. Es ist merkwürdig, dass zu den Folgen des 
sittlichen Lebens nach Sp. auch die Unsterblichkeit ge- 
hört. Der Unwissende, der iiur im bildlichen Vorstellen 
bleibt, kommt aus dem Leiden nie heraus, und mit seinem 
Tode hört sein Dasein auf; nur der Weise, welcher phi- 
losophisch erkennt, hört niemals auf zu sein. Die Un- 
sterblichkeit der Seele wächst also mit ihrer Erkenntniss. 

Mit diesen Betrachtungen schliesst Sp. den Y. Theil. 
Es erhellt, dass die eigentliche Ethik bereits mit dem 
lY. Theile abgeschlossen ist. Dieser Y. Theil beschäftigt 
sich nur mit Zusätzen und zerfallt in drei Abschnitte. 
Der erste handelt von den Mitteln, durch welche das 
Denken die Affekte hemmen und beschränken kann; dieser 
Abschnitt geht bis L. 20. Der zweite Abschnitt handelt 
von der Unsterblichkeit der Seele und geht von 
L. 21 bis L. 23. Der letzte Abschnitt handelt von der 
dritten Art des Wissens oder von der Philosophie und 
von den Wirkungen derselben auf das Gefühl, Begehren 
und Handeln des Menschen und von der mit ihr verbun- 
denen Seligkeit und Unsterblichkeit, von L. 24 bis zu Ende. 

45. Endo der Btbik. Wenn bis hier versucht 
worden ist, an den einzelnen Sätzen dieses Werkes sein 
Yerständniss durch Erklärungen und Kritik zu vermitteln, 
so darf doch der Leser der Ethik nicht meinen, den Inhalt 
des Werkes mit einmaligem Lesen sich ganz aneignen 
zu können. Es gehört dazu ein wiederholtes Lesen und 
Ueberdenken und Yergleichen der einzelnen Sätze. Im 
Allgemeinen ist dieser Weg besser als das Studiren der 
vielen Schriften Anderer, welche über Sp. vorhanden sind. 
Je mehr der Leser bei dem Autor selbst bleibt, desto 
mehr wird er ihn allmählig verstehn Jemen, und aus 
diesem Yerständniss wird sich allmählig Liebe zu ihm 
und Bewunderung seiner Grösse in einem Maasse ent- 
wickeln, dass er Muhe haben wird, seine Selbstständig- 



V. TheiL 45. (Ende der Ethik.) 185 

keit zn wahren und sich dem Aator nicht ganz gefangen 
zu geben. 

Sp.'s Ethik gehört trotz ihrer vielen Mängel zu den 
erhabensten Werken des menschlichen Geistes, an welches 
noch die fernsten Zeiten mit Verehrung herantreten wer- 
den. Sie gleicht den dunkeln Oelgemälden alter Meister, 
die nur, wenn man sie in sein Wohnzimmer nimmt und 
täglich mit ihnen verkehrt, allmählig ihre Klarheit, 
ihren Reichthum entfalten und durch ihre Grossartigkeit 
fesseln. 

Die Mängel des Werkes sind die Folge, dass Sp. 
meinte, mit dem Denken allein die Wahrheit erreichen 
zu können. Deshalb verkennt er die Natur der blossen 
Beziehungen, bemerkt deren Inhaltlosigkeit nicht, und 
deshalb entgeht ihm, dass die Seinsbegriife, welche er 
seinem System daneben zu Grunde legt, ihren Ursprung 
doch nur aus der Erfahrung haben, aber um so leichter 
in Irrthum fuhren, je weniger der Autor diesen Ursprung 
zugi^bt; je mehr er deshalb ihre Prüfung verabsäumt 
und sich verleiten lässt, mit solchen ungereinigten Be- 
griffen ein System aufzubauen, das selbst bei der vollen- 
detsten Consequenz und Harmonie in den Lüften schwebt 
und keine Gewähr für seine Wahrheit bieten kann. Auf 
diesem falschen Prinzip beruht auch die Meinung Sp.'s 
von dem Werthe der geometrischen Beweisführung; diese 
Methode ist keine besondere, der Geometrie eigenthüm- 
liche, sondern die allgemeine des logischen Schliessens 
(J^. 79). Eben deshalb ist man nicht im Stande, mit ihr 
einen neuen Inhalt zu gewinnen; die Besonderung des 
Allgemeinen muss auch bei ihr aus der Erfahrung ent- 
lehnt werden, und damit fällt die angebliche Untrüglich- 
keit dieser Methode, deren Werth in der Geometrie nur 
auf der Einfachheit und Anschaulichkeit ihrer Begriffe be- 
ruht, welche die Erschöpfung der unendlichen Einzelfälle 
eines Lehrsatzes durch Anschauung ermöglicht {E. 79). 

Aber hinter dieser mangelhaften Form und hinter 
diesen Erschleichungen und Fehlern der Ableitung ver- 
birgt die Ethik Sp.'s einen Inhalt, der durch seine Grösse 
und Erhabenheit um so mehr in Erstaunen setzt, je tiefer 
man in ihn eindringt. Dahin gehört insonderheit die 
Befreiung der Philosophie von den Fesseln des religiösen 
Glaubens, welche Cartesius noch nicht abzuschütteln 



186 V. Theil. 45. (Ende der EtMk.) 

wagte ; erst Sp, vollzog diese Befreiung in einem Maasse und 
in einer Entschiedenheit, dass die Philosophen selbst noch 
hundert Jahre später ihm zu folgen sich kaum getrauten. 
Dahin gehört ferner die Beinigung des Gottesbegriffes, 
oder richtiger, die Beseitigung desselben und die Zurück- 
führung Gottes auf die Substanz der Welt. Es gehört 
ferner dahin die Beseitigung des Begriffes der Wahlfreiheit 
und die von moralischen Beziehungen freie Betrachtung 
der Affekte als natürlicher Zustande ; endlich die Begrün- 
dung des Sittlichen auf das Seiende, auf die Gesetze 
der Selbsterhaltung und des Nutzens. Allerdings 
hat Sp. dabei das sittliche Gefühl der Achtung und seinen 
Gegensatz zur Lust verkannt; allein er hat dennoch die 
richtige Ahnung gehabt, dass das in der menschlichen 
Gemeinschaft geltende Sittliche nur ein Positives ist, 
was blos auf der Macht des Gebietenden beruht, und 
dass das letzte Ziel aller ethischen Entwickelung sein 
muss, das Sittliche mit dem Nutzen und der Lust in 
volle Uebereinstimmung zu bringen, so dass zuletzt für 
den vernünftigen Mann jenes Gebot der Autoritäten ent- 
behrt werden kann, und die Erkenntniss des Wahren und 
Nützlichen zureicht, um ihm und Andern ein seliges 
Leben zu bereiten (Bd. IX. der Philos. Bibliothek). 



Ende. 



Druck von Gebrüder Grunort in BerKn. 



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